Wie alles begann: 1951 - 1963

Einen großen Einfluss auf die Freizeitgestaltung hatte der Kulturbund der DDR, eine von Johannes R. Becher 1945 gegründete Massenorganisation, die sich in verschiedene Arbeitskreise aufgliederte. Diese Arbeitskreise, z.B. Fotografie, Münzkunde, Aquaristik, Denkmalpflege etc. wiederrum waren in den verschiedenen Ortsbezirken vertreten, und die DDR-Bürger konnten, je nach Interessenslage, der gewünschten Fachgruppe beitreten und sich fortan als „Bundesfreunde“ bezeichnen.


Soweit in aller Kürze zur allgemeinen Situation in der DDR, die sich ja doch deutlich vom Hier und Jetzt unterscheidet und nach der Wende in den meisten Fällen zum Erliegen kam.


Wie ging die Entwicklung in diesem kleinen Elbstädtchen vonstatten?


Als Teil des DDR-Kulturbundes und unter der Leitung von Gerhard Eschenhagen, seinerzeit Lehrer an der POS „Käthe Kollwitz“, wurde im Herbst 1951 eine astronomische Arbeitsgemeinschaft gegründet, in der sich „vornehmlich erwachsene, sehr interessierte Mitbürger“ gruppierten und sich mit Begeisterung verschiedensten Tätigkeitsfeldern zuwandten, und „über die durchgeführten Arbeiten sorgfältig ein Beobachtungsbuch“ führten. So ist u.a. die Rede von Mondbeobachtung und -fotografie, Sonnenfleckenanalyse, Planetenbeobachtung und die Aufnahme von Sternfeldern und Kometen. Man nutzte dafür eine eigene Beobachtungsplattform, die mit einem typischen Telementor auf Säulenstativ und Synchronmotor ausgestattet war. Diese wurde im Laufe der Zeit aber den Ansprüchen zunehmend weniger gerecht, sodass man sich hilfesuchend an die Stadt wandte.

Als Standort fand sich der ehemalige Aussichtsturm und Beobachtungsposten, der 1870 errichtet wurde und seitdem eine interessante Geschichte erlebt hat, die man auf http://www.hummelberg-turm.de/ nachlesen kann. Er ist knapp 13m hoch und befindet sich auf dem „Gipfel“ des 94m hohen Hummelberges, der sich etwa 50m über das Stadtgelände erhebt. Im Gegensatz zur heutigen Situation war das umgebende Gelände weitestgehend frei von hohen Bäumen, gepflegt und frei betretbar. Mittlerweile hat sich nicht nur ein hoher Wald ringsum erhoben, sondern auch ein Enduro-Club, der einen großen Teil des Hummelbergs mit unwegsamen Motocross-Pisten überzogen hat. Abgesehen davon herrscht für Privatpersonen ein Zutrittsverbot.


Mithilfe des Jugendförderungsplans und im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks ließ sich das Gebäude restaurieren und einrichten, sodass es ab März 1956 wieder bewacht wurde und dort ab 07.07. die Arbeitsgemeinschaft ihre Wirkstätte beziehen konnte. Man richtete im Anbau einen Ausstellungsraum für Schaubilder, Modelle, Sternkarten usw. ein; ebenso einen Vortragsraum, ein Photolabor und ein eigenes Arbeitsgemach. Neben dem bereits vielbenutzten Telementor zogen eine 6x9-Astrokamera mit Tessarobjektiv (1:3,5; f 15cm), ein Kometensucher und ein weiteres Schulfernrohr auf Azimutalmontierung ein. Als „Beigabe“ fanden sowohl eine privat gestiftete, auf Sternzeit regulierte Pendeluhr Einzug, als auch eine kleine Dia- und Büchersammlung. Man hatte es also geschafft, eine kleine, beachtliche Astro-Station in angenehmer Umgebung zu errichten, in der es sich gut arbeiten ließ.


Die Plattform des großen Hauptturmes wurde nicht speziell ausgestattet, damit sie für die Nutzung als Aussichtspunkt beibehalten werden konnte, doch auf dem geräumigeren Dach des Anbaus konnte das Instrumentarium installiert werden. Der in Nordrichtung befindliche, 3m höhere Hauptturm störte die Sicht dabei nicht gravierend, denn er reichte nicht einmal bis in die Polregion. Das Fernrohr stand auf einem freistehenden Betonsockel und wurde durch eine abfahrbare Überdachung geschützt, die die städtischen Handwerker in freiwilliger Arbeit fertigten. Diese Plattform wurde zudem mit einer Schreibplatte und einer Infrarotlampe ausgerüstet, was sicherstellte, dass die Astronomen ihre Beobachtungen sorgfältig aufzeichnen konnten. Geplant war schließlich auch eine Zusammenarbeit mit der Thüringischen Volkssternwarte Sonneberg, v.a. im Bereich der Astrofotografie und Himmelsüberwachung. Die Schönebecker Fachgruppe strebte an, die Lücken auf ihrem Plattenmaterial, die durch schlechtes Wetter zustande kamen, zu schließen. Aus Sonneberg erhielt man viel Unterstützung, u.a. bei der Gebäudewahl und der Einrichtung des Ausstellungsraumes.

Gerhard Eschenhagen fasste seine Eindrücke über die Ausstattung folgendermaßen zusammen:


Wenn auch das Instrumentarium dieser Volkssternwarte äußerst bescheiden ist, so ist sie doch sicherlich in der Lage, durch den begeisterten Einsatz ihrer Mitglieder volksbildnerische und für die Wissenschaft unentbehrliche Kleinarbeit zu leisten.“ [G. Eschenhagen, 1956, „Die Sterne“]


Am 07.07.1956 wurde die Volkssternwarte auf dem Hummelberg eingeweiht und in einer Feierstunde durch die frühere Bürgermeisterin Maria Krause übergeben. Anwesend waren dabei auch die Fachgruppenmitglieder, Vertreter des Rates der Stadt und viele Schüler. Bei der Eröffnungsansprache richtete man seinen Blick optimistisch in die Zukunft und referierte über die angestrebten Tätigkeitsfelder. In erster Linie stand die „wissenschaftliche“ Arbeit im Vordergrund, in der man sich der bereits genannten fotografischen Himmelsüberwachung und Veränderlichenforschung widmen wollte. Die hiesigen Amateurastronomen sollten ebenfalls die Gelegenheit bekommen, Arbeiten durchzuführen, und sich in Vorträgen und „Ausspracheabenden“ fortzubilden. Für die interessierte Bevölkerung waren Himmelsführungen geplant, die wöchentlich (samstags) stattfinden sollten, und man hatte eine populärwissenschaftliche Vortragsreihe angekündigt. Ebenso sollte die enge Kooperation zwischen Fachgruppe und Schulen gewährleistet werden. Nach der Ansprache wurden die Räumlichkeiten besichtigt und Herr Eschenhagen hielt mitsamt Dia-Projektor ein Referat über die Struktur des Universums.


Vor allem in der Öffentlichkeit fand die Eröffnung großen Anklang; nicht zuletzt wegen der lokalen Berichterstattung in Zeitung und Funkmedien (Radio DDR) und wegen des großen Engagements und Fachwissens der beteiligten Fachgruppenmitglieder. Unterstützt wurde die Öffentlichkeitsarbeit natürlich auch vom Kulturbund, der die Betreuung begrüßte, v.a. der jungen Astronomen.


Die Zusammenarbeit mit der Sternwarte Sonneberg zeigte sich auch, als der dort tätigte Prof. Cuno Hoffmeister anregte, eine zweite Kamera mitsamt Halterung zu installieren. Sie wurde am 17./18.09.1956 vom Vertreter Reinhard Lehmann übergeben, der sich im eingerichteten Gästebuch eintrug und seine Wünsche niederschrieb: „Mögen die Instrumente der weiteren fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Sternwarte Sonneberg dienen!

In diesem Gästebuch lässt sich nachvollziehen, mit welchen Eindrücken die Besucher und Besuchergruppen von der Sternwarte gingen; was beobachtet wurde und welche Dinge besondere Bedeutung erhielten. Vor allem nach der Einführung des Pflichtfaches Astronomie waren es oft Schulklassen, die zur Besichtigung kamen („Wir danken unserem Lehrer Herrn Eschenhagen“), aber auch viele Privatpersonen, sowohl aus der Region, als auch von entfernteren Orten. Man bedankte sich bei „Herrn Eschenhagen für seinen schönen Vortrag“ (11.12.’57) und „für die aufschlussreichen Erläuterungen“ (21.07.‘56).


Hohe Wellen schlug ab 1957 das Sputnik-Programm der Sowjetunion, was gemeinhin als „Startschuss für die Raumfahrt“ bezeichnet wurde und die erste Etappe im Rennen ums Weltall entschied. Sputnik 1 war am 04.10.1957 der erste künstliche Satellit, der im Weltraumbahnhof Baikonur abhob, in den Erdorbit einschwenkte und dort drei Monate lang, 1.400 Mal, den Planeten umkreiste. Es folgten bis März 1961 neun weitere Satelliten, bevor am 12.04.1961 Juri Gagarin als erster Mensch den Weg ins All antrat.



Diese Meilensteine lösten in der Bevölkerung, insbesondere natürlich bei DDR-Bürgern, Begeisterung aus und bescherten den Volkssternwarten hohe Zuläufe. In den Medien wurden die Starttermine bekanntgegeben, und die Astronomen konnten Beobachtungsabende vorbereiten. Auch in Schönebeck ließ man sich diese Gelegenheiten nicht nehmen. Manche Besuche hatten jedoch scheinbar Pech mit dem Wetter: „Leider keine Sicht auf den Sputnik.“ (01.11.’57) Die Einträge zeigen einen wahren Besucherandrang, der wohl auch durch einen Artikel in der Lokalzeitung „Volksstimme“ ausgelöst wurde. Nicht nur die Sputnik-Raketen wurden beobachtet – ein „Satelliten-Fahrplan“ machte auch überregional auf die Volkssternwarte aufmerksam.

Die meisten Einträge zeugen von der Begeisterung der Gäste über die Beobachtung von Mond oder Siebengestirn und viele schienen positiv überrascht, dass in Schönebeck eine solche schöne Sternwarte existierte. „Aber auch der weite Blick von dieser Höhe hatte ferner seine Reize“ (03.02.‘58). In der Anfangsphase wünschte man der Einrichtung „noch recht viele Erfolge“ (21.07.’56) und prophezeite, dass sie „noch ein Helfer der Wissenschaft zu werden verspricht“ (22.09.’56).


Erhalten ist eine Einladung von Gerhard Eschenhagen, der die Mitglieder zu einem Treffen am 14.02.1958 aufrief und ein kleines Programm angab. Man traf sich dabei wohl im Dunklen am Westfriedhof, der auch heute noch am Fuße des Hummelberges liegt, und ging geschlossen die knapp 800 m lange Wegstrecke auf den Berg hinauf. Mit Schnee war dabei wahrscheinlich nicht mehr zu rechnen, denn zu dieser Zeit herrschten außergewöhnlich milde Tagestemperaturen von etwa 15°C. Außerdem ist zu sehen, dass die Sternwarte sogar einen eigenen Stempel besaß.

Einen offiziellen Namen erhielt die Sternwarte am 10.10.1959 durch den Vorsitzenden des Zentralen Fachausschusses Astronomie im Kulturbund, Edgar Otto sen., der außerdem 1931 die Urania-Privatsternwarte im sächsischen Eilenburg gegründet hatte. In der Namensgebungsfeier taufte man sie auf „Volkssternwarte Bruno.-H.-Bürgel“. Der Namenspate lebte von 1875 bis 1948 und war Mitbegründer des Kulturbundes und auch Schriftsteller und Publizist, der sich auf die öffentlichkeitswirksame Verbreitung astronomischen Wissens spezialisierte.


Im Jahre 1959 wurde die Astronomie als Pflichtfach der schulischen Lehrpläne in der DDR aufgenommen. Man hatte sich nicht nur am Leitsatz vom wegbereitenden Pädagogen Adolf Diesterweg (1790-1866) orientiert, der schon seinerzeit die Wichtigkeit des astronomischen Unterrichts betonte: „Ohne Anschauung und Kenntnis des Himmels und seiner Wunder gewonnen zu haben“, dürfe kein Schüler seine Ausbildung beenden. Befeuert wurde dieser Entschluss natürlich auch durch die Konkurrenz zur USA, denn die Sowjetunion sah sich, spätestens nach dem Start der Sputnik-Rakete, in einer Vorreiterrolle bzgl. Astronomie und Raumfahrt. Damit dieser Status auch die Zeiten überdauert, war eine umfassende Bildung der Bevölkerung vonnöten und die Absegnung dieser Idee erfolgte rasch.


Es erfolgte die Ausbildung fachlich interessierter und fähiger Astronomielehrer und die Beschaffung von geeignetem Schulmaterial. Darunter fallen nicht nur die obligatorischen Lehrbücher, sondern auch die serienmäßige und flächendeckende Ausstattung mit 63/840-Telementoren von Zeiss. Man legte Wert auf die Anschaulichkeit und Praxisorientierung, sodass die Schüler im Rahmen des Unterrichts die Möglichkeiten erhielten, eigene Beobachtungen durchzuführen. Dies war besonders wichtig in Gegenden, wo keine eigene städtische Sternwarte vorhanden war, aber infolge der fortlaufenden instrumentellen Ausstattung kam es vermehrt zur Bildung von Schulsternwarten, die z.T. über ein Planetarium verfügten und der allgemeinen Bevölkerung zugänglich waren, die die Angebote auch zahlreich nutzte. Die positive Haltung gegenüber der Astronomie, sowohl seitens der Schüler, als auch der Allgemeinheit, führte desweiteren zur Bildung sogenannter Arbeitsgemeinschaften, die es den Jugendlichen ermöglichten, sich über dem Unterricht hinaus mit der Thematik zu beschäftigen. Individuelle Interessen und Kenntnisse konnten gefördert werden und bestehende Gruppierungen hatten auch nach der Schule lange Bestand. Auch in Schönebeck sollte sich eine ähnliche Entwicklung ergeben.

Wie bereits erwähnt, kamen in der weiteren Zeit viele Schulklassen und Jugendliche zu Besuch, was im Gästebuch dokumentiert wurde. Im Januar 1958 war eine zehnte Klasse der Schönebecker Oberschule zu Gast. Auch die astronomische Fachgruppe aus Stassfurt, einer knapp 20 km entfernten Stadt, besichtigte die Sternwarte am 27.05.1960: Leiterin Adelheid Baumgarten und sieben Schüler. Zu den Gästen zählten ebenfalls die Teilnehmer des Astronomie-Lehrganges des Pädagogischen Kreiskabinetts Schönebeck, die „viele gute Anregungen für unsere Arbeit“ erhielten. Wie beliebt die Hummelberg-Sternwarte war, und welche Begeisterung sie in so Manchen auslöste, lässt erahnen, mit welch immenser Hingabe sich die Astronomen um ihre Besucher kümmerten. So verewigte sich 1958 ein Manfred Hauer mit folgenden Worten: „Hier, in der Schönebecker Sternwarte mußte ich erkennen, daß Astronomie auch seine Reize hat.

Herr Eschenhagen zeigte sich stets bemüht um die astronomischen Tätigkeiten in Schönebeck und opferte sich für seine Forschungen auf, wurde inzwischen jedoch nach Calbe versetzt. Dadurch brach der Fachgruppe die treibende Kraft weg; ein adäquater Ersatz ließ sich zunächst nicht finden und die Arbeiten wurden eingestellt. Der letzte Eintrag im Gästebuch datiert vom März 1961 – nach lediglich fünf Jahren seit der Einweihung! Die Räumlichkeiten auf dem Hummelberg wurden vorübergehend vom Astrozirkel „Haus der Pioniere“ genutzt, aber auch dies währte nicht lange.


Am 24.09.1961 wurde im Rahmen der Raumübergabe festgestellt, in welchem zunehmend schlechten Zustand sich der Turm befand. Es war Feuchtigkeit in die Wände eingedrungen, da es keine Dachrinnenanschlüsse auf der Beobachtungsplattform gab. Infolge dessen breitete sich der gefährliche Echte Hausschwamm aus, der mit Vorliebe verbautes Holz angreift und feuchtes Milieu liebt. Er gilt als der gefährlichste Zerstörer von Bausubstanz, und so nistete sich der Pilz auch in den Außenwänden, Türverschalungen und Schränken der Sternwarte ein. Nach dieser Feststellung wurde das Stadtbauamt informiert, das die Schäden aber, trotz Zusage, nicht behob. Autorisiertes Fachpersonal ist für die Bekämpfung dieses hochaggressiven Schwamms vonnöten und die Arbeiten können, je nach Befall, extrem kostenintensiv und umfangreich werden, bis hin zum vollständigen Austausch der verbauten Holzkonstruktionen. Man erkannte den Ernst der Lage und das Gebäude wurde für den öffentlichen Zugang gesperrt. Auch nach Drängen hatte sich, ein halbes Jahr später, seitens der Stadt „noch keine Hand gerührt“ und der Schwamm breitete sich weiter ungehindert aus. Im Herbst 1962 wurden die Fachgruppenmitglieder, die bis dahin dem Verfall zusehen mussten und vergebens auf professionelle Hilfe warteten, selbst aktiv; entfernten die schadhaften Holzteile und versuchten, das Instrumentarium so gut wie möglich zu sichern.

Ebenso unerfreulich waren zwei Einbrüche in das stillgelegte Sternwartengelände, bei denen u.a. Zubehörteile im Wert von 110 DM und Weiteres entwendet wurden. Das, was an Inventar noch vorhanden war, wurde 1963 an die Bruno-H.-Bürgel-Schule in der Dammstraße übergeben, die es aber keineswegs in dem früheren Umfang nutzte, und auch kaum für wissenschaftliche Zwecke. Somit waren zwar die Geräte in Sicherheit, doch die Sternwarte fortan dem Verfall preisgegeben. Die Fachgruppenmitglieder übten öffentliche Kritik an der Stadt und suchten weiter händeringend nach Unterstützern und einem neuen Leiter, der der Arbeit auf dem Hummelberg neues Leben einhaucht und vorantreibt.

Share by: