Ich gestehe: In der sehr klaren Nacht von Sonntag auf Montag hatte ich einfach keine Lust, rauszufahren, und schlief mich stattdessen aus. War zur Abwechslung auch mal ganz nett. Und außerdem sieht es für die nächsten Tage ja auch ganz gut aus.
Einem sonnigen Tag folgte ein klarer Abend und ehe mans sich versah, wurde es auch schon dunkel und ich saß im Auto Richtung Hobeck, wo ich gegen 19:45 Uhr eintraf. Martin war schon da und inspizierte den Boden. Die Windverhältnisse waren so ähnlich wie am Samstag: Anfangs relativ stark, dann abflauend, aber teilweise böig auffrischend. Am Himmel waren keine Wolken zu sehen; allenfalls schien der Westhorizont leicht schleirig, aber… wer schaut schon dorthin? Eine errötende Venus schwebte wieder knapp über den fernen Nadelbäumen und ging auch bald unter. Mit 9°C war es kühler als am Wochenende, und ich zog mir bald den ersten Kälteschutz an.
Wir sprachen über die Begebenheiten der Anfahrt, z.B. die tote Katze hinter Göbel („Du hast die aber nicht überfahren, oder?“ – „Neeein, die lag schon da.“), und über die heutigen Bedingungen. Das Seeing sollte wohl ganz gut werden, was sich in der fortschreitenden Dämmerung auch bestätigte: Das Sternflimmern hielt sich erfreulich in Grenzen. Nach dem Aufbau saß ich im Auto, trank meinen Tee und wartete auf den Startschuss. Und pflichtschuldig machte ich noch ein Foto von dem skurillen zerstörten Kürbis von letzter Nacht.
Als mir der Himmel dunkel genug deuchte, ging der Spaß los. Das erste Objekt sollte NGC 6826 werden, der „Blinking Planetary“ im Schwan, der schon in der Aufsuchvergrößerung eine leicht erreichbare Beute war. Eine helle, rund-ovale, völlig farblose Scheibe. Der Effekt, dem der PN seinen Namen verdankt, war nicht festzustellen. Der Anblick ohne Filter gefiel mir wesentlich besser. Der dominante, helle Zentralstern war umgeben von dem runden Nebel, der nördlich und südlich vom Zentrum dunkler erschien. Die Westkante wirkte zudem etwas diffuser begrenzt.
Zweites Ziel war der Ringnebel. Ja genau, M 57, den wollte ich heute haben. Wahrscheinlich das am leichtesten zu findende Objekt an diesem Abend. Und da war er, dieser große Kringel, mit dem hellen Ring, der nach Osten und Westen etwas schwächer auslief und ein dunkles Inneres beherbergte. Ich hatte mich eigentlich vielmehr für diese wundervolle kleine Galaxie interessiert, doch mit 15,1 mag war die wohl jenseits der Hobeck’schen Möglichkeiten. Ohne Filter blieb M 57 im Fokus, und als dort plötzlich der Zentralstern aufblitzte, blieb mir fast das Herz stehen. Er war zunächst nicht dauerhaft zu halten, doch bei indirektem Sehen sprang er immer wieder mal für ein oder zwei Sekunden heraus. Ein zweiter Stern innerhalb der dunklen Zone, nordwestlich der Mitte, war ebenfalls erreichbar. In puncto Schwierigkeit unterschieden sie sich nicht. Im Laufe der weiteren Beobachtung konnte ich beide dann auch länger und sicher halten. Lautstark bekundete ich meine Fassungslosigkeit. Mein Gott, der Zentralstern! Der Zentralstern von M 57! Der war… einfach da! Zitat aus dem Buch: „Ich krieg ‘ne Macke.“
Bei der Gelegenheit musste ich feststellen, dass sich mein Farbsehen wohl im Laufe der Jährchen geändert hat. Ich erinnere mich an Nächte unter Schönebecker Stadtrandhimmel, wo ich M 42 mit dem Zehnzöller in deutlichem Minzgrün sah. Neulich aber, im Ötztal mit 40cm, war das Ding in wundervolles, divers gestuftes Grau eingetönt. Ebenso nun M 57: Früher eine türkis leuchtende Scheibe, doch nun farblos.
Es war 21:35 Uhr und ich musste mich von dem Schock erholen. Bei Martin lief es noch nicht so recht. Er wollte ebenfalls auf M 57 halten, womit er in der vorigen Nacht schon begonnen hatte, doch nun musste er den Computer neustarten. Der Himmel zeigte sich von seiner guten Seite, obwohl die Lichtglocke von Zerbst sehr hell war, doch dafür war Berlin nicht mehr zu sehen.
Dritter und letzter PN an diesem Abend sollte NeVe 2 (Neckel-Vehrenberg) sein, wobei der Objektstatus wohl nicht ganz geklärt ist? Naja, was solls, das kann ich jetzt auch nicht ändern. In der Nähe von 25 Cygni soll er stehen, wo er sich tatsächlich fade aus dem Hintergrund herausschälte. Eine sehr schwache, homogene Scheibe, fast an der Wahrnehmungsgrenze und immer wieder verschwindend. Letztendlich war nicht mir überhaupt nicht mehr sicher, wo ich den PN geortet hatte, und umso froher bin ich nun, dass sich die Position doch bestätigte.
In der Nähe von NeVe 2 war ein Haufen verzeichnet, dessen Abkürzung mir nichts sagte. FSR-irgendwas stand da, ich habs mir nicht aufgeschrieben. Was auch immer das sein soll, einfach mal schauen. An Ort und Stelle befand sich ein unspektakulärer, loser, sternarmer und unscheinbarer Haufen, nahe einem helleren Vordergrundstern. Lohnt nicht.
Noch immer auf der Detailkarte verbleibend, entdeckte ich Teutsch 8 und zwei Kronberger-Haufen. Das lohnt sich. Nett! Teutsch 8 zeigte sich als markante, kleine Gruppe. Ein viereckiger Grundkörper, von dem „Verlängerungen“ abgingen. Das hellste Mitglied dominierte den gesamten Anblick. Beim Abgleich mit meinen eigenen Karten jedoch war ich verwirrt. Bei mir hieß das Teil „Teutsch 20“…?
Kronberger 35 und 36 standen unmittelbar östlich von Teutsch 8 / 20. Numero 35 war der größte Haufen des Trios und bestand aus überwiegend schwächeren Mitgliedern. Er sprang einem daher nicht unbedingt ins Auge, denn die Umgebung war sehr sternreich, aber er ließ sich dennoch gut erkennen. Zwei lange Sternketten formten ein spitzes Dreieck, das mit weiteren, schwächeren Mitgliedern gefüllt war. Kronberger 36 war dagegen kleiner und konzentrierter; zwei helle Sterne waren umsprenkelt von schwächeren, die sich ringsum oval anordneten.
Es war bereits 23:12 Uhr, und die frische Fläming’sche Landluft wehte herüber. Der Wind hatte sich mittlerweile gelegt, obwohl er sich kurz zuvor noch zu einem „Sturm“ aufgeschwungen hatte. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass Martin mit Weißlicht über den Acker leuchtete, was mich neugierig machte und zu einer kleinen Pause hinreißen ließ. Zeit für die Pflicht: Das SQM-L gab einen Wert von 21,43 mag/arcsec² aus. Martin berichtete, dass er eben den Geruch von Wildsauen in der Nase hatte, weshalb er die Gegend ableuchtete. Uh, Wildsauen?! Ich hab zwar keine Ahnung, wie die riechen, aber wenn er offensichtlich solches Fachwissen aufweisen kann, jagte mir das doch Respekt ein. Der Mais raschelte und wir guckten uns um… Aber keine Wildsau in Sicht.
Und ich setzte meine Sightseeing-Tour durch Detailkarte D1 fort und hatte den Haufen Töpler 1 im Visier. Der war gar nicht so leicht. Ein unscheinbares Objekt, das aus einigen schwachen Sternen bestand. Keins der Mitglieder stach besonders heraus. Es zog sich eine Kette von Nord nach Süd, an deren Nordende eine „Kugel“ aus engstehenden Mitgliedern andockte. Östlich von Töpler 1 war der Gasnebel NGC 6857 sichtbar, der wesentlich auffälliger daherkam und sich als kleine, aber helle geschwungene Pyramide präsentierte.
Während der Zeichnung fiel es ein bisschen schwer, sich zu konzentrieren, denn aufgrund der Wildsau-Sache war mir unbehaglich. Aus südöstlicher Richtung, wo ein großer Wald war, ertönten bellartige Geräusche. Wir überlegten, was das sein mochte. Für mich klang es nach einer kläffenden Töle, Marke „Fußhupe“, die Herrchen und Frauchen nachts aus dem Bett gebellt hat, weil sie mal vor die Tür muss und nun aus Langeweile die halbe Nachbarschaft terrorisiert, aber… in dieser Richtung befand sich kein Ort, wo es ein Herrchen oder Frauchen hätte geben können, und folglich auch keine Dorftöle. Martin vermutete, dass es sich um Wild handelte, das möglicherweise lautstark Streitigkeiten ausdiskutierte.
Es war nun Mitternacht und ich machte einen Lauf, um mich wieder aufzuwärmen, denn der frische Ostwind war kalt. Weit entfernt fuhr ein Auto aus dem Wald, und Martin überprüfte seine Justierung.
Noch immer in der Karte D1 verweilend, entdeckte ich wieder so eine kryptische FSR-Abkürzung. FSR 188 war eine auffällige, längliche Gruppe. Der südliche Teil glich dem Schaubild eines rechten Winkels; von dort aus ging nach Norden eine kurze Kette ab. Aufgelöst war das ganze Gebilde in etwa 15 Sterne, doch in dem reichen Umfeld wirkte es wie ein blanker Zufall.
Ich klappte die Detailkarte nun zu und griff auf eigenes Material zurück. Steine 6 sollte es nun sein. Aber Steine 6 war ein absolut unscheinbares, winziges Grüppchen ohne Haufencharakter südlich eines größeren Haufens, dessen Bezeichnung ich nicht entziffern konnte. Er wies eine grobe Dreieckform auf. Bei 200x sah ich 9 oder 10 Sterne in dem Dreieck eingepfercht, und das hellste Mitglied besaß eine braunorange Färbung.
Beim Fotostand herrschte reger Betrieb. „Baust du ab?“, wollte ich wissen. Nein, Martin wechselte das Teleskop, um mit kleinerer Brennweite zu fotografieren. Ihm gefielen die Windverhältnisse nicht, aber die hielten uns wenigstens den Dunst vom Hals. Es war trockene Luft. Allerdings hatte sich das Seeing enorm verschlechtert, und tief im Osten waren schon seit geraumer Zeit verdächtige Wolken aufgetaucht, die von Berlin angeleuchtet wurden, jedoch nicht weiter aufstiegen. Formalhaut hatte seinen niedrigen Bogen überm Südhorizont fast abgeschlossen und tauchte nun wieder zurück in die tiefen Dunstschichten. Es war 01:00 Uhr. Mein guter Tee hatte sich zu Eis-Tee verwandelt; ich kippte ihn weg.
Die Haufen machten mir viel Spaß, und obwohl ich heute noch die Galaxiensaison einläuten wollte, blieb ich in der Milchstraße. Teutsch 21 hing in einem reichen Sternenumfeld rum und wirkte daher eher unscheinbar, obschon er problemlos zu identifizieren war. Notiz bei 200x: „Der ist nicht so der Bringer“. Ich sah zwei zusammenhängende Dreiecke, die von einigen schwächeren Mitgliedern umgeben waren, insg. 12 oder 13. Das hellste von ihnen stand in der Mitte.
Unmittelbar nördlich von Teutsch 21 befanden sich wieder zwei Kronberger-Haufen. Der östliche von ihnen, Kronberger 29, war „trotz heller Sterne ein ähnlicher Schwachmat“. Zwei gleichhelle Sterne dominierten das Objekt, und auch sie wurden umringt von etwa sieben weiteren Mitgliedern. Im nordöstlichen Teil schien sich noch etwas zu verstecken, was mir aber verborgen blieb. Kronberger 28 hingegen war ein Grenzobjekt, was ich schon auf dem DSS-Ausdruck sah. Dort zeigte sich ein enges, spitzwinkliges Dreieck, das mit sehr schwachen Sternen garniert war. Im Dobson konnte ich lediglich das Dreieck erkennen, das sich kaum auflösen ließ (das Seeing hatte sich sehr verschlechtert), und 4 oder 5 grenzwärtige Sterne.
Ich pausierte kurz, rannte ein wenig, brach eine Schokoladenpackung an und besuchte Martin, dessen Teleskop selbstständig hin- und herschwenkte. Ich war fasziniert von der geschmeidigen, lautlosen Bewegung dieses Riesentrumms. Flugzeuge blinkten tief am Südhorizont auf, in der Lichtglocke von Zerbst, und wir vermuteten, dass in dieser Richtung wohl schon der Flughafen von Leipzig liegen könnte.
Nun verließ ich die Milchstraße und schwenkte in den Herbst um. Das Dreieck ruft. NGC 925 stand auf dem Plan. Es handelte sich um eine große und auffällige Galaxie, in deren unmittelbarer Nähe einige Vordergrundsternchen standen, wodurch sie zunächst gemottelt wirkte. Die Form war oval-länglich, 1:2,5, und mittig befand sich ein langgezogener Zentralbereich ohne Kern. Die Helligkeit nahm nur mäßig zu und die Übergänge von innen nach außen waren fließend. Ein Stück abseits, in westlicher Richtung, schien noch ein nebliger Sprenkel zu stehen.
Nach kurzer SQM-Bedienung (21,47) wandte ich mich einem Pärchen zu, das ich auf der Karte ein Stück nördlich von 925 entdeckte und mich neugierig machte. Zunächst die Galaxie NGC 949, die zwar klein, aber unübersehbar war. Rund-oval; fast schon tropfenförmig, was durch einen knapp südlich stehenden Vordergrundstern suggeriert wurde. Die Grenzen der Galaxie waren scharf und deutlich.
Und ein Stück daneben war ein Sternhaufen mit der Bezeichnung „Kar 4“ eingetragen. Kar 4. Kennichnich. Wofür steht das? Ach, ist das wieder spannend! Nach späterer Recherche stellte sich heraus, dass es die Abkürzung für Karhula war. Hätte ich eigentlich auch selbst drauf kommen können. Na, egal. „Gut zu finden, aber kein Brüller“. Es handelte sich um eine langgezogene, sich nach Norden hin verbreiternde Kette aus insg. 15 Mitgliedern. Das hellste von ihnen stand an der Nordspitze. Die Gesamtform erinnerte mich an ein Beil.
02:45 Uhr. Ich suchte noch NGC 725 auf, doch ob der Fülle an Sternen verlor ich die Motivation. Die Müdigkeit äußerte sich bereits in häufigem Gähnen, und ich begann doch tatsächlich zu frieren, obschon immerhin 4°C. Ich trug noch die Sommer-Kollektion; langsam wäre es an der Zeit, die Wintersachen vorzuholen… Der Orion thronte riesengroß im Südosten, doch die Sterne des Hasen darunter waren schon halb im Dunst versunken. Die ominösen Wolken, die sich am Osthorizont gezeigt hatten, waren nicht aufgestiegen, sondern verharrten dort. Der Rest des Himmels war komplett wolkenlos. Dank des Windes – stark abgeflaut, aber immer latent in Bewegung – blieb die Luft trocken und die Autoscheiben beschlugen nur ganz leicht. Was für eine tolle, ergiebige, spannende Nacht das war! Ich dachte an den Zentralstern im Ringnebel, und es kam mir vor, als wäre das schon Jahre her. Bald sollte der Mond aufgehen, und um die Heimfahrt nach MD zu überleben, entschloss ich mich zum Abbau. Martin hatte endlich seinen Frieden mit der Fototechnik gefunden und wollte noch länger ausharren, um zumindest die aktuellen Kometen zu erwischen. Wir sinnierten über die Möglichkeiten für den nächsten Abend, verabschiedeten uns und pünktlich zum Erscheinen der orangebraun eingefärbten Mondsichelspitze über der Waldkante startete ich den Wagen und düste ab. Und frei nach Pink Floyd, deren „Time“ durch die Musikanlage dröhnte, freute ich mich aufs Zuhause:
„Home, home again
I like to be here, when I can
When I come home, cold and tired
It’s good to warm my bones beside the fire…”
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Magdeburg, 01.10.2013