Wenn man in astronomischer Mission auf La Palma unterwegs ist, wäre es ja fast schon ein Frevel, wenn man nicht zumindest einmal auf den berühmten Roque de los Muchachos hochfährt, um in der Nähe der Observatorien zu beobachten. Da wir allerdings so tolle Bedingungen und puren Luxus bei unserer Finca genossen, und ich zudem großen Respekt vor dem Vulkan hatte, schoben wir die Roque-Nacht lange vor uns her. Am Donnerstag sollte es dann allerdings spätestens soweit sein, da es sich anbot, dies mit der Führung zu verbinden, für die wir uns am Freitagmorgen eingetragen hatten. Wir hatten also vor, noch vor dem Sonnenuntergang am Beobachtungsplatz zu sein, die Nacht dort oben voll auszukosten, gegen 06:00 Uhr dann im Auto zwei, drei Stündchen zu schlafen und dann zur Führung zu fahren, die um 09:30 Uhr angesetzt war. Joah... Das war unser Plan.
Punkt 18:48 Uhr starteten wir mit dem Fiat Panda unsere Reise auf den Berg. Über die Straße, die LP-4, hatte ich viel gelesen, und zum überwiegenden Teil eher Negatives. Es sei ein einziges Gekurve; ein endloser, enger, megasteiler Weg, stets am Abgrund und eine Folter für den Magen... Soll ja schon Leute gegeben haben, denen richtig schlecht geworden ist. Nun ja... Kann ich überhaupt nicht bestätigen. Die Fahrt hinauf hatte, im Gegenteil, extrem viel Spaß gemacht, weil die Landschaft derart fantastisch ist, dass man es einfach nur genießen kann. Die engen Kurven kenne ich aus dem Ötztal, die Nähe zum Abgrund auch; nur die blühende Botanik und die hochwachsenden, üppigen, duftenden Kiefern waren bedeutend schöner. Die Sicht aufs Meer sowieso, wenn man es denn mal sehen konnte. Darüber hielt sich der übliche, leichte Dunstschleier; der Rest des Himmels war strahlend blau. Spanische Musik drang aus der Anlage; Radio Luz, 107.00. Esta es tu radio! Uns kamen lediglich zwei andere Autos entgegen, die hinunterfuhren, und wir begegneten uns natürlich genau in jeweils einer engen Kehre. Norman filmte den Hinweg mit der Kamera und hielt somit dieses kleine, erste Abenteuer für die Fernweh-Momente fest, die Einen später bestimmt ereilen werden.
Der spannendste Augenblick war sicherlich, als erstmalig die Sternwarten groß in Sicht kamen, nachdem wir die Kiefern hinter uns gelassen hatten und über die niedrig bewachsene, blühend gelbe Freifläche gurkten. Besonderer „Schock“ waren die beiden riesigen, senkrecht aufgestellten Spiegel der MAGIC-Teleskope. Waaaahnsinn, die gibt’s ja wirklich!!
Wir hielten Ausschau nach potentiellen Standplätzen am Straßenrand („Hier wär 'n super Platz. Naja, ob der super ist, weiß ich nicht, aber das wär' halt 'n Platz.“), fuhren aber erstmal weiter, um zu gucken, was da noch so kommt, und passierten den Abzweig aufs Sternwartengelände. Ja, genau dort geht’s morgen früh hin! Das wird ein Spaß. Die weitere LP-4 führte am Gelände vorbei und nördlich an der Caldera de Taburiente entlang, und der Straßenbelag nahm eine Qualität an, die mich an die Hauptstraße von Magdeburg nach Schönebeck erinnerte: Mannshohe Schlaglöcher und Fahrbahnverengungen ohne Ende. Auf der rechten Seite ragte die senkrechte, teils überhängende rostbraune Felswand empor. Von ihr lagen nicht wenige abgeplatzte Steine am Straßenrand. Oha, das wär arg, wenn man hier zur falschen Zeit am falschen Ort...
Nach einer leichten Linkskurve ging es recht eben weiter und ich erspähte zur rechten Hand ein Geländer. Ahhh! DAS Geländer! Das berühmte von DEM Bild! Wo sie sich mal alle gegenseitig auf den Füßen standen, weiß Gott wieviele Beobachter da vor Ort waren. Ich blinkte und hielt an der Seite; konnte es nicht fassen. „Mirador de las Andenes“ stand an einer Hinweistafel. Entlang des massiven Holzgeländers befand sich ein breiter, ebener, gemauerter Streifen, wo sich am linken Ende zusätzlich eine höhere, halbkreisförmige Stufe befand. Man hatte eine fantastische Südsicht auf einen Teil der Caldera und eine Stadt, die dort unten zu Füßen lag. Rechts von uns ragte der hohe Fels des Roque, hinter dem sich die Kuppeln verbargen; links ein niedrigerer Fels und die weitere Fahrbahn der LP-4. Auf der Nordseite hatte man einen Blick aufs wolkenbedeckte Meer, und ging man einmal über die Straße, wo lustige Steinquader den Rand markierten, schaute man hinab auf die dichtbewaldeten Hänge und kleine Ortschaften, in denen ein paar Wolkenfetzen reinschwappten.
Ja, da standen wir nun also, auf dem Roque de los Muchachos, nach einer tollen Fahrt von 45 Minuten. Die Sonne schien noch recht hoch am blauen Himmel und spendete angenehme Wärme, die wir im Laufe der kommenden Nacht vermissen würden. Auf dem gemauerten „Podest“ lag eine Bäckertüte vom SPAR-Markt, die vom Wind durch die Gegend geflattert wurde, obwohl direkt nebenan ein Mülleimer stand. Immer diese Umweltsünder. Ich latschte ein wenig durch die Gegend, leicht überfordert und planlos, wo ich zuerst hinschauen, was zuerst fotografiert werden sollte, während Norman im Auto kramte und sich anschickte, den 12-Zöller aufzubauen, solangs denn noch hell war. Zwei, drei Autos hielten ebenfalls am Aussichtspunkt an. Meine Vermutung war ja, dass es auch Astronomen sein könnten, vor denen wir unser schönes Plätzchen hätten verteidigen müssen, doch es handelte sich nur um ganz harmlose Touristen, die einen kleinen Fotostop einlegen wollten und sich dann wieder in Wohlgefallen auflösten.
Die Minuten vergingen, die Schatten wurden länger und Norman war fleißig mit dem Teleskop zugange, während ich nichts Sinnvolles zu tun hatte, blöde über die Straße flanierte, Fotos machte und mich langsam anzog. Noch war sie ruhig, die Luft; es ging kein Wind und unser stetes „Sorgenkind“, der Nordhorizont, zeigte sich ungetrübt und klar. Wir waren voller Optimismus, dass dies auch so bleiben würde. Das wird 'ne Nacht geben, Mannomann! Zwar hatte ich nahezu sämtliche Motivationen für ambitioniertes, „ernsthaftes“ DeepSky bereits in den Vornächten verballert, aber in Anbetracht dieser Umgebung und Stimmung stieg die Vorfreude dann doch unaufhörlich. Schließlich hatten wir noch eine lange Galaxienliste abzuarbeiten, und irgendwann kommt ja dann die fette Milchstraße hoch, die meine Rettung bedeutete und ein paar Sternhaufen feilbietet.
Die Steinquader wirkten wie kariesgeplagte Zähne, die ein meterlanges Netz aus Schatten über die Fahrbahn warfen – ein wenig unheimlich. Die Sonne leitete ihren finalen Sinkflug ein, quietscherot verfärbt, und tönte die Felslandschaft in ein dunkles Pink. Ich stand am Aussichtspunkt „Degollada de los Franceses“, der nur wenige Meter entfernt lag, und rief Norman herbei, der wegen der Justierarbeiten keinen richtigen Blick für das Spektakel erübrigen konnte. Trotzdem kam er schnell mit Kamera herbei und wir schauten zu, wie die glutrote Sonnenscheibe ins feurige Wolkenmeer versank. Und plötzlich war sie weg. Und plötzlich frischte der erste leichte Wind auf. Und plötzlich sprintete Norman wieder zurück zum Teleskop, um die Resthelligkeit der Dämmerung für die Justage auszunutzen. Und im Osten bildete sich ein dunkler Erdschatten aus, den wir, mangels Horizontsicht auf dem Fincagelände, bisher noch gar nicht bestaunen konnten.
„Die Kuppel ist offen, war das vorher auch schon?“, rief Norman; ich blickte auf und wurde von einer plötzlichen Aufregung übermannt, als ich sah, wie der große Kuppelspalt tatsächlich offenstand. Oh Mann, das gibt’s doch nicht! Die Profis begannen ihre Arbeit, während wir kleinen Leuchten zu deren Füßen unsere eigenen Projekte angingen. Es herrschte eine gespenstische Stille. Kein Auto, kein Mensch, kein rauschender Baum – nix, gar nix! Lediglich eine kleine Gruppe zirpender Fledermäuse kreiste rasant über unsere Köpfe hinweg, die Nordhänge hinab und blitzschnell wieder hinauf. Das war die einzige Geräuschkulisse. Irre... „Allein wäre mir das zu crazy“, konstatierte Norman; ich lachte und glaubte ihm kein Wort. Das Seeing schien ganz gut zu werden, da Sirius und alle anderen hellen Sterne so gut wie nicht flackerten.
Es wurde dunkler, die Nacht kam herein. Schon war die Dämmerung passé und nur der helle Mond spendete Licht. Er stand heute bei Aldebaran. Die Stadt, Los Llanos, auf die wir im Süden hinabblicken konnten, hatte ihre orangefarbene Straßenbeleuchtung angeworfen, doch die wurde später merklich gedimmt. Viel cooler war der Ausläufer von Teneriffa, den man von hier sehen konnte, denn man sah ein kleines Netz aus orangenen Linien auf dem fernen, dunklen Hang. Auf dem Fahrersitz befindlich schrieb ich meine Notizen und sah im linken Seitenspiegel die schmale Mondsichel leuchten. Der Wind wehte nun in stärkeren Böen ab und an auf, doch wenn er gegen die Karosserie weht, klingt das meist schlimmer als es ist, und wir blieben zuversichtlich.
Norman, der lange mit der Justage zu kämpfen hatte und einige Male darüber fluchte, konnte Erfolg vermelden: Er war fertig. Das Ergebnis seiner Mühe wurde an Jupiter getestet, der mit einer ganz und gar tollen Mondkonstellation aufwartete: Einer seiner Begleiter („Io. Bestimmt Io. Es ist immer Io.“) stand unheimlich dicht am Planetenscheibchen, dass man vermuten könnte, es hätte nurmehr ein Blatt Papier zwischengepasst. Was war da los, Bedeckung, oder Austritt, oder wie, oder was? Spätere Recherchen ergaben, dass Io – es ist IMMER Io! – gerade im Begriff war, vor den Jupiter zu wandern. Innerhalb der ihm gewidmeten Beobachtungszeit ließ sich sogar die geringfügige Bewegung nachvollziehen. Der Seeing-Test wurde am Mars durchgeführt, und Normans „Krass!“ ließ Schlimmes erwarten. Die rote Scheibe war messerscharf begrenzt und zeigte eine enorme Detailfülle, die jedoch durch das windige Gewackel etwas verleidet wurde.
Ich wollte mich bis zum Monduntergang auf den Fahrersitz zurückziehen und kritzelte im Buch herum. Norman hatte Hunger, zog sich warme Sachen an und setzte sich ebenfalls ins Auto. Das Cockpit des Beifahrers war hochgradig chaotisch und vollgerummst mit irgendwelchem Kram; Norman nannte es liebevoll seinen „Ramschladen“ und pfriemelte an seiner Kopflampe herum. Wir öffneten die Packung Original Puntagorda-Kekse, dinierten und warteten die Zeit ab. Es war 22:50 Uhr.
Ich könnte noch endlos darüber weiterschreiben, wie die Stimmung war, als wir am Mirador de las Andenes standen. Darüber, dass zwei große Transporter – die letzten Autos in dieser Nacht – hintereinander an uns vorbeifuhren und wir vermuteten, dass da ein 30“-Bino transportiert wurde. Oder die winzigen Scheinwerfer und Rücklichter eines einsamen Wagens, der weit unten in der stockdunklen Caldera umherirrte – „Das wird Costa sein“, lachten wir. Oder der langsam hochziehende Siff im Norden, mal wieder... Wo der nur immer herkommt? Selbst in dieser Höhe bleibt man nicht davon verschont. Das SQM-L spuckte nicht gerade die berauschendsten Werte aus: Lediglich 21,5 mag/arcsec². Hmm, vielleicht streut der Mond ja noch hoch...
Jetzt geht’s aber wirklich um ganz und gar astronomische Angelegenheiten. Wer an dieser Stelle allerdings den ganz großen visuellen Deep-Sky-Roque-Wurf erwartet, kann gleich über den Text drüberscrollen und sich nur die hübschen Bildchen angucken. Denn es kamen verschiedene Faktoren zusammen, die verhinderten, dass wir in dieser Hinsicht irgendwie nichts Gescheites zustande brachten. Norman stellte nochmal den Mars ein – und wir blieben am Mars kleben. Eine endlos lange Zeit. Wenn ich vorher „messerscharf“ schrieb, korrigiere ich nun auf „rasiermesserscharf“. Das Seeing war einfach derart göttlich, dass es ein Genuss war, die vielen Strukturen zu begutachten. Leider habe ich mir darüber keine Notizen gemacht (von Planetenbeobachtung habe ich keine Ahnung), aber ein Oberflächendetail lenkte unsere Aufmerksamkeit ganz besonders auf sich: Eine schmale, längliche, schneeweiße Rinne fast direkt in der Mitte des Mars. Norman hielt es zunächst für eine Eiswolke, entschied sich aber dann doch für etwas „Festes“. Im 8er Ethos schön ein Augenöffner; das 4,7-mm-Okular setzte dem Ganzen die Krone auf.
Von der Empore aus ließ es sich schwer in den tiefen Südhorizont schwenken. Daher trug Norman das Teleskop mal schnell mitten auf die Straße, die für die kniende Beobachtung erstaunlich bequem war. Runtergeschwenkt auf Omega Centauri. Der musste einfach sein, bei dem top Seeing – eigentlich nur aus Spaß mit dem 4,7er-Oku – Hiiiiiiilfe!! Was für ein Monster aus zigtausenden, feinen, scharf begrenzten Nadelpunkten. Es ist nicht in Worte zu fassen. Als die ganz hohe Vergrößerung zum Einsatz kam, war es, als flöge man direkt ins Zentrum hinein. Sterne, wohin man auch blickte – das Teil sprengte das Gesichtsfeld. Einfach genial. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen; ich kanns jedenfalls nicht.
(Norman: das Teil gewann durch das Top-Seeing noch mal heftigst an Brillianz. Die Nächte zuvor war es schon ein Sternenmeer, aber eher aufgeblähte Pünktchen. Dieses mal glitzerten uns wirklich feine Sternchen an, der reinste Schwarm… Das war schlichtweg der beste Kugelhaufenanblick meines Lebens, gefühlsmäßig ungefähr so, wie wenn man seinen ersten schön aufgelösten Kugelhaufen erblickt)
Was unbedingt auf dem Plan stand, war eine Zeichnung von Centaurus A. Dies ging allerdings nicht auf der Straße, weshalb der Dobson zum bereits erwähnten Franceses-Aussichtspunkt getragen wurde. Bevor es jedoch soweit war, stellte Norman „noch schnell mal“ den Saturn ein. Ich kehrte gerade mit meinen Zeichensachen vom Auto zurück und hörte ihn andächtig sagen: „Ich sehe gerade den besten Saturn meines Lebens.“ In der Tat, dem kann ich mich nur anschließen: Der Vergleich mit den berühmten Cassini-Bildern drängte sich mir auf. „Guck mal, selbst der B-Ring ganz außen ist total einfach zu sehen!“, frohlockte ich – zu der Zeit noch unwissend, dass es nicht der B-Ring war (so ein Blödsinn!), sondern die berüchtigte Encke-Teilung, an der sich die Leute normalerweise die Zähne ausbeißen. (Norman): Ja Moment! - das ist viel zu nüchtern beschrieben: Annes O-Ton war: „Pooah! Aaalles klar! Hohoho…HOHOho!“ Und während sie dies sagte, nickte ich im Stillen bei fassungslos offen stehendem und gleichzeitig lächelndem Mund. Anne flüsterte noch „sags aber keinem!“ Keine Ahnung, ob ich ihr dahingehend was versprochen hab ;-))
Nach diesem ersten Saturn-Besuch machte ich mich nun an das Aufpinseln von Centaurus A, was etwa 'ne knappe halbe Stunde Zeit in Anspruch nahm. Norman fotografierte wieder, glaube ich, denn da ertönte immer wieder dieses Piepen von der Zeitverzögerung. Es gab zudem ein kurzes Intermezzo mit NGC 4945, die uns in den vorangegangenen Nächten wegen akutem Tiefstand eher enttäuschte, doch diesmal war es nicht anders. Währenddessen stieg die seltsame Suppe im Norden immer höher, ließ die Sterne verschwinden und verschluckte selbst Capella. Generell war der Himmel in allen Richtungen mindestens „suboptimal“, was wir uns nicht ganz erklären konnten. Vom immer stärkeren Wind mal abgesehen. „Sooo doll isses nich“, notierte ich und verlor ein wenig meine Antriebskraft. Unter diesen Wischi-Waschi-Bedingungen gab es nichts, was man unten auf der Finca nicht schon besser gesehen hätte – wenn nur nicht dieses Sahne-Seeing gewesen wäre!
Klar, PNs gehen wunderbar. Nachdem das Teleskop wieder beim Andenes-Platzerl stand, wurde M 97, der Eulennebel, eingestellt. Zentralsternprobe – kein Problem. Die dunklen Augen jedoch hatten wir kurz vorher klarer gesehen. Und dann war wieder Saturn an der Reihe. Mei, der sah aber auch fantastisch aus, mit seinen ausgestanzten Ringen und den kleinen Monden ringsum.
Doch all dies vermochte mich nicht wachzuhalten. Ich saß faul und müde auf der Stufe, ließ mir den Wind gegen die Ohren sausen, guckte der Suppenküche beim Wabern zu und nickte mehrfach ein. Oh je. Was war ich kaputt. Einzige Lösung – ab auf die Rücksitzbank und schlafen. Es muss so nach 02:00 Uhr gewesen sein, als ich mich unter Decken und Jacken zusammenkauerte und sogleich weg war. Nicht gerade die allerbequemste Haltung, aber irgendwie ging es doch ganz gut, trotz kalter Füße und den lauten Windgeräuschen.
Während Anne mit der Zeichnung beschäftigt war, hab ich mich der fotografischen Seite gewidmet und mal versucht, dem Kreuz des Südens noch ein paar Sternchen zu entlocken. Visuell sahen wir drei, aufm Photo hab ich noch einen vierten erwischt. Der Dunst verhinderte weiteres aber ich denke, das Kreuz hätte sich bei guter Horizontsicht noch vervollständigen lassen. Dies war einer der Vorteile unseres Platzes gebenüber den Kehren entlang der Straße zum Roque: die uneingeschränkte Südsicht! Gut, dass die heute eh nicht sonderlich transparent war, sonst müsste man sich ärgern, nicht Eta Carinae probiert zu haben…
Sowie Anne sich ins Auto gemummelt hat, widmete ich mich wieder Saturn. Ich schaute nicht auf die Uhr, aber abgesehen von ein paar Fotosequenzen tat ich nichts anderes, als Saturn zu beobachten. Der Wind war mir zu nervig, um im Atlas rumzublättern, und jedes mal das Objekt aus dem Sehfeld zu verlieren, weil der Wind den Dob wegschubst. Dabei hatte ich von Anfang an auf den Streulichtschutz, sogar auf die Gegenlichtblende gegenüber dem OAZ verzichtet. Lediglich eine selbstgebastelte Pappblende hab ich direkt hinter den Auszug gebappt, die das Schlimmste abhalten sollte.
Das Seeing war so gut, dass ich Deepsky nur im Sinne von Planetaries sinnvoll gefunden hätte, welche ich verwarf, weil mir die Konzentration auf feine Details bei dem Gewackel nur tüchtig auf den Zeiger gegangen wäre. Lange Rede kurzer Sinn, ich hielt es für am Sinnvollsten, volles Rohr auf Saturn zu halten. Was für ein Anblick! Ich beobachte nun seit ca. 3 Jahren mit dem Dob und vorher hatte ich mehrere Jahre 4“ Apos. Durch andere Teleskope habe ich natürlich auch schaun dürfen. Aber das, was mein Teleskop hier und heute zeigte, habe ich noch nie erlebt. Ich hielt nicht für möglich, dass mein Dob SOWAS zeigen kann. Hier wäre das 3,7er Ethos statt dem 4,7er gut gewesen. Die Cassiniteilung war sehr einfach vollständig umlaufend zu verfolgen. Es war, als hätte ich ein neues Gerät oder als säße ich in einem Observatorium. Ich kann gar nicht treffend genug beschreiben, wie mich dieser Anblick fasziniert und berührt hat.
Nehmt euch einfach mal ein Bild einer Cassini-Sonde, welches Saturn mit großer Ringöffnung zeigt und stellt dieses soweit von euch weg, dass ihr gerade noch die Encke-Teilung seht. Alles was übrig bleibt, ist genau der Anblick im Teleskop! Nicht mehr und nicht weniger! UN-fassbar.
Vieeel zu spät kam ich auf die Idee, dass ich ja mal den Burschen filmen könnte! Zu sehr fesselte mich der visuelle Anblick. Just zum Zeitpunkt, wo ich feststellte, da geht was mit der Cam: Akku leer! Verflixt noch eins! Gott sei dank hab ich extra vor der Reise einen Reserveakku besorgt, der nur gerade in der Fototasche irgendwo unter der schlafenden Anne vergraben war. Ich hatte Glück, Anne war halbwegs wach und ohne Murren bereit, mir bei der Suche nach dem Akku zu helfen… Danke Anne! Leider bin ich absoluter Neuling auf dem Gebiet der Planetenfilmerei. Die ganzen Programme und Codecs die nicht funzen machen mich ganz kirre und deshalb hau ich einfach mal einen primitiven Screenshot raus (Film auf Pause und Schuss) - ggf. kann man ja ansatzweise erkennen, was da los war… Gegen 5 Uhr war auch bei mir Schluss und ich kauerte mich in den Panda, um auf dem Roque ein wenig zu röcheln.
Ich war derart im Schlaf versunken, dass ich gar nicht mitbekam, wie Norman abgebaut und alles im Kofferraum verstaut hatte, obwohl er unvermeidlich mit den Türen und Kisten klappern musste. Als ich erstmalig aufwachte, sah ich die farbige, helle Morgendämmerung und wusste, dass der Tag bald beginnt. Wie spät war es? Keine Ahnung. Wieder eingedrusselt. Beim zweiten Mal erwachte ich rechtzeitig zum Sonnenaufgang. Die Berglandschaft zeigte eine verdächtig golden leuchtende Farbe und der Horizont war im typischen Farbverlauf getaucht. Das muss ich mir jetzt angucken. Trotz abgrundtiefer Müdigkeit und dem Gefühl der totalen inneren Zerstörung hievte ich mich aus dem Auto und rannte mit der Kamera bis zum Franceses-Platz, wo mir unvermittelt der glutrote Sonnenball entgegenbrannte. Es kam mir vor wie die rettende Erlösung nach dieser kargen, unbequemen Nacht. Das Licht am Ende des Tunnels. Jetzt wird alles wieder gut, der Schrecken des Vulkans hat ein Ende.
Die leichte Brise vom Abend hatte sich zu einem konstanten, starken Wind gemausert, der mir kalt und erbarmungslos entgegendonnerte. Ich sog die ersten wohltuenden Sonnenstrahlen in mir auf, die noch keine wärmende Kraft entwickeln konnten, ehe ich zum Auto zurücklief. Damit Norman auch etwas von dem Anblick hatte, steuerte ich den ollen Fiat bis zu einem weiteren Aussichtspunkt in 300 m Entfernung (Norman: Das fand ich sehr fürsorglich :)). Dort standen wir, mit den beiden sichtbaren Kuppeln vor der Nase und der Sonne im Heck und gönnten uns ein erstes kleines Frühstück. Es war kurz nach 08:00 Uhr; wir hatten also noch genügend Zeit, um aufs Sternwartengelände zu fahren, bisschen rumzugucken und uns auf die Führung vorzubereiten.
Das Observatorio de Astrofisica ist ein absolut traumhaftes Gelände, das ab 20:00 Uhr gesperrt wird und 07:00 Uhr wieder öffnet. 08:45 Uhr etwa bogen wir dort ein und obwohl ich keine Ahnung hatte, was ich da eigentlich tat, kurvten wir direkt hinauf zum Roque-Gipfel. Nach Genießen der Aussicht auf die zahlreichen Kuppeln und Gebäude ging es hinunter zum Meeting-Point, wo wir, zusammen mit einer vierköpfigen spanischen Familie und unserer Guía Elena, die entspannte und angenehme Führung starteten. Es wurde das Newton-Teleskop gezeigt, welches früher in Großbritannien stand und wegen des schlechten Wetters nach La Palma transportiert wurde. Schon ein beeindruckendes Teil, aber ein wenig schade fand ich es schon, dass man uns nicht zur 10,4-Meter-Scherbe des GTC gebracht hat...
Fazit dieser lustigen Nacht auf dem berüchtigten Vulkan: „Da fährt man auf den Roque hoch, und dann macht die Eine nichts und schläft, und der Andere guckt sich Planeten an.“
Ein Beobachtungsbericht von Norman Görlitz und AKE
04.05.2014, Airberlin-Flugzeug, irgendwo über Frankreich /
Mai 2014, München