Die hervorragenden Qualitäten, die den Fläming als Beobachtungsstandort auszeichneten, waren schon lange bekannt. Weit vor „meiner Zeit“ entstanden dort, meist bei Hohenlobbese oder Theeßen, unzählige historische Astrofotos von Kometen und Objekten.
Ich selbst kam bisher noch nicht in den Genuss, mich von den Top-Bedingungen zu überzeugen, aber als sich an einem dieser berühmten Februar-Wochenenden ein wolkenfreier Himmel ankündigte, beschlossen Martin, Uwe und ich, mal wieder eine Außenexpedition in die Wildnis zu wagen. Wir erspähten bei Google Earth potentielle Standorte und planten, die Gegend westlich von Schweinitz näher ins Auge zu fassen. Die Sicht nach Süden schien gut, und keine größeren Ortschaften waren in der Nähe.
Noch während der frühen Dämmerung erreichten wir die „area of interest“ und kurvten zunächst ein wenig planlos über die Feldwege. Auf der rechten Seite war ein großes Waldgebiet, das für uns Normalsterbliche absolut tabu war: Alle paar Meter verkündeten große weiße Schilder, dass dies zum Militärgelände gehört, betreten verboten - abgesegnet vom Kommandanten. Na, wenn der das sagt! Wir sind ja gesetzestreue Menschen, hust. Also schlichen wir vorsichtig am Waldrand entlang, hielten hier und dort mal kurz an und kundschafteten die Bedingungen aus, versanken beinahe in einer Fahrrille und hoben auf einer Piste fast ab. Der Unterboden des Fords wurde gut gesäubert, denn das hohe, kratzige Gras schabte sämtlichen Dreck weg. Schlussendlich peilten wir das östliche Ende des Gebietes an, wo der Feldweg eine Kurve beschrieb. Dort, in jener Kehre, die ich später „Jägerplatz“ nennen sollte, bezogen wir erstmalig unser Revier. Ein historischer Moment!
Und die Bedingungen waren wirklich fabelhaft. Eine traumhafte, intensiv-gefärbte Dämmerung ging gerade zuende und der tiefe Südwesthorizont war in einem kitschigen Rot gefärbt. Eine flache, dunkle Wolkenbank hielt sich dort noch, aber über uns war freie Bahn. Im Rücken hatten wir den dunklen Wald, der die vorhandene, wenn auch zarte Lichtglocke von Berlin-Potsdam in Schach hielt und uns auch von kühlem Nordwind abschirmen kann. Im Westen sollte sich bald Magdeburgs Kegel auftürmen, doch wegen einer langen Baumreihe war auch dieser eher unauffällig. Im Süden und Osten befanden sich nur kleine Kleckerdörfchen, die nicht viel von sich zeigten. Lediglich Dessau warf mehr Licht ab, als ihm aufgrund seiner Wichtigkeit zustand. Naja, was solls. Manchmal sah man die aufgeblendeten Autoscheinwerfer auf der Bundesstraße und ein Spargelhof ließ seine Außenbeleuchtung an, aber dies war nicht als störend zu empfinden. Was für ein schöner Platz! Man war wirklich abgeschieden und einsam; aber nichtsdestotrotz fühlte ich mich sofort wohl... Heimisch, könnte man fast sagen. Hier konnte man es durchaus ein paar Stündchen aushalten. Wenn es nur nicht irre kalt gewesen wäre… Aber dazu später.
Also, 18:15 Uhr, da wären wir! Während sich das Blau verfinsterte und der rote Dämmerungsstreifen schrumpfte, machte ich ein paar Bildchen von der Gegend und baute den Zehnzöller auf. Ein heller Jupiter dominierte den Anblick im Südwesten, während die Hauptsterne des Winterhimmels auftauchten. Es war jetzt schon kalt - wie Ende Februar auch nicht anders zu erwarten - und ein leichter Wind ließ mich frösteln. Gott, was für ein tiefes, klares Blau! Beeindruckend! Als es richtig dunkel wurde, sah ich erstmalig ein Phänomen, das ich nur von völlig abgedrehten Beobachtungsberichten kannte: Die Pyramide des Zodiakallichtes. Sie türmte sich unmissverständlich im Westen auf... Ich staunte Bauklötzer. Und dann zog auch noch die ISS dort mitten hindurch. Uwe hatte seine altbewährte Fotoausrüstung gar nicht mitgenommen, sondern begnügte sich mit Übersichtsaufnahmen.
Über die Tierwelt an diesem Ort könnte ich einige Kapitel schreiben. Ein unsichtbarer Vogelschwarm zog relativ tief und schnatternd über uns hinweg; die ersten Zugvöglein kamen wieder zurück und bereuten dies sicherlich gleich wieder. Aus dem großen Wald drangen ab und zu undefinierbare Schreie an unsere Ohren. Was auch immer dieses Tier dort für Probleme hatte, es brach alle paar Minuten in ein chronisches Gejammer aus. Zitat Uwe: „Ich faul‘ weg.“ Wenn man ganz still war, hört man zudem die kläffenden Hunde aus den fernen Dörfchen. Mit den Wölfen hatten wir allerdings noch keine Bekanntschaft gemacht, obwohl bekannt ist, dass auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow ein kleines Rudel beheimatet ist.
19:30 Uhr startete ich mit meinen Aufzeichnungen. Das erste Objekt wurde NGC 1003, eine Perseus-Galaxie südlich von M 34. Ich suchte eine Weile, bis sie im Okular auftauchte. Erst war sie kaum sichtbar und nur bei indirektem Sehen zu halten; schwach und keine Details, abgesehen von einem Vordergrundstern. Bei 83x war es schon einfacher. Diese eher diffuse Galaxie zeigte keinen Kern und ein nur geringfügig helleres Zentralgebiet.
Der Offene Haufen NGC 1027 wohnt in prominenter Nachbarschaft, direkt neben dem Nebelkomplex von IC 1805. Es zeigte sich eine große, runde und eher lose Sterngruppe mit einem auffallend hellen Mitglied im Zentrum, um welchen herum sich einige schwache Sternchen gruppierten. Bei 63x bot dieses Objekt einen gar herrlichen Anblick: In über 30 Mitglieder aufgelöst. Eine markante Viererkette ragte in die Haufenmitte hinein und dominierte das Bild. Zitat aus dem Buch: „Schön!“
Ca. 50‘ nordöstlich vom bekannten Eulenhaufen NGC 457 kann man ihr kleines Schwesterchen sehen, NGC 436, die zusammen im Gesichtsfeld auftauchten und einen angenehmen Kontrast bildeten. Beide hatte ich im Dezember 2010 schon einmal beobachtet, während einer frühmorgendlichen Session vor der Haustür. Na, man sieht sich immer zweimal im Leben. NGC 436 war viel kleiner und kompakter, und obschon im Zentrum einige Sterne hervorblinkten, war er zunächst nicht aufzulösen. Dies änderte sich mit den zunehmenden Vergrößerungen. Er war länglich geformt und zerfiel bei 139x in seine ca. 25 Bestandteile. Die drei hellsten Mitglieder befanden sich im Zentrum und bildeten ein stumpfwinkliges, N-S-stehendes Dreieck; einer davon stellte sich als Doppelstern heraus.
Der nächste Offene Haufen in Cas musste dran glauben: NGC 381. Groß, auffallend, rundliche Gestalt und reich an lichtschwachen Sternen. Der hellste von ihnen stand in der Mitte; der Rest war nahezu gleich „schwach“. Bei 63x erinnerte mich die Form an das Schaubild einer Balkenspirale. Der Haufen war aufgelöst in etwa 25 Mitglieder, doch so sternreich, wie ich ihn beim Aufsuchen vermutet hatte, war er letztlich doch nicht.
In der nordöstlichen Ecke des Fuhrmanns, direkt neben einem 6-mag-Sternchen, sitzt NGC 2126. Auch den hatte ich im Dezember von SBK aus aufgesucht, doch er stellte sich damals als unscheinbares Grüppchen heraus. Er ist wegen seines Nachbarn natürlich gut aufzufinden, doch in der Übersicht auch leicht übersehbar. Diesmal ungleich besser: NGC 2126 wies eine grobe Dreiecksform auf, an dessen einer Spitze das hellste Mitglied prangte. Die meisten der ca. 15 Mitglieder hielten sich im Zentrum auf. Die dreieckige Gestalt war bei 83x derart dominant, dass der Haufen wie ein kleines Weihnachtsbäumchen wirkte. Schön!
Es war 22:00 Uhr. Und mir war saukalt. Die Handwärmer kochten bereits in meinen Jackentaschen, halfen mir jedoch nicht aus meiner Misere. Die winterliche Milchstraße zog sich hinunter bis zum Horizont und bot einen starken Anblick. Wir Drei machten eine kurze Kaffeepause und Martin holte seine Klappstulle hervor. Wir sprachen über die Abgeschiedenheit des Platzes und rissen dämliche Witze, in denen es mal wieder um irgendwelche geisteskranken Irren ging, die des Nachts auf abgelegenen Äcker umhergingen und Astronomen überfallen. Ich kringelte mich vor Lachen und heulte Tränen, als Martin von Chucky, der Mörderpuppe anfing. Ist das wieder lustig! Wenn es mal nur nicht so kalt wäre. Ich rannte den Feldweg in Richtung Westen, hin zum Schießstand, doch es half nicht viel. Bei dem abenteuerlichen Weg lief man außerdem Gefahr, sich die Haxn zu brechen oder in einer Fahrrinne zu verschwinden.
Weiter ging es im Programm mit NGC 1169, und so war ich wieder im Perseus angelangt. Ganz eindeutig eine Galaxie. Sie schien länglich-oval, eher diffus und besaß einen schwachen stellaren Kern. Bei 83x wirkte der Zentralbereich rundlich, aber nicht merklich heller als der Rest.
Ich machte einen etwas größeren Schwenk, um zwei Galaxien im kleinen Löwen aufzusuchen, die ca. 10‘ voneinander entfernt lagen und gemeinsam in einem Gesichtsfeld zu bestaunen waren. NGC 3504 kam heller und auffälliger daher. Ein dominanter, stellarer Kern war umgeben von einem länglichen Zentrum. Die Galaxie war insgesamt oval geformt und wies keine weiteren Details auf.
NGC 3512 hingegen war etwas schwächer und diffuser als ihre Nachbarin. Kreisrund gestaltet. Ein Kern war schwer auszumachen, und überhaupt schien die Helligkeit dieses Nebels recht einheitlich und ohne „Highlights“ zu sein.
Lagebericht um 23:00 Uhr: Ich konnte mich vor Kälte nicht mehr gescheit konzentrieren. Was war nur los, warum fror ich so? Auch Uwe hatte dieses Problem und wir veranstalteten ein kollektives Gejammer. Es war nicht auszuhalten und ich packte meine sieben Sachen zusammen. Jaaaaaah, Feigling, ich weiß! Da Martin jedoch tapfer durchzog, mussten wir bis etwa 01:00 Uhr warten, ehe wir aufbrechen konnten. In die Heimat, wo nach einer Dreiviertelstunde Fahrt die warme Heizung wartete.
Nichtsdestotrotz war diese Expedition ein absoluter Erfolg, denn wir hatten „unseren Platz“ gefunden, und ich konnte es kaum abwarten, dort wieder den Dobson aufzustellen. Diese Nacht hing mir noch lange nach, weil mir der Standort sofort ans Herz gewachsen war.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Magdeburg, 07.02.2013