Die dritte Nacht in Folge steuerten wir wieder auf den Gletscher. Eigentlich hatte ich keinen Bock mehr, weil ich mit dem Tippen der Beobachtungsberichte nicht hinterherkam und sich die Wanderungen auf Spaziergänge nach Sölden beschränkten. Auch heute war kaum ein Wölkchen am Himmel und die Abenddämmerung zeigte sich wieder von der schönen Seite. Gegen 20:30 Uhr waren wir oben und ich machte bei milden 14°C zunächst eine kleine Erkundungstour rund um den Speichersee. Den Dobson konnte ich diesmal endlich ohne eingreifende Hilfe aufbauen – Mensch, war ich stolz!
Als es schon recht dunkel war, begann das matt erleuchtete Fenster des Trafohäuschens zu stören. Ich wandte mich an Uwe und Martin, die sogleich kampfbereit die Lichtquelle eliminieren wollte. Vor allem Martin erstaunte mich mit seinem engagierten Tatendrang. Ich musste lachen, wie wir zu dritt dem Fenster entgegenstürmten: Martin mit seiner Sonnenbrille, Uwe mit der kleinen Trittleiter und ich mit Thomas‘ Decke im Arm. Kurz vor dem Häuschen verlangsamten wir unsere Schritte und schlichen, damit der Bewegungsmelder nicht aktiviert wurde, aber der grelle Scheinwerfer sprang trotzdem an. Von weiter unten drangen empörte Flüche an unsere Ohren. Fenster zugehängt, und fertig war der Lack.
Martin und ich hatten schon vor der Alpenreise von der Beobachtung von Cassiopeia A gesprochen und wollten dies endlich in die Tat umsetzen. Er hatte auch das Interstellarum-Heft dabei. Problem war nur: Dort waren weder Aufsuchbeschreibung, noch Karte, noch Koordinaten angegeben. Hm. Wir suchten in sämtlichen Atlanten und Büchern, die in Griffweite waren, aber keins davon verzeichnete Cas A. „Hercules A kennt er. Und Cygnus A. Lass uns doch Cygnus A beobachten!“
Während Thomas Martins Tochter am Himmel rundführte, stellte ich mein erstes Objekt ein. Ich hatte noch, wegen der Cas-A-Suche, Karte Nr. 35 aufgeschlagen und beschloss, mich dort ein wenig umzusehen. Bei Maffei 1 wollte ich loslegen, doch ehe dies gefunden war, dauerte es. Im 32er gut machbar, aber galaxienuntypisch und mehr wie ein Offener Haufen wirkend. Bei 80-facher Vergrößerung sah ich einige Vordergrundsterne, die von einem länglichen Nebel umhüllt scheinen. Dies löste sich im 14er auf: Der Nebel wurde nur durch eine schwache Sterngruppe vorgetäuscht; die Galaxie befand sich ein knappes Stück darunter. Sie war recht schwer zu fassen und undeutlich; leicht oval, schwierig auch bei indirektem Sehen. Sie schien recht kompakt.
Von dort aus ging es ein wenig nach Nordwesten, um Mrk 6 ins Okular zu bekommen. Ein einfacher Offener Sternhaufen, aber lose und zufällig wirkend. Eine ausgedehnte Kette aus 6 hellen Sternen, leicht gebogen. Darüber und darunter waren weitere schwache Sternchen zu sehen. Eine sehr markante Form. Insgesamt in 12 Mitglieder aufgelöst. Er gefiel mir recht gut, und da ich nicht ohne ein Beweisbild nach Hause fahren wollte, gab es im 9er-Okular eine kleine Zeichnung davon.
In der Karte war direkt über Mrk 6 eine große Nebelregion rund um Melotte 15 eingezeichnet. Let’s try. Das 32er-Okular mit Filter versehen und hochgeschwenkt. Der Haufen war auffällig, doch von dem Nebel nichts zu sehen. Ich rührte ein wenig herum und stieß dann, eher zufällig, auf etwas anderes. Schau in den Atlas: Aha, IC 1795 war gleich daneben! Eine totale Überraschung für mich. Ein sehr heller zweigeteilter Nebelballen mit klaren Grenzen. Der „untere“ Teil war kleiner und wirkte wegen einiger schwacher Vordergrundsterne unruhig, die blickweise hervorblitzen. Rundliche Form. Es folgte ein dunkler, aber nicht ganz leerer Streifen, der die beiden Hälften trennt. Im oberen Nebelgebiet dominierte ein einzelner Stern, der sich östlich der Mitte befand. Die Form war deutlich länglich. Im 14er und OIII schien der untere Teil nach Norden hin noch einmal abgespalten, und im oberen tauchten zwei weitere, schwache Vordergrundsterne auf. Zudem eventuell eine ganz zarte Aufhellung dort…? Zudem schien sich nördlich dieses Komplexes noch ein weiterer kleiner Nebelfetzen aufzuhalten.
NGC 1027, westlich davon, missbrauchte ich eher als Aufsuchhilfe und hielt mich dort nicht lange auf, denn den hatte ich schon mal. Allgemeines BlaBla: Großer Offener Haufen mit vielen hellen und schwachen Sternen, dessen Dichte zur Mitte hin zunimmt. Rund, aufgelöst.
Es folgte IC 1848 - allerdings ist nicht der Nebel gemeint. Im 32er ein auffälliger, länglicher Haufen. 4 helle Sterne bilden einen langen Kasten, entlang dessen Mittelachse, und darüber hinaus, sich die Mitglieder aufreihen. Er ist recht sternreich; geschätzt über 40 Mitglieder. Wahrscheinlich noch viel mehr, aber ich war zu faul zum Zählen.
Unmittelbar daneben befanden sich gleich zwei Haufen des Collinder-Katalogs, Nr. 33 und 34, die irgendwie ineinander lagen. Im 32er ein riesiger und loser Sternen-Flatschen, der aus vielen verschiedenen Helligkeitsabstufungen bestand. Ein markanter krummer Bogen in Richtung Westen. In der Mitte dieses Halbkreises sind Sternketten wie ein großes Kreuz angeordnet. Dadurch erinnerte mich die Form an ein Waffenschild aus dem Mittelalter. Das hellste Mitglied befand sich genau in der Mitte des Kreuzes. Die Unterscheidung in Cr 33 und 34 fiel schwer. Es passte alles zusammen noch ins Gesichtsfeld.
23:55 Uhr. Ich machte eine kleine Pause, um einen Kaffee hinterzukippen. Die Bedingungen waren nicht so perfekt wie gestern. Lediglich das Seeing war viel besser. Alles war still, niemand sprach. Nur der Bach rauschte unentwegt vor sich hin. Dann war Mitternacht.
Im Vorfeld schon markiert war Tombaugh 5, ein Offener Haufen in der Giraffe. Ich hatte lange gebraucht, um ihn zu finden… wie das halt immer so ist. In der Aufsuchvergrößerung problemlos, aber ein relativ großer Haufen aus überwiegend schwachen Sternen, dessen Grenzen schwer auszumachen waren. Die hellsten sind L-förmig im Zentrum angeordnet. Im 14er kam der Haufencharakter besser hervor. Unregelmäßig geformt, keine markanten Muster, keine auffälligen Einzelsterne. Ziemlich reich, die Anzahl schwer zu schätzen. Vielleicht 30? Die Gesamtform erinnerte mich an das Sternbild Steinbock. Er war aufgelöst.
Nun verließ ich die Gegend der sternreichen Wintermilchstraße (man kanns ja nicht abwarten) und widmete mich den saisonalen Zielen des Herbstes. Im Pegasus, entlang der unteren Verbindungslinie des Vierecks, hatte ich einige hübsche Galaxien herausgesucht. Den Anfang machte ich mit NGC 7625. Im 14er direkt westlich eines helleren Sterns befindlich ist sie ein einfaches Ziel. Irgendwie eirig, 1:1,5. Der Zentralbereich nicht übermäßig hell und ohne starken Kern. Die ernüchternde Feststellung im 9er: Kern nur selten herausblitzend. Langweilig.
NGC 7550, nur ein Stück nordwestlich davon, ist ebenfalls gut machbar, aber eine fade Galaxie mit diffusen Grenzen. Oval und mit einem feinen stellaren Kern. Im 14er der gleiche Anblick. Sehr weiche Übergänge, ohne Highlights.
Etwas weiter nördlich, fast mittig des Herbst-Vierecks, liegt NGC 7678. Mein Urteil: „Cool“, weil sie direkt in einem kleinen Sterndreieck eingebettet lag und dort genau hineinpasste. Ein länglicher Nebel in Nord-Süd-Lage. Im 14er stellte ich fest, dass der untere Dreieck-Stern noch in der Nordspitze der Galaxie lag. Hübsch! Aber keine Details sichtbar; nur eine homogene Fläche. Ähnlich bei 178-fach: Die Helligkeitszunahme zur Mitte hin war nur marginal. Ein Achsenverhältnis von 1:1,5.
Als nächstes stand mal wieder ein nettes Pärchen auf dem Plan. NGC 7769 und NGC 7771; etwa 1° nördlich von Phi Pegasi. Erstgenannte war nur ein wenig schwächer und kompakter als ihre Nachbarin. Bei 114-fach zeigte sich, wie schön dicht sie beieinander standen. NGC 7769 war rund und grenzte sich gut vom Hintergrund ab. Ein zarter punktförmiger Kern, der bei höheren Vergrößerungen jedoch im Zentralbereich ertrinkt. NGC 7771 kam ein wenig größer daher. Länglich (1:4) und Südwest-Nordost-ausgerichtet. An der Ostspitze befand sich ein Vordergrundstern und an der südlichen Flanke irgendein hellerer Flecken. Ein weiterer Stern oder sogar ein Lichtknoten? Bei indirektem Sehen zeigten sich recht spitze Enden und eine ausgewölbte Zentralregion. Im 9er bestätigte sich dieser komische Sprenkel. Nach späterer Recherche: NGC 7770?
Ein kleiner Hops nach „links“ und schon hatte man NGC 7798 im Okular. Problemlos und direkt neben einem Sternchen. Bei 114-fach zeigte sich ein runder Nebel mit klaren Konturen und einer homogenen Fläche. Ein stellarer Kern, der schwächer war als der Nachbarstern und nicht übermäßig brüllend.
Und nochmal etwas in den Osten. NGC 7817, fast am Ende des NGC-Kataloges, lag bei einer markanten Sternformation und war auffällig und hell und gut abgegrenzt. Länglich, 1:4, SW-NO-ausgerichtet. Im 14er spitzten sich die Enden enorm zu und es zeigte sich kein Kern oder eine abgesetzte Zentralregion. Bei 178-fach schien die südliche Flanke leicht schärfer begrenzt und südlich der Galaxie tauchten zwei Vordergrundsterne auf.
Zurück ins untere Herbstviereck. NGC 7722 war im 26er gut machbar, aber vergleichsweise schwächlich und mit einem feinen, stellaren Kern, von dem aus die Galaxie sanft in den Hintergrund ausläuft. Zitat aus dem Buch – „14er: blödes Ding, rund, schwach, diffus.“
Die letzte Galaxie im Pegasus, die noch übrig blieb, war NGC 7711. Ebenfalls ein verwaschener Fleck. Im 14er recht breit wirkend, 1:2, und linsenförmig. Das Zentrum setzte sich gut ab und war umgeben vom feinen Nebelschleier des Halos. Als ich das 9er einsetzen wollte, verlor ich das Objekt aus den Augen. Zitat: „Ist mir jetzt auch egal.“
Es war schon wieder früh am Morgen, etwa 04:00 Uhr. Schon wieder ein starker Winterhimmel und das Zodiakallicht knallte hell im Osten. Als „LastLight“ gönnte ich mir M42, obwohl es ja eiiigentlich noch zu früh dafür ist. Hat sich aber gelohnt! Super! Macht Lust auf mehr, aber vorerst muss ich mich in Geduld üben. Und dann kommt ja bald der 16-Zöller… Der Abbau des Gerätes ging flink. Nach wie vor angenehme 11°C – so warme Nächte auf dem Gletscher hatte ich noch nie erlebt. Außerdem windstill und trocken. Die Dämmerung erhellte die Bergwelt wieder und ein neuer Tag begann, nur das Vogelgezwitscher fehlte irgendwie. Wir brachen auf…
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Zwieselstein, 22.08.2012