Nachdem ich mich vom Wetter der vergangenen Tage ziemlich verschaukelt gefühlt hatte und sehnsüchtig in den Vorhersagen nach einem Hoffnungsschimmer suchte, ergaben sich vielversprechende Prognosen für die Nacht vom Montag zu Dienstag. Ob meines Aufenthaltes in München bot sich die Beobachtung in der Alpengegend förmlich an. Norman und ich entschlossen uns, die Rossfeld-Panoramastraße zu besuchen, die im Berchtesgardener Land und direkt an der Grenze zum schönen Österreich liegt und eine ganzjährig durchgängige Befahrbarkeit bewirbt. Zudem lockte natürlich die Höhe auf knapp 1.600m. Wir freuten uns beide gleichermaßen auf die neue, unbekannte Gegend und den Astro-Ausflug generell. Endlich wieder Beobachten, endlich wieder ordentlich DeepSky!
Am Nachmittag beluden wir das Auto mit den Teleskopen und sonstigem notwendigen Krimskrams (u.a. zwei fragwürdigen Thermoskannen aus grauer Vorzeit) und nahmen bei sonnigem, aber kühlem Wetter die Fahrt in Angriff. Die Anreise verlief leider etwas unglücklich, weil uns das Navi auf die österreichische Autobahn lotste, aber die Blicke auf die Landschaft bei untergehendem Sonnenlicht entschädigte für alles. Je näher wir dem Ziel kamen, desto mehr löste sich der tiefe Dunst auf, der überall latent festhing. Wir näherten uns der Mautstelle der Rossfeldstraße, die normalerweise 7€ für die Benutzung der Infrastruktur verlangen würde. Doch waren wir leider wohl zu spät dran, um uns mit dem netten Kassierer auseinandersetzen zu dürfen: Die Fenster des Häuschens waren verrammelt, die Schranke stand einladend offen – also ab durch die Mitte!
Hohe Schneewände links und rechts begleiteten uns, doch die Straße war tiptop geräumt und einwandfrei befahrbar. Wir hielten nach günstigen Stellflächen Ausschau und fanden dann einen absoluten Traum von Beobachtungsplatz vor: Eine große, geräumte und gepflasterte Ebene direkt neben der Fahrbahn, die eine umwerfende Aussicht bot. Im Norden, halb verdeckt von einer schroffen, bewaldeten Anhöhe, sah man das abendliche, blinkende Salzburg, welches von einer leichten Nebelschicht eingehüllt war. In Südrichtung ragte das dominante, schneebedeckte Massiv des Hohen Gölls empor. Die Fahrbahn verlief auf eine Art steilen Grat, sodass man, am Ostgeländer stehend, direkt auf die Ortschaften Kuchl und Gölling an der Salzach hinabblicken konnte, und auf die sich bewegenden Lichter der Tauernautobahn. Ich war beeindruckt von der Aussicht – Roque-Feeling kam auf. Nur mit mehr Schnee und Bäumen. Doch vor allem die Art des Straßenausbaus und das dargebotene Panorama weckten starke Erinnerungen an den „Mirador de los Andenes“ auf La Palma.
Jo... Hier gefällts! Und wie.
Während Norman seine Prioritäten dahingehend setzte, sich wärmer zu kleiden und Brote zu vernichten, begann ich sofort mit dem Aufbau des Teleskops. Es war 18:00 Uhr und die Dämmerung bereits weit fortgeschritten; die hellen Wintersterne, Jupiter, Venus und Mars dominierten den dunkelblauen Himmel. Die 0°C fühlten sich, durch die absolute Windstille und geringe Luftfeuchte, die erste Zeit noch recht angenehm an, doch auch ich langte alsbald in den Klamotten-Korb und in die Tüte mit den Käsebroten. Es war erschreckend ruhig. Die Abwesenheit jeglicher anthropogener Geräusche kommt ja schon mal vor, doch frappierender war das Fehlen von Tierlauten. Kein Fuchs, kein Vogel, keine Hunde oder Schafe. Stand man am Ostgeländer, konnte man das leise, ferne Rauschen der Autobahn hören, doch vom Standort aus war selbst das abgeschirmt. Dergleichen kannte ich bisher auch nur vom Roque.
Um 19:00 Uhr saß ich mit dem ersten Kaffee im Kofferraum und lotete die Zielregionen im Atlas aus. Ich war so richtig motiviert und angriffslustig, was natürlich durch das Koffein zusätzlich angefeuert wurde. Norman beklagte mehrere vergessene Gegenstände, die schon recht nützlich gewesen wären, wie z.B. die Standfüße seiner Rockerbox und den DeepSky-Atlas. So mussten wir uns das Kartenwerk teilen. Der Justier-Prozess seines Dobsons nahm seinen Anfang und sollte noch eine Weile andauern, obwohl Norman zwischenzeitlich relativierte: „Justage wird überbewertet.“ Hört, hört.
Obwohl an der Mautstelle ein Schild verkündete, dass nach deren Schließung kein Winterdienst erfolgte, fuhr ein Streufahrzeug mit blinkendem Orangelicht vorbei und verteilte das Salz auf der Straße, die über weite Strecken bereits weiß und verkrustet war. Wie viele Tonnen Streusalz man hier oben verballert, möchte ich nicht wissen, aber immerhin sorgt man für einwandfreie Befahrbarkeit. „Anne, hast du schon das Zodiakallicht bemerkt?“ - „Nein, das habe ich noch nicht bemerkt.“ Ich wandte mich um und sehe die helle, spitze Pyramide in den dunklen Himmel ragen, wie das monströse Streulicht einer monströsen Stadt. „So. Jetzt habe ich es bemerkt.“
Das erste Objekt der Nacht sollte eine Kombination aus PN und Haufen werden: Jonckheere 900 und FSR 929 in den hochstehenden Zwillingen. Letztgenannten habe ich, obwohl er im Atlas als auffälliges Ding verzeichnet ist, nicht identifizieren können. Der kleine J 900 hingegen war eine Überraschung: Zunächst bei 200x ein sehr helles, fast stellares Scheibchen, das unmittelbar nordöstlich eines benachbarten Sternes stand. Höher vergrößert stellte sich die Form als abgerundet-quadratisch heraus; weitere Details oder ein Zentralstern fielen mir nicht auf.
Ein kurzes Zwischenspiel: Aus Norden kommend fuhr ein Auto mit Fernlichtern an uns vorbei, ohne abzublenden. Ich versteckte mich hinterm Berlingo. Die Typen hielten etwa 200m weiter südlich an und man hörte das Öffnen und Zuschlagen von Türen. Ich wurde nervös – auf fremde Besucher würde ich gern verzichten. Glücklicherweise suchten sie alsbald wieder das Weite und der Frieden kehrte zurück. Wahrscheinlich hatte einfach mal die Natur gerufen.
Auf derselben Gemini-Karte wiesen noch einige weitere Klebepfeile auf Ziele hin, die ich mir vorgenommen hatte. Eines davon war der prominente NGC 2261, besser bekannt als Hubble's Veränderlicher Nebel. Den hatte ich tatsächlich noch nie vorm Spiegel gehabt. Schon in der Übersicht brüllte er mich an. Von einem Stern ausgehend spreizte sich ein krummgebogenes Dreieck ab, dessen Helligkeitsverläufe ebenfalls unsymmetrisch verliefen. Schwer zu beschreiben; man ersehe sich des Bildes...
Kalte Hände ließen mich die Straße entlangrennen, während Norman noch immer unzufrieden mit seiner Justage war. Zurück am Teleskop peilte ich zu Jupiter, der aktuell ja mit faszinierenden Mondereignissen und gegenseitigen Bedeckungen glänzt. Das Seeing war leider nicht das allerbeste, aber Eindruck schindet so ein großer bebänderter Planet ja trotzdem. Glück gehabt: Auf dem mittleren, breiten, weißen Wolkenband sprang sofort ein schwarzer Fleck ins Auge: Der Mondschatten von Ganymed! Aber auch Ganymed selber war als dunkelbraunes Mini-Scheibchen auf dem selben Band zu sehen; näher am Planetenrand hin. Ich rief begeistert Norman herbei.
FSR 1029, nahe Gamma Monocerotis, sah auf der Karte ganz nett aus, enttäuschte im Teleskop jedoch. Eine unauffällige Gruppe bar jeden Haufencharakters. 9 oder 10 Sterne formten ein Trapez, dessen zwei hellste Mitglieder die längere Parallele darstellten und ob ihrer Helligkeit das Grüppchen stark dominierten.
Nachdem wir einen zentralen Ablageplatz für den Atlas improvisieren konnten, bat Norman darum, dass ich mich mal mit Hind's Veränderlichen Nebel auseinandersetzte, den er mit 12“ neulich nicht erreichen konnte. Ich schwenkte also zu den Hyaden und versuchte mein Glück, konnte jedoch keinen Erfolg vermelden. Wird bei Gelegenheit erneut probiert, denn mit 16“ sollte der Kollege machbar sein. Eigentlich... Anschließend ging die Reise mal wieder zu Abell 21. Es dauerte, bis der sich aus dem Himmelshintergrund schälte, war dann indirekt aber recht einfach zu halten. Ein breiter, sichel- oder halbkreisförmiger schwacher Nebel, dessen Bogen nach Osten weist und sich im Südteil abschwächt. Ansonsten eine homogene Fläche. Naja, war jetzt nichts Neues.
Damit war der kleine Abell-Reigen eingeleitet. Im Krebs wollte ich mich A 30 widmen, was mir im Fläming versagt blieb. Bevor es losgehen konnte, passierten uns zwei weitere Autos, was mich fluchen ließ... Was wollen die denn alle noch hier oben?? Auch auf dem Rossfeld tat ich mich nun schwer mit der Sichtung. Rings um jenen Stern, den ich als Zentralstern vermutete, bildete sich mit [OIII]-Einsatz eine kreisrunde, homogene, aber sehr sehr sehr schwache Scheibe ohne Strukturen heraus. Schwer zu fassen, auch mit indirektem Sehen und unterschiedlichen Vergrößerungen kein einfaches Objekt; genaugenommen sogar das Schwierigste während dieser Nacht.
Bevor der Kaffee noch weiter abkühlte, trank ich ihn leer, was mich regelrecht in Euphorie versetzte. Ein paar Schritte auf der Straße öffneten den Blick auf Salzburg, das eine große Lichtglocke nach oben schickte, gefördert durch den leichten Dunst unten im Tal. Beim Laufen kam mir regelrecht warme Luft entgegen; es herrschte ein wirklich angenehmes Klima. Norman beschwerte sich über NGC 1985, dessen Gestalt ihm missfiel. Ich warf ein Blick durch sein Okular und sah einen kleinen, runden Nebel mit einem innenliegenden Sternchen. Der war doch eigentlich ganz nett? Zumindest bestätigte er, dass es ihm ebenfalls ziemlich warm vorkam. Mit „In the Navy“ leierte ein schrecklicher Ohrwurm hartnäckig durch meinen Kopf.
Weiter gings mit Abell 31. Schon besser! Niedrige Vergrößerungen führten bei dem ausgedehnten PN zum Ziel, aber die genaue Morphologie war erstmal schwer zu erfassen. Irgendwie wirkte das Gebiet fleckig, und mein Auge versuchte, daraus ein kreisförmiges Gebilde zu konstruieren. Zwei breitere Streifen östlich bzw. westlich der zentralen Sterngruppe schienen mir am hellsten; doch die Formen zu erfassen fiel mir schwer.
Nachdem Norman kurz durchgeschaut hatte und seinen Kommentar abgab („Naja... Und sowas gucken sich die Leute an!“), vermutete er, sein Fangspiegel wäre beschlagen. Prüfblick zu den Autoscheiben, meinem besten Indikator für hohe Luftfeuchte: Alles frei. Die Luft war trocken, wodurch auch die -2°C sehr erträglich waren. 22:00 Uhr.
Das Abell-Quartett nahm seinen Abschluss mit dem tollen A 33, der sich schnell bei einem benachbarten Feldstern präsentierte und wie dessen geisterhafter Reflex wirkte. Eine homogene, runde Fläche. Am Nordwestrand schien die Scheibe etwas heller, doch ich vermutete eine kleine, unaufgelöste, kompakte Sterngruppe, die diesen Effekt hervorrief. Dies bestätigt sich bei der Nachrecherche.
Norman packte Stativ und Kamera, um Fotos zu schießen, und „warnte“ mich vor meinem nächsten planmäßigem Halt: Der berühmte IRAS 09371+1212, besser bekannt als „Frosty Leo“. Nonstellar zeigte sich das Objekt schon bei geringeren Vergrößerungen, doch für die richtigen Details musste die Barlow her, die ich sogleich mit Reduzierung und 9mm-Oku vertäute. Glücklicherweise ließ das Seeing 600x zu, wenn auch nur hart an der Grenze. Ohne zu wissen, was mich erwartete, sah ich eine hantel- oder hakenartige Form, bestehend aus zwei Bögen und einem scheinbar abgesetzten Mittelteil. Der südliche Bogen wirkte heller und ausgedehnter als der andere und schien noch eine Helligkeitsverdichtung in seiner Westhälfte zu beinhalten. Der Mittelteil zwischen den Bögen war bedeutend schwächer und ich war mir unsicher, ob sich das Auge dort nicht bloß einen Nebel einbildete, da die Bögen sehr eng beieinander lagen und somit wie verschmolzen anmuteten. Er schien deren Verlauf nach außen fortzusetzen und dem Gesamtgebilde eine ovale Form zu verleihen. Ich verbrachte eine ganze Weile bei Frosty Leo – ein echt tolles und interessantes Ding! Mein persönliches Highlight dieser Nacht. Was wohl bei richtig gutem Seeing zu holen wäre? Norman warf später auch einen Blick hindurch und bestätigte die hantelartige Teilung.
Nebenan hörte ich Norman sagen: „Ich gönn' mir jetzt mal was.“ Ich linste herüber und verortete, wohin sein Dobson peilte. „M 51!“ - „Genau.“ - „Ohh, jetzt sind also wohl schon die Messiers dran?!“ Die Uhr zeigte mittlerweile 23:20. Aufgrund meiner „Frosty Füße“ war ein Sprint auf der Straße dringend nötig, ehe anschließend der Galaxienspaß beginnen sollte. Norman beobachtete just Arp 142 und wollte sich dieses Duo gern mal im 16er anschauen. Im östlichen Teil der Wasserschlange gelegen, zeigte sich ein kleiner, rundlich-ovaler und gut begrenzter Nebel, NGC 2937, mit hellem, stellar wirkendem Zentralgebiet. Nördlich davon lag NGC 2936 in O-W-Richtung und wesentlich diffuser und zarter gestaltet. Die Helligkeit zum Zentrum des irgendwie unsymmetrisch wirkenden Nebelbarrens nahm nur mäßig zu. Nördlich von Arp 142 zeigte sich ein hübsches, länglich-dreieckiges Sternmuster aus fünf Mitgliedern.
Im obersten Teil des Sternbildes Löwe befindet sich ein sehr hübsches Galaxien-Trio, NGC 2964/2968/2970, das mir auf Anhieb sehr gefiel, da die Geradlinigkeit der Anordnung und die unterschiedlichen Größen reizvoll aussahen. Notizen machte ich mir hierzu nicht.
Die nächste Gruppe befand sich im Luchs, und ich hatte Angst vor dem Starhop. Und es passierte tatsächlich, dass ich irgendwo falsch abgebogen sein musste, denn das Galaxien-Trio, das ich vorm Spiegel hatte, hat irgendwie keine Ähnlichkeit mit Arp 143, wo ich eigentlich hinwollte. Ich sah zwei große, runde, strukturlose Nebel, mit einem weiteren, naheliegenden kleineren Bausch. Seltsam. Die Versuche, im Nachgang herauszufinden, was ich mir stattdessen angeschaut hatte, verliefen im Sande. Oder besser gesagt, verliefen im Luchse. Wie ich dieses Sternbild hasse...
Es war beinahe 01:00 Uhr und ein weiteres einsames Auto fuhr an uns vorbei. Norman schwärmte von der „Bärentatze“ und der nebenliegenden Superthin IC 2233. Ich gönnte mir etwas von der Schokolade aus dem Leipziger IKEA, die tatsächlich das Weihnachtsfest überlebt hatte, nun aber knüppelhart gefroren war und die Zähne herausforderte. Der Schwenk ging ebenfalls zur Tatze NGC 2537, doch der Fokus lag vielmehr auf der schönen dünnen Nachbargalaxie. Norman und ich verglichen wieder den Anblick durch die verschiedenen Öffnungen und kamen zu dem Schluss, dass IC 2233 bei 130x am besten und auffälligsten daherkam, und obendrein beide Nebel zusammen in einem Gesichtsfeld standen.
Ein weiterer Wagen kam des Weges daher und hielt hinter der südlichen Kurve an. Es war aufgrund vorgelagerter Bäume und Schneewände nicht zu sehen, aber da man das Licht anließ, wurden wir dennoch über dessen Anwesenheit informiert. Es machte mich nervös. Norman suchte vergeblich eine Galaxien-Gruppe, und nachdem ich mir (mangels verfügbaren Atlanten) aus Verlegenheit M 51 anschaute, half ich bei der Suche und stellte NGC 3090 in seinem 12-Zöller ein.
Selber widmete ich meine Aufmerksamkeit dann Hickson 59. Von der Gruppe, die sich aus fünf Galaxien zusammensetzt, sah ich auf Anhieb IC 737 und 736 als runde Bälle mit hellen Zentren; IC 736 war kleiner und schwächer. Südlich des benachbarten Feldsternes war blickweise PGC 36871 zu erhaschen, die ein länglicher, schwacher und ansonsten strukturloser Hauch blieb.
Es war etwa 01:45 Uhr und ein sehr leichter, schwacher Wind kam uns entgegen, der schnell wieder abebbte. Bei der ansonsten herrlichen Windstille fiel so ein Lüftchen gleich unangenehm auf. In der Virgo hatte ich mir einen Asterismus eingezeichnet, der sehr drollig ausschaut: Brosch 1 ist ein kleines, kompaktes Viereck aus vier leicht unterschiedlich hellen Sternen. Etwa 40' nördlich davon befindet sich mit NGC 4517 eine markante, schön langgestreckte Galaxie, und ich fand dieses Duo im Zusammenspiel derart nett, dass die volle Breitseite des Papiers dafür hergenommen werden musste. Leider kam der Rand schneller als erwartet und für die Galaxie wurde es etwas eng. Normans Urteil über den kleinen Asterismus fiel dagegen leider etwas... sachlicher aus.
Etwas weiter westlich erwartete ich ebenso eine reizvolle Kombi, bestehend aus SS Virginis (orangeroter Stern) und NGC 4385. Naja. Der Kontrast zwischen den beiden war durchaus ansehnlich, die Galaxie zeigte sich allerdings von ihrer langweiligen Seite: Homogene, ovale Fläche mit einem Achsenverhältnis von 1:3, und abgesehen vom hellen, stellaren Kern keine weiteren Details.
Nebenan hatte Norman Arp 277 beobachtet und wunderte sich über dessen Position. Er sah das Duo aus NGC 4809 und 4810 an einer anderen Stelle, als sie im Atlas verzeichnet war, 15' weiter nordwestlich. Ich prüfte im 16er nach und musste ihm zustimmen. Ich sah zwei längliche Galaxien, die in T- oder eher L-Formation ausgerichtet waren. Der „Stiel“ (NGC 4810) wirkte dabei etwas schwächer und kürzer. Nicht gerade ein Leuchtfeuer von Arp, aber viel spannender war dabei natürlich die Tatsache, einen Fehler im Deepsky-Atlas entdeckt zu haben.
Die Temperatur sank zwischenzeitlich auf -3°C und es blieb weiterhin sehr trocken; die Autoscheiben zeigten keinerlei Tendenz zum Beschlagen. Auf der Virgo-Karte fiel mir die Galaxie Shapley-Ames 4 (UGC 8041) auf. Der Name klang nach etwas Exotischem und Schwachem und Unbekanntem – also, hin da! Überraschenderweise war das Objekt auf Anhieb als ovale Wolke zu sehen, was, im Nachhinein, bei einer Helligkeit von etwa 12mag natürlich auch keine große Kunst war. Es zeigte eine einheitliche, strukturlose Fläche und blieb damit eher unspektakulär.
Norman rührte gerade im Galaxien-Gewusel herum und stellte fest: „Der Virgo-Haufen ist schon lustig!“ Kurz darauf zog er wieder mit der Kamera durch die Gegend, während ich zum Aufwärmen einige Minuten auf der Straße herumlief. Am Geländer stehend verweilte ich dann und blickte auf die Dörfer herunter, die schon auf österreichischem Boden lagen. Die hellen Straßen führten sternförmig zur Stadtmitte und zeigten kaum Regung; lediglich auf der Tauernautobahn sah man dann und wann winzige Lichtpunkte vorbeiziehen. Der Himmelsanblick hatte sich mittlerweile komplett verändert. Der Löwe war bereits weit vorangeschritten und die leeren Frühlingssternbilder schwebten über den Bergen. Jupiter blendete regelrecht. Im tiefen Südosten kletterten die Scheren des Skorpion empor und sahen nahezu entstellt aus, da der Saturn aktuell genau dort seine Bahnen zieht und dem ohnehin wunderschönen Sternbild ein weiteres Highlight verpasste.
Was für eine Traumkulisse!!
Aber weiter im Text. Zielregion blieb weiterhin Virgo; es ging zu Arp 240, einem einfachen Galaxienpärchen. NGC 5257, die Westliche der beiden, zeigte sich als scharf abgegrenzte, homogene, ovale (1:1,5) Fläche. Von den schwächeren Ausläufern der Spiralarme war bei 130x nichts zu erkennen. NGC 5258 war länglicher Gestalt (1:3) und in NW-SO-Richtung gekippt. Das nördliche Ende schien stärker zugespitzt und ein schwacher Vordergrundstern blitzt dort heraus.
Zu Hickson 67 gabs wiederum keine Notizen, sondern nur die Dokumentation per Bleistift. Dominant war NGC 5306; mit 13,1mag der klare Eyecatcher. Nach längerem Hinsehen hob sich später der schwache, dünne Strich von PGC 49017 ab, und ein vermeintlich schwacher Feldstern beim Südrand von NGC 5306 stellt sich jetzt als PGC 49049 heraus, die mit 15,7mag hier das Ende der Fahnenstange darstellte. Mitglied Numero 4 war nämlich nirgends zu entdecken.
Unwissentlich steuerten wir zeitgleich Arp 271 an, die Norman schneller aufgefunden hatte als ich und schon fleißig den Anblick beschrieb und beschwärmte. Zur Verteidigung: Ich hatte die Ausgangssterne für den Starhop verwechselt. So. Zwei Galaxien waren zu sehen. NGC 5427, der nördliche Teil, war ein großer, rundlich geformter Nebel mit diffus auslaufenden Grenzen und einem mäßig hellem Zentrum, aus dem teilweise ein stellarer, schwacher Kern herausblitzte. Bei 200-facher Vergrößerung wirkte sie oval und die zwei krummen Arme der Spiralstruktur waren schwach erkennbar. NGC 5426 präsentierte sich länglich-oval mit einem Achsenverhältnis von 1:2 und Nord-Süd-ausgerichtet. Die Galaxien berührten sich nicht. Zwischen ihnen stand ein markanter Feldstern. Norman beschrieb weitere Sternchen und wir tauschten bei der Gelegenheit wieder mal die Teleskope.
Gegen 04:15 Uhr hopste ich wieder etwas durch die Gegend. Das Sommerdreieck stand bereits vervollständigt am Himmel, wirkte ob der winterlichen Szenerie aber irgendwie fehl am Platze. Die Milchstraße wanderte kontinuierlich hinauf. Mir rauschte nun mittlerweile die Musik von Falco unaufhörlich durch die Hirnwindungen. Alles klar, Herr Kommissar.
Ich peilte in den Bärenhüter, auf der Suche nach Palomar 5, der mal wieder nicht auftauchen wollte. Besser war Hickson 72. Bei einem helleren Feldstern befindlich zeigten sich bei 200x drei kompakte Bällchen, die in einer Nord-Süd-ausgerichteten Reihe lagen. Die mittlere Galaxie wirkte etwas langgezogen, da sie aus zwei Galaxien besteht, die ich jedoch nicht zu trennen vermochte. Die Mitglieder waren nahezu gleich hell; die entsprechenden Werte reichen von 15,8 (UGC 9532c) bis 16,1 mag (UGC 9532e).
Wie dann die nachfolgende Zeit so schnell verging, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Zack-Bumm – Nacht um! Der Dobson peilte auf Saturn, der ob des Seeings zwar waberte, aber ein schöne, weit geöffnete Ringstellung zeigte und einige Monde um sich versammelte. Und wenn man schon mal in der Gegend war, schaute ich auch gleich mal auf M 4. Ein toller Kugelsternhaufen! Wundervoll in unzählige, brillante Einzelsterne aufgelöst; wie ein dichter offener Haufen, der einen markanten Balken quer durchs Zentrum zeigt. Ich zitierte Norman ans Okular, der aber nach eigener Aussage mit M 4 nie warmwerden konnte. Tja, dann eben nicht.
Er hatte sich stattdessen dem Turtle-Nebel NGC 6210 im Herkules zugewandt, den ich zum Ausklang ebenfalls in meinem Teleskop einstellte. Ich achtete weniger auf die Details, als vielmehr auf den Farbeindruck: Die rund-ovale Scheibe leuchtete in einem kräftigen, satten Grün; selbst in 12“ bei hohen Vergrößerungen, wo sich die Färbung meistens schon verliert.
Spätestens halb 6 hatte die Dämmerung merklich eingesetzt und der Himmel wurde dunkelblau. Die Nacht zehrte weniger als erwartet; ich hatte zwar Hunger, war aber ansonsten erstaunlich fit und munter. Es gab keinen Durchhänger oder Müdigkeitseinbruch, der mit Kaffee oder einer Pause hätte kompensiert werden müssen. Was für eine fantastische Beobachtungsnacht hinter uns lag! Über zehn Stunden DeepSky, unfassbar. Und die Eindrücke der klaren Morgendämmerung standen uns ja noch bevor, quasi als verdiente Belohnung für unseren Fleiß. Norman bemerkte die soeben aufgegangene aschgraue Mondsichel über den südöstlichen Bergketten, direkt oberhalb von Golling, was ein spektakuläres Fotomotiv darstellte.
Die Umgebung erhellte sich allmählich und wir schickten uns an, die Gerätschaften abzubauen und das Chaos ringsumher zu beseitigen. Im Kofferraum lag die halbe Welt verteilt. Was auffallend fehlte, war das morgendliche Gezwitscher der Vögel; stattdessen stieß kurzzeitig ein unidentifizierbares Tier im südwestlichen Waldgebiet seine seltsamen Laute aus. Über Salzburg hatte sich die tiefe Nebelschicht verdichtet und der Blick darüber hinaus ging in die fahl erleuchtete, ferne Landschaft, strukturiert durch Schnee- und Dunstfelder. Das Massiv des Hohen Gölls, hinter dem sich ein kräftiger Erdschatten ausbildete, stellte durch die heller werdenden Schneegebiete einen attraktiven Kontrast zum dunkleren Hintergrund dar. Und im Osten wurde es bunter und bunter...
Obwohl die Temperatur noch nicht stieg, hatte ich, wie bei jeder Morgendämmerung, den Eindruck, als würde es wärmer werden und ich legte die ersten Klamottenschichten ab. Mein Teleskop war eingeräumt und Normans fetter Rucksack auch fast fertig gepackt, sodass wir uns für die zweistündige Rückfahrt fertigmachen konnten. Es muss etwa 06:30 Uhr gewesen sein, als wir das palmareske Plätzchen hinter uns ließen und den nördlichen Verlauf der Rossfeldstraße hinunterrollten. Absolute Einsamkeit... Noch. Schon bald ging es auf die Autobahn und der Berufsverkehr empfing uns; ebenso der dichte, kalte Nebel, den wir bis dahin nur von oben gesehen hatten. Stellenweise waren es -8°C. Noch völlig hingerissen und begeistert sinnierten wir über die Eindrücke der zurückliegenden Nacht und ließen die Erinnerungen an die Objekte und Bedingungen gedanklich noch einmal passieren. War auch dringend nötig, denn im warmen, bequemen Auto wurde ich müde und rammdösig. Irgendwann war München trotzdem erreicht und ich fand sogar einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe. Juhu!
Wir waren uns einig: Rossfeld, wir kommen wieder, sobald es geht!
Ein Beobachtungsbericht von AKE
München, 18.02.2015