27./28.01.2017 – Von der Kunst, im Stehen einzuschlafen

Viel Schlaf ging tagsüber leider nicht her – gerade mal 4h oder so, trotz des gemütlichen, warmen Zimmers. Wir checkten das Wetter und freuten uns zu sehen, dass wir im so ziemlich einzigen freien Bereich hockten, der von Süddeutschland aus erreichbar war. Beste Voraussetzungen. Bevor es aber zum Rossfeld hinaufging, hatte der liebe Gott noch das Einkaufen beim Penny gesetzt. 10h Beobachtung wollen schließlich ordnungsgemäß verpflegt werden.


Um 19:00 Uhr auf dem Aussichtspunkt angekommen empfingen uns zwei Dinge, die uns letztlich dazu bewogen, den Alternativplatz 200m weiter südlich zu besetzen: a) Das aggressive Flutflicht vom Götschen-Nachtski, und b) ein leichter Wind, der den 2°C eine höchst unangenehme Note verlieh. Es war wolkenlos und klar, doch die Flutlichter reichten, gemeinsam mit Salzburg, bis in den Zenit, und auch das Seeing war so übel wie am Vortag. Wir blieben noch einen Moment im Auto sitzen („Willst du aussteigen?“ – „Nee, ich fühl mich hier grad irgendwie so sinnvoll.“), ehe es hinaus in die Kälte ging.


„Ich zieh mich heute mal warm an. Mir ist irgendwie danach“, verkündete ich. 37 Pullover, 15 Hosen und 8 Jacken später war ich einigermaßen kampfbereit. Von den hohen Schneewänden, die den Parkplatz nach Norden abgrenzten, strahlte eine ekelhaft fiese Kälte ab. Nicht schön, aber immerhin windstill. Irgendeinen Tod muss man sterben.


So dann. Auf geht’s in die Runde 2. Ich begann mit Baade 1, einem PN im Stier. Mit dem verbinde ich eine nette Geschichte, aber die verrat ich nicht. War jedenfalls eins der ersten Objekte, die ich mit dem 16er damals überhaupt angesteuert hatte, damals im Fläming. Knapp vier Jahre und 1.500 Höhenmeter später: Das Objekt ist leider immer noch nicht der ausgesprochene Brüller. Eine schwache, runde und homogene Scheibe, eindeutig verortbar und indirekt dauerhaft zu halten. Wiedersehen macht Freude! Der gute, alte Baade.

Ferrero 18 war in der Übersichtsvergrößerung erstmal enttäuschend. Etliche helle Sterne standen da in eckigen Ketten angeordnet. Wie so ein mehrfaches „M“… Besser kann ich es nicht beschreiben. Fiel zwar als Haufen bzw. Muster durchaus auf, ging aber im Hintergrund ein wenig unter. Überraschung bei 130x: Das Teil entpuppte sich als sehr sternreiche Ansammlung! Viele schwache und noch schwächere Mitglieder tauchten auf; sicherlich weit über 50. Vor allem an der Südostecke des Clusters gab es nochmal eine etwas isoliertere Zusammenballung einiger schwacher Sternchen. Cool! Nette Überraschung.


Blick auf die Uhr: Erst 20:40, und ich hatte schon kalte Füße. Herrje. Eine weitere nette Haufenüberraschung war Koposov 53. Ein echter Winzling, der hoch vergrößert werden möchte. Dann fiel er in seine Bestandteile auseinander, nachdem er im Übersichtsoku kaum erkennbar war. Die Mitglieder standen eng und dicht beieinander.

Anschließend machte ich bei UGC 3829 Station, die in einem verwirrenden Sternfeld steht. Ich sah ein kompaktes Etwas mit stellarem Kern, aber ohne Details. Da gäbe es noch eine Aufhellung am Nordrand, wo eine zweite Galaxie reinragt, aber die gibt’s für mich nur auf dem DSS zu sehen.


Die Luftfeuchte spielte Limbo; die ersten Werte pendelten sich bei 20% ein. Blöde nervige Autos kamen vorbei. Norman hatte noch eine ganze Weile essend im Wagen gesessen und machte sich nun daran, den Orionnebel zu portraitieren.


Ich widmete mich NGC 2405, doch mehr als einen ovalen (1:2), homogenen Nebel konnte ich nicht erkennen. Am Ostrand blinkten die Vordergrundsternchen zeitweise noch heraus („irgendwas Stellares“), konnten das Objekt auch nicht mehr retten.


NGC 2481 präsentierte sich als einfach sichtbares, aber eher ödes Objekt. Länglich, ca. 1:3 im Achsverhältnis, und mit einem hellen stellaren Kern im Zentrum. 1‘ entfernt im Westen tauchte NGC 2480 schwach auf, ohne Form und Kontur, und blieb nicht durchgängig haltbar.


Es kam ein weiteres Auto um die Ecke, das im Vorbeifahren doch tatsächlich das Scheinwerferlicht ausmachte! Wir waren erstaunt, weil keiner von uns beiden einem stinknormalen Autofahrer so viel Sachverstand zutraute, dass er beim Anblick von Teleskopen die Funzeln löscht. Vielleicht wars ja auch ein Astro, man weiß es nicht. Jedenfalls sehr aufmerksam, vielen Dank! Norman, der nebenan ja mit dem Orionnebel beschäftigt war, klagte seit geraumer Zeit über die Masse an Feldsternen und schien immer demotivierter zu werden. „Halt noch ein bisschen durch, bald ist Orion hinter den Bäumen verschwunden und dann bist du erlöst.“ Gegen halb 10 machte er dann eine Pause und ging auf Wanderschaft.


NGC 2604 zeigte sich als rundliches Objekt mit mäßig hellem Zentralgebiet und undeutlichen Grenzen. Irgendwie schien mir das ansonsten homogene Ding Unregelmäßigkeiten oder dezente Helligkeitsnuancen zu beinhalten, konnte sie aber nicht richtig festmachen. Auch der Begleiter, NGC 2604B, wollte nicht auftauchen – manchmal schien es, als wäre da ein schwaches Nebelchen, kann aber auch nur Einbildung gewesen sein.


Es folgte eine Objektkombi, die ich nur zu gern als „Weitfeld-Zeichnung“ festgehalten hätte, aber da war das Feld dann doch ein bisschen zu weit. Es ging um NGC 2535 bzw. Arp 82, das nur ein paar Tage zuvor sein 140-jähriges Entdeckungsjubiläum feiern konnte. Dieses Duo bestand aus einem größeren, leicht ovalen Nebel und einem kleineren, kompakten Begleiter südöstlich. Beide waren getrennt, schienen bei indirektem Sehen aber als Blob verschmolzen. Ca. 20‘ südwestlich von der Arp gab es ein weiteres, aber schwächeres Duo: IC 497 und UGC 4257. Erstgenannte war schlichtweg eine runde Kuller ohne Details; die UGC hingegen soll eine lange, dünne Edge-On sein, ziemlich flächenschwach und nicht gerade einfach. Norman, bis eben nochmal essend im Auto verweilend, durfte auch einen Blick auf dieses Doppel-Duo werfen.

„Was ist denn plötzlich mit dem Seeing los?“, ertönte es hinter mir. „Oder war ich wieder zu blöd, die Kappe abzunehmen? … Tatsache.“ Ich musste lachen. Die Flutlichter von Bischofswiesen waren mittlerweile ausgeschalten, was sich deutlich am Himmelsanblick bemerkbar machte, v.a. im Zenit. Jetzt saut Salzburg nur noch ganz alleine vor sich hin.


Ich machte mit NGC 2512 weiter, hielt mich aber nicht sehr lange dort auf. Ein „runder Klops“, homogen in der Fläche, ohne weitere Auffälligkeiten. Ein Sterngrüppchen weiter westlich täuschte eine fade Nachbargalaxie vor.


Blick zur Uhr: 23:10. Ich machte mal wieder einen Ausflug entlang der Straße. Auf dem gepflasterten Platz war es deutlich wärmer als an unserem derzeitigen Beobachtungspunkt; beim Zurückjoggen durchbrach man eine regelrechte Kältemauer, sobald die Schneewände begannen. Sirius war von uns aus schon nicht mehr zu sehen und hinter den hohen Fichten verschwunden; auch Orion war hüfthoch in den Nadeln versunken. Norman stellte, ein wenig fassungslos, fest: „Bei 3° PLUS steht man hier in voller Montur, ey.“ – „Tja. Wer hat, der hat, nech.“ Das galt ebenso für den Kaffee – hatte am Nachmittag überlegt, die Isokanne abfüllen zu lassen, tat es aber nicht und bereute diesen Frevel. Norman streute noch Salz in die Wunde: „Das ist doch das, was deine Mutti immer sagt: ‚Haben ist besser als Brauchen!‘“ Mensch, das Argument gefällt mir gar nicht.


Nach der kleinen Erwärmung peilte ich zu NGC 2623. Auf dem DSS ein spektakuläres Objekt, kollidierend und mit eleganten, lang umherpeitschenden Gezeitenschweifen – im 16er war davon natürlich nichts zu sehen. Ich beschrieb einen runden, leicht elongierten und kompakten Nebel ohne irgendwelche Nuancen.


„Dreieinhalb Grad Plus und 15% Luftfeuchte“, informierte Norman, und ich schaute mir NGC 2750 an, die mich überraschte. Ein runder, etwas gestreckter Nebel mit homogener Fläche und einem länglichen, abgesetzten Zentralgebiet, und! einem helleren Spiralarm im Westteil, der nach Nordwest zeigte. Nach längerer Zeit setzte sich auch an der Nordkante ein leicht hellerer Streifen ab, aber nicht so deutlich und klar wie das andere Ärmchen. Tolles Objekt!

Es war genau 00:00 Uhr; die pure Stille lag über den Bergen und mir wurde mal wieder die Fragwürdigkeit dieses Hobbys bewusst: „Was tun wir hier nur?“ Norman hatte die passende Antwort parat: „Weiß ich auch nicht.“ Mir war wahnsinnig kalt, trotz der 3.000 Klamottenschichten. Ich probierte mich an der Zwerggalaxie Leo A, Mitglied unserer lokalen Gruppe. Erfolglos. Auch nachdem ich das olle 32er-Oku von TS gegen Normans 26er-Nagler getauscht hatte, wollte sich kein Erfolg einstellen. „Wozu brauchstn das, haste was Großflächiges?“ – „Ja, ‘ne Dwarf probier‘ ich grad…“ – „Leo II!“ – „Nee, Leo A.“ Norman brach in Gelächter aus: „Wasn DAS nu schon wieder?!“ – „Tja, das ist noch ‘ne andere.“ Ich exerzierte noch einige Vergrößerungen durch, ohne Erfolg. Auf Normans Wunsch, der bei sich NGC 3718 beobachtete, stellte ich das Objekt im 16er ein und ließ ihn damit alleine, denn ich joggte mal wieder gegen die Kälte. 


Mit NGC 4026 machte ich weiter. Das war eine lange Galaxie mit einem breiten Zentralbulge und einem ovalen inneren Kernbereich. Bei indirektem Sehen liefen die Enden nach Nord und Süd enorm weit und spitz aus, was dem Objekt, das zuerst unerwartet breit daherkam, die sehr schlanke Gestalt verlieh, die sie auf Fotos zeigt. Ich tauschte mit Norman anschließend das Teleskop, und stellte belustigt fest, dass wir in derselben Ecke unterwegs waren: Er hatte NGC 4088 beim Wickel, die ca. 1° südöstlich rumhing. Manchmal ist der Himmel wirklich klein. Norman nahm die Strukturen auseinander und ich überredete ihn, das Ding zu zeichnen.


Ich war auf der Karte 12 unterwegs, auf der ich mir 30 Objekte markiert hatte. Eins davon war NGC 3953. Herschel fand es bei seiner Beobachtung ein „fine object“. Hm, naja. Von der Balkenstruktur im Zentrum war nix zu holen; von dort aus ging der Halo oval (1:2) gleichmäßig in den Hintergrund über. Vergleichsweise große Galaxie; zwei Vordergrundsternchen standen in der Ost- und Westhälfte.


NGC 3921 war wieder so ein kollidierendes Gewurschtel, präsentierte aber lediglich den Hauptkörper. Die Auswürfe nach Süden gingen absolut nicht her. Allerdings tauchten nördlich (NGC 3913) und westlich (PGC 37013) zwei Nachbargalaxien auf, die ebenso unscheinbar auftraten. Na immerhin.


Nördlich von HD 100615, einem 5,6-mag-Stern in UMa, steht NGC 3733 und wirkte wie dessen schattenhafter Geist. Der Stern irritierte den Anblick natürlich enorm und ließ die Galaxie schwächer und kontrastärmer erscheinen, als sie vermutlich war. Die Grenzen liefen fließend und undeutlich in den Hintergrund aus; waren in Richtung des Sterns auch vermehrt mit dessen Hof verschmolzen. Ansonsten gab es in der langgezogenen Galaxie noch einen sehr schwachen, flächigen Kern zu sehen.

Unaufhörlich schritt die Zeit voran; es war 01:30 Uhr. Irgendwo hinter den Fichten im Süden blinzelte der helle Jupiter hervor. Norman kündigte einen kleinen Mess-Spaziergang an. Ich sah, wie sich das matt leuchtende Display des Geräts entfernte und hörte Normans Selbstgespräche, plappernd wie ein Wasserfall, die erst dann verstummten, als er hinter der Kurve verschwunden war. Ist schon seltsam, wie die Luft den Schall trägt, wenn es sonst ringsum totenstill ist. Sowas kennt man in zivilisierten Gegenden ja gar nicht mehr. Er kehrte mit der Erkenntnis zurück, dass auf dem Pflasterplatz eine Luftfeuchte von 9,9% herrschte.


NGC 3794 zeichnete aus, dass sie östlich an einem Feldstern andockte und sich leicht elongiert (2:3) davon abspreizte. Aus dem knotigen Zentrum blitzte zeitweise irgendwas Kleines, Stellares hervor – vermutlich einfach nur der zusammengeballte Kernbereich. In seine Bestandteile ließ er sich nicht auflösen. Das Objekt ist gleichzeitig als NGC 3804 katalogisiert, falls jemand fragt.


Auf dem DSS war von NGC 3445 eine einarmige Struktur zu sehen, die auf einen schwachen Begleiter im Osten zeigte. Blick durchs Teleskop: Nix davon zu holen. Die Helligkeitsverteilung versah ich mit dem äußerst hilfreichen Attribut „komisch“, konnte aber nichts Genaues festmachen. Möglicherweise meinte ich zu erkennen, dass der Kernbereich nach Norden versetzt war und nicht mittig im Nebel lag, aber das kann ich wirklich nicht mehr sagen.


Ich stand am Auto, lehnte an die Kofferraumablage, auf der der Atlas lag, blickte in das Kartenwerk – und nickte ein. Ein bilderbuchmäßiger Müdigkeitsflash überfiel mich hinterrücks. Kapiere absolut nicht, wie man im Stehen einschlafen kann. Als ich die Augen wieder aufbekam, war ich darum bemüht, munter zu werden – joggte und putzte mir die Zähne. Eigentlich eine wirkungsvolle Kombi, die diesmal aber nicht lang vorhielt. Der Blick ins Tal zeigte ein Salzburg, dessen leuchtende Straßen und Gebäude von einem leichten, tiefen Nebel umhüllt waren, der sich jedoch nicht merklich auf die Grenzgröße auswirkte.


Beim Blättern blieb ich auf der Karte mit dem Coma-Haufen hängen und interessierte mich für den großen PN LoTr 5. Nicht „Lord of the rings“, sondern „Longmore-Triton“. Ich stibitzte wieder das Nagler aus Normans Okularkoffer. „Wie schwer kann ein Okular sein?“ Mit [OIII]-Einsatz legte sich eine sehr schwache und ausgedehnte Nebelhülle rings um einen Stern, bzw. ein bisschen nach Osten versetzt. Die Position war v.a. deswegen eindeutig, weil ein anderer, hellerer Stern im Gesichtsfeld war, der aber keinen solchen Hof besaß. Völlig gleichmäßig, völlig ebenmäßig. Die exakten Grenzen waren schwer auszumachen.

Ich kam absolut nicht mehr in die Gänge. Das Blättern durch den Atlas nach irgendwelchen lohnenden Zielen ermüdete mich mehr als alles andere. Norman hingegen war voll bei der Sache; freute sich über die vielen schönen Objekte im Großen Wagen und hatte seine Motivation wiedergefunden, nachdem sie durch M42 anfangs etwas gelitten hatte. Ich jedoch konnte mich kaum auf den Beinen halten. „Werd' mich jetz echt mal für ein paar Minuten abmelden müssen.“ Mit der grünen Wolldecke ringelte ich mich auf dem Fahrersitz ein, und aus den paar Minuten wurde wohl fast eine ganze Stunde. Ich fror, schlief, träumte irgendeine dämliche Scheiße, und wachte völlig zerstört wieder auf. Es war gegen 03:00 Uhr.


Fluchend, ächzend, stöhnend hievte ich mich wieder auf die Straße. Norman kehrte grade von einem Spaziergang zurück und erklärte sich bereit, auch alsbald die Segel zu streichen; beobachtete nur noch irgendwas zuende. In Wahrheit aber konnte er es nicht erwarten, endlich seinen lang gefassten Plan umzusetzen: Nämlich seinen Dobson in aufgebautem Zustand auf die Rücksitzbank zu legen und sich somit die lange Demontage zu sparen. Dass das tatsächlich problemlos funktionierte, versetzte ihn in einen regelrechten Rauschzustand und sein lautes, triumphierendes Gelächter schallte mehrmals über den Parkplatz. Ich fand es auch gut… Denn dadurch musste ich nicht mehr so lange warten, bis wir wieder zurückfahren konnten. In voller Kampfmontur, selbst mit den plateausohlenartigen Polarstiefeln, setzte ich mich dann ans Steuer. „Ich bin sowas von im Arsch, es ist unglaublich.“ Gegen 04:00 Uhr rollten wir die Straße hinab und folgten dem Ruf meines Kissens, welches lautstark nach mir schrie.

 


Ein Bericht von mir

München, 30.01.2017

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