Der Samstagnachmittag verlief sonnig und ruhig. Unser Weg führte uns ins astronomisch prominente Puntagorda, um ein wenig zu spazieren und bei SPAR einzukaufen – und wir entdeckten sogar Timms berühmtes „Naranjos“-Lokal!
Es war jedoch schon zu sehen, dass aus südlicher Richtung feine Zirrusbewölkung aufstieg und sich langsam über den Himmel verteilte. Als wir am frühen Abend wieder in der Finca waren, nahm die Bedeckung fast schon besorgniserregende Ausmaße an. Doch eben jene Zirren, dekorativ angeleuchtet, fabrizierten einen wunderschönen Sonnenuntergang und ein entsprechend buntes Dämmerungsspiel. Und, das wichtigste, sie lösten sich mit fortlaufender Zeit zunehmend auf. Ich hatte zudem ausreichend ausgeschlafen und freute mich auf die kommenden Stunden. Der zweiten Nacht auf La Palma stand damit nichts im Wege.
Es war so mild wie am Abend zuvor und inmitten des Grillenzirpens füllten wir die Speicherkarten unserer Kameras. Zwar blieben ein paar dunkle Streaks in der tiefen Orion-Region bestehen, hoch über uns wurde es gläsern und dunkel und die gleißend helle ISS stattete dem kanarischen Himmel einen Besuch ab. Dazu gesellte sich bald wieder das mächtige Zodiakallicht – ein gigantischer, breiter Beamer, der aufgrund seiner Ähnlichkeit zu einer Großstadt fast schon unästhetisch wirkte und von den paar dunklen Wolkenfetzen unterbrochen war.
Weil Norman damit beschäftigt war, Fotos zu machen, konnte ich in Eigenregie ein wenig mit dem Teleskop allein sein. Wir standen zunächst unten auf der Terrasse, und auf blassen Dunst steuerte ich einen erreichbaren Offenen Haufen im Einhorn an, NGC 2219, quasi als Opener. Zwischen zwei hellen Feldsternen gelegen und gut als Haufen zu erkennen, doch neben seinen Nachbarn etwas verblassend. Im 12er Nagler ein schöner Anblick der etwa 20 Haufenmitglieder, die unregelmäßig angeordnet waren und gesamtheitlich an eine Tannenbaumform erinnerten.
Ich konnte es nicht lassen – ein DSH-Haufen musste angesteuert werden, denn der befand sich da in der Nähe. Ferrero 11. Unscheinbar, verstreut und lose, aber doch einfach zu erkennen, stand das Teil in einem reichen Umfeld. Die Mitglieder überwiegend schwach und gleichmäßiger Helligkeiten. Eine markante Kette verlief durchs Zentrum, doch es war keine merkliche Konzentration zu erkennen.
Selbst um 22:50 Uhr waren die Grillen am Zirpen und Norman klagte über Müdigkeit und suchte irgendeine Galaxie, während ich hingegen recht munter war. Das SQM-L überraschte mich mit ziemlich verrückten Werten, die, trotz gleicher Himmelsregionen, von 21,44 bis 21,97 streuten. Was soll man denn damit anfangen? Wahrscheinlich gar nichts.
Ein Objekt-Highlight, das stets von gutem dunklen Himmel profitiert, war mit Sicherheit die umwerfende M 101, mit ihren zahlreichen abgesetzten HII-Regionen und Knoten entlang der herrlich weitläufigen Spiralarme, die nach außen diffus und weich ausliefen. „Die zieht mir gerade die Schuhe aus“, stellte ich fest. Ebenso ein schneller Blick auf M 51, die besser daherkam als am Vortag. Auf meinem Plan stand außerdem schon lange eine Zeichnung von NGC 4449, „The Rectangle“, die zwar „nur“ mit 12 Zoll und mit Kuli getätigt wurde (ein Bleistift für eine ordentliche Umzeichnung ließ sich erst Tage später käuflich erwerben - ich hatte meinen daheim vergessen), aber die verrückten Strukturen ließen sich dennoch gut herausarbeiten.
Das SQM-L hatte sich mittlerweile auf einen fast konstanten Wert von 21,66 geeinigt. Es war nun Mitternacht, und seit etwa einer Stunde war tief am Westhorizont eine dunkle Wolkenbank zu sehen, die mit zunehmender Höhe jedoch brav zerfiel. Wir stellten das Teleskop nun hoch auf die Wiese, weil die Zentaurus-Gegend von dort gut zu erreichen war. Norman hatte oft vom gestrigen Omega Centauri geschwärmt – meine Erstsichtung stand nun gleich bevor. Oben hielten wir inne, blickten umher und staunten über die ungewohnt gekippten Sternbilder. Was so ein paar Grad südlich der Heimat doch bereits ausmachten… Norman lachte: „Abartig, wie der Hercules da aufgeht!“ Die Luft war knochentrocken und strich man über die Decke, die wir mit hinaufgenommen hatten, flogen Funken. Traumbedingungen.
Nach einem kurzen Intermezzo mit M 97 und M 108 war nun der große Moment gekommen. Norman, der sich schon bestens im Zentaurus auskannte, stellte DEN Kugelsternhaufen Omega Centauri ein und bewies sein furchteinflößend perfektes Timing. „Der geht gerade über den Bäumen auf! Boah, ist das krass…“ Ich schaute durchs Okular. „Oh.“ Damit hätte ich nicht gerechnet. Da schwebte eine riesige, monströse Ansammlung weißgottwievieler Sterne oberhalb der Kieferkronen. „Was fürn Prügel! … Woah… Nee… Was hat denn der für ein Problem?!“ Besonders auffällig waren die oval-plattgedrückte Gestalt und das Fehlen einer kräftigen zentralen Helligkeitszunahme. Die Fläche war beinah homogen, ließ sich dadurch aber bis ins Zentrum hinein auflösen, wo sich die Mitglieder dicht an dicht drängten und tummelten. Ins Auge fielen außerdem stets zwei sternarme Löcher nahe der Mitte.
Der nächste Augenöffner stand nur wenige Grad höher: Centaurus A! Mir drängte sich zunächst der Vergleich mit einem Fischmaul auf. Die Galaxie war kugelrunder Gestalt, doch das breite, kräftige, dunkle, dreieckig wirkende Staubband trieb einen Keil mitten hinein. Der nördliche Teil des verbliebenen Restes war etwas schwächer und weniger breit als der südliche Halbkreis. Zwei Vordergrundsterne stachen sofort ins Auge; weitere schwächere kamen mit höherer Vergrößerung hinzu. Ebenso Strukturen innerhalb der dunklen Zone, die ich in einer späteren Beobachtungsnacht (auf dem Roque) zeichnerisch festgehalten habe. Für ausführlichere Detailstudien blieb nämlich keine Möglichkeit, da das tiefe Wolkengeschmiere nun in den Zentaurus reindrückte.
Wir steuerten stattdessen in höhere, klare Regionen und nahmen M 104 aufs Korn. Ja, ein prachtvoller Anblick auf den Sombrero-Nebel mit ausgestanztem Staubband, doch den nebenstehenden Asterismus Pothier 11, den Norman, trotz meiner ausdrücklichen Hinweise, nicht würdigen wollte, fand ich nicht weniger hübsch. Ein weiterer Schwenk brachte uns bei den Antennen-Galaxien vorbei, zu denen ich mir jedoch keine Notizen machte. Die werden in einer späteren Nacht noch einmal in aller Gänze auseinandergenommen.
Das Zodiakalband war als feines, dünnes Band zu sehen, das sich durch die Tierkreiszeichen spannte und die Fortsetzung des mittlerweile verschwundenen Zodiakallichtes darstellte. Wir überlegten, wo der Gegenschein sein mochte, konnten ihn aber nicht explizit ausmachen. Des Rätsels Lösung: Er befand sich in der Nähe des Mars, und der helle rote Planet irritierte die Beobachtung zu sehr und überstrahlte die schwache Aufhellung. Auf den Geistesblitz kam ich erst Stunden später, als mir einfiel, dass der Mars ja erst kürzlich in Opposition war, und der Gegenschein bekanntlich genau der Sonne gegenübersteht. Erst lokalisierte ich eine Aufhellung in der Waage, die sich auf einem schnell geschossenen Foto jedoch als Wolke herausstellte. Was für eine sensationelle Hammer-Sichtung. Ich schätze, bei der geringen Lichtverschmutzung auf La Palma ist es einfacher, den Gegenschein auszumachen, als ein Wölkchen am Himmel. Der Siff hatte sich ansonsten wieder etwas verzogen, trotzdem steckte die nächste horizontnahe Bank bereits in den Startlöchern.
Bevor wir eine Pause machen wollten, peilten wir mit Keksen im Mund auf das südliche Feuerrad M 83. Ein großer, runder, aber leicht unförmiger Nebel mit Balken und Spiralarmansätzen – absolut großartiges Feuerwerk! Als Rausschmeißer ein erneuter Besuch bei Centaurus A und dem Prügel-Kugelsternhaufen, zudem ein schneller Saturn.
01:15 Uhr ruinierten wir uns dann die Dunkeladaption und stapften in die Küche. Norman, der unter akutem Hunger litt, kochte sich ein üppiges Nachtmahl aus Nudeln und Soße, während ich mich an Kaffee und Keksen labte. Eine knappe Stunde gaben wir dem Wolkengesocks Zeit, sich zu verkrümeln, ehe wir, kurz nach 02:00 Uhr, wieder ins Freie traten und feststellten: Alles klar draußen! Die besseren Bedingungen spiegelten sich auch in den SQM-Messungen wieder: 21,72 im Durchschnitt. Die Milchstraße im Skorpion und Schützen, der gigantische Bulge, den ich nur von Fotos kannte und der „live“ ein überragend unwirklicher Anblick war, kletterte gerade über die Süd- und Osthänge. Für mich persönlich ein mit Sternhaufen reich gedeckter Tisch…
Nachdem wir das Teleskop noch einmal verrückt hatten, wagte ich den Sprung in die Südregionen und peilte auf NGC 5460, einem Sternhaufen im Zentaurus. Wow! Eine langgestreckte Schlange aus vielen Mitgliedern zeigte sich; aufgelöst und in verschiedenen Ketten und Mustern verklumpt. Das Haufenzentrum wurde von einem Viereck gebildet. Im 12er sprengte das Teil das Gesichtsfeld – superschön! Norman lag im Gras rum, während ich mit der Zeichnung beschäftigt war.
Wir besuchten ein weiteres Mal die tolle M 83, und tourten über diverse weitere Galaxien, zu denen ich mir nichts notierte: NGC 4565, Hering & Hockey, „the Box“. Ich entschied mich zu einem kleinen Muntermacher-Läufchen, wofür ich mich auf die Straße vor der Haustür begab. Dass das ein aussichtsloses Unterfangen war, stellte ich schon nach wenigen Metern fest, denn ich konnte den Weg nicht erkennen. Es war stockfinster. Links muss eine Felswand aufgeragt haben; rechts gings, hinter niedrigem Gestrüpp, stramm den Abhang runter. Die paar Zentimeter, die ich da im Falle eines falschen Schrittes gehabt hätte, waren mir zu wenig Spielraum; selbst die extrem helle Rotlampe hätte mich nicht sicher auf der Spur halten können. Ich verlor schon nach 20 Metern komplett die Orientierung. Als auch noch irgendein kleines Teil im Dunklen das Licht reflektierte, das ich nicht zuordnen konnte, wurde mir der Ausflug zu gruselig und ich kehrte schnellstmöglich zur Finca zurück.
Am Teleskop hatte ich die Möglichkeit, einen südlichen Sternhaufen einzustellen, der sich sofort (wie es auch Norman ergang) in meine Top-3-Liste einbrannte: NGC 6231, der „Baby Scorpion“. Zu dem notierte ich mir lediglich ein „!“, für den Rest lasse ich die Zeichnung sprechen. Was für eine wunderschöne, reiche Gruppe!!
Nur wenig nördlich davon wartete NGC 6242, dessen Sternketten irgendwie ein „X“ nachformten und bis ins Zentrum hinein aufgelöst waren. Ein roter Stern fiel auf; doch leider litt die gesamte Skorpion-Region unter einer dünnen Wolkenschicht, sodass der Haufen auch nicht so brillant wirkte, wie es ihm eigentlich möglich gewesen wäre.
Kontrollblick hinauf um 04:10 Uhr: Der schöne, arme Südhimmel war tatsächlich zugezirrt, während insbesondere die Ecke zwischen Schwan und der Großen Bärin frei und dunkel war. Eine fantastische Ruhe herrschte; lediglich das leise Grillenzirpen war zu vernehmen und später krähten die Hähne der benachbarten Fincas und Bauernhöfe. Wir lagen müde auf der Decke auf dem Boden und lauschten. Langsam wurde ich doch schläfrig.
Aus unerfindlichen Gründen stellten wir zum Abschluss noch eine Galaxie ein, die sich im Kleinen Bären befindet, NGC 6217. Hell, oval, gut abgegrenzt und mit einem stellaren Kern und einer ebenfalls stellaren Aufhellung am Rand. Die kräftigen Spiralarme hatte ich anscheinend nicht gesehen, obwohl sie auf Bildern fast schon unübersehbar daherkommt.
Ich lag auf dem Boden rum oder ging unmotiviert umher, während Norman sich noch vergeblich mit dem Suchen irgendwelcher Objekte rumquälte, die nicht mehr im Okular auftauchen sollten. Es war 05:00 Uhr. Jetzt war selbst die Leier etwas verschleiert und wir bereiteten das Einpacken vor. Erschreckende Feststellung, als wir die Decke vom Boden hoben: Überall Kletten und trockene Grashalme, die sich in den groben Wollstoff verfangen hatten. Na prima, das wird ein Spaß, die hinterher wieder zu entkeimen. Aber das sollte zumindest an diesem Morgen kein Thema mehr sein.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
09.05.2014, Magdeburg