13.03.2013 - Beobachtungen auf der Kreuzung

Der Hype um PANSTARRS ist ja zurzeit unumgänglich, fast schon schlimmer als die Papstwahl. Den Vorschusslorbeeren wurde der Komet bisher nicht so ganz gerecht, und so gurkt dieser kleine Klumpen irgendwie irgendwo, noch in der Dämmerung, knapp überm Horizont lang. Mein Interesse war eher… gering… Aber da ihn meine lieben Mitbeobachter so früh wie möglich ablichten wollten, wurden Pläne für die nächste Nacht geschmiedet und hochwissenschaftliche Berechnungen und Analysen ergaben, dass man vom Jägerplatz aus beste Horizontsicht hat. Glücklicherweise befanden wir uns mitten unter einem wolkenfreien Streifen, der uns zumindest während der ersten Nachthälfte klaren Himmel bescheren sollte.


So kam es dann also, dass wir schon sehr früh in den Fläming losfuhren. Da die Sonne noch schien, konnte ich unterwegs ein paar Bilder von der Gegend des Platzes machen. So sieht die abenteuerliche Anfahrt aus…

Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichten wir unseren Lieblingsstandort und freuten uns über den karminroten Glutball, der gerade in den dunstigen Horizontschichten versank. Doch die Freude hielt nicht lang an. Ein kleiner Renault-Transporter kam den Fahrweg hochgeschossen, direkt auf uns zu. Mir war gleich klar, wer uns da besuchen wollte: Ein Jäger. „Die Sterngucker schon wieder! Ah, so ein Mist! Ich wollte heute hier die Sauen jagen. Das ist die letzte Gelegenheit, wo der Schnee liegt. Und der Wind stimmt heute – und dann seid ihr wieder hier. Ausgerechnet hier, wo ich mir was für die Sauen gebaut habe. Arrrgh!“ Der Mann ärgerte sich, blieb aber freundlich und lachte sogar. Uwes Verhandlungen bewirkten, dass wir zwar wegfahren mussten, uns aber an einem anderen Punkt auf dem Acker platzieren „durften“, wo wir nicht störten. „Das ist mir egal, ihr macht ja keinen Krach. Hihihi.“ Und so verschwand er wieder, und auch wir wendeten das Auto und rauschten ab. Tja, der Jägerplatz hat seinem Namen wieder alle Ehre gemacht…

Es folgte die Einweihung des neuen Standortes „Kreuzung“, etwa 900 m entfernt. Die Rundumsicht dort war auch gut, aber es fehlte der Windschutz durch den Wald und es kam mir vor, als würde man im Flur stehenbleiben. Das Auto stand halb auf dem Acker, damit man überhaupt Platz zum Aufbauen hatte. Es dauerte nicht lang, bis auch Martin eintraf – und es blieb mal wieder nur bei uns Dreien.

Eine zarte Mondsichel stand im Westen und die kitschigen Dämmerungsfarben wurden mit jeder Minute intensiver. Bereits -7°C. Warum muss es nur immer so kalt sein, wenn wir rausfahren? Uwe und Martin gerieten wegen PANSTARRS halb in Panik, während ich den 16-Zöller aufbaute und Stimmungsbilder produzierte.

Irgendwie war diese PANSTARRS-Manie ansteckend und ich schaute oft in den dunstigen Westen, obwohl ich nicht wusste, was man von dem Kometen erwarten konnte. Mit bloßem Auge nichts zu machen. Uwe vermeldete bald eine erfolgreiche Sichtung im Refraktor: Und tatsächlich! Mit hellem Kopf und einem breiten Schweif präsentierte sich C/2011 L4 PANSTARRS im Okular. Vom Jagdfieber ergriffen rührte ich mit dem Dobson eine Weile ziellos herum (Sucher war noch nicht eingestellt), bis ich ihn schließlich auch fand. 19:20 Uhr. Ähnlich wie im Refraktor zeigte sich ein sehr heller Kern, von dem sich der asymmetrische, abgeschrägte Schweif in den Norden auffächerte. Durch den niedrigen Stand war er zudem rot eingefärbt. Naja, besonders hell oder groß war er nun nicht. Eigentlich eher enttäuschend. Und um dieses Ding machen gerade alle so ein Bohei?? – Okay okay, ich gebs ja zu, ich freute mich auch über die Sichtung.

Nachdem ich 20 Minuten lang damit beschäftigt war, mich in die Kälteklamotten zu quengeln (ein Kampf, jedes Mal!), war der Komet in der dunklen Wolkenbank untergegangen und die Fotografen waren wieder ansprechbar. Diese herrlich frische Fläming-Luft und diese Ruhe! Es wurde dunkel; die spitze Pyramide des Zodiakallichtes schoss steil empor und reichte knapp bis an die Plejaden heran. Leider hing reichlich Dunst in der Luft und die Ortschaften ringsum strahlten viele kleine Lichtkegel hinauf. Die Bedingungen waren eher mau.

Erstes Objekt sollte NGC 2419 sein, ein Kugelsternhaufen (iehh) im Luchs. Auch bekannt als „intergalactic wanderer“. Ja ja, wander du mal. Ein Restposten aus der Herschel-Liste, ansonsten würde ich mir den nicht ansehen. Ein problemloses Objekt, das bei 200x gemottelt wirkte, jedoch nicht aufzulösen war. Lag vielleicht am noch „heißen“ Spiegel. Das Zentralgebiet war nur mäßig hell und der Kugelhaufen schien ganz leicht oval.


Ah, und nun ging es auch schon los. Durch den Schnee unter den Stiefeln rutschte ich auf der Leiter umher und meine Handschuhe froren sich an den Metallstangen des Dobson fest. Meine Finger brannten. Na, das kann ja noch was werden. „Kaffee?“, rief Uwe. „JAA!“ Die beste Idee in dieser Situation. Zu dritt hielten wir ein kurzes Kränzchen ab und besprachen die Lage. Na joah, war schon mal besser. Die Wintermilchstraße war kaum zu erkennen; ich schätzte die Grenzgröße auf maximal 6,2. Der Jäger war schuld. Wir fragten uns, ob er schon seine Sauen geschossen hatte. Kaffee und das vereiste Brötchen stärkten mich und so ging ich voller Tatendrang zurück an die Arbeit.


Den 16-Zöller fast parallel zum Boden ausgerichtet, wollte ich die letzten Offenen Haufen im Achterdeck endlich erledigen. Den Anfang machte NGC 2489 – die erste Riesenenttäuschung. Eine grenzwertige Wolke in der Übersicht, die sich bei 129x in 15-20 schwache Sterne auflöste. Schwierig. Sie standen in einem dichten, eckig-ovalen Ring und wiesen ähnliche Helligkeiten auf. Die Dichte nahm zur Mitte hin kaum zu.


Auf dem Weg zu einem H-400-Haufen hatte ich mir Haffner 26 als Zwischenstopp markiert: ein noch unscheinbarerer Cluster ohne Haufencharakter. Ich sah nur sehr wenige und sehr schwache Sterne in Dreiecksanordnung. Bei indirektem Sehen schien sich entlang der einen Seite eine schwache Sternkette auszubilden. Sehr grenzwertiges Objekt.


Ich musste mich damit abfinden: Alles, was da unten rumsprang, litt beträchtlich unter dem lichtstreuenden Dunst. Die Haufen durchwanderten allesamt die Glocke von Dessau. Super. Nur 30‘ von dem umwerfenden Haffner 26 lebte NGC 2567, der von all denen noch die beste Figur machte. Ich sah ein W-O-liegendes Rechteck, an dessen Ostende noch eine Sternkette senkrecht in den Norden zeigte. Hätte Ähnlichkeit mit einer Fahne. Der Haufen war in etwa 17 Mitglieder aufgelöst, die fast gleichhell waren. Die meisten davon konzentrierten sich in dem Rechteck und bildeten dabei eine auffallende Kreuzform. Insgesamt ein fader Anblick.


Ein Stückerl nördlich statteten wir NGC 2571 einen Besuch ab. Zunächst fielen mir nur zwei dominante helle Sterne auf, bis ich dann erkannte, dass sich um sie herum ein paar lose, schwächere Sonnen verstreuten und dabei ein spitzes Dreieck bildeten, das in den Osten zeigt. Ein recht armer Cluster mit nur 10-12 Mitgliedern.


Die absolute Krönung dieses Trauerspiels war jedoch NGC 2627. Erst nach langem, optimistischem, geduldigem Hinsehen tauchte ein Grüppchen loser, grenzwertiger, verstreuter Sterne auf. Abgesehen von einer leichten Verdichtung zeigte sich kein Haufencharakter und das Objekt verschwand ständig. NGC 2627 war nicht aufzulösen und die Anzahl der paar Einzelsterne nicht zählbar.


Puhh. Ein Etappenziel war damit geschafft und die tiefen Winterhaufen der Herschel-400-Liste endlich erledigt. Es war 21:15 Uhr. Mein rechter Fuß hatte die Eisbeinphase gerade hinter sich und begann nun wehzutun, nachdem das Blut wieder in die dortigen Adern zurückströmte. Oh, wie herrlich. Uwe, der nichts anderes zu tun hatte, als auf seine Bilder zu warten, lief hin und her und von Martin war kaum etwas zu hören. Auch ich schwieg die meiste Zeit, weil ich den Kuli im Mund hatte, damit die Tinte möglichst warm blieb. Apropos – Ein bisschen Aufwärmung tut bestimmt ganz gut und so rannte ich ein paar Meter den Feldweg lang. Wir fragten uns, ob mittlerweile ein neuer Papst gewählt wurde.


Nun ging es in die Hydra. Den Planetarischen Nebel Abell 33 hatte ich mir markiert, ohne zu wissen, worauf ich mich da einließ. Entsprechend unsicher war ich bei der Beobachtung. Im 14er+OIII sah ich einen sehr schwachen Stern, den ein fader, grenzwertiger, runder Nebel tangierte. Er war zwar dauerhaft haltbar, aber eventuell war es eine Einbildung. Bei 200x bestätigte sich die Position, am Eindruck änderte sich jedoch nichts. Besonders gut reagierte das Objekt auf ein kurzes Anstuppsen des Teleskopes – dann war es am einfachsten zu sehen.


Das eigentliche Ziel in dieser Gegend war jedoch die Galaxie NGC 2974, mit der ich nun die nächste Objektklasse einläutete. Das Besondere an ihr war die Nähe zu einem 10-mag-Vordergrundstern, der sich unmittelbar östlich befand. Die Galaxie zeigte sich in länglicher Gestalt (1:2,5) und war NO-SW-ausgerichtet. Ein helles Zentralgebiet, umgeben von einem bauchigen Halo. Bei 200x wirkte sie breiter (1:2) und gut vom Hintergrund abgegrenzt. Der Kern war eher schwach.


Meine Armbanduhr war vereist, doch dass es 22:15 Uhr war, erkannte ich trotzdem. Uwe rief zum zweiten Mal zum Kaffee. Die Bedingungen hatten sich etwas gewandelt: Am Westhorizont waren mittlerweile einige hell beleuchtete Wolkenstreifen aufgetaucht und im Süden zog eine schmierige Front auf, die bereits bedrohlich hoch stand. Der restliche Himmel war klar, aber nach wie vor trübe wirkend. Als hätte man einen dünnen Schleier aufgespannt, der den Sternen die Brillanz raubte. Der Orion hatte die ganze Zeit über eine traurige Figur gemacht und je weiter er in den Westen wanderte, desto mehr gingen ihm sprichwörtlich „die Lichter aus“. Die Kälte… Naja, man gewöhnt sich dran. Ich fror nicht, obwohl ich die Extremitäten nicht mehr spürte. Aber irgendwie kommt man trotzdem klar.


NGC 3156 im Sextanten war eine Galaxie, die sich bei einem markanten Rautenmuster aufhielt. Ich hatte Probleme, die Form zu erkennen und konnte mich nicht zwischen „länglich“ und „oval-breit“ entscheiden. Die Tendenz ging bei höherer Vergrößerung zu letzterer Möglichkeit. Ein nur mäßig helles Zentrum mit einem stellaren, lichtschwachen, dauerhaft haltbaren Nucleus. Keine Details.


Sie war, zumindest wirkte es auf der Karte so, das westlichste Mitglied einer kleinen Galaxiengruppe, von der ich noch drei weitere Repräsentanten ausmachen konnte, obschon ich mich bei der Identifikation etwas verzettelte. NGC 3169 zeigte sich als ein heller und ovaler Nebel mit einem Achsenverhältnis von 1:2. Die kräftige, kernlose Zentralregion grenzte sich gut vom Galaxienrest ab und bei indirektem Sehen ging der ganze Nebel mehr in die Breite.


Im selben Gesichtsfeld zeigte sich NGC 3166, die ein wenig heller daherkam. Eine ovale Gestalt und ein sehr kräftiger, runder Kernbereich, der sich markant abgrenzte. Doch auch hier gingen sich keine Details aus. Westlich von ihr konnte ich bei 200facher Vergrößerung die kleine NGC 3165 ausmachen, die das Vierergrüppchen komplettierte. Sie war vergleichsweise schwach, aber sicher haltbar.


23:00 Uhr! Im Schleppschritt rannte ich den verschneiten Feldweg nach Westen, genau auf den sinkenden Orion zu. Die schmierige Wolkenfront, die im Süden aufgezogen war, schien mittlerweile wieder Höhe verloren zu haben, aber die Bedingungen in der Gegend waren dennoch schlecht. Hinter mir ragte die Lichtglocke von Potsdam und Berlin ungewohnt hoch in die Höhe – normalerweise war sie zum Großteil von der Waldkante verdeckt. Darüber konnte sich heute Abend der Jäger freuen. Aber der wird wohl eher nach seinen Sauen Ausschau halten.


Nun ging der Schwenk in eine völlig andere Richtung: Steil nach oben, Zenitgegend. Zeit für die Leiter! NGC 3898 war eine Galaxie im Kasten des Großen Wagens. Sie zeigte sich mit NGC 3888 in einem Gesichtsfeld, war aber bedeutend heller. Bei 129x eine elongierte Gestalt, 1:3, wobei sie blickweise noch etwas länger wirkte. Ein kräftiger Kern in einer linsenförmigen Galaxienscheibe ohne Details.


Die Umstände der Beobachtung wurden immer schlimmer. Überall – auf der Ablage, auf den Aufsuchkarten, auf dem Buch – hatte sich eine feine, glatte Eisschicht gebildet. Niedriger Reibungskoeffizient. Sie musste vom Papier gekratzt werden, damit der Kuli wenigstens noch ein bisschen schrieb. Vergeblich. Die Schneeschicht auf den Stufen und unter den Stiefeln machte das Besteigen der Leiter zu einem wackligen, rutschigen Abenteuer. Die Papierkarten lagen auf dem Boden verstreut; ich latschte ständig unfreiwillig darauf herum. Bevor man sie lesen konnte, musste der Schnee weggewischt werden. Als dann noch der vereiste Karkoschka und der Rest der Karten von der Ablage rutschten und sich lautstark auf dem Boden verteilten, riss mir der Geduldsfaden. „Ich KANN so nicht arbeiten!!“, rief ich genervt. Es war schon skandalös, was hier für Zustände herrschten.


Aber zurück zu den Galaxien. NGC 3888 war kompakter und runder als ihre Nachbarin und stellte sich als homogene Fläche dar. „Runder Bausch“, schrieb ich. Sie schien an Nord- und Südseite etwas abrupter abgeschnitten, was ihr eine oval-kantige Form verlieh.


Ein gutes Grad östlich von den beiden befand sich eine weitere, sehr schöne Galaxiengruppe, in der ich mich ein wenig verlor. Uwe baute bereits ab, und so investierte ich wenig Zeit für eine ausführliche Beschreibung. NGC 3982 präsentierte sich als eine nahezu kreisrunde, homogene Wolke, deren Helligkeit zur Mitte hin kaum zunahm. Daneben tauchte mit NGC 3972 eine langgestreckte Lichtnadel auf, die einen schönen Kontrast dazu bildete. Darüber befand sich die unscheinbare NGC 3977/3980 – warum besitzt das Ding zwei Nummern? 10‘ östlich von ihr erschien NGC 3998 als auffälliger und dominanter Nebel, strukturlos und oval, und zudem begleitet von einer blassen NGC 3990. – Eine sehr schöne, lohnenswerte und helle Galaxiengruppe, der ich mich unbedingt noch einmal widmen sollte. Das Highlight des Abends!

23:30 Uhr. Uwe war fertig mit dem Abbau. Ich schlitterte vom Tritt und begann ebenfalls, die vereiste, glitzernde Ausrüstung zusammenzukramen. Die Schnellspanner am Teleskop waren recht störrisch, die Stangen taten – trotz Handschuhen – an den Fingern weh und der flache Dreifuß klebte im Boden fest. Was für eine Kälte. Das Autothermometer zeigte -11°C. Auch der Jäger hatte genug, denn als wir um Mitternacht aufbruchsbereit waren, kamen die Scheinwerfer seines Renaults auf die Kreuzung zugefahren. Er hielt kurz an, um zu berichten, dass er danebengeschossen hatte. Ach, das tut uns total leid – hat er seine Sauen also doch nicht erwischt!

 


Ein Beobachtungsbericht von AKE

Magdeburg, 14.03.2013

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