Seit dem letzten Ausflug nach Hobeck waren zwei weitere klare Nächte ins Land gezogen, die wir aber nicht genutzt haben. Und als ich die nächste positive Prognose sah, bekam ich fast einen Koller. Wo kommt das gute Wetter auf einmal her? Dafür, dass die Hochschule die Klausurenphase in den schönen Juli gelegt hat, gehört denen der Hintern versohlt. Aber: Astro ist, wenn man trotzdem guckt.
Dass die Bedingungen nicht soo doll werden würden, deutete sich schon früh an, da die Horizonte dunkel und schmierig aussahen und die Abendsonne durch hohe, dicke Luftschichten getrübt wurde. Spät fiel der Startschuss zum Losfahren, und währenddessen klatschten wieder die Insektenwolken gegen die Windschutzscheibe. 22°C – wozu fahre ich eigentlich noch die Polarschuhe spazieren? Etwa 23:15 Uhr den Platz erreicht und von den Mücken willkommen geheißen, hörten wir aus weiter Ferne ein lautes, hohes Brummen. Vermutlich irgendein landwirtschaftliches Gefährt, was unbedingt zu dieser unchristlichen Zeit stundenlang den Acker bei Kleinsiehstmichnich umbuddeln muss. Dass uns dieses herrlich monotone, nervtötende Geräusch die gesamte Nacht über begleitete, möchte ich, der Vollständigkeit halber, nur jetzt am Anfang erwähnen und ansonsten nie wieder daran denken.
Zwischen mir und meiner Blauen Tonne hat sich mittlerweile ein routiniertes Verhältnis entwickelt. Wir sind ein eingespieltes Team geworden, hoffentlich noch für eine lange Zeit. Aufbauen geht flink, Nutzung problemlos, Abbauen geht flink. Mann, ist das herrlich.
Das Seeing sollte ganz gut werden, doch der Himmel über uns war noch lange durch die helle Restdämmerung geprägt, auch wenn es bereits straff auf Mitternacht zuging. Naja, irgendwas ist immer. Entweder habe ich mich dran gewöhnt, oder die Mückenplage war an diesem Abend nicht ganz soooo schlimm wie noch am Wochenende; zumindest schien es weniger zu summen. Nachdem ich mich häuslich eingerichtet hatte, wurde der Fahrplan für die Nacht konsultiert. Am Nachmittag hatte ich den Drucker bemüht, damit endlich saisonale Kost ins Okular kommt, und ich nicht aus Verlegenheit in der Cassiopeia rumlungere.
Zunächst versuchte ich mich an Alessi 31, ein größerer Haufen an der Grenze zwischen Ophiuchus und Serpens. Diese Region stand leider schon ziemlich tief und fast mitten in der Suppe, sodass der Anblick dieses Objekts sehr enttäuschte. Die Gruppe war einfach auszumachen, aber es handelte sich nur um eine Handvoll verstreuter, (vermeintlich) schwacher Sterne nahezu gleicher Helligkeiten, die sich aus dem hellen Hintergrund hervorquälten. Es blieb bei einem flüchtigen Blick, den mach ich ein anderes Mal.
Jetzt ging die Reise in den Herkules, wo Le Drew 8 zu finden ist. Ein leichtes Objekt und beim Aufsuchen gut zu identifizieren, aber wieder mal ziemlich unscheinbar. Eine zunächst vielversprechende, lose Häufung einiger schwacher Sterne, aus der die vier hellsten Mitglieder hervorstechen. Bei 129x hielt sich meine Begeisterung leider in Grenzen. Eckig geformt, aufgelöst in etwa 15 Sterne, keine zentrale Konzentration.
Während der Zeichnung spürte ich die Stiche der Blutsauger an den Fingern und musste die Handschuhe vorholen, obwohl mir schon so warm genug war. Außerdem ertönte aus dem südwestlichen Teil des Waldgebiets plötzlich ein lauter Knall mit deutlichem Echo. War wohl der Jager wieder auf der Pirsch. Aus den Augenwinkeln nahm ich immer wieder Lichter war, die in dieser Richtung aufblinkten und sich hin- und herbewegten. Uwe vermutete, dass der Jager sein geschossenes Wild suchte, es aber nicht fand. Tatsächlich waren die Autoscheinwerfer (glücklicherweise vom Weizenfeld verdeckt) etwa eine Stunde lang dort zugange.
Auf der anderen Seite des Berlingos wurde gerade der Komet C/2010 S1 LINEAR aufgenommen, der kürzlich einen Ausbruch erlitten hatte.
Unweit vom Vorgänger entfernt befindet sich Patchick 29, der ebenfalls sehr leicht aufzuspüren war. Bei 56-facher Vergrößerung blieb es zunächst bei einer kleinen, dezenten Wolke länglicher Gestalt, die nur wenig auffällt. Allerdings zeigte sie sich bereits grieslig und einige Einzelsterne lösten sich heraus. Bei 129x waren es etwa zehn Mitglieder, die ich zu diesem Haufen zählte; allesamt schwach. Das hellste von ihnen befand sich an der Nordspitze des krummen Dreiecks, das das Objekt darstellte. Trotz der geringen Größe war eindeutig ein Haufencharakter festzustellen, super! Eine schöne Überraschung.
Während ich die nächste Aufsuchkarte auswählte, warf ich einen kurzen Blick hinauf und war fast schon überrascht, wie klar die Milchstraße zu sehen war, trotz des dünnen Schmierfilms in der Atmosphäre und der Dauerdämmerung. Es ging weiter mit Teutsch 1825+26, der an der östlichen Herkules-Grenze in einer reichen Umgebung und unmittelbar südlich eines markanten, spitzen Sterndreiecks lag. Hey, cool. Eine trapezförmige oder dreieckige Gruppe, die bereits in der Übersicht aufgelöst war. Die drei hellsten Sterne dominierten den Anblick deutlich. Durch die restlichen Mitglieder, die sich überall in kleinen Mini-Grüppchen zusammenklumpen, wurde das Dreieck zu einem achteckigen, fast symmetrischen Polygon ergänzt. Dieses allerdings blieb sternleer. – „Ich hab‘ grad ‘nen Haufen, der ist super, den musst du dir anschauen.“ Uwe schien meine Begeisterung aber nicht zu teilen. „Wo ist da jetzt ein Haufen? Ich seh nix. – Ach, das da. Das soll ein Haufen sein?“ ... Pah. Also, ich fand den super.
Der nächste Augenverbieger hieß Patchick 51, der meine letzte verbliebene Konzentration auffressen sollte. Im 32er-Aufsuchokular ging eine schwache, aber eindeutige Wolke her, in welcher ein einziger Einzelstern herausstach. Nicht aufzulösen, aber man konnte einen gewissen Reichtum erahnen. Dies bestätigte sich bei höherer Vergrößerung, und wiederum war ich begeistert. Die Wolke zerfiel in mehrere schwache Sterne, die ziemlich eng beisammenstanden. Dadurch, dass sie zur Mitte hin ein wenig dichter standen, war ein leichter Haufencharakter nachzuvollziehen. Ein super Teil, würde sich bei besseren Bedingungen sicherlich nochmal lohnen.
Während des Zeichnens merkte ich, wie schlapp ich eigentlich schon war, denn das möglichst genaue Kartieren der engen, schwachen Lichtpunkte dieses Haufens war ermüdend. 01:50 Uhr. Es flogen nur noch wenige Mücken durch die Gegend. Im Gegensatz zur letzten Beobachtung war es diesmal sehr trocken, aber die trübende Schicht in der Atmosphäre hielt sich noch immer. Dadurch, dass sich der Himmel nun wieder erhellte, erkannte man die verschmierten Wolken in Horizontnähe sehr gut. Irgendwas ist dort, irgendeine Suppe. Wir analysierten die Bedingungen. Ich hätte noch einen Haufen im Gepäck, aber als ich sah, dass es einer von den großen, versprengten Exemplaren war, für die man genügend Geduld und Konzentration aufbringen musste, verließ mich die Motivation. Wird ja eh schon hell, lohnt sich nicht mehr, so ein Riesenteil dauert viel zu lange…
Und so packten wir, unter den üblichen Klängen von Pink Floyd, zusammen und beluden den Wagen. Ach, war das wieder schön, auch wenn man effektiv nur zwei „dunkle“ Stunden nutzen kann. Temperaturen von 18°C; eigentlich kurze-Hosen-Wetter, aber dann riskiert man, von den Flugsauriern aufgefressen zu werden. Meine schönen armen Beine. 02:30 Uhr war Abflug gen Schönebeck.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Magdeburg, 10.07.2013