22./23.07.2009 - Eine lange Nacht auf dem Gletscher



(…) Wieder oben, begann ich, in Warpgeschwindigkeit meine Sachen zu packen. Wie mein Zimmer dabei aussah, war mir herzlich egal - ich schmiss alle Sachen aus dem Schrank, um an die Kälteklamotten zu gelangen, die irgendwo in den hintersten Ecken versteckt waren.

Ich war äußerst gut gelaunt, mir machte dieses hektische Packen viel Spaß. Mehrmals ging ich im Kopf durch, was ich vergessen haben könnte, und als ich überzeugt war, dass ich alles dabei hatte, brach ich auf. Robert stand mit Karen im Flur und ich schickte auf dem Weg nach unten noch mehrere Dankesgrüße hinauf. Draußen war es schon dunkel und immer noch sehr windig. Ich konnte die Anderen sehen, die sich im Aufenthaltsraum befanden und miteinander erzählten. Martin packte den restlichen Kleinkram in den Wagen; die Kameratasche behielt ich wie immer in den Händen. Er erzählte mir etwas über die Rotlichtfolie, die vor dem vorderen Licht angeklebt war. Sehr coole Idee... Mir war in meinen Kleidungsschichten ziemlich warm; Martin hatte das gleiche Problem und überlegte, als wir schon fast bei der Mautstelle waren, ob er nicht kurz anhalten sollte, um etwas Ballast loszuwerden, tat es aber doch nicht. Er sprach dauernd von Kühen auf der Straße und schien es fast zu bedauern, dass keine unseren Weg kreuzten. Stattdessen berichtete er von einem anderen Tier (Rehe? Wildschwein? Weiß ich nicht mehr), das am Wegrand stand. Ich hingegen konnte nur von einer Katze erzählen, die am Sonntag auf dem Asphalt lief.


Nach der Mautstation ging es die Serpentinen hinauf. Leider war es schon zu dunkel, um die tolle Landschaft zu bestaunen. Eigentlich hatte ich die windigen Verhältnisse schon wieder vergessen, denn im Auto merkte man davon überhaupt nichts. An Kehre Nr. 5 oder 6 wurden wir von einem bläulichen Licht und einem weißen Tuch überrascht, welches nahe der Kurvenspitze am äußeren Rand stand. Martin und ich waren verwundert und spekulierten, um was es sich dabei handeln könnte. Als wir uns der "Kreuzung" näherten, begannen wir, uns über die brennenden Laternen aufzuregen, denn wir konnten einfach nicht verstehen, warum die angelassen wurden. Die Straße führte uns durch den Tunnel. Als wir am Beobachtungsplatz ankamen, fanden wir nur das einsame Auto von Thomas bei ihrem normalen Aufbauort vor - kein Mensch, keine Instrumente. Martin öffnete sein Fenster und nun bemerkte ich erstmal, wie windig es immer noch war. Thomas stieg aus, kam zu uns und meinte, dass wir uns unmöglich auf dem Tiefenbach platzieren konnten, weswegen wir es auf dem Rettenbach probieren wollten. Schließlich war er etwas windgeschützter. So war es beschlossen! Thomas und Uwe fuhren gleich los; Martin dagegen musste erst drehen und zog anschließend seine Jacke aus.


Auf dem Rettenbach schien es tatsächlich weniger windig, aber es zogen einige Wolken über den Himmel. Wir positionierten uns in einem formschönen Viereck und berieten über die Situation. Auch ich wurde gefragt, was ich davon hielt. Eigentlich war mir der Wind ganz egal; Hauptsache, meine Zettelwirtschaft fliegt mir nicht weg. Martin sah das so ähnlich, aber noch bauten wir nicht auf. Stattdessen standen wir weiter dort, beobachteten das Wetter und die Gespräche drehten sich um diverse Filme, u.a. "Raumschiff Enterprise" und "Contact" und um die kuriose Tatsache, dass man sich Filme, die man auf DVD hat, immer im Fernsehen ansieht, wenn sie gesendet werden. Nachdem sich die ISS kurz hatte blicken lassen, wurde sich vorgestellt, wie über uns ein UFO mit blinkenden, bunten Lichtern niedergeht und die Aliens eine Invasion starten. Interessanter Gedanke, der mich noch lange verfolgte; hatte wohl wieder etwas mit einem mir unbekannten Film zu tun. Ich sah zum untergehenden Schützen und verfluchte mich innerlich selber, denn fast alle Objekte, die ich am Spätnachmittag herausgesucht hatte, befanden sich in dieser Region. Ich hatte gedacht, wir würden am Tiefenbach beobachten. Es war noch recht diesig, vor allem im Osten (den linken unteren Stern vom Pegasus konnte man in dieser Suppe nicht erkennen), aber die Bedingungen wurden langsam besser. Je fortgeschrittener die Dämmerung war, desto klarer zeichnete sich die Milchstraße ab. Es war überhaupt nicht kalt; im Gegenteil, es war, für diese Verhältnisse, sehr angenehm mild.


Nach 23:00 Uhr starteten Martin und ich den Aufbau unserer Geräte. Da ich meine grüne Decke gar nicht dabeihatte (die lag in Andreas' Auto), war ich auf Martins Tisch angewiesen, den er, für uns beide gut erreichbar, neben dem Wagen aufstellte. Meine Befürchtungen bestätigten sich bereits, als ich im ersten Buch blätterte - die Seiten flatterten wild umher. Deswegen griff ich zu diversen Hilfsmitteln, mithilfe derer ich sie beschweren konnte, z.B. meine letzte Banane (was Thomas erheiterte) und meine Wasserflasche. Auch meine kleinen Zettel, auf denen meine Beobachtungsobjekte aufgelistet waren, drohten zu verschwinden. Martin ließ seine Lektüre gleich im geöffneten Kofferraum und riet mir ebenfalls dazu, was ich kurz darauf umsetzte. Nur noch die Okularkiste stand auf dem Tisch. Es war so mild, dass ich meinen hässlichen Adidas-Pullover nicht brauchte und ihn als "Kniedämpfer" benutzte, wenn ich in tiefere Deklinationen vordrang. Als ich NGC 40, einen PN im Kepheus, beobachtete, kam Thomas hinzu, um zu fragen, was ich gerade anvisiert hatte. Sein Gerät hatte er nicht aufgebaut und nach dem Besuch bei mir zog er zu Martin weiter. Beide sprachen viel miteinander, vor allem über die beobachteten Objekte, wovon ich mich stellenweise inspirieren ließ (Cirrus, Christensen). Oft wunderte ich mich über das Licht, das ein paar Meter vor mir am Abgrund leuchtete und fragte mich, wer da seine Lampe angelassen hatte. Irgendwann fiel mir ein, dass eine Frau (die Mutter vom Sautenser Martin) zu unserem Astrotreffen kommen wollte. Scheinbar hatte ihr Uwe erzählt, dass wir zum Tiefenbach fahren wollten und nun hatte jemand die Lampe dort drapiert, um ihr zu bedeuten, wo wir waren. Aber weder kam ein weiteres Auto zu uns, noch sahen wir Scheinwerfer in den Tunnel fahren.


Der Wind flaute langsam ab, frischte in einigen plötzlichen Böen jedoch öfters auf. Die beiden Dobsons standen manchmal derart günstig, dass der Wind sie zum Röhren brachte. Während diese akustische Erscheinung ganz harmlos war, ärgerte ich mich über das ständige Wegdrehen des Tubus. Nicht selten geschah es, dass ich mich vom Teleskop entfernte und es, als ich wiederkam, völlig woanders hinzeigte und ich das Objekt neu aufsuchen durfte. Das Gespräch bei meinen Nachbarn drehte ich irgendwann um Komet Christensen und auf Uwes Tipp hin liehen sich Martin und Thomas meinen halb zerknüllten Ausdruck aus. Mir war auch danach, ihn noch einmal zu beobachten, versuchte ihn, aufgrund der einfachen, günstigen Lage, ohne Karte aufzusuchen und versagte kläglich. Auch als ich sie wiederbekam, mühte ich mich weiter vergeblich ab und wurde langsam sauer, bis ich ihn endlich fand.


Es war schon weit nach Mitternacht und oft standen wir im Kreis beisammen, um von den anstrengenden Beobachtungen zu pausieren. Ich war sehr gut gelaunt und munter, sodass ich den von Uwe angebotenen Kaffee guten Gewissens ablehnen konnte - schon aufgedreht gut... Ich wusste, dass es die bisher tollste Astronacht sein sollte, die ich in den (damals) 4 1/2 Jahren erlebt hatte. Die Bedingungen waren nicht perfekt, aber vor allem in der kleinen Runde und mit meinem munteren Gemüt lief es für mich prima. Leider nur ließ mich meine Listensammlung im Stich - ich hatte kaum noch Objekte, weswegen ich öfter nur in der Gegend rumstand oder umherlief, als am Okular zu hängen. Umso dankbarer war ich, als ich von Uwe abgelenkt wurde. "Hast du Kopff schon gesehen?", fragte er und ich war kurz davor zu antworten "Was für einen Kopf?!", aber er schob gleich darauf noch den Zusatz "Komet" hinterher. Nein, Kopff kannte ich noch nicht. Sobald er ihn in seinen Atlas eingetragen hätte, würde er Bescheid sagen.


Unterdessen lauschte ich weiterhin den Gesprächen von Martin und Thomas und ließ die Szenerie auf mich wirken. Der Kofferraum war leider nicht ganz so windgeschützt wie angenommen und ich durfte einem wegfliegenden Zettel hinterherjagen, als Uwe mit dem Atlas ankam. Die Gegend, in der der Komet lag, war mir bereits aufgrund der Beobachtung einer Galaxie im Wassermann bekannt. Die markante Sterngruppe war schnell gefunden, im Gegensatz zum Kometen. Ich graste den gesamten westlichen Teil von Aquarius ab, ohne auch nur einen Hauch dieses Objekts zu erahnen. Zufällig stieß ich sogar noch auf meine vorher beobachtete Galaxie, aber bevor ich falschen Alarm ausrief, erkannte ich sie wieder. Auch Uwe, der nach ein paar Minuten vorbeikam, um zu erfahren, ob ich Erfolg hätte, versuchte es, fand das Objekt aber ebenfalls nicht, betonte jedoch, dass er mit Dobson-Teleskopen nicht so gut klarkäme. Ich versuchte es danach noch ein paar Male, vergeblich, bis ich mich wieder auf die Jagd nach weiteren Galaxien im Wassermann machte.


Nachdem ich
NGC 7727 erfolgreich abstreichen konnte und mir überlegte, was ich nun ins Visier nehmen sollte, gab Uwe mir den Tipp, M 11 einzustellen, weil der OS bald hinterm Berg unterging. Kurzerhand tat er das selber und wunderte sich über den kleinen KS südlich davon. Ich wusste ebenfalls nicht, wie das Objekt hieß, was eigentlich ein Armutszeugnis für mich darstellte - NGC 6712 hatte ich kurz zuvor noch auf der Lenzenalm beobachtet. Ich fand diesen Untergang sehr interessant und warf meine ohnehin nicht vorhandenen Pläne aufs Eis und verfolgte M 11. Es dauerte jedoch noch eine ganze Weile; genug Zeit also für die Anderen, auch einmal einen Blick darauf zu werden. Martin beurteilte mein 32er Okular als "ziemlich gut", was mich zwar freute, aber auch wunderte. Meine Hände wurden, wie immer, ziemlich kalt und nur bedingt durch diverse Aufwärmübungen wiederbelebbar.


Es war mittlerweile 03:00 Uhr. Ich sah M 11 und NGC 6712 beim langsamen Untergehen zu. Vor allem letzterer neigte sich unaufhörlich der Bergkante zu und ehe er verschwand, konnten Uwe und Thomas noch einen Blick darauf werfen. Wir waren uns einig, dass es schade war, dass man diese tolle Szene in der Form nicht festhalten konnte. Thomas wunderte sich, was da Kuscheliges vorm Teleskop am Boden lag: "Mein Pullover. Der kann ruhig dreckig werden, ich mag den sowieso nicht." Während ich auf M 11 wartete, schwenkte ich kurz zu
h&chi Persei, freute mich, und sah anschließend den ersten Mars in dieser Saison. Ähnliche Glücksgefühle, wie bei meinem ersten Mars im Zehnzöller am 25.08.2007 (das war einmalig!!!), stellten sich nicht ein; dafür war das Seeing zu arg. Nach diesen kurzen Abstechern kehrte ich zu M 11 zurück, der wieder ein Stück näher an die Kante gerückt war. Bald darauf war beides im Gesichtsfeld sichtbar. Auch dieses Ereignis ließen sich Thomas und Uwe nicht entgehen und ich fand es schade, dass der Haufen so schnell verschwunden war. Thomas überlegte, welches Objekt jetzt im Begriff war, unterzugehen und kam auf M 13, zweifelte jedoch. Sofort schwenkte ich zum Herkules und sah schon im Sucher, dass der KS denkbar günstig über der Bergkante hing, nämlich genau in einer V-förmigen Kerbe. Wir waren von dem Anblick begeistert - so ein Glück muss man erstmal haben! M 13 befand sich direkt in der Mitte des V und ließ sich deswegen besonders gut verfolgen. Vor allem faszinierte mich der Anblick des gestochen scharfen Haufens hinter den unscharfen Bergkanten. Er ging nicht direkt in der Spitze unter, sondern am westlichen Hang - schade, schon vorbei.


Langsam aber sicher machte sich die einsetzende Dämmerung bemerkbar. Das schöne, dunkle Schwarz, dessen Qualität Martin mehrmals in der Nacht mit einem SQM maß (ich erinnere mich noch an den Höchstwert, 21,69), wich einem dunklen Blau. Venus und Mars standen am Osthimmel. Beiden hatten am Tag zuvor meine Ortskenntnisse im Stier stark auf die Probe gestellt, denn ich konnte diese hellen, komischen Sterne nicht zuordnen. Nach dem Venusaufgang dachte ich sogar, dass es das Licht einer fernen Hütte war. Wie auch immer, nach einem kurzen klärenden Gespräch mit Martin, in dem es um den Abstand von Aldebaran zu den Plejaden ging, kam ich wieder zurecht und war mit dem Stier im Reinen. Mein Teleskop brachte ich in Schlafstellung und räumte die ersten Sachen zusammen. Irgendwann war es so hell, dass ich entschloss, die Szene am Osthimmel festzuhalten. Erste Wolken strömten von dort aus dem Tal und schoben sich an den Berghängen im Süden hoch - besonders faszinierend war ein relativ langer, trichterförmiger Wolkenschlauch, der von ganz unten aufstieg. Ich fragte Martin, ob ich eine Autortür öffnen könnte, ohne dass dabei Licht angeht. Nachdem er verneinte ("Eigentlich nicht, nein, normalerweise sollte das ausbleiben, oder??"), holte ich die Kamera, die auf dem Beifahrersitz in ihrer Tasche ihre wohlverdiente Dienstpause genossen hatte. Damit verzog ich mich hinter Martins Auto und verbog sämtliche Gelenke bei dem Versuch, durch den Sucher der am Boden liegenden Kamera zu blicken. Ziemlich bescheuert - also löste ich quasi blind aus. Den Sucher zog ich dem Display vor, da letzteres zu stark leuchtete und ich die Anderen nicht stören wollte, auch wenn ich ja hinterm Auto lag. Martin bot mir ein Stativ an, aber ich lehnte ab.

Die nächsten 20 Minuten, bis 04:30 Uhr, verbrachte ich dort unten mit meiner Kamera. Die Anderen waren beim Abbauen und als sich Martin ans Einräumen machte, packte ich meine letzten Sachen ein und verstaute sie im Wagen. Martin gab mir einen Zettel der noch auf dem Tisch lag. Verwundert stellte ich fest, dass es einer von meinen Listen war (die KS-Liste) und steckte sie weg. Man leuchtete mit Weißlicht den Boden ab, um sich zu vergewissern, dass nichts vergessen wurde und als ich in den Lichtkegel von Uwes Taschenlampe geriet, meinte dieser: "Anne dürfen wir nicht vergessen." - Gute Idee! Müde war ich noch nicht, aber leicht erschöpft. Ich ahnte bereits, dass ich, sobald der Beifahrersitz berührt würde, einschlafe, und so ähnlich war es letztendlich auch. Ich stieg ins Auto, aus dem schon seit dem Abbau Musik drang (irgendetwas Instrumentales, glaube ich). Wir fuhren voraus und als wir die Gletscherstraße hinter uns gelassen hatten, lehnte mein Kopf gemütlich gegen die Fensterscheibe und mich übermannte die Müdigkeit. Mehrmals schreckte ich zwar auf, aber im Grunde genommen verbrachte ich die restliche Autofahrt im Halbschlaf. Deswegen war es relativ schwer, wieder aus dem Wagen zu steigen und die Sachen in die Pension zu schleppen. Thomas und Uwe kamen gleich darauf ebenfalls an. Im unteren Flur wünschten wir uns alle gegenseitig eine gute Nacht (obwohl es bereits Viertel 6 war) und anschließend schlich ich die Treppen hoch. Bevor ich jedoch im Schlaf versinken durfte, musste ich das heillose Chaos auf meinem Bett beseitigen. Als ich halb 6 endlich im Bett lag, drang das helle Dämmerlicht durch die geschlossenen Vorhänge. Jupiter hing nahe des Nederkogels und ich überlegte zuerst noch, diesen Anblick festzuhalten, doch die Müdigkeit war stärker.

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