Ich war natürlich vorbildlich und habe den Atlas konsultiert, um ein paar ähnlich erfreuliche Ziele herauszusuchen. Wahnsinn, was man alles gar nicht kennt und zuvor noch nie gesehen hat: Viel! Früher als geplant (blöder Bereitschaftsalarm) erwache ich aus dem Schlaf und wandele aus dem Haus, um meinen Beobachtungsplatz aufzusuchen. Bisschen ärgerlich: Anderthalb Stunden weniger gepennt als ich wollte, aber so habe ich immerhin mehr Zeit zum Beobachten. Auch nicht schlecht, oder? 00:40 Uhr bin ich startklar. Erneut geht ein leichter, aber sehr eisiger Wind über Feld und Flur. Letzte Zirrusbewölkung zieht ab. Seeing: Grauenhaft. Der Gesamteindruck ist schlechter als vorgestern, aber ich nehme natürlich dankbar alles, was ich kriegen kann, denn ich bin nicht unbedingt in der Situation, wählerisch zu sein.
Karte 20 aus dem DSA habe ich in der Vergangenheit nie bearbeitet und erst vorgestern so richtig realisiert, was da alles noch rumspringt. Bei der Objektrecherche am Vormittag kamen die wildesten Dinge zutage. Die Geschichte startet mit dem Duo
NGC 5406 und
5407
und mit dem unnötigen Vertrödeln von Zeit wegen Aufsuchproblemen. Ist das Ziel endlich mal drin, ist es auch ganz einfach zu sehen. NGC 5406 zeigt sich deutlich schneller. Die Galaxie steht isoliert von dem ablenkenden Sterngebrösel, wo sich wiederum die begleitende NGC 5407 befindet. Ein ovaler, homogener Nebel mit nur geringfügig hellerer Mitte, der bei höherer Vergrößerung auch keine anderen Details offenbaren möchte. NGC 5407 ist hingegen überraschend schwerer und zeigt sich nicht sofort: Nicht nur, weil die Sterne ringsum ein bisschen stören, sondern auch wegen der geringen Helligkeit und Ausdehnung. Nur sporadisch öffnet sich der Blick auf diese kleine, kompakte, schwache Fluse, die mir leicht oval vorkommt. Wirklich schwierig!
NGC 5394/5 (=Arp 84) wollte ich mir eigentlich für besseren Himmel aufheben, aber da ich zufällig in der Nähe bin, schaue ich doch einfach schon mal vorbei. Notiz: "Komisches Ding!" Eine zunächst langgestreckt wirkende Hauptgalaxie mit einem Vordergrundsternchen neben dem Südende. Nordwestlich der gegenüberliegenden Spitze setzt sich ein markanter nebliger Knubbel ab; kompakt und kugelrund. Höhere Vergrößerungen brechen das paarige Gebilde im Ansatz auf, auch wenn das Seeing viel zu schlecht ist, um die Einzelheiten deutlicher zu erkennen. Es sind ein paar interessante Dinge da, aber unangenehm verschmiert und mit mehr Fragenzeichen behaftet, als mir eigentlich lieb ist. Der hellere Bereich ("Zentrum") ist nach Osten verschoben, während der Rest der Galaxie nach Westen diffuser ausläuft. In diesem Bereich sieht es undefinierbar komisch aus; das Wort "twisted" kommt mir in den Sinn. Ich kann die unruhigen Details nicht greifen, denn das Seeing ist unter aller Sau. Was auffällt, ist, dass der Kernbereich von der kleinen 5394 kräftiger ist als der hellste Teil von der großen Hauptgalaxie. Ich belasse das Objekt auf der Liste und verspreche ein baldiges Wiedersehen, denn da ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Selbst unter dem Hässlich-Land-Himmel ist das erahnen, dass da noch was rauszuholen ist.
Ich hülle mich nochmal in etwas Wärmeres; der kalte Wind zieht gnadenlos durch. Unangenehm. Es geht zum Besuch des Duos
NGC 5289 und
5290. Die zeigen beide keinerlei Details, sehen aber trotzdem ganz hübsch aus. Bei 124x thronen diese zwei langgestreckten, ähnlich ausgerichteten Dolche ansehnlich im sterngesprenkelten Gesichtsfeld. NGC 5290 ist langgezogen, spitz und dünn, etwas gefälliger fürs Auge. NGC 5289 wirkt zunächst gedrungener, bauchiger und kleiner, aber das täuscht bei näherem Hinsehen: Die beiden schwachen Spitzen reichen bei indirektem Sehen viel weiter in den Hintergrund, sodass die Galaxie an Länge gewinnt; sie ist dadurch ähnlich ausgedehnt wie der hellere innere Bereich von 5289. Ein feines Ensemble!
Den begehrten Titel "Objekt der Nacht" erhält
NGC 5297. Es geht schon mal damit los, dass die Galaxie so schön bei zwei hellen Vordergrundsternen platziert ist - richtig was fürs Auge! Langgestreckt-spitze Gestalt. Bei 124x deutet sich die kleine Begleiterin
NGC 5296 vage an, ist bei 192x dann unmissverständlich zu sehen. Der Anblick des Duos ist so, wie ich vom DSS erwartet habe. Ein kleiner, runder Knubbel; wegen der winzig-kompakten Form relativ flächenhell, aber im Vergleich zur Hauptgalaxie natürlich schwach. Nette Geschichte.
Mich schauderts. Der Wind bringt eisige Luftpakete mit. -4°C sagt das Auto. Ich wärme meine Hände an Kaffee Nr. 2, halte kurz inne und lasse den Blick über den Frühlingshimmel schweifen. Der obere Teil vom Sommerdreieck schwingt sich allmählich empor und Atair wird sich auch bald aus dem Horizontdunst herausquälen. Der Herkules ist schön. Vielleicht guck' ich mir nachher noch M 13 an.
Es folgt mit
NGC 5536 und
5541
ein Duo. Bei 124x zeigen sich zwei leicht sichtbare, rundliche Bällchen. NGC 5536, der schwächere Part von beiden, ist nicht von Interesse; bei der 5541 hatte ich auf einen vagen Hinweis auf das verdickte Nord-Ende gehofft. Oder die Sichtung des Vordergrundsternchens auf der anderen Seite. Oder irgendwas halt. Die Galaxie bleibt jedoch eine ovale, homogene Fläche.
Für die Sichtung von
NGC 5860 braucht es ein bisschen mehr Zeit, denn die Galaxie ist überraschend schwachbrüstig. Sehr klein. Die Helligkeit konzentriert sich hauptsächlich im diffusen Kern, während sich der Rest des Halos sofort verliert und hinsichtlich der Grenzen kaum bestimmbar ist. Auch die seeinglimitierte Höchstvergrößerung offenbart da keine anderen Erkenntnisse. Im DSS zeigt sich, dass die Galaxie aus zwei kullerigen Kugeln zusammengepatscht ist, aber für mich ist es nur ein einziger, diffuser Klump.
Zitat aus dem Buch: "Wind ist ekelig!" Ich widme mich
NGC 5918. Das spannendste an dem Objekt war noch der doppel-artige Feldstern im Süden. Die Galaxie ist bei 192x nicht gerade ein Augenöffner. Oval und diffus, keine Details, homogen und ohne echte zentrale Helligkeitszunahme. Höhere Vergrößerungen: Nix. Zitat aus dem Buch: "das Ding ödet mich an".
Die nächste Zielregion auf Karte 20 steht schön hoch... In einem Höhenwinkel von ziemlich genau 90°. Juhu. Zunächst suchte ich das Doppel-Doppel am nördlichen Rand des Bärenhüters auf: Σ 1821 und ΣI 26, die beide sehr auffällig im Atlas eingezeichnet sind. Sie trennt ein Abstand von einem halben Grad voneinander und mit Helligkeiten von 4,4 und 4,75 mag sind sie strahlende Objekte im Teleskop. In der Übersicht stehen beide gemeinsam im Gesichtsfeld und leuchten glücklich vor sich hin. Trennung bereits leicht. Bei 124x: Σ 1821's A ist deutlich heller als sein Kompagnon, der in einem bequemen Abstand von ihm positioniert ist. Beide Sterne zeigen keinerlei Farbe - pures, langweiliges Weiß. Bei ΣI 26 ist der Abstand noch größer, aber das Helligkeitsgefälle auch. B ist weit schwächer als A und zeigt - im Vergleich zu Σ 1821 - genau in die andere Richtung. Auch hier keine Farbe, nur zwei weiße, unschuldige Sterne. Fazit: Nettes Doppel-Doppel so in Übersichtsvergrößerung mit weitem Feld, aber irgendwie habe ich mir mehr davon versprochen.
In geringer Entfernung dazu suche ich das Galaxienpärchen
NGC 5480 und
5481
auf. Das sind zwei Kullern mit ähnlichen Helligkeiten, allerdings unterschiedlich verteilt: Die 80 ist etwas größer, flächiger, homogener, wodurch sie ausgedehnter erscheint; 81 hingegen zur Mitte konzentrierter, diffuser auslaufend und daher kleiner wirkend. Insgesamt sind die Außengrenzen ähnlich dimensioniert. Ich hätte nicht entscheiden können, welche der beiden Galaxien größer ist.
Auf dem Weg zur letzten Galaxie stolperte ich über einen Stern, der im Übersichtsokular ein „unscharfer Flatsch“ ist. Der Blick in den Atlas bestätigt, dass es ein Doppelstern ist, Struve 1829. Bei 192x löst er sich auf und er gefällt mir irgendwie, weil die beiden farblosen Komponenten vergleichsweise eng beieinanderstehen. Ganz niedlich!
Besagte letzte Galaxie ist NGC 5602, die meine Aufgabenliste auf Karte 20 abschließt. Ein bisschen blöd zu finden, aber mit etwas Gerühre hats doch noch geklappt. Heller Nebel, oval, kräftiger und fast stellarer Kernbereich. Höhere Vergrößerungen bestätigen den Anblick nur, ohne andere Details hervorzubringen. Ein Vordergrundsternchen klebt östlich am Rand; visuell sehe ich ihn zeitweise undeutlich herausblinken.
Ich erinnere mich an den Gedanken, den ich zwischendurch hatte, und schwenke zuguterletzt auf M 13. Das 9er Oku ist noch drin, sodass ich sofort in den aufgelösten Kugelsternhaufen hereinfliege, der sich kolossal vor meinem Auge ausbreitet. Das Zentralgebiet wirkt wie ein Tollhaus. Was für ein Monster, was für ein Gewimmel! Eigentlich ist der ja wirklich ganz hübsch. Und damit beschließe ich die Sitzung nach exakt drei Stunden. Es ist 03:40 Uhr, als ich davondüse.