An diesem Sonntag rauszufahren war ein kleines Risiko und die Chancen standen 50:50. Entweder haben wir Glück und einen klaren Himmel, oder wir werden vom Gewitter erwischt. Schon am Nachmittag gab es kräftige Schauer und ein kontinuierliches Donnergrollen, doch wie erwartet ließ die Bewölkung am Abend nach, obwohl am Osthorizont eine verdächtige Front zu sehen war.
Um 22:33 Uhr, bei sommerlichen 20°C, kamen wir frohen Mutes und voller Optimismus in unserem Revier an und stellten fest, dass die Bauern sehr fleißig gewesen waren: Auf dem Feld im Süden lagen überall Strohballen herum. Die Grillen zirpten, die Mücken summten, die Luft bewegte sich keinen Meter. Noch war der Himmel leicht bewölkt und mit einigen verschmierten Zirren durchsetzt, und im Osten hielt sich die große Gewitterzelle, in der es sehr oft und sehr heftig blitzte. Wetterleuchten! Alpenfeeling kam auf. Wir werden wohl von der Front verschont bleiben und einer guten Beobachtungsnacht stand nichts mehr im Wege. Kurz vor 22:00 Uhr kam auch Martin an, froh und munter wie eh und je.
Während der Dämmerung war mir ein wenig langweilig. Nachdem die üblichen Stimmungsaufnahmen im Kasten waren, lag ich am Feldrain auf der Picknickdecke und sah den Blitzen in der Gewitterfront zu. Sehr interessant. Wo genau das Unwetter wohl toben mochte? Aber auch in Südrichtung leuchtete die dunstige Atmosphäre mehrfach auf. Zunächst vermuteten wir, dass es dort auch gewitterte, doch irgendwas war faul an der Sache. Wir waren überrascht, als man, knapp über dem Waldrand am Horizont, die bunten Explosionskugeln von Feuerwerksraketen sah. Ein faszinierender Anblick aus der Ferne. Wahrscheinlich wurde in Zerbst eine Feier veranstaltet, aber leider zogen die Rauchwolken des Feuerwerks hinauf und verschleierten den Anblick des Südhorizontes ein wenig. Abgesehen davon merkten wir schnell, dass die Luft diesmal extrem feucht war, denn sämtliche Oberflächen waren rasch beschlagen.
Bevor ich mir das erste Objekt vornahm, gabs erstmal eine Tasse Kaffee zur Stärkung und Motivation. Die wäre aber auch von ganz allein gekommen, denn Steine 9 im Schlangenträger enttäuschte mich nicht. Schon in der Übersicht zeigte sich eine kleine, aber sofort auffallende Konstellation, die sich bei höherer Vergrößerung in 4 Sterne auflöste. Geformt wie eine spitze Raute, an deren Nordende sich das hellste Mitglied befand und sogar einen leicht orangefarbenen Eindruck machte.
In der Nähe stand Patchick 52. Ein eher unauffälliges Teil. Ich sah einige schwache Sterne westlich eines „hellen Feldsterns“, der zwar aufgelöst war, aber noch einen nebligen Eindruck machte. Bei 200x stellte sich der „Feldstern“ als PN heraus. Dass dort irgendein Objekt war, ließ sich schon auf der Aufsuchkarte erkennen, aber leider konnte ich die Schrift nicht lesen. Nach späterer Recherche erhielt der PN die Bezeichnung NGC 6572, Spitzname „Blue Raquetball“. Für mich eher türkis, hell leuchtend türkis. Ein kleines Scheibchen mit ovaler Form, N-S-ausgerichtet, aber ohne Details. Und der Haufen? Patchick 52 zerfiel in ca. 10 Sterne, die allesamt die nahezu gleiche Helligkeit aufwiesen. Die Gestalt erinnerte mich an ein Kreuz oder eine Spinne; im Zentrum befanden sich die meisten Mitglieder. – Tolle Objektkonstellation!
Während dieser Beobachtung gab es bei Martin und Uwe kurzzeitig Unruhe, denn sie hatten einen Meteor gesehen. Kurz bevor ich die Zeichnung fertiggestellt hatte, 23:45 Uhr, gab es erneut Alarm und Martin rief „Boah!“. Als ich schnell aufblickte, sah ich einen hellen Boliden, der vom unteren Pegasusviereck aus gemächlich Richtung Nordost zog und eine sehr lange, dünne Rauchspur mitschleppte. Auf halbem Wege sprengte sich ein Teilchen ab; Martin meinte sogar, ein drittes gesehen zu haben. „Der hört gar nicht mehr auf!“ Irgendwo überm Fuhrmann wurde er dann schwächer und verglühte. Wir waren begeistert und die Sichtung wurde noch eine Weile diskutiert. „So einen hab ich ja noch nie gesehen.“ Mittlerweile war die Milchstraße gut sichtbar, aber die Bedingungen schienen schlechter als in der letzten Nacht. Die Gewitterzelle im Osten blitzte noch immer munter vor sich hin, und der Dunst im Süden streute das Licht der Dörfer. Die Luft hatte sich merklich abgekühlt, wennschon es auch in kurzen Hosen sehr angenehm war, und die meisten Gegenstände trieften vor Tauwasser.
Teutsch 17 zeigte sich als ein schwacher, aber augenscheinlicher und länglicher Nebel. In der Übersicht ließ er sich nicht auflösen, wirkte allenfalls grieslig. Als ich das Okular wechselte, läuteten in Hobeck leise die Kirchenglocken – es war Mitternacht – und Teutsch 17 überraschte mich mit seinem Sternreichtum. Ich sah eine eckige, C-förmige Gruppe von schwachen Mitgliedern, den ich eindeutig als das Objekt identifizieren konnte, doch östlich davon schloss sich noch ein Streifen weiterer schwacher Sterne an. Gehört der dazu? Wo sind die Grenzen?
00:15 Uhr wurde der Dobson wieder verstärkt von den nervtötenden Flugsauriern umschwirrt, weswegen ich kurzzeitig flüchtete und das SQM-L aktivierte. Das Ergebnis, 21,3, war besser als in der letzten Beobachtungsnacht, doch ich fand es schlechter und weniger transparent. Allein schon, weil sich tief im Süden noch der Qualm hielt und die Schützen-Milchstraße verschwinden ließ.
Gleich neben dem Vorgänger war Teutsch 53 zu finden. „Ein Witz!“ Absolut unauffällig und sternarm. Ich erkannte, auch bei hohen Vergrößerungen, lediglich einen helleren Stern, der von zwei oder drei weiteren, schwächeren Mitgliedern umgeben war. Schwierig. Ein nebliger Schein in diesem Gebilde lässt vermuten, dass dort noch mehr zu holen wäre. Ötztal.
Das nächste Ziel lautete Patchick 30, für den es in den Hercules ging. Er befand sich in einer reich gefüllten Umgebung, stach aber dennoch als kleines, markantes Wölkchen hervor und wirkte schon in der Übersicht grieslig. Bei 129x ein schöner Anblick! Es zerfiel in 7 Mitglieder, die wie eine „3“ oder ein „µ“ angeordnet waren; der hellste Stern stand am Nordwestende des Haufens. Was für eine tolle Überraschung!
Es ging auf 01:00 Uhr zu und Uwe rief uns zur Kaffeepause. Gern. Und als Martin noch die Kekspackung mitbrachte, war die – ohnehin schon gute – Stimmung ganz obenauf. Eine Gelegenheit, nochmal die Konditionen zu analysieren. Im Süden Wolkenschmiererei und im Osten noch gelegentliche Blitze, die allerdings (qualitativ und quantitativ) merklich nachgelassen hatten. Wenn es blitzte, konnte man die Wolkenbänder gut erkennen, die sich durch Pegasus und Fische zogen. Von irgendwoher dröhnte ab und an dumpfe Techno-Musik. Die Mückendichte hatte ebenfalls deutlich abgenommen, doch die Viecher, die noch herumflogen, waren dafür ganz besonders lästig. Im Laufe der Nacht konnten wir, neben den wunderbaren Meteoren, mehrere helle Iridium Flares bewundern, aber ein ganz besonders schönes und helles Exemplar zog durch den Großen Wagen und verlor rasch wieder an Helligkeit.
Ich hatte keine Lust mehr auf diese Winzlings-Krümel und überlegte, womit ich mich denn nun rumärgern könnte. Die Entscheidung fiel auf die bekloppte Mammutaufgabe, meinen Liebling NGC 6940 zu portraitieren. Eins steht fest: Nie wieder. „Das sind viel zu viele!!“ Bloß aufpassen, dass man nicht den Überblick verliert, aber wahrscheinlich sind einige Punkte völlig falsch gesetzt. Es passiert schnell, dass man sich verfranzt. Hinterher war ich jedenfalls geschafft.
Ein Objekt ging dann noch her, aber das hat dann auch gereicht. Leiter 12 war ein Haufen im Leier-Parallelogramm, nur ein Stückchen nördlich von M 57. Es handelt sich um einen oval-eckigen Ring aus sehr sehr schwachen, gleichhellen Sternen und war absolut unauffällig. Auf dem DSS ließ sich dort auch noch eine winzige Galaxie erkennen, doch diese konnte ich nicht sehen. Vielleicht nochmal im Ötztal probieren, das Ding interessiert mich.
Nun war es 02:00 Uhr. Reicht fürs erste… Während des Abbaus stattete uns eine Katze einen Besuch ab. Vielleicht war es dieselbe, die im Juli schon einmal da war? Na, hoffentlich überfahr ich sie nicht… Die Autoscheiben waren undurchsichtig beschlagen und der Rest der Ausrüstung klatschnass. Im Laufe der Nacht mussten Martin und Uwe mehrfach den Fön aktivieren, der die Optik vom Tau befreite. Erstaunlicherweise hatte ich damit keine Probleme und der Fangspiegel blieb trocken. Was mich besonders freute, war, dass Uwe und Martin French 1 und NGC 7025 aufgenommen haben, die ich in der letzten Nacht beobachtet hatte, und ich bin sehr gespannt auf ihre Ergebnisse. Es war 02:30 Uhr, als wir abrauschten und durch tiefer gelegene Nebelschwaden über die einsamen Landstraßen nach Schönebeck fuhren.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Magdeburg, 05.08.2013