07.04.2013 - Galaxien-Overkill

Eine nicht ganz eindeutige Wetterlage hatten die Dienste prognostiziert. Anfang des Abends wohl noch nicht klar, aber in der zweiten Nachthälfte soll es aufreißen. Das passte mir ganz gut, da ich am Nachmittag eh noch auf einer Geburtstagsfeier war und somit nicht in Zeitstress verfallen musste.


Ich startete direkt aus Gommern und fuhr in den Fläming, und während der Reise überfiel mich die Ungeduld, denn es zeigte sich ein herrlicher Sternhimmel und ich hatte Angst, das Beste verpasst zu haben. Pünktlich um Mitternacht erreichte ich den Feldweg bei Schweinitz, wo Martin N. und Uwe W. bereits fleißig am Fotografieren waren. Thomas P. war nur wenige Minuten zuvor bereits in die Heimat zurückgekehrt. Die Temperatur betrug -3°C und das Hundegekleffe aus dem Dorf nervte, aber der Himmel – hey, wow, nicht schlecht. Für den „first move“ von Uwes neuer Montierung war ich natürlich zu spät, aber die kostenlosen Hörproben der Go-To-Funktion langten für die ersten Eindrücke. Na, jetzt aber schnell aufbauen! Sonst ist die Virgo weitere wertvolle Grad in den Westen versunken…


Eine halbe Stunde später: Alles war bereit zum Kampf. Der Dobson ragte einsatzbereit in den Himmel, die Okulare waren ausgepackt, die Aufsuchkarten lagen parat und der Kuli war vorgewärmt. Die erste Messung mit dem SQM-L ergab 21,39 mag/arcsec² - weniger als beim letzten Mal, und tatsächlich wirkte es ein wenig trüber. Die Fotografen waren konzentriert am Werke, und ich hatte auch ein straffes Programm – Herschel-Galaxien in der holden Magd abhaken.


Die erste hieß NGC 4546 und stand ca. 2,5° südwestlich von Gamma Vir. Es war kein allzu aufregendes Objekt: Kantenlage in O-W-Ausrichtung, ovale Form, ein auffallend helles Zentrum mit stellarem Kern und ein 1:3-Achsenverhältnis, das bei höherer Vergrößerung breiter wirkte. Was für ein Einstieg.


Davon ausgehend hangelte ich mich nach Süden, wo ich NGC 4403/4 markiert hatte, ein enges Duo. In der Übersicht recht schwach, aber eindeutig etwas Nebulöses. Bei 129x erkannte ich zwei getrennte Flocken. 4403 wirkte dabei eine Nuance kräftiger. Bei beiden Galaxien stieg die Helligkeit zur Mitte an, was in einem feinen Kern gipfelte, und sie waren länglich geformt. Ansonsten sahen sie gleich aus. Ähnlich verhielt es sich bei 200-facher Vergrößerung. NGC 4403 erschien wesentlich markanter. Sie standen etwas gekippt zueinander.


6° östlich dieses Pärchens hauste mit NGC 4697 eine unübersehbare, ovale (1:2) Galaxie in einem vergleichsweise reichen Umfeld. Höher vergrößert wirkte sie gestreckter und besaß ein helles, flächiges, eher kompaktes Zentrum ohne Kern, das in einem scheinbar sehr runden, schwachen Halo eingebettet lag. Der Nebel zeigte keine Details.


Während der Beobachtung standen Uwe und Martin plaudernd neben meinem Auto. Ich nutzte die Chance und holte die „Muster-Version“ meines DSH-Atlasses hervor, um ihn ihnen zu zeigen. Schien ganz gut angekommen zu sein – na, immerhin steckt da viel Arbeit drin. Hinterher widmeten sie sich wieder der Kometensuche, der irgendwo knapp über/ unter der Waldkante schweben müsste. So genau weiß ich das natürlich nicht. Meine Füße wurden kühl.


NGC 4731 war nur einen Steinwurf von 4697 entfernt und entlockte mir die Notiz „überraschend schwach“. Diffus, aber trotzdem gut haltbar. Im 14er fiel mir die „seltsame Form“ der Galaxie auf. Irgendwie länglich, aber mit sehr schwammigen Grenzen und die Nebelfläche schien gesprenkelt. Die Helligkeit zur Mitte nahm nicht zu. An der Südkante jedoch lösten sich ein oder zwei Lichtlein heraus. Im 9er war dies noch eindeutiger. An der Westspitze schien sich ein anderer hellerer Tupfer zu befinden und es erschien mir noch immer so, als wäre die Zentralregion grieselig. Komisches Objekt.


Die Uhr sagte 01:15 und ich rannte den Weg Richtung Straße. Die hellweißen Laternen blendeten unangenehm und ab einem gewissen Punkt setzte ein stechender Qualm-Geruch ein. Möglicherweise die Reste eines Osterfeuers? Letzte Woche schon war mir das aufgefallen; weiß der Geier, wo das herkam. Beeindruckend war jedenfalls der Anblick der liegenden Milchstraße zwischen Schwan und Perseus, die fast parallel zu den Baumwipfeln des Waldes verlief. Der Kohlensack stach dabei heraus; eine verschmierte, große, dunkle Wolke. Wieder zurück im Basislager, zog ich meine Polarschuhe an. So gerne ich auch in den Sportschuhen beobachte – bei -5°C wird es doch irgendwann kritisch. Messung mit dem SQM-L: 21,84. Schon wieder so ein hoher Wert… Kann das denn sein, oder bin ich zu blöd, das Ding richtig zu bedienen?


Ich setzte mit der Karte fort, die südlich von NGC 4731 ansetzte. Mein Ziel lautete NGC 4699. Ein oval-rundlicher, O-W-gekippter Nebel (1:1,5) mit einem hellen Kern. Der Rest lief gleichmäßig in den Hintergrund aus und die Enden schienen abgerundet. Strukturlos. Ohh super, schon wieder so eine superspannende elliptische Galaxie!!! Davon kann man nie genug kriegen, nicht wahr?


Auf dem Weg zum nächsten Ziel stolperte ich zusätzlich über NGC 4703. Es handelte sich um eine zu kurz geratene, schwache, homogene Lichtnadel. Sie war etwa in N-S-Richtung aufgestellt.


Einige Bogenminuten östlich errätselte ich mir Hickson 62. Zentrum der ganzen Sache war ein 9-Komma-igendwas-mag-Sternchen. Nördlich von diesem fiel bei 200x ein Galaxienpärchen auf, das sehr eng zusammenklebte. Der östliche Nebel – NGC 4759 B – wirkte etwas kräftiger als der Compagnon 4759 A. Südlich des Sterns war ein weiterer Nebel, der jedoch eher unauffällig und kompakt daherkam; fast schon stellar: NGC 4764. Für das vierte Gruppenmitglied, NGC 4761, brauchte ich länger, konnte es jedoch östlich des engen Pärchens erhaschen. Dort tauchte blickweise ein schwacher Nebelhauch auf, der aber nicht dauerhaft zu halten war.


SRRR… Ein paar Meter entfernt gingen scheinbar Panzermotoren in Betrieb. Der Wald erzitterte, weil sämtliche Tiere in 3 km Entfernung auf die Flucht gingen. Rette sich, wer kann! Nein, es war das GoTo von der neuen Montierung. Uwe brachte einen Schluck Kaffee vorbei, den ich gut gebrauchen konnte, um die Finger für die anstehende künstlerische Mutprobe aufzuwärmen.

Von der Hickson-Gruppe brauchte es nur einen kurzen Südschwenk, um bei NGC 4781 zu landen. Sie lag nett positioniert in einem Ring aus gleichhellen Feldsternen. Im 14er zeigte sich ein länglicher (1:3) Nebel mit homogener Helligkeitsverteilung („alles einerlei“) und guter Abgrenzung vom Hintergrund. Kein Kern vorhanden (evtl. bei höherer Vergrößerung erkannt), aber stattdessen sah ich einen Vordergrundstern am Westende der Galaxie.


Meine nächsten Ziele befanden sich wieder nah beieinander, aber mit der Identifikation des Feldes vertrödelte ich ein Weilchen. Die auffällige Galaxie, die mir da ins Auge sprang, war NGC 4958. Und auch die einzige Galaxie – wo war die andere?? Naja, erstmal wurscht. Es handelte sich um einen länglichen Nebelflatschen mit einem hellen, flächigen Zentralgebiet. N-S-gerichtet und ein Achsenverhältnis von 1:3,5. Die Mitte wirkte vergleichsweise bauchig und wurde von zwei spitzen Enden abgeschlossen. Westlich der Galaxie zeigte sich ein Vordergrundsternchen.


Okay, dann suchen wir mal die Nachbarin, NGC 4948. Selbst im 14-mm-Arbeitspferd (die Trennung davon wird schwerfallen) nicht sichtbar. Erst bei 200x tauchte ein diffuser „Grenznebel“ stets an derselben Stelle immer und immer wieder auf, doch irgendwie nicht so ganz an der Position, die in der Karte verzeichnet war. Länglich und schwammig, kaum zu halten. Unsicher.


Oh Mann, ich hatte keine Lust mehr auf diese langweiligen Virgo-Galaxien. Die Gummitiere, die ich mir von der Feier mitgenommen hatte, gingen zur Neige und ich starhoppte mich vom vorigen Waschlappen zum nächsten Waschlappen. NGC 4995 lag bei einem markanten Sternduo. Runde Form, nahezu einheitliche Helligkeit ohne ausgeprägte Mitte. Im 9-mm-Okular ging sich dann ein fader, punktförmiger Kern aus; der Rest der Galaxie war matschig und verworren, ohne irgendwelche definierbaren Strukturen.


Blick auf den Chronometer: 02:40 Uhr. Ein bisschen müde und kalt war mir ja schon, und eine feine Eiskruste hatte schon wieder die ganze Literatur überzogen. Es herrschte absolute Windstille. Ich rannte wieder auf dem Feldweg rum. Der üble, beißende Rauchgestank zog seltsamerweise zu uns herauf, sodass wir – neben dem nach wie vor sporadisch aufkommenden Hundegekläffe und Tiergeschrei – nun auch eine olfaktorische Belästigung erdulden mussten. Der Himmel über uns: Dunkel. 21,73, sagte das SQM. Umso störender erschienen mir die hellen Laternen an der Landstraßen-Kurve im Südwesten, und auch die Fernlichter der LKW hauten richtig rein. Eine wundervolle Milchstraße stieg höher und höher – das Sommerdreieck war komplett!


Ich schwenkte noch einmal zurück in den Westen, weil mich die Karte (Marschroute) zu NGC 4753 schickte. Ach ja, mei. Bei 129x offenbarte sich ein runder Grundkörper mit einem nur mäßig hellen Zentralgebiet und ‘nem faden Nucleus, doch gen Ost und West lief diese Galaxie noch etwas aus und es zeigten sich leicht gerundete Enden. Achsenverhältnis 1:2,5. Keine Änderung bei höherer Vergrößerung.


3° nordöstlich präsentierte sich NGC 4845 in der Übersicht als „ungewöhnlich unauffällig“. Bei 129x sah ich eine 1:4-Edge-On-Galaxie in bester Ost-West-Lage, doch das Zentrum erschien mir ziemlich breit. Eher weiche, diffuse Grenzen. Lustigerweise stellte ich bei der späteren Objektrecherche fest, dass NGC 4845 kürzlich in den Promi-News war. Es geht um die Detektion eines unerwarteten Strahlungspeaks im Januar 2011, dessen Ursache man nun ermittelt hat: Das zentrale Schwarze Loch hatte wohl ein Objekt von der Größe eines Braunen Zwerges beim Wickel gehabt. Zitat aus dem Artikel im Zusammenhang mit der Beobachtung: „Eigentlich hatten sich die Astronomen gar nicht für die 47 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie NGC 4845 interessiert, …“ Das wundert mich nicht...


Über dem Westhorizont hatte sich eine dichte Nebelbank ausgebildet, und von den Bäumen, die dort standen, guckten nur noch die oberen Ränder heraus. Martin bemerkte eine leichte, schmierige Bewölkung, die aus der Richtung über den Himmel zog. Na, auf der aktuellen Aufsuchkarte war eh nur noch ein Objekt offen: NGC 4900. Runde Form und die Helligkeit blieb über die gesamte Fläche nahezu gleich. Ein auffälliger Vordergrundstern befand sich am südöstlichen Rand.

03:15 Uhr. Ich lief noch einmal zum Aufwärmen zur Waldkante, vorbei an Martins Dobson, der wie eine gigantische weiße Tonne mitten auf dem Feldweg stand. Eine Dunstschicht hatte sich über den Acker gelegt (Zitat Uwe: „Nebel des Grauens“) und durch die zunehmende Luftfeuchtigkeit bei -7°C beschleunigte sich das Einfrieren der optischen Flächen. Auf dem Fangspiegel befand sich ein zarter, milchiger Eisschleier und auch Uwe klagte. Der letzte Kaffee machte die Runde und ich begann so langsam, mein Zeugs zusammenzukramen, schwatzte mit meinen Mitbeobachtern und aktivierte noch mal das SQM-L. 21,83?! Meine Empörung und Entsetzen waren grenzenlos, aber die Bedingungen waren ja wirklich nicht übel. Doch müde wie ich war, fürchtete ich die lange grauenhafte Heimfahrt. Gegen 04:15 Uhr ging es on the way home.

 



Ein Beobachtungsbericht von AKE

Magdeburg, 07.04.2013

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