23.08.2023 - Wolken im Kriechgang

Wecker ging um 23:35 Uhr. Blick aus dem Fenster: Bedeckt, aber geringfügig aufgelockert. Blick aufs Satellitenbild: Der Wolkenteppich rutschte, wie prognostiziert, über Mitteldeutschland hinweg und zog kontinuierlich nach Osten ab. Es konnte also nicht mehr lange dauern, ehe der Himmel komplett aufmachte. Der Versuch, sich nochmal eine weitere Stunde hinzulegen, ging fehl; stattdessen ergänzte ich spontan meine Objektplanung und machte mich irgendwann gegen 00:30 Uhr auf den Weg ins Dunkle... "Dunkle", haha.


Die Wolkendecke blieb allerdings erstmal beharrlich. Ein paar Lücken, aber allesamt schnell wieder schließend, und der Blick zum Westhorizont brachte die nüchternde Erkenntnis zutage, dass das noch eine ganze Weile dauern würde. Windstill, 20°C. Die Transparenz zwischen den Lücken so lala, aber erstmal abwarten. Seeing mies. Immerhin bei weitem nicht mehr so feucht wie noch am Wochenende und somit sollten die Bedingungen insgeheim besser werden.

Die Warterei nervte mich unendlich. Fast hätte ich wieder zusammengepackt, aber als der Westhorizont sich lichtete, schöpfte ich neue Hoffnung, und wenig später bröselte der Wolkenteppich tatsächlich zusehends auseinander. Dafür musste ich ja nur eine Dreiviertelstunde hier abschimmeln und warten... Lieber nicht nachrechnen, wie lange ich stattdessen noch hätte schlafen können. Egal. Erstes Objekt, das sich noch gut durch die Lücken quälte, war R Cygni, der bei 138x allerdings keine nennenswerte Färbung zeigte und auch so recht schwach war. Zweites Objekt, nicht weit weg, RT Cygni. Der wiederum war ziemlich hell und intensiv orange, aber leider nicht wirklich rot, sodass mich auch dieser Kandidat nicht weiter begeisterte.


Aller guten Dinge sind Drei:
Z Cygni! Schon in der Übersicht beeindruckte der albireoartige helle Doppelstern 26 Cygni, und ab 138x gesellte sich die tiefrote Färbung des Veränderlichen dazu, sodass eine richtig bunte Truppe aus dem Okular herausleuchtete. Klasse! Die hell orangefarbene Hauptkomponente des Doppels, deren blassblauer optischer Begleiter (kein physikalischer Zusammenhang) und der rote Z Cygni, alle drei in einer Reihe. Mega Kombi, ich war ganz aus dem Häuschen.

In dem Zusammenhang stieß ich nun auf ein älteres Paper über mehrere Beobachtungen zwischen April 1887 und dem 08.08.1888 (schönes Datum), wo "Fr. Deichmüller" über die wiederkehrende Sichtbarkeit von "Espin's neuen Stern bei 26 Cygni" berichtete. "Heliometer 8,3, schwach roth" heißt es da am 09.04.1887. Dann die originale Beobachtung von britischen Astronomen Espin vom 23.03.1887, als er diesen neuen rothen Stern bei 26 Cygni entdeckte und schnell dessen Veränderlichkeit und auffallend rote Farbe feststellte. Nachfolgend versuchten sich mehrere Kollegen an Helligkeits- und Spektralmessungen des "neuen" variablen Sterns. Coole historische Info, über die man in der Nachbereitung stolpert.

Ab 01:30 Uhr waren die Wolken gänzlich abgezogen und hinterließen einen klaren Spätsommer-/Herbsthimmel. Die Bedingungen waren tatsächlich um ein Vielfaches besser als während der gewittrig-aufgeladenen Lage in der Woche zuvor. 


Auf einen last-minute-Tipp von Christian hin steuerte ich den Offenen Haufen Dolidze 8 an, der etwas nördlich von Sadr steht. Beim Starhop stolperte ich über NGC 6910, der auf dem Weg dahin liegt, und stellte fest, dass ich mich diesem OS auch mal näher widmen müsste - schickes Teil! Do 8 hingegen, naja, nicht gerade der ausgesprochene Ästhet. Es zeigte sich ein langgezogener, unförmiger Kasten mit ca. zwölf Mitgliedern. Ein typisches Sternmuster: Auffällig und markant, aber kein wirklicher Haufencharakter. Von dem kleinen länglichen Gasnebel GN 20.22.7 war zunächst nichts zu sehen; ich hatte kein Bild mehr im Kopf und wusste nur, dass er innerhalb des Musters von Do 8 stehen sollte. Bei 200x änderte sich der Eindruck nicht gravierend. Im östlichen Teil schien mir nach längerer Beobachtung wiederkehrend, immer an der gleichen Stelle und in der selben Ausdehnung etwas ausgesprochen Diffuses und Schwaches aufzublitzen. Nicht dauerhaft zu halten, nur in Sekundenbruchteilen, aber definitiv reproduzierbar. Scharf an der Grenze zwischen Sehen und Nichtsehen - ich wusste nur nicht, auf welcher Seite der Grenze ich da stand... In der Nachbereitung passt die Position, aber das war derart vage, dass ich nicht sicher behaupten kann, das Nebelchen erfolgreich gesehen zu haben.

Es gab einen kurzen Pulsschub, als ich komische Autogeräusche hörte - als würden Reifen auf meinen knarzenden Feldweg einbiegen. Das war aber zum Glück nur irgendwas auf der Autobahn, die ja als Dauerbeschallung im Hintergrund immer zu hören war. Auf fachfremde Besucher verzichte ich hier dankend.


NGC 6846 hatte ich in einer der vorangegangenen Nächte schonmal versucht anzusteuern, was aber nicht klappen wollte. Aufziehende Wolken, Müdigkeit, Dunst, keine Ahnung. Da es diesmal aber zu passen schien, ging die Suche nach diesem Winzlings-Haufen erneut los. Mit 138x im Zielgebiet herumgerührt... Zitat aus dem Notizbuch: "boah, wasn das!" Ein schwaches, aber gut sichtbares winziges Mini-Wölkchen in ovaler Form. Ein einsamer Einzelstern blinkte schüchtern aus dem Wisch hervor. Bei höherer Vergrößerung kam ein weiterer sicher hinzu und ein dritter nur eher vage, aber der diffuse Wolkeneindruck blieb hartnäckig bestehen. Die Sterne stehen derart eng, dass keine weitere Auflösung in Reichweite war. Nette Challenge. Bei besserem Seeing geht da vielleicht noch mehr.

02:06 Uhr: Ich machte eine kurze Kaffeepause, was korrekterweise bedeutet, dass ich mir das kleine Becherchen mit der heißen Flüssigkeit innerhalb kürzester Zeit hinterkippe und mir dabei die Zunge verbrühe. Eigentlich wollte ich mich nur aufwärmen, da es in kurzer Hose irgendwann doch etwas frisch wurde, aber der Wechsel auf ein langes Beinkleid war da gewinnbringender.


In den letzten Tagen hatte ich so viele Cluster und Asterismen vor den Augen gehabt, dass sie mir allmählich zum Hals raushingen. Aber einer war noch in der Nähe,
Patchick 48. Der fiel in der Übersicht als kleine, grieselige Wolke auf, die an einem etwas helleren Feldstern ansaß. Moderate Vergrößerung löste sie schon komplett auf. Urteil: "hm naja". Da standen 13-15 Sterne in einem verschobenen Trapez. Wieder so ein typisches Muster. Fällt auf, ja... Erkennt man, ja... Aber sowas hab ich einfach schon zu oft gesehen, als dass mich das irgendwie hinter dem Ofen vorlockte.


Somit machte ich einen Haken an dieser Objektgruppe und überlegte kurz. Der Sprung in den Herbsthimmel kam mir irgendwie noch zu früh, aber der Pegasus stand schon provokant hoch am Südosthimmel und war gefüllt mit schönen Zielen. Leider voll in der Glocke von Halle. Entweder warten, bis der Ausschnitt weiter nach Westen wanderte, oder alles auf den hoffentlich stattfindenden Alpenurlaub vertagen. Schaun mer ma. Irgendein Spinner hämmerte auf der Hupe seines LKWs herum, was die gesamte Umgebung der Autobahn lautstark beschallte.

Unterm Pegasus waren die Fische gut zu erkennen und ich wollte nun meine Neptunsichtung gerne wiederholen. Die Transparenz war um Welten besser als am Wochenende, und somit war Neptun um Welten besser beobachtbar. Wow, was für ein Unterschied. Bei 200x ein kleines Scheibchen, das sich deutlich von den stellaren Sternen (naja, halb stellar, halb seeingbedingt flauschig) unterschied. Auch die Farbe war besser erkennbar: Leuchtend blassblau, vielleicht ein wenig türkis. Ja, türkisblau. Aber keineswegs so tiefblau wie auf den berühmten Voyager-Aufnahmen. Egal, trotzdem schön! Und in dem kleinen Lichthof des Eisriesen setzte sich wiederholt ein schwacher Punkt ab. So nah dran am Planeten - das konnte nur Triton sein. Wahnsinn, einfach saucool. Ist wahrscheinlich keine große Kunst, Triton zu sehen, aber als selten-Planetengucker fand ich das spektakulär. Triton, DER Triton! Welch ein Glück, dachte ich, aber nach einigen Fummeleien mit Stellarium scheint der Mond immer sichtbar zu sein und wird aus unserer Perspektive nicht von Neptun verdeckt.

Den Sprung in den Herbsthimmel beging ich dann doch noch mit NGC 7743. Nach den ganzen Haufen fühlte sich eine Galaxienbeobachtung ganz verrückt an. Lesson learned: Keine Galaxien, die in oder nahe der Lichtglocke Halles stehen, ansteuern! Man kann nur enttäuscht werden. Rein optisch wirkt die erstmal gar nicht so schlimm, verschluckt aber alles, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. NGC 7743 zeigte sich als rundlicher Bausch mit einem kräftig hellen, stellar zulaufenden Zentrum. Ein Vordergrundstern prangte nahe des Südrands. Weiter war da nix, keine Details.


Das ständige Rascheln ringsum machte mich nervös; irgendein Vieh schlich umher, das sich mit lauten Tritten gegen meine Leiter vertreiben ließ. Leider nicht dauerhaft, denn die Schritte kamen immer wieder. Nervig. Die Autoscheiben zeigten einen leichten Belag; es lag also doch noch ordentlich Feuchte in der Luft.

Es folgte die zweite Uranusbeobachtung meines Lebens, da ich mich nicht motivieren konnte, die ganzen Deep-Sky-Objekte des Herbstes schon im August anzugehen. Frappierender Unterschied zu Neptun: Die Scheibe des Planeten war deutlich größer. Und die Farbe auch nicht so, wie man es von Voyager kennt. Eher ein gelb-braun-grünlicher Ton, ganz komisch. Es waren in direkter Umgebung mehrere schwache Lichtpunkte auszumachen, von denen ich annahm, dass mindestens irgendeiner davon gewiss um Uranus kreist und nicht nur ein optischer Begleitstern ist, allerdings setzte ich mich nicht näher damit auseinander.


Tief am Südhorizont fiel mir schon in den vergangenen Nächten ein markanter Stern auf. Meine Vermutung war, dass es sich um Fomalhaut handelte – ein Stern, der für mich eng mit dem Ötztal verlinkt ist, da ein damaliger Mitbeobachter immer auf die bessere Sichtbarkeit von Fomalhaut in den Bergen hinwies. Klar, da steht er höher und ertrinkt nicht in den horizontnahen Luftschichten des Flachlands. Das weckte mal wieder Erinnerungen. Südliche Fische, da kenne ich mich überhaupt nicht aus. Aber auch der Orion guckte schon über dem Osthorizont hervor. Bellatrix. Beteigeuze. Das wär doch mal cool: Nichtsahnend geht Orion auf und anstatt Beteigeuze leuchtet da nur ein -12mag helles Ungetüm.

Letztes Ziel sollte NGC 772 werden, inkl. ihrer Begleiterin NGC 770, um die ich schon ewig herumschlich. Ich begann, das Duo zu skizzieren; nach Sichtung des Ergebnisses bei gnadenlosem Tageslicht aber bin ich noch nicht ganz zufrieden und vertage die Fertigstellung auf ein anderes Mal – die schön strukturierte Galaxie verdient eine genauere Beobachtung und etwas mehr Zeit. Problem war nämlich, dass ich meiner gesetzten Deadline von 03:00 Uhr gefährlich nahe kam. Drei Stunden vorzuschlafen verschafft zwar ein gutes Polster für die Nacht, hält aber im Endeffekt doch nicht so lange vor wie erhofft, und ich wurde entsprechend müde. Während des Abbaus machte sich mein Wecker bemerkbar, der mich sonst üblicherweise um 03:00 Uhr aus dem Bett holte. Dementsprechend lang war der Tag bisher schon gewesen, kurzes Nickerchen hin oder her.


Also: Einpacken und los. Vielleicht geht noch eine Nacht, aber dann ist wahrscheinlich erstmal finito. Neue Objektplanung und Schlaf tanken für September.

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