27./28.04.2014 - Im Paradies der Haufen

Es verging der nächste sonnige Tag, den wir für einen kleinen Spaziergang in die hügelige Region südöstlich unserer Finca nutzten, von wo aus wir die schönsten Ausblicke aufs Meer genossen und durch die abwechslungsreiche, üppige Botanik stapften. Von tiefstem Kiefernwald und freien Berghängen, bishin zu blumengesäumten Betonwegen war alles vertreten, und die heiße kanarische Sonne brannte sich auf die Haut. Über uns ein ungetrübter, glasklarer, tiefblauer Himmel, und über dem Meer schien weniger Dunst zu liegen, als es die vergangenen Tage der Fall war.

Aufgrund der vorangegangenen Beobachtungsnacht waren wir erst spät losgegangen und kamen im Licht des Spätnachmittags (19:00 Uhr) wieder in der Unterkunft an. Nach einem Abendbrot auf dem „Sonnendeck“ begannen auch schon die Vorbereitungen auf die kommende Nacht (die dritte in Folge), die sich mit der einsetzenden, kitschigen Dämmerung schonmal gut anließ. Die sich unter dem Horizont befindliche Sonne schickte große, dunkle Schattenstrahlen durch den marinen Wolkenteppich hinauf, die sich mit jeder Minute verschoben.


Rasch erschien Jupiter, der Platzhirsch des Abends, gefolgt von den üblichen hellen Sternen des Winter- und Frühlingshimmels. Ebenso setzte der schwache Wind wieder ein, der die Osthänge hinuntersegelte. Es war gefühlt etwas kühler als in den vergangenen Nächten, doch dies mag dem plötzlichen, ungewohnten Fehlen der wärmenden Sonnenstrahlen geschuldet sein; die Temperaturen änderten sich im Laufe der Stunden kaum. Allerdings war es auf der Wiese oben merklich frischer als auf der Terrasse, da der Fels die Wärme noch lange speicherte und der Wind nicht bis dort unten reichte. Eins der Autos mit orangener Rundumleuchte (wir nannten sie „die Kräutersammler“) fuhr auf der Zufahrtstraße vorbei und in Cueva de Agua, der nächstgelegenen, winzigen Ortschaft, heulte eine Hundemeute. Es war 21:45 Uhr und wir berieten uns über die möglichen Beobachtungsobjekte, wobei Norman so fies war und meine schönen Sternhaufen runtermachte. Ich war zutiefst getroffen und erschüttert.

Der gewaltige Beamer des Zodiakallichtes flammte empor, als der Himmel dunkel genug war; kreuzte das flach verlaufende Milchstraßenband und verlor sich sachte im Löwen. Norman klagte, dass eine Beobachtung in der Nähe dieses Lichtkegels völlig sinnlos war, weil er das Licht der Deep-Sky-Objekte schluckte. „Das sind Luxus-Probleme!“, lachte ich, und als Einstieg wählten wir M 109 aus. Die Galaxie stand weit oben und zeigte sich mit ihrem charakteristischen Balken und Ansätzen der Spiralarme. Ein weiterer, kurzer Schwenk führte zu M 106, die – da bin ich ganz ehrlich – visuell recht langweilig daherkommt, wenn man sie mit Fotos vergleicht. Reumütig berichtete ich davon, dass ich das Objekt vor 4,5 Jahren auf der Schönebecker Sternwarte mal fotografiert hatte. Eine unmittelbare Nachbarin von M 106 ist NGC 4217, die sich in schöner, galaxienreicher Umgebung befindet. Ein linsenförmiger Nebel bei zwei hellen Vordergrundsternen, doch das dunkle Staubband war nicht zu erreichen.


Während der dämliche Rundumleuchten-Kräutersammler-Typ mit seinem klapprigen Wagen unsichtbar durch die Umgebung polterte und seine Bremsen ordentlich quietschten ließ, landeten wir bei NGC 3877, wenige Bogenminuten südlich von Gamma UMa und direkt bei einem hellen, orangefarbenen Feldstern befindlich. In diesem langgestreckten, linsenförmigen Nebel zeigte sich, außer einem schwachen stellaren Kern, keine weitere Struktur.


Weitere 5° südwestlich davon erspähten wir im Atlas eine kleine Gruppe, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, und ich stellte sie ein: Das Quartett IC 749, 750, 751 (nicht im Atlas verzeichnet!) und 752. Das nordöstliche Mitglied, IC 750, dominierte den Anblick und zeigte sich als ovaler Nebel mit starker Helligkeitszunahme zum Zentrum hin. Gleich westlich von ihr sahen wir IC 749 als etwas schwächer, runder, homogener. Die anderen beiden Komponenten, die den südlichen Teil der Gruppe darstellten, waren mit ihren Helligkeiten (14,3 bzw. 14,4) schwieriger zu erreichen. Ich hatte nur auf die verzeichnete Position von IC 752 geachtet, die als diffuse, winzige, ovale Wolke mit teilweise herausblinkendem Kern daherkam, doch gleich daneben bildete ich mir einen weiteren, länglichen Fetzen ein. Dieser zeigte sich sogar deutlicher als die 752, war jedoch, wie erwähnt, nicht im is-Atlas eingetragen.


Das Teleskop verblieb in der Region, da 1,5° östlich vom vorigen Ziel eine weitere Galaxiengruppe der Sichtung harrte. Bei einem scheinbaren Doppelstern stehend, war NGC 4111 das dominante, hellste Mitglied des Trios; langgestreckt, 1:3, mit bauchigem Zentralgebiet. Südwestlich davon befand sich die kleine, schwächere, rundliche NGC 4109; und östlich des Doppelsterns sahen wir den ovalen Nebel von NGC 4117. Eine hübsche, wenn auch objektiv recht unspektakuläre Gruppe!


Ich stand am Kamin gelehnt, während Norman durchs Okular schaute, und sah am Himmel oft diese taumelnden Satelliten umherschwirren, deren Licht während des Fluges aufblitzte und wieder verschwand. Hingucker waren ebenfalls die etlichen hellen und schwachen Boliden, die unvermittelt auftauchten und vorbeisausten. War irgendein Strom aktiv, von dem wir nichts wussten? Und: Keine Flugzeuge. Was für ein erschreckender Unterschied zu heimischen Gefilden. Mein Blick ging in den Norden, wo sich, entlang des Horizontes, wieder diese Dunstschicht abgesetzt hatte. Allerdings weniger stark wie in den Vornächten, was sich am Nachmittag ja auch schon angedeutet hatte. Mir fiel allerdings auf – bzw. bildete mir das ein –, dass, etwa bis zur Höhe von Capella, sich eine Art Kante parallel zum Horizont ausgebildet hatte. Unterhalb von ihr schien der Himmel etwas aufgehellter; darüber dunkel und schwarz. Erklären konnte ich mir das nicht, aber ich fand es sehr auffällig und machte Norman darauf aufmerksam. Er jedoch konnte nicht nachvollziehen, was ich meinte. Vielleicht eine zweite, wesentlich dünnere Dunstschicht, die vom Meer hochgezogen war?
Ich war irgendwie müde und lag auf dem Mauerstreifen auf dem Boden, von wo aus noch ein bisschen Restwärme abstrahlte. Weil Norman mit dem endlosen Aufsuchen irgendeines Galaxienteils zugange war, passierte es tatsächlich, dass ich einnickte und erst durch seine nahen Schritte wieder aufwachte. Oh je. Die letzte Notiz, die ich mir ins Buch kritzelte, lautete „
NGC 4031?“, und ich entschloss mich zu einem kurzen Nickerchen im Haus. Ich ließ Norman auf der Wiese zurück und mit seinen Galaxien allein, kippte ins Kissen und war sogleich weg.


Jawoll, ich habe dann mal diverse Galaxien aufgesucht, wovon ich aber nur eine erwähnen möchte, die mir besonders gefallen hat: NGC 4051. Recht hell und groß zeigte sie sehr deutliche Ansätze von markant spitzen Spiralarmen in Draufsicht. Ein Tip wie ich finde! Kurz vor 2 Uhr morgens gesellt sich Anne wieder zu mir... Bitte übernehmen Sie!...


Wie spät es war, weiß ich gar nicht mehr. Doch der kurze Schlaf tat gut, weckte die Lebensgeister und um 01:45 Uhr war ich „back on the track“, trotz des noch anfänglichen aufwachbedingten Taumels. Ich trat auf die Terrasse, sah Jupiter nurmehr gering über dem Horizont schweben und erschreckte Norman, der oben ganz ruhig vor sich hin beobachtet hatte. Ich kam hinzu. Die Bedingungen waren weiterhin traumhaft; ein klarer dunkler Himmel mit langsam emporsteigenden Skorpion und die ersten Ausläufer der Milchstraße. Hoch oben, im Süden, kulminierte der Mars. Nach wie vor leichter Wind und angenehme Temperaturen. Eine einsame, nachtaktive Grille zirpte im hohen Gras; ansonsten war es still.

Ich erkundigte mich über Normans bisheriges Tun und er stellte mir, ganz stolz, einen Sternhaufen ein („Zur Begrüßung!“), den er zuvor beobachtet hatte. „Den hab‘ ich auf der Karte gefunden. Mal sehen, ob du den schon kennst.“ Im Okular strahlte mich das unverkennbare, markante Muster von Picot 1 an, „Napoleon’s Hat“, direkt bei Arktur. „Klaaar! Über den habe ich beim DSM gesprochen; der Haufen gleich ganz am Anfang.“ Ich freute mich über dieses Willkommensobjekt. Es gab außerdem einen kurzen Abstecher zu zwei der fantastischsten Dunkelstruktur-Vertretern, die es derzeit am Himmel zu sehen gab: Die nur allzu gut bekannte M 64, die ihre Kulmination gerade hinter sich hatte und trotzdem, bei einem Stand von noch über 84°, mit ihrem prägnanten schwarzen Auge umwerfend daherkam, und die einfach spektakuläre Centaurus A, die noch ein paar Grad höher steigen sollte.


Ach, wie schööön doch der Skorpion war! Der lange Stachel ragte schon weit aus dem Horizont heraus; der Rest des Tieres stieg stetig empor und ließ die Vorfreude auf die Milchstraße wachsen. Dort sollte die nächste Reise hingehen und Norman stellte den Kugelhaufen M 80 ein. Klar, ein tolles Objekt, vor allem für solche Nordlichter, doch sobald die Augen erst einmal unter der Omega-Centauri-Seuche leiden, erscheinen alle anderen Globulars irgendwie sinnlos. M 4 machte da eine bessere Figur, erschien locker und aufgelöst und irgendwie „angeknabbert“. Eine markante Kette verlief mitten durchs Zentrum. Südlich des Kernbereichs fielen einige helle Vordergrundsterne auf.


Auf dem Weg zu einem größeren Offenen Haufen stolperte ich über Trümpler 26, der sich als auffällig und locker aufgelöst präsentierte. In der Gesamtform ein Dreieck, das durch eine markante Kette aus drei Sternen in zwei Hälften geteilt wurde. Die westliche war größer und deren Mitglieder weniger stark konzentriert, während die Osthälfte hingegen zwar kleiner, aber dichter gedrängt daherkam. Etwa 45‘ südöstlich davon entdeckte ich im Atlas das Kugelsternhaufen-Symbol von HP 1 (Haute-Provence) und versuchte, den noch „mitzunehmen“. Sicher war ich mir nicht. Mit Ach und Krach schien eine zarte, runde Aufhellung südlich von drei etwa gleichhellen, O-W-ausgerichteten Feldsternen aufzuglimmen, die zur Mitte hin etwas kräftiger wirkte. Schwierig zu erfassen. Nach dem Abgleich mit dem POSS-Foto scheint sich diese Beobachtung aber tatsächlich zu bestätigen.


Die Zielregion, zu der ich eigentlich wollte, war eben erst über unserem lokalen Horizont aufgegangen, und auf dem Weg dorthin lief mir noch der Haufen Harvard 16 über den Weg. Erster Eindruck: Nett! Weite, helle Sternketten in O-W-Richtung suggerierten eine langgestreckte Form, die sich mit weiteren, südlich stehenden, schwächeren Haufenmitgliedern zu einem groben Dreieck wandelte. Das Objekt war recht locker und leicht aufzulösen; ich schätzte etwa 30 bis 35 Mitglieder, die insgesamt unterschiedliche Helligkeiten aufweisen und dem Haufen somit ein interessantes Aussehen verliehen.

Der Wind frischte nun merklich auf, und ich konnte nun endlich jenen Cluster erreichen, den ich mir sehnsüchtig ausgespäht hatte. NGC 6400, in der Nähe des Skorpion-Kopfes. Ich war erstaunt, wie transparent der Himmel selbst in diesen tiefen Regionen doch ist! Ein dicht gepackter Haufen in augenscheinlicher Dreiecksform. Die Sterne schienen nahezu ähnlicher Helligkeit zu sein und es gab kein herausragendes „Highlight“. Bei 133-facher Vergrößerung lösten sich interessante Ketten heraus; die helleren Mitglieder formierten sich in einem „R“, von dem sich der Rest absprengte und drumherum verteilte. Insgesamt etwa 25 Einzelsterne. Ich war ganz begeistert über diesen Fund und wollte ihn mit Norman teilen, doch der kannte den bereits.


Ich schwenkte weiter in den Osten und suchte den Kugelsternhaufen NGC 6441, doch der helle Feldstern, an dem er klebte, war nicht zu sehen – noch hinter den Bäumen. Ich war aber gerade rechtzeitig, um zu verfolgen, wie zunächst der kräftig leuchtende Stern, und gleich danach der Haufen über die Wipfel krochen, ungetrübt und sauber. Wow! Das Objekt selbst jedoch enttäuschte mich; hatte etwas Anderes erwartet. Etwas Größeres, Spektakuläreres. Zitat aus dem Buch: „Der ist ja winzig!“ NGC 6441 zeigte sich als kleines und konzentriertes Bällchen, das auch bei höheren Vergrößerungen nicht aufzulösen war; vielleicht auch vom schlechten Seeing vereitelt. Naja, aber trotzdem, irgendwie ein niedliches Kerlchen, so nah an dem hellen Stern.


„Bolide!“, rief Norman und ich blickte zufällig auch in die richtige Richtung. Die nicht allzu helle Kugel zog recht langsam, schleppte eine Spur hinter sich her und tauchte in den Siff ein, der über dem Meer hing. Ich hing in der spannenden Region rings um den wunderschönen Sternhaufen M 7 fest, dem südlichsten aller Messier-Objekte. Alles voller Haufen und Häufchen und Häuflein! Ich bin im Paradies!!


Gut, diese Kugeldinger sind jetzt weniger meins, aber aufgrund der exakten Randlage bei M 7 machte auch NGC 6453 was her. Eine kleine Kuller mit mäßig hellem Kerngebiet, nicht aufzulösen. Trotz seiner Kompaktheit, die sich schön in die hellen Mitglieder von M 7 einreihte, tanzt er durch seine flächige Erscheinung auffällig aus der Reihe.


Weitere Verdichtungen im Umfeld waren zu erkennen, die, laut Karte, alle irgendwelche obskuren Namen hatten. Ich konzentrierte mich auf die auffälligsten, und dazu zählte auch NGC 6444. Relativ groß und länglich und mit überwiegend schwächeren Sternen gesegnet, aus denen kein besonders helles Mitglied heraussprang. Ich erkannte in der Form einen breiten Pfeil wieder. Auf der gegenüberliegenden Seite von M 7 liegt der lose Trümpler 30, der sich leider in dem ohnehin schon reichen Umfeld etwas verlor. Die Ketten wie ein Fünfeck angeordnet, an dessen Nordspitze das dominanteste, hellste Mitglied thronte.


Ich hatte freie Bahn und das Teleskop für mich allein, denn Norman war damit beschäftigt, Fotos zu machen. Ich rief ihn trotzdem zwischenzeitlich heran, damit er seine geblendeten Augen an NGC 6357 testen konnte, der unter dem Spitznamen „Hummernebel“ bekannt war. Im 12er Nagler kam er am besten daher. Der gesamte Komplex war zu schwach und weitläufig, um ihn in Gänze wahrzunehmen, doch dank der guten Aufsuchkarte war der hellste Abschnitt problemlos zu lokalisieren. Dieser befand sich beim kleinen Sternhaufen Pismis 24 (öhm, wenn ich den in der DSS-Maske suche, ist der ganz woanders? Na, egal), dessen wenige Mitglieder eng beieinander standen und von einem länglichen Schleier touchiert und scheinbar auch umhüllt war. Von dort spreizte sich ein wesentlich schwächerer, diffuser leicht gekrümmter Nebelschlauch ab, der sich leicht im Hintergrundrauschen verlor und dessen Grenzen nicht eindeutig waren. In meinen Notizen stand weiterhin „bei riesiger Staubregion“; wahrscheinlich meinte ich irgendwelche dreckigen Dunkelnebel.

Von dort steuerte ich den Dobson knapp 2,5° in den Nordosten, wo vor den Toren von M 6 der nächste Cluster auf meine Visitation wartete. Riesengroß prangte NGC 6383 rings um einen hellen, orangefarbenen Feldstern, der das dichtgepackte, aber aufgelöste Zentrum markierte. Von ihm gingen drei auffällige Hauptarme ab. Der Rest jedoch war eher lose und verstreut. Wo sind die Grenzen? Wo hört das Teil auf? Die Anzahl der Mitglieder peilte ich auf etwa 30, je nachdem, wo man das Zählen aufzuhören wünschet.


Ein kleines Symbol im Atlas erweckte meine Neugier: Terzan 4, der sich nur wenig nördlich vom Vorgänger befindet. Probieren, ja, warum nicht? Ich sah etwas im Okular, das ich mit „schwach, aber eindeutig, winziges rundes Nebelchen ohne Details, kompakt“ beschrieb, und ich fertigte eine Skizze dazu an. Im Nachhinein jedoch, beim Vergleichen der Zeichnung mit der POSS-Aufnahme, gestehe ich, dass ich wohl einer Täuschung erlag. Denn dieser Kugelhaufen-Winzling ist a bisserl zu schwach, und an der Stelle, an der ich ihn vermutete, liegt stattdessen eine kurze, vierköpfige Sternkette.


Ich wiegte mich stolz, aber ahnungslos, in meinem vermeintlichen Sichtungserfolg und versuchte mich wagemutig an Terzan 2, der gleich in der Nachbarschaft liegt. „Grenze!“, notierte ich, und kehrte auf den Boden der Tatsachen zurück. Eine Reihe aus drei hellen Sternen diente zur Orientierung. Knapp östlich des westlichsten Sterns tauchte ein schwaches Glimmen auf. Die erwähnte Reihe wirkte schon fast irritierend und hinderlich bei der Beobachtung, weil das Auge oft von dem lichtschwachen Ding abgelenkt wurde. Sicher war ich mir nicht, doch tatsächlich deckt sich das skizzierte Kügelchen mit der tatsächlichen Position. Juhu!

Ich hielt kurz inne und rief zu Norman herüber: „Ich hätt‘ die ganze Reise hier nie gedacht, und jetzt sitz‘ ich hier und zeichne Terzan-Haufen!“ Hab ich das mit dem Paradies schon erwähnt? Es war 04:00 Uhr und die Durchsicht weiterhin top. Lediglich das grottenschlechte Seeing trübte den Gesamteindruck, aber in Anbetracht dieser mega-mörder-geilen Milchstraße über der Finca hätte mir das egaler gar nicht sein können. Wir versuchten, uns die Sternbildlinien des Zentaurus zurechtzulegen, und mich erinnerte die Konstellation eher an einen Bollerwagen. Außerdem fragte sich Norman, ob die Milchstraße sogar Schatten warf, und wir machten zur Bestätigung mehrere schrullige Tritte in die Luft. Sah echt so aus, als würde sich was Dunkles, analog zu unseren Bewegungen, überm Boden bewegen, doch sicher waren wir uns nicht. Überm Meer schien das Gewaber etwas aufzusteigen. Als ich mich dem Atlas wieder zuwandte, der neben dem Dobson auf dem Boden lag, sah ich einen schwarzen Ringelwurm auf dem Papier herumkriechen („Ieeeeeh!“), der beim Anheben einfach ungebremst herunterrutschte – wir mussten lachen.


Die folgende Objektkonstellation stellte für mich das Highlight der Nacht dar – der Anblick war nur schwer zu toppen. In der westlichen Schützenregion entdeckte ich auf der Karte den Sternhaufen NGC 6520 mit dem benachbarten Dunkelnebel B 86. Nachdem ich die beiden eingestellt und erstmalig gesehen hatte, rief ich, ganz begeistert, Norman herbei, der die Konstellation ebenso interessant fand. Ich weiß gar nicht, was mir mehr gefiel: Dieser hübsche, enge, reiche Cluster, oder die Staubwolke, die sich wie ein tiefschwarzer Tintenklecks vor dem Himmelshintergrund der hellen Milchstraße abzeichnete. Der Hauptkörper erschien mir trapezförmig, von welchem sich, südlich am Haufen vorbei, ein dunkler Balken langschlängelte. Bei solchen Schätzen muss man sich ja zusammenreißen, nicht zum Dunkelnebelbeobachter zu werden...

Norman hatte sich zwischenzeitlich kurz verabschiedet, um mit Stativ und Kamera ein paar Schritte auf der Straße zu unternehmen und eine gute Perspektive für die Milchstraße zu finden, während bei unseren „Nachbarn“ die ersten Hähne krähten. Der Wind wehte kontinuierlich herab und brachte erstaunlicherweise extrem milde Luftpakete mit sich. „Boah, das ist ja richtig warm!“ Das SQM-L, in mehrere dunkle Ecken gerichtet, zeigte Höchstwerte von 21,75 bis 21,8 an.


Es folgte der unproduktivere Teil der Nacht und es gab eine detaillierte Begutachtung des Trifid-Nebels, der uns mit seinen zerteilten Dunkelschläuchen beide gleichermaßen aus den Socken haute. Definitiv schöner als M 8. „Den müsste man zeichnen“, überlegte Norman. „Unbeschreiblich“, notierte ich mir lediglich. War schon der Hammer, wie sehr das Objekt durch die Höhe und Transparenz profitierte.

05:15 Uhr; die letzte Stunde verging irgendwie schnell und ohne großen Objektdurchsatz. Egal. „Wir gehen das ganz relaxed an.“ Der Ostwind frischte noch stärker auf und wir standen einfach rum, ließen die milde Luft an uns vorbeiwehen und starrten Löcher in die glasklare, knochentrockene Luft. Beim Blick in den Nordosten winkten wir der Heimat zu, wo die Sonne in ein paar Minuten aufgehen sollte, und beim Blick nach Süden stellte Norman fest: „Die Milchstraße ist abartig.“

Ich gab mir noch einmal ‘nen Ruck, etwas Neues anzuschauen. Keine 2° südlich von Sigma Scorpii steht der Kugelsternhaufen NGC 6388, der mit mehreren Feldsternen hübsch arrangiert war. Das dichte, helle, flächige Zentrum grenzte sich ungewöhnlich scharf vom Rest ab und schien leicht nach „unten“ (Norden?) verschoben. Der Halo war noch bedeutend größer und schwächer.


Es folgte ein größerer Sprung nach Osten und ich überschritt die Grenze zur Corona Australis, die mit bloßem Auge ziemlich unscheinbar wirkte und ich als eigenes Sternbild gar nicht wirklich wahrnahm. NGC 6723 war ein großer, reicher Kugelsternhaufen bei einer sehr staubigen Nebelregion (IC 4812), und war bis ins Zentrum hinein aufzulösen. Tolles Objekt, auch bekannt unter dem Spitznamen „Chandelier Cluster“.


Norman schlug vor, M 22 einzustellen, was wir als Rausschmeißer vor dem Abbau betrachteten. Ein schöner, reicher Globular, doch man hat immer noch Omega Centauri im Hinterkopf… [Norman: Moment maal! Der M 22 is voll super, den hab ich so noch nieee gesehen!] In meiner müdigkeitsbedingten Umnachtung erkannte ich ein lachendes Gesicht innerhalb des Haufens und schrieb auf: „M 22 – grinst blöde“.


Um 06:20 Uhr war zu erkennen, dass die blasse Morgendämmerung eingesetzt hatte, die mit jeder Minute stärker wurde und den Himmel aufhellte. Wir erklärten die erfolgreiche, tolle, ergiebige Session für beendet und packten das Astrozeug zusammen. Zum Glück bedeutete der Abbau lediglich das Parken des Teleskopes draußen neben der Terrassentür und das Hereintragen der Literatur, Okulare und Fotoausrüstung. Das ist ein Luxus…

 

 


Ein Beobachtungsbericht von AKE mit Ergänzungen von Norman Görlitz

06.05.2014, Magdeburg

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