Meinen Samstagabend im heimischen Schönebeck wollte ich eigentlich ganz klassisch verbringen: Erst einen netten Lauf durch die dunkle Stadt, und dann mit einem Buch unter die warme Decke verkriechen. Bei dem besagten Lauf entschied ich mich, kurz mal wieder bei Uwe vorbeizuschauen, der gerade dabei war, sich auf die kommende Beobachtungsnacht vorzubereiten. Hm... Beobachten war ich ja schon so lang nicht mehr... Die Vorhersage gab zwar ein Zirren-Mischmasch aus, aber irgendwie konnte ich nicht neinsagen und versprach, mich auch sobald wie möglich am Standard-Platz einzufinden.
Erstmal hieß es, in Rekordzeit nach Hause zu joggen und das ganze verstreute Equipment zusammenzutrommeln. Tee gekocht und den guten Obstsalat der Mutti eingesteckt. Ich war natürlich Nullkommagarnix auf irgendwas vorbereitet; hatte weder Atlas, noch Trittleiter, noch funktionierendes Rotlicht zur Hand. Von einer gescheiten Objektliste mal ganz zu schweigen. Beste Voraussetzungen also für strukturiertes Beobachten... Aber wofür hat man denn die netten Fotografen? Während der Fahrt nach Hobeck schaute ich immer wieder grinsend zum klaren Himmel, genau wie es passenderweise von Pink Floyd in jenem Moment aus den Lautsprechern schepperte: „Can't keep my eyes from the circeling skies...“ Der Orion stand provokant genau in Fahrtrichtung über der einsamen, finsteren Landstraße. Ich freute mich einfach tiiiierisch!
Als ich in den Feldweg einbog, schaltete ich die Scheinwerfer aus und rollte auf zwei parkende Autos und drei altbekannte Gestalten zu. Thomas, Martin und Uwe waren bereits da und hatten z.T. ihre Geräte fertig aufgebaut. Ich stieg aus; sogleich pfiff mir der kalte Wind (bei 5°C) unangenehm um die Ohren und die Straßenlaternen vom Örtchen blendeten im Auge. Das davor befindliche Feld lag brach; kein Getreide schirmte die Lichter ab. Man begrüßte sich freudig - logo, letztmalig war ich hier... im Juli. Der beginnende Winterhimmel schien zwar klar, aber, insbesondere in Richtung der Horizonte, dezent verschleiert. Uwe äußerte trotzdem den Verdacht, den Gegenschein in den Plejaden sehen zu können und bestätigte dies später mithilfe eines Fotos. Soo schlecht war es also nicht, und auch das Seeing ließ sich durchaus als brauchbar einstufen.
Ich lotete aus, wo der ideale Standort wäre, um sich möglichst effektiv gegen den Wind zu schützen. Und das war wie immer: Rechts hinterm großen Auto. Uwe lieh mir zum Glück Lampe, Trittleiter und Atlas aus, und ich zimmerte den Dobson in die Höhe. Weil der Spiegel kurz zuvor erst frisch aus dem warmen Flur geholt wurde und noch etwas abkühlen musste, war mit dem Beobachtungsstart keine Eile geboten, sodass ich Zeit hatte, mit den Anderen zu plaudern. Die Gesprächsthemen waren mal wieder schön skurril und der Anfang machte eine ausführliche Diskussion über synthetische Drogenherstellung. Nach 'nem Schluck warmen Tees war es an der Zeit, sich dem ersten Objekt zuzuwenden.
Was nimmt man denn da? Ich war überfordert und blätterte durch die Cassiopeia-Karten. Die Entscheidung fiel auf IC 10, eine kleine Starburst-Galaxie inmitten der Milchstraße. Kannte ich noch nicht, also ran da. In der Übersicht ein leichtes Objekt; ovaler, einseitig spitz zulaufender Nebel mit diffusen, weich auslaufenden Grenzen. Dieser Eindruck änderte sich im Folgenden nur wenig. Es war eine stellare Aufhellung zu sehen, neben welcher sich eine weitere, flächige Kondensation befand. Die Detailerkennung wurde durch den Wind, der mittlerweile kontinuierlich stark über die Felder strich, vereitelt. Der Dobson schwang und wackelte; das Bild am Okular war unruhig. Die stillen Momente waren rar gesät.
Wir hatten Spätherbst, und die Stille der Umgebung war auffallend. Kein Vogel, keine Ente, kein ominöses Rascheln auf dem Acker, keine Mücken, kein schreiender Fuchs, kein bellendes Reh. Nur das Donnern des Windes am Teleskop. Martin hatte jetzt erst begonnen, seine Gerätschaft aufzubauen, und fluchte nahezu ununterbrochen über verschiedene Aspekte dieser langwierigen Prozedur. Thomas stand weiter vorn auf dem Feldweg und fotografierte; von fern sah man das winzige rote Licht seiner Taschenlampe. Bei Uwe liefen die Aufnahmen, wie immer, anstandslos. Es musste etwa 22:15 Uhr gewesen sein und ich suchte nach dem nächsten Objekt, welchem sich zu widmen sich lohnte.
Es wurde der Pacman-Nebel NGC 281, den ich zuletzt vor... äh... 6? 7? Jahren mit meinem 10-Zöller im Hinterhof gesehen hatte. Ein Revival war also überfällig und wurde daher umso ausgiebiger zelebriert. Vergrößerungen ab 200x waren wegen des Windes kaum machbar, also blieb es bei moderaten Brennweiten, mit und ohne [OIII].
Zwischendurch hatte ich immer mal wieder kurz unterbrochen, um den Augen Ablenkung zu verschaffen. Es war 00:15 Uhr, als ich erstmalig wieder auf die Uhr sah, und die Herren hatten an meinem Kofferraum mittlerweile ein Kaffeekränzchen einberaumt und sprachen über ihre fotografischen Angelegenheiten. Thomas: „Meine Finger sterben ab.“ Ich lagerte mein halb zerknittertes Zeichenpapier im Karkoschka und rannte dann, was das Zeug hielt, den Feldweg lang. Es war eisig kalt und der (leicht abflauende) Wind biss fies im Gesicht, aber die gelaufenen Meter regten erwartungsgemäß den innerkörperlichen Wärmetransport an. Funktioniert immer wieder! Ich gesellte mich mit Tee und Wegzehrung zu den Anderen und pausierte. Dafür, dass man sich nicht blind aufs SQM verlassen sollte, war die Nacht ein Paradebeispiel: Transparenz sehr mau, aber dennoch gute Werte von bis zu 21,3 mag/arcsec². Die Grenzgröße lag lediglich bei 6,3, allerhöchstens 6,4 mag. Martin war wie aufgezogen und geriet scheinbar in Panik, da er die UGC-Nummer der Integralzeichen-Galaxie nicht kannte, Uwe um Auskunft bitten wollte, der allerdings gerade nicht zugegen war. „Uwe?? Uweee???? Uwe ist weg!!!“
Das Sternbild Hase kulminierte und im Süden war es kaum verschmiert, und ich hatte dort einen Geheimtipp im Hinterkopf. Der Spirographen-Nebel IC 418, der visuell nun nicht die allermeisten Details preisgab, dafür aber ein potentieller Kandidat für ungewöhnliche Farbgebung sein könnte. Das Ding war schnell gefunden und ich war überrascht, was für ein Leuchtfeuer das war. In der Übersicht leicht mit einem helleren Feldstern zu vertauschen. Ich wechselte gleich auf 450x, wo sich dann eine ovale, scharf abgegrenzte Scheibe mit einem auffälligen Zentralstern präsentierte. Die Fläche war homogen; in ruhigen Momenten schien sich ein schmaler, unregelmäßig fleckiger Außenring auszubilden. In der Hauptsache jedoch zeigte der PN keine Farbe. Nur handelsübliches Grau. Damit hatte ich auch gerechnet, denn über die Farbwahrnehmung bei IC 418 hatte ich nur wenig finden können. Man konnte also davon ausgehen, dass das kein einfaches Unterfangen war. Allerdings erinnerte ich mich auch an den Effekt, der sich bei Campbell's Hydrogen Star bemerkbar machte (niedrige Vergrößerung: feuerrot, hohe: grau) und ging sicherheitshalber auf 129x zurück. - Oha. Eindeutig war das kleine Scheibchen in einem schmutzig-rosa-grau-braunen Ton eingefärbt, der mich an die Farbe meines ehemaligen Wohnzimmerteppichs erinnerte. „Altrosa“ nennt man das wohl, aber natürlich noch mit einem ordentlichen Schuss grau versetzt. Der Farbeindruck verschwamm im Laufe der Minuten wieder, kehrte aber zurück, als ich, zum Zwecke der Zeichnung, nochmal auf 200x ging und anschließend wieder aufs 14mm-Okular wechselte. Es war eindeutig und keineswegs schwierig. Ein kleiner, blassrosagrauer Ball...
Meine Begeisterung tat ich kund und rannte dann, zum Behufe des Aufwärmens, den Feldweg in westliche Richtung, wo das Gestrüpp irgendwann anfing. Beim Rückweg spürte ich unterm Turnschuh eine weiche Stelle verminderter Haftreibung. Och nö. Ich leuchtete auf den Boden. Treffer. Eine Mine. Mein Fluchen ließ den noch immer aufgedrehten Martin herbeieilen, der sogleich über das Ursprungstier spekulierte. Aber mit solcher Art der Fährtenlesung kannte ich mich nicht aus und striff den Schuh am Gras ab. Er stellte für die anderen beiden einen Gefahrenplan auf („Nicht die rechte Spur langgehen, sondern auf die linke wechseln!! Und auf dem Rückweg auf der rechten Seite bleiben!“), guckte unter seine eigenen Moonboots und überlegte, die Stelle mit Warnbaken und Baustellenbeleuchtung abzusichern. Ich musste lachen.
Zugegebenermaßen hatte mich mittlerweile die Müdigkeit gepackt und auch die Beobachtung (und dem mittlerweile dritten Zeichenversuch) vom Eskimo, NGC 2392, riss das nicht mehr raus. Thomas hatte seine Stative und Kameras abgebaut und verstaut, warf noch einen finalen Blick auf den PN in meinem Dobson und verabschiedete sich wieder in Richtung Börde. Es war gegen Viertel 2; am Westhorizont waberten Dunstschichten umher und verschluckten halb den Pegasus. Diese Wolken sollten sich wieder komplett auflösen und einen blanken Himmel hinterlassen, doch ich wurde nicht mehr Zeuge dessen. Nach und nach verschwand das Teleskop im Auto, während ich nebenbei noch einen der letzten Schluck Kaffee aus Uwes Kanne abstauben konnte. „2°C“ blinkte es im Armaturenbrett.
Irgendein hellerer Meteor zog senkrecht durch den Eridanus nach unten. Wir standen zu dritt noch eine Weile zusammen und diskutieren über gewisse aktuelle Entwicklungen der hobbyastronomischen Printmedien, worüber wohl jeder so seine ganz eigene Meinung hat. Kurz nach Zweie verabschiedete auch ich mich von Uwe und Martin, die noch bis 05:00 Uhr ausharren sollten. Ich wünschte weiterhin viel Erfolg und fuhr, gegen die Müdigkeit ringend, zurück nach Hause.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Schönebeck, 24.11.2014