Die Schönwetterkatastrophe hatte begonnen. Was will man mehr: Urlaub im Hochgebirge, Neumond, August, Wochenende, wolkenloser Himmel, nette Leute und ein viele neue Ziele auf dem Plan. Schon am Nachmittag deutete sich das „Unheil“ an, als Venus problemlos am Taghimmel zu sehen war. Eine Premiere für mich… Ich war begeistert.
Zu unserer Viererrunde gesellte sich mit Matthias Kronberger und Uwe Glahn wieder hohe Prominenz, während sich die „Söldener Bande“ etwas weiter abseits positionierte. Trotzdem ein Haufen Leute, die des Nachts da oben waren. Gegen 20:15 Uhr hatten wir den Platz auf dem Gletscher erreicht und bewunderten eine großartige Dämmerung mit aufsteigendem Erdschatten und ein paar dekorativen Zirren, die sich auflösten. Mit 10°C und flauem Wind war das Klima angenehm. Die Zeit, bis es dunkel wurde, wurde mit Gequatsche und Fotos vertrieben. Thomas gab mir eine kleine Einführung in Optik-Überprüfung, mit Ronchi-Gitter und Sterntest. Die Südländer machten Witze über Heidelbeeren („Doping“) und verteilten großzügig Kekse. Zudem lieh mir Herr Glahn zwei seiner Okulare aus. Die Milchstraße flockte im Laufe der Zeit immer mehr aus und wurde kräftiger und kräftiger, bis tief in den Südhorizont. Es war unglaublich.
Das erste Objekt der Nacht war NGC 6355, ein Kugelsternhaufen im Schlangenträger. Er war einfach sichtbar, aber überraschend flau und auch nicht aufzulösen. Er glich einer Galaxie mit nur mäßig hellem Zentrum, allerdings unruhig wirkend. Mit dem „neuen“ 14er (das schwerste Okular, das ich je in Händen hielt) blitzten Einzelsterne heraus, vor allem in der Nordhälfte des Haufens. Bei närrischen 400-fach zeigte er sich leicht oval geformt und ein paar mittige Sprenkel waren bei indirektem Sehen erkennbar. Der Nordrand zerfiel am besten in seine Bestandteile und er enthielt einen markanten Einzelstern.
Ein weiteres Schlangenträger-Objekt war der Planetarische Nebel NGC 6369. Er erstaunte mich schon beim Aufsuchen ob seiner Größe, denn er war sofort als Scheibchen zu sehen. Im 14er und OIII: „Toll!“ Ein oval-runder Nebel mit hellerem Ring und dunklem Interieur, ähnlich M57. Der nordwestliche Teil des Ringes schien kräftiger. Bei höherer Vergrößerung zeigte sich ein zarter hellerer Sprenkel an der westlichsten Ringspitze. Das Objekt war grob Ost-West-gekippt.
NGC 6401 ist ein einfacher Kugelsternhaufen ganz in der Nähe. Schon beim Aufsuchen easy; ein helles Zentrum, kompakt und „angesprenkelt“, aber nicht genau mittig. Die Südhälfte des Objektes erschien mir abgeschnitten. Dass dies täuschte, stellte ich bei 114-facher Vergrößerung fest: Ein hellerer Vordergrund- oder Einzelstern am Süd-Ost-Rand löste sich heraus und bewirkte diese Störung. Der Zentralbereich war nur mäßig konzentriert und grobklumpig. Beim Wechsel aufs 14er hörte ich, wie sich Thomas näherte. Er bot mir ein 13er-Ethos an, zu dem ich nicht Nein sagte und es auch gleich ausprobierte. Der Haufen löste sich trotzdem nicht auf und zeigte sich leicht dreieckig geformt.
Es war 23:00 Uhr. Die Milchstraße war irrsinnig hell und unbeschreiblich. Aus den Augenwinkeln heraus meint man, es wäre eine große, heraufziehende Wolke, doch in Wirklichkeit leuchteten die dichten Sternfelder. Ich ärgerte mich über die kleinen spitzen Steinchen, die unter meinem Sitzkissen lagen und trotzdem durchdrückten, denn beim Knien war das unangenehm. Ich holte mir Kekse, während Uwe W. nebenan die Milchstraße ablichtete.
Weiter geht’s mit NGC 6517. Im 32er eher flau, aber mit kräftigem, konzentrierten Zentralbereich. Ich vergrößerte gleich auf 114-fach – das 14er gefiel mir, obschon es so viel wiegt. Der Kugelsternhaufen sah dadurch nicht anders aus: Unspektakulär und nicht aufzulösen, doch direkt in der Mitte sprang immer wieder ein Einzelstern hervor.
Für die Suche nach NGC 6426 musste ich andere Literatur zurate ziehen, da die Seite in meinem Atlas fehlte. Blöde. Und dann präsentierte sich dieser runde Kugelsternhaufen auch noch als Lusche; ohne helles Zentrum und kaum konzentriert. Ähnlich der Anblick im 13er, dessen Bildschärfe mich begeisterte. Die Helligkeit war nahezu einheitlich; erst nach längerer Betrachtung war eine leicht dezentrale Aufhellung erkennbar. Das 8er Ethos, das Thomas mir ebenfalls gab, änderte nichts an dieser Erscheinung. Ich hatte noch nie in meinem Leben so viele Okulare zur Verfügung…
Ich freute mich wie ein Schneekönig, dass ich alle H-400-Objekte im Schlangenträger endlich abgehakt habe, da ich sie schon viel zu lange auf dem Zettel hatte. Es folgte ein kleines Päuslein um 23:40 Uhr, in dem ich meine Daunenjacke anzog. Nun war ich fertig eingepackt, aber bei Bedarf hätte ich noch ein paar Eisen im Feuer gehabt. Perfekte Bedingungen! Es ging ein ganz leichter Wind, der in kurzen Böen ab und zu auffrischte. Absolut wolkenfrei, und das Seeing war annehmbar. Ich trank Kaffee und spürte, wie er mit jedem Schluck den Körper durchwärmte. Dazu Hobbit-Kekse.
Inspiriert von Uwes Aufnahmen beschloss ich, mich an dem Planetarischen Nebel zu versuchen, der direkt bei NGC 6712 steht. IC 1295 hieß er, und war im 14er und OIII-Filter problemlos sichtbar. Ich war erstaunt über die Größe, denn der Durchmesser betrug etwa 2/3 dessen, was der Kugelsternhaufen daneben maß. Eine runde Scheibe mit einem leicht dunklen Innenleben. D.h. wieder ein Ring. Dessen Ost- und Westrand schien etwas diffuser auszulaufen. Noch höher vergrößert zeigte sich ein Vordergrundstern im Westteil.
Es war nun nach Mitternacht und ich widmete mich einem kleinen Galaxienquartett in den Fischen, das mir im Sternatlas auffiel. Die Mitglieder waren L-förmig angeordnet. Die hellste der Vier war NGC 193 an der obersten Spitze des L. Bei 114-facher Vergrößerung zeigte sich ein oval-länglicher Nebel mit einem Vordergrundstern in der Westhälfte, der kräftiger war als der eher zarte punktförmige Kern. Er war Ost-West-ausgerichtet und wies ein Achsenverhältnis von etwa 1:3 auf. NGC 194 bildete die Mitte der langen L-Seite. Sie war schwächer und diffuser; die Übergänge fließend. Eine runde Galaxie, in welcher sich nach längerer Zeit ein stellarer Kern im Zentrum zeigte. NGC 198 befand sich im Knickpunkt dieser L-Formation. Was mir sogleich auffiel, war ein zweites Nebelchen ein Stück weiter nördlich. Noch eine Galaxie oder Einbildung? In der Karte war dort nichts mehr verzeichnet. Dieser Eindruck erhielt sich auch nach längerer Zeit. Ich sah eindeutig zwei sehr schwache Nebel, wobei der nördlichere der beiden etwas länglicher daherkam. Dennoch waren sie flau, diffus und ohne Highlights; es fiel sogar schwer zu sagen, welche die hellere war. Nach späterer Recherche stellte sich heraus, dass es sich um NGC 200 handelte, mit einer Helligkeit von 14mag. Den Endpunkt der kurzen L-Seite bildete NGC 182. Im 14er gut machbar, doch ein Nachbarstern stört bei der Beobachtung. Ein oval-runder Nebel. Die Helligkeitszunahme zur Mitte hin war deutlich, kulminierte jedoch nicht in einem Kern. Er war nur bei indirektem Sehen erahnbar.
Etwa 00:30 Uhr watschelte ich mal zum großen Dobson herüber und überprüfte die Beobachtungsdisziplin. Uwe zeigte mir einen „ganz fiesen“ Planetarischen Nebel, NGC 6842 (?), dessen Innenbereich er als strukturiert beschrieb, diese Strukturen jedoch nicht eindeutig fassen konnte. Ich sah einen eiförmigen Nebel, der an einer Kante abgeschnitten wirkte und einen einfachen Zentralstern besaß. Jupiter war aufgegangen, und ich gönnte mir noch einmal Kaffee und ‘nen Keks, ehe es weiterging.
Im Pegasus befanden sich die Galaxien NGC 7385 und 7386, die ein kleines Pärchen bildeten. Die erstgenannte war in der Übersicht zunächst schwer zu sehen, aber dann eindeutig und problemlos haltbar, wobei allerdings ein benachbarter Stern die Beobachtung irritierte. Sie wirkte ein wenig kräftiger als ihre Kollegin; 1:3 oval, etwa N-S-liegend. Bei 114-fach erschien sie dagegen mehr runder, mit einem zarten stellaren Kern in der recht auffälligen Zentralregion. NGC 7386 zeigte sich noch verwaschener und „zerlaufender“. Eine unspektakuläre, runde Galaxie. Riss mich nicht vom Hocker. Mir fiel jedoch ein weiteres Wölkchen im Gesichtsfeld auf, das mit diesen beiden Objekten ein gleichwinkliges Dreieck formte. Befindet sich dort eine weitere, schwache Galaxie? – Tatsächlich! NGC 7387, die auch nicht im Sternatlas verzeichnet war. Das Feld um diese Konstellation herum weist sogar noch mehr auf…
Was mir auffiel war die recht helle Umgebung auf dem Platz. Ich konnte die Konturen der nahen Hügel und Felsen problemlos erkennen und der Boden war hellgrau. Außerdem sah ich jeden Schritt meiner Mitbeobachter, die als dunkle Gestalten vor dem matten Hintergrund umherliefen. Dies hatte ich so nicht in Erinnerung. Der Himmel war dunkel und keine Lichtquelle störte – warum also? War es vielleicht die Milchstraße, deren breites, flockiges Band über unseren Köpfen schwebte? Ich machte ein paar Schritte auf dem Boden und fragte Uwe W. nach seiner Meinung. Konnte man etwa einen zarten Schatten unter den Füßen erkennen, oder bildete ich mir dies ein? Warf die Milchstraße tatsächlich einen Schatten?
Meine nachfolgende Aufmerksamkeit erhielt NGC 7454, die etwas weiter nördlich der eben beobachteten Gruppe steht. Sie war schon in der Vergrößerung auffällig und gut von einem hellen Nachbarstern zu lösen. Bei 114-fach waren dazu nordwestlich zwei weitere Vordergrundsterne erkennbar, die der Galaxienhalo noch tangierte. Die Form war rund, 1:1,5. Ein flächiges Zentrum ohne Kern. Im 9er war der Anblick am besten, doch neue Erkenntnisse kamen nicht mehr dazu.
Nicht weit davon entfernt und noch auffälliger: NGC 7448. Sie grenzte sich sehr gut vom Hintergrund ab und wies eine nahezu gleichbleibende Helligkeit auf. Länglich-ovale Form, 1:2, N-S-ausgerichtet, z.T. sehr spitz wirkend, aber unsicher. Im 13er-Ethos schien sich das zu bestätigen, denn das Südende schien spitzer zu sein als das andere. Kein Kern; nur vage herausblitzend. Bei 178-facher Vergrößerung wirkte der Westrand besser begrenzt und die Enden ragten ein winziges Bisschen über den bauchigen Halo hinaus.
Die nächste Tasse Kaffee gabs direkt am Teleskop und es schaute jemand vorbei, den wir bis jetzt noch nicht gesehen hatten. Rainer kam gegen 02:00 Uhr von oben herunter, um ein Weilchen mit Uwe zu plaudern, und wechselte auch ein paar Wörtchen mit mir. Ob er diesmal wieder in Latschen unterwegs war, konnte ich allerdings nicht erkennen.
Nahe Alpha Pegasi befindet sich mit NGC 7463 und 7465 ein weiteres enges Galaxienpärchen, das ich mir herausgesucht hatte. Erstgenannte war dabei wesentlich auffälliger. Im 14er kein Kern sichtbar, aber gut als länglicher, O-W-liegender Nebel zu sehen, mit einem Achsenverhältnis von 1:3. An der Ostspitze fiel ein kleines Detail auf: Entweder ein Mini-Lichtknoten, oder ein Vordergrundstern. Die Nachbarin war zwar heller, aber ob ihrer Kompaktheit leicht mit einem Stern verwechselbar. Ein stellarer Kern war umgeben von einem kleinen, flächigen Zentralbereich, um den herum kein weitläufiger Halo folgte. Ob ich NGC 7464 auch sah, die sich als dritte im Bunde daneben befand, konnte ich nicht genau sagen.
Ich verließ den Pegasus, um mich wieder mit Herschel 400 auseinander zu setzen. Im Walfisch gab es drei recht helle Kandidaten, die mir noch fehlten. Das erste Objekt war NGC 247, die mich beim Aufsuchen schon überraschte. Sie war (vor allem im Vergleich zu den sonst üblichen schwachen Funzeln) ziemlich groß, dabei aber nicht sehr flächenhell, sodass man sie schnell übersehen könnte. Ein recht diffuser, aber „riesiger“, langgestreckter Nebel (1:4,5) in Nord-Süd-Richtung. An der Südspitze befand sich ein heller Vordergrundstern. Es war kein Kern oder zentrale Aufhellung zu beobachten und die Helligkeit war über die ganze Fläche nahezu einheitlich verteilt. Die Grenzen liefen sanft in den Hintergrund aus. Bei 114-facher Vergrößerung verschwand NGC 247 fast. Sie war linsenförmig und ein weiterer, schwächerer Vordergrundstern war im südlichen Teil erkennbar, näher zur Mitte hin. Nach längerer Betrachtung wirkte das Zentrum ein wenig aufgebauschter. Summa summarum ziemlich enttäuschend.
Von der berühmten Sculptor-Galaxie NGC 253 erhoffte ich mir dagegen mehr. Im 32er-Okular präsentierte sich ein wahrer Riese, der mich fast schon überforderte. Beim Wechsel aufs 26er wurde ich von Uwe G. unterbrochen, der nach dem Rechten sah und sich nach dem aktuellen Stand erkundigte.
Da ich auch von NGC 247 sprach, führte er ein ähnlich aussehendes Objekt an, das ich nicht kannte und außergewöhnlich klang: Das WLM, Abkürzung für Wolk-Lundmark-Melotte-System. Eine schwache Galaxie mit dazugehörigem sichtbarem, stellarem Kugelsternhaufen (WLM-1) daneben. Deep-Sky-Herausforderung für den 14-Zöller. Uwe suchte das Objekt in seiner Uranometria und ließ sie mir da, woraufhin ich erstaunt feststellte, dass es auch in meinem Atlas als MCG 03-01-015 aufgeführt war. Die Suche war, trotz dieses blöden Starbeam-Dings, ziemlich einfach und die Galaxie tauchte problemlos im 32er auf. Ich war baff. Sie war natürlich sehr schwach, diffus und verwischte des Öfteren im Hintergrund, tauchte aber stets an Ort und Stelle wieder auf und präsentierte sich als langgezogener, spindelförmiger, dauerhaft haltbarer Nebel. Die Helligkeit war einerlei, ohne Details und übergangslos in den Hintergrund auslaufend. Uwe kam noch einmal vorbei und suchte zudem nach dem erwähnten Kugelsternhaufen, dessen Position er sich aber nicht sicher war.
Es war halb 4 und Zeit für einen Blick nach oben. Im Nordwesten versank die Milchstraße im Berg, im Süden folgte die Sternarmut des Herbsthimmels und im Osten dominierten die brillanten Sterne des aufziehenden Winters. Der Arm des Orion schaute über die tiefe Bergkette. Absoluter Blickfang war ohne Zweifel die Venus in den Zwillingen, die strahlte und blendete. Ich dachte an die Tagessichtung vom Nachmittag. Die letzten Kekse waren verschwunden und ich nahm die Arbeit wieder auf.
Zurück zu NGC 253. Der Anblick im 20er zeigte eine Südost-Nordwest-ausgerichtete Galaxie, 1:6, mit mehreren Vordergrundsternen. Der flächige Zentralbereich wirkte oval-kastenförmig, enthielt keinen Kern und setzte sich gut von den Spitzen ab. Ich erahnte eine dunkle Kante nördlich des Zentrums.
Das nächste und letzte „ernsthafte“ Objekt war NGC 288, ein heller Kugelsternhaufen. Mit seiner Größe hatte ich nicht gerechnet. Riesig! Er war schon bei 62-fach in viele Einzelsterne aufgelöst, vor allem an den Rändern, das Zentrum wirkte aber noch „bepackt“. Der Südrand erschien mir loser als der sich zuspitzende Nordrand. Im 14er wirkte die Gesamtform dreieckig. Die höchste Sterndichte schien nicht direkt im Zentralbereich, sondern ein Stück daraus versetzt. Viele kleine Diamanten!
Oh, ich wurde nun wirklich müde und die Konzentration verschwand, trotz des wunderschönen Osthimmels. Das Seeing war in der Richtung nicht gerade bombig; Uwe W. formulierte es schön: „Der Orion vibriert.“ Dominantes Zodiakallicht, an der Venus vorbeilaufend. Eine Mords-Pyramide.
Als finalen Happen gönnte ich mir M 33. Eine riesige Insel. Große Fläche mit Spiralarm-Ausläufern. Toll. Im Anschluss daran begann ich mit dem Abbau. Es war 04:30 Uhr. Warum vergeht die Zeit so schnell? Im großen Dobson konnte ich noch einen Blick auf NGC 891 erhaschen, die einem guten Schwarz-Weiß-Foto Konkurrenz gemacht hätte.
Abfahrt war gegen 05:40 Uhr. Hundemüde…
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Zwieselstein, 20.08.2012