Die Polarlichtwarnungen hatte ich im Vorfeld registriert, aber nie damit gerechnet, so eine epische Show erleben zu dürfen. Die erste Welle habe ich – trotz Wecker – leider verpennt, wachte aber von allein um Mitternacht auf und schaute aus dem Nordfenster heraus. Bittere Enttäuschung: Da sind ja nur ungesund gelbgrüne Wolken am Horizont, wie Hochnebel, angeleuchtet von der Großstadt. Dann kann man auch wieder ins Bett gehen...
Aber irgendwie sah das komisch aus… Problem war: In dieser Himmelsrichtung gibt es gar keine Großstadt, die hätte leuchten können. Und kaum hatte ich den tiefroten, gigantisch großen Schimmer im Nordosten realisiert, stürmte ich nach draußen auf die Terrasse, verlor die Beherrschung und war die folgende Viertelstunde durchgängig am Fluchen. „Was ist das? Was IST das??! Scheiß die Wand an, was geht hier ab? Was IST DAS??“
Tanzende Beamer am gesamten Himmel, im Zenit und phasenweise am Südhorizont. Polarlicht im Skorpion. Völlig irre. Im Sekundentakt änderten sich die Schleier; scharf definierte Kanten innerhalb der wirbelnden Vorhänge verschoben sich, wurden länger, verschwanden, vermehrten sich, teilten sich auf, änderten ihre Farben. Es war eine kunterbunte Lichtshow. Das eigentliche Grün nahm ich als intensiv gelbgrünes Leuchten wahr; was auf Fotos violett-blau erschien, zeigte sich mir blau-gräulich, und alles andere – eigentlich der komplette Himmel – war einfach nur satt rot. Die besagte rote „Wolke“ im Nordosten, die das Sternbild Leier großräumig umhüllte, war extrem langlebig und allgegenwärtig. Als würde es da brennen. Diese rote Wolke killte mich. Ich wurde einfach nicht darüber fertig, was ich da sah. Ich ging über die Terrasse, um das Haus herum, und sah dahinter noch viel mehr Polarlicht, welches sich sogar aus dem Schein der hellen Straßenlaterne locker absetzte. Unfassbar. Wohin man auch blickte, alles rot oder grün. Die Milchstraße war weg, denn das Polarlicht hat sie aufgefressen. Immer wieder bildeten sich die rasiermesserscharfen Strahlen neu und tauchten an allen möglichen und unmöglichen Stellen des Himmels auf. Richtig große Oschis. Erst wenige Tage vorher hatte ich von so einer Polarlicht-Show im Garten geträumt und nun fand sie tatsächlich statt. Es war völlig surreal. Mir fehlen heute noch die Worte, das adäquat zu beschreiben.
Obwohl ich Mitleid hatte, dass er zur Frühschicht musste, scheuchte ich meinen Mann aus dem Bett: „Das MUSST du sehen, das ist so krass!“ Draußen, erste Reaktion: „Och naja, so doll finde ich das jetzt nicht…“ WAS! Später standen wir abseits der Lampen im Garten und bestaunten die tanzenden Beamer. „Da, da kommt noch so einer! Boaaaah! Und da, hinter der Tanne! Da drüben auch! Guck dir DAS an! Da, noch einer, der zeigt voll aufs Haus! Guck mal, wie lang der ist! Der wird ja immer länger! Und da, der fette Beamer da, boah, der bröselt gerade auseinander! BOAH! Scheiße, was IST DAS??“ Die riesige, rubinrote Wolke in der Leier stand weiterhin da wie gemauert und nahm mich völlig in ihren Bann. Fühlte mich wie ein passiver Zuschauer inmitten einer außerkörperlichen, übernatürlichen Situation, die man mit normalen Sinnen gar nicht mehr erfassen kann. Sorry, jetzt wird’s esoterisch, aber ich finde da einfach keine Worte für. Diese rote Wolke da, dieses tief magentafarbene diffuse Monstrum rings um Vega.
Das sind wahrscheinlich die 5millionsten Fotos, die ich hiermit in die polarlichtüberfluteten Weiten des Internets hochlade, und noch nicht mal besonders gut, aber egal. Ich fand den Anblick visuell ohnehin imposanter. Die Dynamik, die dahintersteckte, kann kein Bild wiedergeben. Auch die Farbintensität – niemals hätte ich damit gerechnet, dass ein Polarlicht so quietschbunt sein würde.
Neben der fetten roten Wolke bleibt mir noch ein fingerartiges Gebilde im Gedächtnis, welches sich knapp überm Skorpion ausgebildet hat. Drei schnucklige kleine Beamerchen nebeneinander, visuell deutlich rot, und darunter noch ein grüner Schimmer. Das hielt sich nicht lang und verschwand bald wieder, sah aber extrem cool aus.
Mit Abstand das beeindruckendste Schauspiel, was mir je zu Gesicht kam. Ich hätte mir mein Leben lang in den Ar… gebissen, wenn ich das verpennt hätte.
Eigentlich wollte ich abends in Ruhe ESC gucken und optional dabei auf dem Sofa einschlafen, aber ich war – wie der Rest der Welt – voll im Polarlichtfieber und sprang zwischen den musikalischen Darbietungen und der Terrasse hin und her. Die Dämmerung dauerte sehr lang. Als es halbwegs dunkel war, setzten sich schon die ersten Beamer inmitten des Schimmers ab, der sich bei Cassiopeia tief am Nordhorizont ausbildete. Sah zunächst vielversprechend aus; visuell waren die rötlichen, kantenartigen Schleier und deren Dynamiken leicht zu verfolgen, aber das Spektakel dauerte nicht sehr lange an und war im Vergleich zur Vornacht natürlich bedeutend blasser. Haha… Schon verrückt, wie verwöhnt man von so einer einzigen Polarlicht-Walze plötzlich geworden ist.