11.11.2013 - Anne auf Abwegen, oder: Morgendliches Kometentrio



Ist schon verrückt. Manchmal geschehen doch noch Wunder. Von Sonntag auf Montag sollte es ab der zweiten Nachthälfte aufreißen, doch leider war es nicht möglich, gemeinsam rauszufahren, und allein hatte ich nicht den Schneid dazu. Während Uwe Pläne schmiedete, morgens auf der Sternwarte zu werkeln, stellte ich mir den Wecker auf 02:30 Uhr, weil ich auch… äh… die Kometen erwischen wollte.


Ich war noch in Schönebeck bei meinen Eltern und hatte Lust, mal wieder auf dem guten alten Firmengrundstück zu beobachten. Back to the roots. Als ich aber pünktlich und gnadenlos aus dem Schlaf gerissen wurde, wär ich am liebsten liegen geblieben, und ein Blick aus dem Fenster zeigten viele Wolken und nur wenig klare Stellen. Ist das alles hell, ach du Schande! Müde schlürfte ich zum Rechner, um trotzdem noch schnell die Positionen der Kometen ISON und Lovejoy zu organisieren. Mangels Drucker und Atlas (lag im Auto) mussten behelfsmäßige, grobe Karten gebastelt werden.

Als ich dann auf die Terrasse trat, sah das Wetter noch immer nicht besser aus. Genauer gesagt, war alles dicht. Na, das wird schon noch! Positiv denken! Leise brummte die Teichpumpe, Wasser plätscherte, und die Hunde grunzten in den Zwingern. Es war kurz nach 03:00 Uhr. Ein leichter, kurzzeitig aufbäumender Wind wehte aus westlicher Richtung, sodass das Teleskop wieder im Lee des Autos aufgebaut wurde. Das Geklapper mit Stangen und Schrauben weckte die Hunde auf, die lautstark protestierten, und ich musste sie beruhigen. Ein paar kleine Lücken taten sich auf, aber als ich fertig war, zeigte sich über mir eine geschlossene Wolkendecke.


Ich stand träge ans Auto gelehnt, hörte Pink Floyd, sah dem Wetter zu und wartete. Einen Modewettbewerb hätte ich in meiner Aufmachung keinesfalls gewonnen, denn ich stand dort im schneeweißen Bademantel, Schlafhose und Mütze. Trotz nur 4°C war das eine ganz brauchbare Kombination, aber sehr grenzwertig, wenn man in Gesellschaft ist. Egal. Das Teleskop peilte bereits in den nordwestlichen Löwen, wo Lovejoy rumeiern sollte, aber genau dort befand sich die hartnäckige Wolkenkante. Östlich davon war schon alles frei, und ab 03:40 Uhr weiteten sich die Lücken dann endlich auf… Mögen die Spiele beginnen.


C/2013 R1 Lovejoy war schon im Sucher ein gewaltiger Nebel und im Teleskop unübersehbar, östlich eines helleren Feldsterns befindlich. Bei 129x zeigte sich ein stellarer Kern, der schwächer war als der Feldstern. Umgeben war er von einer großen, weitläufigen, leicht in O-W-Richtung elongierten Koma, die nach Osten leicht stärker begrenzt war und sich nach Westen etwas diffuser auffächerte. Dies bestätigte sich auch bei 200-facher Vergrößerung. Die Bewegung von Liebesfreude nach Osten war binnen einiger Minuten bemerkbar.

Ich freute mich sehr darüber, wusste aber erstmal nicht, was ich nun machen sollte. Auf der Hauptstraße donnerte ein Lastkraftwagen vorbei. Die Bedingungen waren einfach nur schrecklich, aber zumindest lösten sich die Wolken kontinuierlich auf. Hoch in den Zwillingen strahlte Jupiter, und ich schlug eine Karte in der Region auf, vielleicht findet sich ja was Nettes. Die Wahl fiel auf den Offenen Haufen NGC 2420. In der Übersicht eine auffällige Wolke, die bei höherer Vergrößerung in einen gut bestückten Haufen mit vielen Mitgliedern zerfiel. Überraschend reich und eng! Manche Stellen waren nicht ganz aufgelöst und noch leicht neblig wirkend.

In der Nähe steht der Eskimonebel NGC 2392. Die markante Sternformation, die beim Aufsuchen des PN hilft, konnte ich zunächst nirgends identifizieren – der Grund: Jupiter stand da mittendrin und überstrahlte das Grüppchen gnadenlos. Der PN war nur wenig südlich davon zu finden und zeigte ein paar Details. Eine Zeichnung hab ich auch noch gemacht, aber die ist zu misslungen, als dass sie an dieser Stelle herzeigbar wäre.


Dann ging die Reise zu einem DSH-Haufen.
Leiter 11 dockt direkt nördlich an Epsilon Geminorum an und überraschte bei 56x mit seiner enormen Ausdehnung. Eine große, lose, aber reizvolle Gruppe, die aus vielen hellen Mitgliedern bestand, die ein O-W-liegendes, leeres Auge formten. Der Haufen war aufgelöst; einer höheren Vergrößerung bedarf es nicht. Es ist das vielleicht größte Sternfeld, das ich bisher gezeichnet habe.

Währenddessen stellte ich fest, dass Arktur bereits über den Pappeln im Osten aufgetaucht war. Aha, irgendwo dort stand doch der Mini-Holmes-Komet, aber ich hatte mir keine Aufsuchkarte von dem gemalt. Der Himmel über Schönebeck war nun absolut klar, aber aufgehellt. Das SQM-L gab einen gigantischen Wert von 20,04 mag/arcsec² aus, und selbst der überraschte mich positiv. Im Zwinger neben mir hörte ich, wie unser Rüde seinen Futternapf plünderte, und ich beschloss, kurz in mein Zimmer zu laufen, um die Position vom Bootes-Kometen herauszufinden.


Egal, ich war nun im Besitz der notwendigen Informationen und beförderte den Dobson in eine nahezu waagerechte Position. Sehr komfortabel, bequem auf dem Sitzkissen zu knien. Etwas südöstlich des Sterns 10 Bootis rührte ich in der städtischen Lichtglocke umher, bis mir ein diffuser, runder Wisch bei zwei Feldsternen auffiel. Der Komet? Sicher war ich mir nicht, das Teil war schwer zu halten. Aber bei 200x manifestierte sich mein Eindruck. C/2012 X1 LINEAR zeigte sich als ein kompaktes, rundes Bällchen, ohne Kern und bar jeglichen Details. Kein umwerfender Anblick, aber, hey, i hoab ihn!

Ein Schweifstern stand dann noch aus, und nach einem Blick in die Karte stellte ich überrascht fest, dass die Zielregion ja schon recht hoch stand, aber leider auch mitten in der hellen Lichtsuppe des Nachbarbetriebs. Gamma Virginis war mit bloßem Auge kaum zu sehen, und Eta Vir offenbarte sich erst im Sucher. Von diesem aus starhoppte ich mich nach Süden, erwartete aber nicht, irgendwas zu sehen. Falsch gedacht! C/2012 S1 ISON fiel sofort auf, ein ganz einfaches Objekt in sternarmer Gegend. Bei 200x zeigte sich ein heller Kopf ohne stellaren Nucleus. Die Helligkeit in der großen, rundlichen Koma nahm rasch ab, und in westliche Richtung schien sie etwas diffuser auszulaufen. Geht dort der Schweif lang?

Ich war überglücklich und sehr stolz auf meine Ausbeute. 05:30 Uhr erwachte die Firma nebenan langsam zum Leben; es fuhren die ersten Autos auf den Parkplatz und mir wurde plötzlich wieder bewusst, wie lächerlich ich aussehe. Das Papier war eh alle – Zeit, langsam abzubauen. Es war keine Super-Nacht, was mitten in der Stadt auch nicht zu erwarten war, aber ich habe tatsächlich die drei Morgenkometen gesehen, gezeichnet und ein paar andere Dinge fielen nebenbei auch noch ab, sodass ich nicht unzufrieden war. Abgesehen davon kamen nostalgische Gefühle auf, in dieser Umgebung zu beobachten. Grausige Bedingungen, aber durchaus mit Charme. Pünktlich um 06:00 Uhr war ich wieder drin, als schon die Kaffeemaschine lief. Während ich nun noch am Computer sitze und diesen Bericht tippe, wird es draußen immer heller und ich bin noch immer euphorisiert über diese interessante Nacht. Ist schon verrückt…

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Schönebeck, 11.11.2013

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