Laue Spätsommernächte sind doch immer wieder schön. Besonders, wenn sie mit guten Wetterprognosen und reichlich dunklen Stunden aufwarten, so wie an jenem Mittwoch Anfang September. Unser Ziel lag in den Voralpen, wo wir in der einsetzenden Abenddämmerung hinfuhren und dem Münchner Stadtverkehr entflohen. Machts gut, ihr Trottel! Das Sudelfeld zeigte sich wieder von der ländlichen Seite. Zwei liebestolle Kühe erschreckten sich, als wir unvermittelt um die Ecke kamen, Glockengeläut tönte aus der Ferne und ein herrlicher Duft von Heu wehte durch die Luft. Und das nicht zu knapp – der Wind war ordentlich. Gegen halb 10 kamen wir am Platz an. Die eine Hälfte war komplett zugeparkt von Fremdfahrzeugen, die andere Hälfte nahmen wir dann in Beschlag. Der Mond stand tief im Skorpion und sollte bald untergehen. Norman unternahm erste Kontrollgänge mit dem neuen „Messmich“ und bestätigte das, was wir uns bereits dachten: Die Luft war richtig trocken. 50% Luftfeuchte, die im Laufe der Nacht nur wenig anstieg. Dazu war es angenehm mild mit 19°C. Laue Spätsommernächte – was gibt’s Schöneres!
Nachdem mein Krempel aufgebaut war, wanderte ich wieder den Weg hinauf und genoss die letzten Minuten, bevor der Mond vollends hinter den Bergen versank. Die lauten Grillen zirpten links und rechts; fernes Geblöke deutete auf Hirsche hin. Toll! Und nicht eine blöde Wolke am Himmel. Herr Mond war dann erstaunlich schnell weg und machte dem langen Schleier der Milchstraße Platz. Das ging ja fix. Ich eilte wieder hinunter, um pünktlich vorm Fernseher zu sitzen.
Den Einstieg beging ich mit einem der schönsten Haufen, die ich kenne: NGC 7510. Läuft bei mir unter dem Namen „Segel-Haufen“, weil mich dieses markant geschwungene Dreieck an ein Bermudasegel erinnert. Bei mittlerer Vergrößerung kommt der brillante Haufencharakter am besten heraus; 200x sind da eigentlich schon zu viel.
Eine fette Sternschnuppe huschte aus den Augenwinkeln durch Corona Borealis im Westen und ich blieb in der sehr verehrten Cepheus-Region. King 10, den ich zuerst mit dem recht unspektakulären Sternring von NGC 7249 verwechselte, war ein absolutes Goldstück und vielleicht sogar schon das Highlight der Nacht. Zunächst fiel ein größeres Muster heller Sterne auf, während sich südlich davon ein dreieckiger, „angelöster“ Nebelschleier heraustat. Wow. Ein großartiger Kontrast zwischen Hell und Schwach! Gefiel mir auf Anhieb sehr. Bei höherer Vergrößerung zerfiel dieses Dreieck dann vollends in seine schwachen Einzelteile, blieb aber noch immer latent neblig.
Nebenan gab Norman vermeintlichen Laevens-Alarm, korrigierte sich dann aber, weil er nur den benachbarten Stern identifiziert hatte. Ich zollte der vermehrten Kälte Tribut und zog mir längere Sachen an, bevor es zum nächsten Ziel ging: Den PN NGC 7354. Eine sehr helle, kreisrunde Scheibe. Im Inneren mit einer lustigen Schalenstruktur daherkommend, die ich nicht in Worte fassen kann. Aber wofür gibt’s Papier und Stift.
Norman erklärte seinen Laevens-Versuch für gescheitert, und bevor er wegschwenkt, wollte ich auch noch einen Blick durch den 12er werfen. Mit ebenso negativem Ergebnis, aber ich habe mich nur kurz daran aufgehalten. Gab ja noch viel zu tun heute.
VdB 1, in der Nähe von Caph in der Cassiopeia, hatten wir auf den Gerlitzen ja schon gesehen. Nun wollte ich das mit 16“ wiederholen, aber irgendwie hatte ich die Landschaft wesentlich besser in Erinnerung gehabt. Rings um den nördlichen der drei hellen Sterne blinzelte der großflächige vdB 1 heraus; bei den südlichen beiden könnte es nur ihr Hof gewesen sein. Nördlich des Sterntrios war der auffälligere, kompakte Knoten von HH 164 sichtbar, der nach Osten hin auslief. Knapp drüber löste sich auch der noch winzigere HH 162 heraus, der aber eher stellar und schwach blieb.
Es folgte Abell 82. Zitat vom Notizzettel: „Voll leicht!“ Mit großzügiger Unterstützung vom [OIII]-Filter zeigte sich ein auffälliger, rundlicher, recht großer Nebel. Er bestand aus zwei Halbschalen NW und SO, die mittig durch ein dunkles Band voneinander geteilt waren. Die nord-westliche Halbschale wirkte heller und größer. Ohne Filter verschwand zwar der PN, aber viele schwache Vordergrund-sternchen tauchten auf, die dem ganzen Gebilde die Krone aufsetzten.
Mit dem ganzen Klimbim in Cas und Cep war ich erstmal durch und begab mich nun in die Niederungen des Wassermanns zu NGC 7309. Die Galaxie zeigt aufm DSS drei markante Arme, die in alle möglichen Richtungen abstehen. Im 16“er zeigte sie… Nichts. Ein rundlicher Bausch mit diffusen Grenzen und einem Kern, der nicht sonderlich kräftig war. Zeitweise wirkte der Nebel irgendwie dreieckig, aber konkret fassen ließ sich das nicht.
Das schlechte Seeing hatte sich etwas gebessert, was aber längst nicht für das Prädikat „gut“ reichte. Möglicherweise korrelierte das mit dem Wind, der sich ebenfalls größtenteils gelegt hat. Die Transparenz passte soweit… Aber es burnte einfach nicht. Die Milchstraße blieb eher blass. Ich verglich den Himmel mit den noch recht frischen Eindrücken aus dem Harz und fand, dass es in dieser Nacht eher etwas schlechter war.
Beim letzten Sudelfeld-Einsatz hatte ich mich bereits am Kugelhaufen NGC 7492 erfolglos versucht und wollte es nun, mit entsprechender Objektkenntnis im Hinterkopf, nochmal probieren. Tja, was soll man da sagen. So ein dämliches Scheißding. Warum ist das Symbol im Atlas so hell und einfach gehalten? Das ist ein saublöder Scheiß-KS! Mit dem Wissen um die niedrige Flächenhelligkeit ließen sich an Ort und Stelle nur 2, 3 schwache Einzelsternchen herauslösen. Höchstens ein grenzwertiges Gegriesel. Aber kein Nebel ringsum, kein nix.
NGC 7646 verdient eigentlich einen Revisit bei besserem Seeing. Die kleine, runde Galaxie klebt direkt südöstlich an einem Stern dran; als Schmankerl gibt’s aufm DSS auch noch einen kurzen Gezeitenschweif zu bewundern. Aber daran war natürlich nicht zu denken für mich. Ich war bereits etwas unsicher, ob ich das Objekt überhaupt gesichtet hatte. Ein schwacher Bausch bappte tatsächlich südlich an einem Stern, aber vom Hocker riss mich das nicht.
Nächster point of interest war NGC 7727. Von der lustigen zerrissen-verwurschtelten Gestalt war nicht viel zu erkennen. Südlich vom Zentralgebiet stand ein breiter arm-artiger Ausläufer, während der Halo nach Osten und Norden hin diffus… ähm… auslief. Sorry, ich mag keine Wortwiederholungen, aber für „Ausläufer“ und „auslief“ fällt mir spontan nichts Anderes ein.
Gegen 01:00 Uhr legte ich ein kleines Päuschen ein. Die Klebepfeile leuchteten wieder beim Ablösen – schön trocken war es! Und WIE ich sie alle ablöste, ha. In Massen. Es lief gut. Ich gönnte mir einen kleinen Becher Kaffee, „was Warmes für die Nacht“, und stand dann noch ein bisschen doof inner Gegend rum. Zurück bei den Teleskopen verkündete ich beschwingt: „So. Jetzt kanns losgehen!“
Ich werkelte an IC 187 herum. Markant war ein länglicher Nebelbarren mit hellem Zentrum, an dessen Ostende eine Aufhellung saß und damit verschmolzen blieb. Weitere Details gab das Galaxienpaar nicht her. Allerdings war nordöstlich noch der kurze Wisch von IC 188 sichtbar.
Ich werkelte also an IC 187 herum und freute mich über die scharfen Sterne bei 200x, bis die Sterne plötzlich nicht mehr scharf waren und sich nicht fokussieren ließen. Höy, was soll das? Als hätte man einen Schalter umgelegt, brach das Seeing ein. War nicht das erste Mal, dass sowas passierte, aber jedes Mal wundere ich mich und drehe irritiert und erfolglos am Fokusrad. Kurz darauf legte auch der Wind unvermittelt los – starke Böen fegten über den Platz. Zettel und Stifte begaben sich auf weite Reise und Norman ärgerte sich über das selbstständige Wegdrehen seines Dobson. Zum Glück blieb es erstmal nur bei einer plötzlichen Böe und es flaute bald wieder ab. Luftfeuchte: 59%. Das ist ja gar nix.
Immer, wenn ich mich auf Karte 39 im Atlas verirrte, wurde ich von ca. 15 multikolorierten Klebepfeilen erschlagen, die mich auf interessante Ziele in der Triangulum-Region hinwiesen. Jetzt sollte der Wald endlich mal gelüftet werden. Bei NGC 736 störte anfangs noch der Wind, dann das Seeing. Die Galaxie selber war so langweilig wie nur irgendwas, aber die drei aufgereihten Sternchen nördlich von ihr sind ein Hingucker. Der hellste (NGC 737… ja, tatsächlich) war problemlos; der mittlere blinkte nur zeitweise heraus und der südlichste Stern zeigte sich nur als Fortsetzung der verwischten Linie, die die drei Kollegen bei indirektem Sehen zusammenhielt.
NGC 972 war mir bekannt als eine Galaxie mit einem Staubband, auch wenn ich nicht mehr wusste, wie dieses Band genau aussah. Umso überraschender der Anblick im Okular. Insgesamt irgendwie UFO-artig und sehr hell; die zwei dominanten Feldsterne südwestlich sahen auch nett aus. Die Ränder der Galaxie machten einen unruhigen Eindruck. Entlang der Westkante des Zentralgebietes fiel die Helligkeit leicht ab und ging in den restlichen, helleren Halo über – die dustlane! Zwar sehr dezent, aber tatsächlich machbar.
NGC 1012 litt unter dem miesen Seeing. Die Galaxie, die länglich-spitz gestaltet war und in N-S-Richtung stand, zeigt auf dem DSS zwei Knoten. Einer oben, einer unten. Lediglich der untere blitzte zeitweilig mal kurz hervor. Ob der andere auch hergehen würde mit 16“ – keine Ahnung, unter den Bedingungen aber jedenfalls nicht.
Ähnlich verhielt es sich auch mit NGC 1156. Auf dem DSS mit vielen lustigen Knoten besprenkelt, im Okular war aber kaum was zu sehen. Das Objekt machte einen überwiegend homogenen, länglich-viereckigen Eindruck. Am Nordende war ein schwaches Sternchen, bei der Mitte eine schwache Kondensierung und nahe des südwestlichen Ecks schälte sich eine weitere Aufhellung mit etwas langgezogener Gestalt heraus. Das alles blieb ziemlich fade und flau.
Ich hatte es zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Schirm, es fiel mir erst hinterher ein. Hätte ich vor Ort gewusst, dass das Zeichnung Nr. 400 in meinem eigenen digitalen Archiv sein würde, hätte ich mir sicher was Schöneres ausgesucht für dieses besondere Jubiläum, als die schwammige NGC 1156.
Es war Viertel 3. Der Himmel machte mittlerweile einen besseren Eindruck als noch am Anfang. Die hellen Sterne wirkten kontrastreicher, Milky Way heller – es burnte wieder ein bisschen. Bloß die ständigen, jähen Windböen nervten immer noch. Ein jammernder Hirsch klagte irgendwo im Tal und ich beklagte leicht aufkommende Müdigkeit.
Die Abarbeitung von Karte 39 ging gut voran und das nächste Objekt war NGC 949. Ziemlich helle, linsenförmige und homogene Galaxie in NW-SO-Ausrichtung. Am Südende stand ein Vordergrundsternchen. Ich hatte mir im Atlas irgendwas mit „Kondensierung“ notiert, aber dergleichen war nicht sichtbar.
Im Rahmen der dustlane-Geschichte war mir NGC 973 keine Unbekannte. Diese sehr lange Galaxie wird bilderbuchmäßig zerschnitten von einem dünnen Staubband. Dass das aber mit meinen Bordmitteln nicht zu sehen ist, war mir von vornherein klar. 973 war sogar überraschend schwach und erst auf dem zweiten Blick auffallend. Ein langer, geisterhafter Nebelwisch, NO-SW-gekippt, zur Mitte auch nicht heller werdend. Egal, das Feld hielt ja noch mehr spannende Dinge bereit. Z.B. IC 1815 direkt südlich: ‘Ne kleine, runde Kuller mit einem hellen Kernbereich.
Nördlich des Duos schloss sich eine größere, weitläufige Gruppe mit NGC 978, 974 und 969 an, denen ich mich aber nicht näher widmete.
Norman fand sich nicht zurecht und lachte über das häufige klimpernde Geräusch, wenn einer meiner tollen Stifte von der Leiter kullerte und auf dem Boden landete. Nur mäßiges Interesse fand ich an der Gruppe um NGC 1060/7. Beide Objekte waren auffällig hell und rundlich, jeweils mit kräftigem Zentrum. Außer den beiden Langweilern konnte ich weitere Galaxien erkennen. Namentlich: NGC 1057 (klein und kompakt), 1061 (klein, kompakt und oval), 1067 (fader Kernbereich mit schwachem Halo drumrum) und 1062 (schwach und länglich). Zitat vom Zettel: „nicht so der Gruppenhit“.
Auf der linken Kartenseite gab es noch Ziele und ich verließ die extragalaktischen Regionen, um nähere Gegenden anzusteuern. Zurück in die Heimat, quasi. Es ging zum Offenen Haufen IC 348, der sich südlich vom sehr hellen Omikron Persei befindet. Der Stern stand mit im Feld und dominierte den ganzen Anblick. Der Haufen selber war… naja… Gibt Schönere. Aber trotzdem recht nett. Die Sternketten formten einen leeren Ring, an dessen Nordostbereich sich die meisten Mitglieder versammelten. Spannender an dem Ding war jedoch, dass eben dieser Bereich in einer Nebelregion steht, zumindest auf der entsprechenden DSS-Aufnahme. Auch im Teleskop war der Nebel kein Problem; die hellsten Bereiche rings um das „Haufenzentrum“ zeigten sich in Form einer diffusen, etwas länglichen Fläche. Im Atlas ist der Nebel nicht drin; nach kurzer Recherche stellt er sich als LBN 758 heraus.
Norman und ich schlossen uns kurz, dass wir alsbald die Rückreise antreten würden. Es war 03:15 Uhr und ich hatte, trotz dezenter Müdigkeit, durchaus noch Reserven, aber die müssen noch für die Autofahrt langen und in den frühen Berufsverkehr wollte ich auch nicht unbedingt reingeraten. Norman hatte sich bis eben noch NGC 7129 angeschaut, den er kurzerhand als Rausschmeißer deklarierte und dann seine Session für beendet erklärte. „Ich brauch‘ auch noch ‘nen Rausschmeißer, sonst kann ich nicht einschlafen.“ Mangels kreativer Ideen peilte ich zu M 33, die ich schon länger nicht mehr gesehen hatte, und konnte die zarten Spiralarme in dieser riesigen Nebelfläche erhaschen.
Das war es also. Eine gelungene, ergiebige Nacht war vorbei. Der frühe Morgen mit den ersten Wintersternbildern machte eine tolle Figur; die Transparenz hatte im Laufe der Zeit ordentlich zugelegt. Das Seeing blieb so schlecht wie eh und je… Naja, was solls. Wir rollten die Berge wieder hinab, hatten die Straßen überwiegend für uns allein und kamen gegen Viertel 6 wieder in der bayerischen Landeshauptstadt an, wo die Dämmerung den Himmel schon leicht erhellte.
Un texto de AKE
München, 09.09.2016