05./06.01.2014 - Haufenparade

Ein weiterer trüber Tag ohne Sonne ist ins Lande gezogen, doch eine heitere Botschaft ließ uns frohlocken: Die scharfe Wolkenkante raste unaufhörlich aus dem Westen auf uns zu und sollte bereits am frühen Abend über Sachsen-Anhalt hinweggezogen sein. Dahinter war der Himmel blitzblank. Und so geschah es auch: Pünktlich zum Sonnenuntergang nahm das klare, blasse Blau überhand; die schmale Mondsichel schneidet sich durch die lockeren Wolken hindurch, die Luft war ruhig und gläsern, die kahlen Baumäste reckten sich filigran gemeißelt in die Höh' und eine einsame Läuferin zieht noch eine schnelle Runde über die heimischen Hügel.

Ein idyllischer Abend brach an, und die lokalen Hobbyastronomen verabredeten sich ein weiteres Mal zum Ausflug. Gegen 19:00 Uhr erreichten wir unser schönes Plätzchen und suchten den Ackerrand nach den verräterischen Bodenlöchern ab; bei kühlen 3°C zunächst allein auf weiter Flur. Thomas und Martin ließen aber auch nicht lange auf sich warten. Der helle Mond stand hoch im Südwesten und sollte noch ein Weilchen brauchen, ehe er unterging. Außer einem schmalen Wolkenband, tief unten am Westhorizont, war es glasklar am Himmel, windstill, und trotz des Mondlichtes zeigte sich die zarte Wintermilchstraße neben dem Orion. Fern schrien Hunde und Enten. Ich baute auf und legte die so wichtigen Klamottenschichten an, denn es sollte kalt werden und die Autoscheiben beschlugen rasch. Um noch ein bisschen Zeit totzuschlagen, versuchte ich mich an ein paar Fotos. Überraschenderweise schaffte es die Kamera sogar, Sterne abzulichten, was ich Uwe ganz aufgeregt und begeistert zeigte: „Da, schau! Sterne! Alles drauf! Da schauste, was? Ja, was ich alles kann!“

Es war natürlich Blödsinn, mit der Beobachtung zu warten, bis der Mond endlich verschwunden ist, also suchte ich mir halbwegs machbare Ziele heraus – Sternhaufen. Was auch sonst? Als erstes wandte ich mich Patchick-Wienerroither 1 zu, der sich im Walfisch befindet, aber die erste Enttäuschung darstellte. Abgesehen davon, dass das Objekt im Atlas als riesiger Kreis verzeichnet ist, sah ich nichts, was nach einem Asterismus aussah. Zwischen zwei hellen Feldsternen versammelten sich nur sehr spärlich wenige Mitglieder. Beim Blick auf das POSS-Bild jedoch vermute ich, dass die vielen schwachen Sterne, die sich da mittendrin tummeln, dazugehören, aber die sind außerhalb meiner Reichweite.

Als ich die Karte 8 aufblättern wollte, griff ich irgendwo in die vorderen Seiten hinein, schlug auf und sah mich plötzlich einer Liste gegenüber. Ist es denn die Möglichkeit…?! Die ganze Zeit über meckere ich, weil ich viele Katalog-Abkürzungen gar nicht kannte und auch nirgendwo im Internet finden konnte, und dann existiert da tatsächlich eine „Liste der Katalogkürzel“?! Warum zur Hölle sagt mir das denn niemand??! Ich könnte schwören, die war vorher noch nicht da. Erst am Nachmittag hatte ich vergeblich versucht, herauszufinden, wofür „Kp“ steht – keine Chance. Entgeistert und wie vom Donner gerührt starrte ich nun auf das Papier und konnte es nicht fassen.


Aber back to business, back to Karte 8. Zurück in sommerliche Gefilde, denn es ging nun wieder in den Cepheus. Alessi-Teutsch 5 stand zwar gar nicht auf dem Plan, lag aber gewissermaßen auf dem Weg und lud zu einem Zwischenstopp ein. Bei 56x eine unauffällige, lose Gruppe aus mehreren hellen und auch schwächeren Sternen. Wegen der Verstreutheit keine besondere Form; lediglich eine große Dreierkette stach ins Auge. Kein Haufencharakter.

Eigentliches Ziel in der Region war der Haufen Pismis-Moreno 1. Den Tipp hierfür erhielt ich schon im Sommer, doch leider kam es nie dazu, ihn mal aufzusuchen. Von dem ihm umgebenden Sharpless-Nebel war nichts zu erkennen, aber der Cluster stand vergleichsweise isoliert in der Gegend und war daher auffällig. Eine größerer Gruppe, geformt wie ein rechtwinkliges, leicht gebogenes Dreieck, innen leer, und an der Westspitze prangte das leuchtkräftigste Mitglied als Doppelstern.

Da ich schonmal in der Region war, schwenkte ich ein Stück abwärts, um Juchert 21 ins Visier zu nehmen, der sich auch mit einem (mir unsichtbaren) Sharpless-Nebel schmückt. Doch auch Ju 21 war nicht so der Bringer und nur eine kleine lose Gruppe, absolut ohne Haufencharakter. Auch hier verrät der Blick aufs POSS-Bild, dass sich dort noch wesentlich schwächere Sternchen verbergen, die ich nicht erreichte.

21:00 Uhr war es nun und ich legte eine kurze Erzählpause ein. Beim Mond zeigten sich winzige, harmlose Wolkenfetzen und kleine Zirrenfelder zogen aus dem Westen herauf, doch die sollten keinen Bestand haben und bald wieder verschwunden sein. Das Gleiche galt für den leichten Schleier auf meinem Fangspiegel – bevor ich in Panik geraten konnte, löste sich der Beschlag wieder auf. Der Sucher hingegen war hinten und vorn dicht; ich suchte die Objekte im Blindflug auf.


In der Nähe von dem berühmten Bubble-Nebel steht das Häufchen Reiland 1. Bei 130x sah ich ein winziges, längliches Wölkchen; nicht aufzulösen, sah allerdings auch nicht gerade sternreich aus. Bei 200-facher Vergrößerung lösten sich mehrere Einzelmitglieder heraus, die aber weiter von einem leichten Schleier umgeben schienen. Ich schlug Uwe, der eben noch umherlief und „All Along the Watchtower“ summte, vor, mal einen Blick durchs Okular zu werfen: „Ich hab grad ‘nen ganz Tollen drin! Der ist richtig putzig.“

Daraufhin rannte ich selber den Weg lang, um mich aufzuwärmen. Der orangegefärbte Mond tauchte in die schmierigen Wolkenschichten im tiefen Westen ein und der Himmel wurde zusehends dunkler. Ich wunderte mich über eine schwarze Gestalt auf dem Acker, die sich als Thomas herausstellte, der dort mit Stativ und Kamera operierte. Es war halb 10, -1°C und wir machten eine kurze Kaffeepause. Im Kofferraum sitzend analysierten wir die Bedingungen. Ein breiter, schwacher Kondensstreifen war oberhalb des Schwans zu erkennen. „Entweder eine Wolke, oder ein Komet“, meinte Uwe, woraufhin wieder die ISON-Witze ausgegraben wurden. „ISON, da ist er doch! Helligkeitsausbruch!“


Er hatte von seinen Kometenaufnahmen berichtet und riet mir, mal den Jäger aufzusuchen, weil der gut zu sehen sein sollte. „Kriegen mer hin!“ Ich musste auf die Leiter, die aber bereits vereist und glatt war – Obacht, dass man nicht runterrutscht. 290P/Jäger stand nahe der Grenze Gem-Aur bei einem markanten Sternmuster, war aber auf Anhieb erst nicht zu erkennen. Erst auf dem zweiten Blick quälte sich eine kleine Wolke heraus; ein rundes Nebelbällchen, gut abgegrenzt und ohne auffälligen Kern. Nach längerer Beobachtung war der Komet dann einfach und direkt zu halten. Uwe war erstaunt, dass Jäger doch so schwächlich daherkam; auf Fotos wirkte er wesentlich einfacher. Aber immerhin – mein 23. Komet!!

In der Zwischenzeit frischte ein leichter Wind auf und aus Thomas‘ Richtung, irgendwo vom Acker, ertönte das Surren eines Fönes. Die Grenzgröße schätzte ich auf 6,2 oder 6,3 mag; das SQM-L maß 21,24 mag/arcsec².


Meine nächsten Ziele lagen ohnehin in der Region, und ein 8,5°-Schwenk in südwestliche Richtung brachte mich zu dem Haufen-Doppel King 8 und Töpler 2, die sich sehr unterschiedlich präsentierten. Töpler 2 war eine große, weitläufige und zerstreute Sternansammlung, bestehend aus eher „mittelhellen“ Mitgliedern. Die Anordnung der Ketten erinnerte mich an eine Spinne mit ringförmigem Zentrum, von dem sich vier Arme abstreckten. Schon in der Übersicht aufgelöst. King 8 hingegen war ein mickriger Haufen, der höhere Vergrößerungen verlangte. Eingerahmt von einem größeren Sterndreieck lösten sich aus dem Nebelballen einige Einzelsterne, aber eine komplette Auflösung war nicht möglich.

Es folgte ein weiteres kurzes Kaffekränzchen um 22:45 Uhr. Martin, mit seinen weißen Moonboots weithin erkennbar, war zu Besuch, analysierte das (ganz passable) Seeing und brachte Süßkram vorbei: Nougat in Sektkorkenform. Sachen gibt’s… Ich hatte gerade ein kleines Tief und tankte Kraft, um mich den nächsten Aufgaben zu widmen. Uwe war schon wieder seltsam, als er hochphilosophisch sprach: „Astrofotografie ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man bekommt.“ … Ich wandte mich ab und flüchtete schnell wieder auf die andere Seite des Autos.


Da die Transparenz so hervorragend war und diesmal keine Motorhaube im Weg stand, neigte ich das Teleskop wieder in niedere Gefilde, dorthin, wo die schönen Sternhaufen warteten. Eigentlich wollte ich M 46 mit NGC 2438 zeichnen, doch beim Anblick dieser unüberschaubaren Sternfülle verlor ich spontan die Motivation, suchte mir ein anderes Ziel und stolperte dabei über NGC 2414. Niedlich! Ein dichtgepackter Haufen an einem hellen Feldstern, der sich nördlich davon abstreckte. Ich zählte etwa 15 schwächere Mitglieder in eckig-gerundeter Form, ohne augenscheinliche Muster oder Ketten.

In unmittelbarer Nachbarschaft findet man das Häuflein Waterloo 8. In meinen Ohren erklang ein Lied von ABBA. Es handelte sich um einen weitläufigen, losen, linsenförmigen Ring aus wenigen, unterschiedlich hellen Sternen. Abgesehen von dieser netten Anordnung war nichts Spektakuläres an diesem Asterismus. Während der Beobachtung schallte das Gekreische zweier kämpfender Katzen aus weiter Ferne, und wieder schnatterten irgendwelche Enten. Auf der anderen Seite des Autos plauderten die Fotografen über die neue, vielversprechende Kamera von Fuji.

Direkt nebenan befindet sich der numerische Vorgänger, Waterloo 7. Bei 130-facher Vergrößerung zeigte sich eine kleine Ansammlung, die allerdings recht eng stand und daher gut zu erkennen war.

So langsam gingen mir diese Haufen auf den Keks, aber aufhören wollte ich auch nicht. Ich starhoppte mich weiter in den Süden, bis Karhula 19 im Okular auftauchte. Allerdings war es ein extrem unspektakuläres Objekt; eine weite, lose Gruppe gleichheller Sterne, die sich nirgendwo verdichtete und sich kaum vom Hintergrund abhob. Schwer zu beschreiben.


Ebenfalls kein Überflieger, aber trotzdem besser, war der Cluster ESO 559-13, der nur ein Stückchen westlich von Kar 19 liegt. Ein langgezogenes, NO-SW-ausgerichtetes Sternenband, dessen hellstes Mitglied in der Mitte stand. Es war aufgelöst, und die beiden langen, parallelen Ketten, die das Band darstellten, vereinigten sich am Nordende zu einem spitzen Bogen.

Dieser Haufen gab mir den Rest und ich konnte keine Sterne mehr sehen. Auch wenn es ganz nett war, auf dem Sitzkissen zu knien – da unten wurde es nach einer Weile ganz schön kalt, und der Wind brachte das Papier zum Flattern. 00:30 Uhr. Ich erhob mich und lief mal wieder den Feldweg in westliche Richtung. Dabei kam ich jedesmal an diesem weißen Taschentuch vorbei, das am linken Wegrand lag. Ein paar Meter weiter tauchte dann ein dunkles, halbhohes Gestrüpp auf, ebenfalls links, und bevor die höheren Büsche anfingen, lag eine kleine Pfütze in einer der Fahrspuren. Dort drehte ich immer um und lief zurück in die „Zivilisation“. Am Anfang der Nacht war die Pfütze noch flüssig, doch mittlerweile war sie oben zugefroren. Ich tippte die Fläche mit den Schuhen an; es knirschte leise. Die gelaufenen Meter wärmten mich wieder ein wenig auf – erstaunlich, dass das jedes Mal funktioniert! Dann besuchte ich Thomas und Martin, und wir unterhielten uns über das kürzliche Glatteis.


Mir fiel der Kopf der Wasserschlange auf, und ich wusste, welche Region ich nun ansteuern wollte. Nach dem Studium der entsprechenden Aufsuchkarte fiel die Wahl auf die Galaxiengruppe um NGC 2699. Eine schriftliche Beschreibung ersparte ich mir diesmal, denn es war nur ein Bündel langweiliger Ellipsen.

Der Himmel hatte nachgelassen, was sich auch im SQM-Wert niederschlug: Nurmehr 21,2, aber dennoch glaubte ich, das sehr schwache Zodiakalband zu sehen, das zwischen Jupiter und dem Löwen auf auffälligsten schien. Hmm, wer weiß. Die Tinte im Kuli war hochviskos, und als ich an die beschlagene Beifahrerscheibe fasste, um eine dämliche Fratze reinzumalen, musste ich feststellen, dass alles vollkommen vereist war.


Es geht einfach nicht ohne – der nächste Asterismus fiel mir ins Auge, ebenfalls in der Wasserschlange. Pardanaud 1, ein wundervoller Name und eine angenehme Überraschung. In eher sternarmer Umgebung gelegen, fielen die überwiegend schwächeren Mitglieder problemlos auf und formten ein zusammenhängendes, gekrümmtes Muster. Bei höherer Vergrößerung teilte sich dieses auf: Nun zeigten sich zwei nahezu symmetrische, aber zueinander gespiegelte, nach Westen zeigende Spitzbögen. Der nördliche von ihnen war etwa doppelt so groß. Insgesamt waren 14 – 15 Sterne zu erkennen. Ich gab Uwe den Tipp, sich diesem lustigen Haufen mal zuzuwenden, der dies nach Beendigung der aktuell laufenden Aufnahmen auch gern tat.

Thomas begann, das Eis von seinen Autoscheiben zu kratzen („Mein lieber Mann!“) und verabschiedete sich kurz darauf von uns. Der Wind frischte wieder auf, wehte aus Südwest quer über den Acker und beim Zeichnen fielen mir fast die Finger ab. Uwe und Martin standen am Kofferraum und tranken Kaffee; es wurde über die seltsamen grünen Schleier auf den Weitfeld-Aufnahmen gesprochen. Sie vermuteten Airglow, sowohl im Löwen, als auch am Nordhorizont knapp oberhalb der grellen Dorflaternen.

Der Schwenk ging nun in die Giraffe zu einem Objekt, dessen Namen ich auch sehr reizend fand: Alicante 1. Es war einfach aufzuspüren, aber bei niedrigen Vergrößerungen aufgrund der geringen Ausdehnung absolut unspektakulär. Es dominierten zwei hellere Sterne, zwischen denen sich nur wenige schwächere Mitglieder verbargen, die jedoch kaum voneinander zu trennen waren. Alicante 1 stellte eine ganz grobe Z-Form dar.

Der Wind wurde immer kälter und stärker, das Teleskop zitterte, und nebenan klang Uwes Montierung auch nicht mehr ganz taufrisch. Einen Katzensprung weiter nördlich war Juchert 9 zu finden. Bei 130x war ein sehr winziges und unscheinbares Grüppchen zu erkennen, das nur über Kenntnis der genauen Position zu identifizieren war. Bei höherer Vergrößerung war dem auch nicht viel mehr zu entlocken. Zwei helle, enge Mitglieder fielen auf, aber sonst war Juchert 9 sehr arm und nicht aufzulösen, obwohl sich dort noch ein paar Sternchen zu verstecken scheinen.

Das letzte Objekt der Nacht war Stock 23 (Eigenname „Pazmino‘s Cluster“), genau an der Grenze Cas-Cam. Die Stock-Haufen sind meist recht dankbar, und auch dieses enttäuschte mich nicht. Eine ausgedehnte, aufgelöste Gruppe heller Sterne, aber eher verstreut und wenig konzentriert. Die Haupt-Ketten formten ein Lambda nach; drumherum gruppierten sich schwächere Mitglieder. Gesamtform länglich.

Es war 02:45 Uhr und ich konnte das Gähnen nicht mehr ignorieren. Tief im Nordwesten erspähte ich ein niedriges Wolkenband und der unsägliche Skybeamer aus Magdeburg tanzte über den Himmel. Martin überlegte, wo genau der stehen mochte. Kalt war mir nicht, aber die Müdigkeit ließ sich nicht unterdrücken, und zum Glück sprach sich auch Uwe für die Abfahrt aus.


Also: Kopflampe aufgesetzt und abgebaut. Eine Reifschicht hatte von der Spiegelkiste Besitz ergriffen; alles glitzerte vor lauter kleinen Eiskristallen. Als mein Teleskop fix und fertig eingeräumt war, machte ich mich mit Freuden daran, das Auto freizukratzen. Gutes Krafttraining und Dehnungsübungen – um die Windschutzscheibe zu befreien, musste ich mich strecken, und kam trotzdem nicht bis zur Mitte. Großes Auto, kurze Arme. Um 03:30 Uhr war der Start in die Heimat, und diesmal war noch mehr Vorsicht geboten, als nach der letzten Beobachtungsnacht. Die Straßen waren schneeweiß vor lauter gefrorenem Reif. Möglichst langsam und aufmerksam navigierte ich uns nach Schönebeck; dennoch fühlte es sich an, wie auf rohen Eiern zu tanzen. Außer leichtem Schlingern ging letztendlich alles gut aus und nach einer knappen Stunde kamen wir heil an.




Ein Beobachtungsbericht von AKE

Magdeburg, 06.01.2014

Share by: