28./29.09.2013 - Hilfe, die Pilzhyphen kommen

Herbstzeit, Nebelzeit! Schon bei unserem ersten Fläming-Ausflug nach den Alpen, vor zwei Wochen, zeigte uns die Natur, wo der Hammer hängt und beglückte uns mit feuchten Wiesen, Bodennebel und massivem Taubeschlag. Und daher war ich sehr skeptisch, als die positiven Wetterprognosen für Samstag-Sonntag draußen waren. Zwar wolkenlos, doch sobald es sich abkühlt, kommt doch bestimmt der blöde Wasserdampf wieder aus dem Acker gekrochen und fährt mir in die Parade…


Wie so vieles im Leben hat auch der Wind zwei Seiten der Medaille. Einerseits extrem störendes Element, was ich wohl nicht näher ausführen muss, aber andererseits hält er auch den Dunst fern und verhindert das Beschlagen der Flächen. Als wir gegen 19:15 Uhr auf dem Hobeck-Acker ankamen, rechnete ich schon mit den ersten Nebelbänken, aber die Sicht war komplett frei – der Wind wehte ihn einfach davon. Eine steife Ostbrise, die durchs Maisfeld raschelte. Schön, dass die ansässigen Bauern unseren Standstreifen gemäht haben; das Gras war angenehm kurz, obwohl man einen einzelnen, ekelhaften, riesigen Pilz stehengelassen hatte. Wolkenfetzen im Westen, dazwischen lümmelte die Venus, und ein paar pinke Zirren hatten sich überall verteilt. Noch 11°C, und die Dämmerung war bereits im Gange und zeigte nette Farbspiele.

Martin und Thomas kamen im Doppelpack, nachdem ich schon mit dem Aufbau abgeschlossen hatte. Begrüßung, Lage checken, Polarstern suchen. Und ich beschloss, mir diesen komischen Pilz genauer anzusehen. Auge in Auge mit dem Feind. Uwe ulkte, dass das Mycel unterirdisch zu meinem Standort wuchern wird, um mich einzuhüllen und zu fesseln – was für eine Horrorvorstellung. Aber glücklicherweise hatte Thomas sein Auto genau auf diesem Ding geparkt und ich entdeckte unter der Stoßstange einen enthaupteten Pilz.

Nö, einen richtigen Plan hatte ich diesmal nicht. Auf einem wirr zusammengestellten Notizzettel standen ein paar Stichpunkte, und ich saß eine Weile im Auto und studierte die Leier-Region im is-Atlas. Der Wind drückte gegen die Scheiben. Uwe holte seine Jacke hervor: „Mensch, da wird einem ja richtig kalt!“ Die Milchstraße kam schon früh in der Dämmerung heraus, doch mit den noch frischen Eindrücken aus dem Alpenraum sah das alles irgendwie jämmerlich aus. Egal, da müssen wir jetzt durch.


Willkommen zurück auf der Leiter! Es ging wieder hoch hinaus, zum Offenen Haufen NGC 6791 mit dem nebenstehenden Carbonstern U Lyrae. Davon wollte ich unbedingt ein Bild haben. In der Übersicht machten beide Objekte zunächst keinen bahnbrechenden Eindruck, doch das änderte sich bei höherer Vergrößerung. U Lyr zeigte sich als ein wunderbarer, tief weinroter Stern – ein Fremdkörper inmitten der farblosen Umgebung. NGC 6791 war ein dicht bepackter Haufen, der einige Einzelsterne zeigte, doch trotzdem von einer kugeligen Nebelhülle umgeben war.

Auf derselben Karte war ein Haufen verzeichnet, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog: Stock 6. Und der zeigte sich als eine schöne Überraschung, denn trotz der Unbekanntheit war problemlos ein auffälliger, spinnenartiger Haufen sichtbar, der in der reichen Umgebung herausstach. Bei 200x zeigten sich viele Einzelsterne, die zur Mitte hin ziemlich dicht beieinander standen. Der Haufen gliederte sich in zwei Halbschalen, die voneinander wegzeigten. Die nördliche Schale war leer, die südliche hingegen mit anderen Sternen gefüllt. Ein cooles Objekt!! Auch Uwe widmete sich dem Haufen und lichtete ihn mit seiner Ricoh ab. Teamwork, nennt man das, glaube ich.

Im Anschluss gab es die vollkommene Fusion von PN und Haufen: NGC 6765 und Steine 2. Ein Kuriosum neben dem anderen. Der PN war rasch eingestellt, doch wo zum Teufel soll da ein Sternhaufen sein? Der Abgleich mit dem DSS-Ausdruck brachte die Erkenntnis zutage, dass ich von Steine 2 lediglich 2 (optimistischerweise 3) Mitglieder sah. Wie wunderbar. Und der Nachbar? NGC 6765 war ein länglicher, kometenartiger Nebel. Der hellere, größere „Kopf“ befand sich am nördlichen Ende, während der „Schweif“ auf diesen gigantischen Sternhaufen im Südwesten zeigte.

Zitat aus dem Buch: „PN als längl. Nebel gut zu erkennen, aber der OS besteht wohl nur aus 2 Sternen, oder was? Meine Güte!

Die Uhr zeigte 21:30 Uhr an und ich pausierte kurz, um wärmenden Kaffee zu konsumieren und mit den Anderen zu plaudern. Es ging noch immer der frische Wind. Das Feld raschelte derart laut, dass man fast denken könnte, ein Rudel Wildschweine streift durch den Mais. Und ein tiefes Flugzeugbrummen war mehrfach zu hören – viel Flugverkehr heute unterwegs! Wo die nur alle hinwollen? Ich zog die Polarschuhe an und bemühte das SQM: 21,3 mag/arcsec². Naja. Irgendwie nicht so berauschend, der Himmel. Die Horizonte waren aufgehellt und das Streulicht der Städte (sogar Berlin!) war dominant.


Meine nächsten Ziele lagen direkt beieinander: Kronberger 27 und Leiter 5. Bis ich sie aber in dem sternreichen Feld identifizieren konnte, dauerte es. Beide waren nicht allzu auffällig – ohne Aufsuchkarte würde kein Mensch darauf kommen, dass da überhaupt irgendetwas sein sollte. Kronberger 27 war ein winziges Häuflein, den ich kaum vom Hintergrund abgrenzen konnte. Mir schien, dass zwei kleine Grüppchen den Ost- bzw. Westrand bildeten und sich dazwischen sehr schwache, grenzwärtige Mitglieder befanden. Sicher war ich mir jedoch nicht. Leiter 5 hingegen war größer und erinnerte mich an ein dümmlich grinsendes Smiley. Oder an einen umgedrehten Pilz. Ha, da war er also wieder… Der Haufen war aufgelöst; das hellste Mitglied stand am westlichen Ende des „Schirms“.

Ich machte erneut eine Pause. Irgendwie fehlte ein wenig die Motivation, obwohl die Objekte bisher ganz nett waren. Im Süden, wo der Schütze sein sollte, war es trüb, und zwei dünne, langgezogene Wolkenstreifen wurden vom fernen Zerbst hell angeleuchtet. Die Milchstraße verlor sich. Nicht dieses schöne, kontrastreiche Band, das wir aus den Alpen kennen… Und in Richtung Osten quoll direkt hinter den großen Bäumen die Lichtglocke von Berlin empor, was so aussah, als würde gerade der Mond aufgehen. Hachja, ist das alles traurig.


Der nächste Haufen, Pothier 12, war jedoch eine nette kurzweilige Unterhaltung. Ein sehr auffälliger, runder Haufen. Es zeigte sich ein sechseckig-runder Ring, in dessen Mitte ein weiteres kleines Sterngrüppchen stand. Bei 200x war der Haufen wundervoll aufgelöst in 12 oder 13 Sterne; die Form erinnerte mich an das Vodafone-Logo.

Der Wind hatte merklich nachgelassen, doch ein leichter Hauch wehte neue, frische Ackerluft mit feiner Waldnote zu mir. Wie herrlich. So riecht der Fläming. Allerdings waren nun die Autoscheiben leicht beschlagen. Die Reise ging weiter zu Teutsch 55 – ein überraschend kleiner Krümel. Wie ein schwacher, unaufgelöster, ferner Kugelsternhaufen; ein rundes, unaufgelöstes Bällchen. Bei höherer Vergrößerung wirkte das Objekt zwar körnig und im Zentrum zeigten sich 1 oder 2 Einzelsterne, aber dennoch blieb es ein nebliger Klumpen.

Ich rannte ein bisschen durch die Gegend, Feldweg hin, Feldweg her. Weiter unten sah ich den Großen Wagen, der direkt über den beiden riesigen Bäumen („das Tor“) stand. Toll! Feldweg hin, Feldweg her. Beim Rückweg rannte ich gen Osten, und in diesem Moment zog eine helle Feuerkugel durch den Stief, parallel zum Horizont lang. Die Fotografen sprachen gerade über Kometen und Uwe wiederholte derart oft das Wort „Encke“, dass es mir hinterher noch lange in den Ohren klingelte. Martin war mit NGC 7662 zugange und freute sich: „Das läuft heute so super. Es ist noch nicht mal Mitternacht und ich habe schon die ersten Aufnahmen!“ Thomas fotografierte noch immer Richtung Osten, wo die Bäume waren. 23:15 Uhr.


Im Schwan befand sich der Haufen Teutsch 1940+37, den ich erst aus der reichen Umgebung herausfilterte, nachdem ich das Feld intensiv mit dem DSS-Ausdruck abglich. Sehr unauffällig und bestehend aus nahezu gleichhellen, eher schwachen Sternen, die sich in einem „aufgequollenen“ Dreieck formierten. Die vier hellsten Mitglieder reihten sich entlang der Nordostkante des Dreiecks auf. Kein spektakuläres Objekt; es wirkte eher wie eine zufällige Gruppe.

Während der Zeichnung standen die drei Herrschaften 5 Meter neben meinem Teleskop und unterhielten sich über fotografische Angelegenheiten, doch die Unterhaltung schweifte bald ab und landete beim raschelnden Mais. Martin hatte kurz zuvor „Tier-Alarm“ ausgerufen, weil er unter den Raschel-Geräuschen die Laute eines Hundes vermutete. Ich musste an den Stephen-King-Roman denken, den ich gerade lese… Uaah. Nun unterhielt man sich über Wildschweine. Uwe: „Die Frischlinge sehen das rote Licht, sammeln sich hier alle bei Anne und kommen dann raus.“ Das wurde mir zu bunt. Ich drehte mich um, sah die drei Herren nebeneinander stehend, wie die Hühner auf der Stange aufgereiht, und fragte: „Sagt mal, habt ihr nix zu tun?“ Wir lachten und hielten kurz darauf ein Kaffeekränzchen mit Martins Keksen ab. Es war schon Mitternacht durch.


Weiter ging es mit Pothier 10. Zunächst unauffällig, denn er stand in reicher Umgebung, doch dann sprang ein deutliche Wolke mit einigen Einzelsternen hervor. Es war ein spitzer, rautenförmiger Ring in N-S-Ausrichtung, entlang dessen Ränder sich die Mitglieder zusammenklumpten. Das Innere der Raute war sternleer.

„Wo genau stehtn Encke?“, wollte ich wissen, und Uwe gab mir die Koordinaten. Er hatte den Kometen als „hell und grün“ beschrieben. „Den findest du leicht“, sagte er. „Der ist auffällig“, sagte er.„Kein Problem“, sagte er. Ich wuselte in der westlichen Auriga-Region umher und suchte irgendein auffälliges, helles, problemloses Ding, aber dort war kein auffälliges, helles oder problemloses Ding. Dort war lediglich eine sehr diffuse, überraschend große, runde Wolke, die sich erst nach langem Hinsehen offenbarte. Na klasse. Toller Komet, wirklich. Ich konnte keinen Kern sehen, und die Helligkeit nahm zum Zentrum nur geringfügig zu. Naja. Das war 2P/Encke.

Ich gähnte schon die ganze Zeit vor mich hin und wäre über den Mondaufgang nicht traurig gewesen. Aber ein Objekt sollte noch hergehen. Völlig egal. Irgendwas. Die Entscheidung fiel auf NGC 1491; ein Gasnebel im Perseus, dessen Zahlenkombination ich immer durcheinander brachte. Tja, da war ein heller Stern, der von Nebelmassen umgeben war. Westlich von ihm befand sich der hellste Streifen, der sich nach Osten und Norden etwas diffuser verlor. Eine grobe Tropfenform.

Nun tauchte am Osthorizont ein gelbes, spitzes Hörnchen auf – der gute, alte Mond! Thomas verabschiedete sich von uns und brach wieder in Richtung Börde auf, und auch ich begann, meine Gerätschaft abzubauen. Gähn, Mann, war ich müde. Was ist denn bloß los. The Australian Pink Floyd Show begleiteten dieses Prozedere, bis sich der saudämliche Berlingo in den Energiesparmodus verabschiedete und das Radio kurz vorm großen Finale von „Echoes“ verstummen ließ. Och Mann. Der Mond, trotz Sichelgestalt und tiefem Stand sehr hell, illuminierte den kotzgelben Lack des Autos. Beim Ableuchten des Bodens fiel mir etwas Skurriles auf, das da, nur 4 oder 5 Meter vom Aufbauort entfernt, im Gras lag. „Ieeeh, was isn DAS??“ Uwe kam herbei, um zu schauen, gab aber nur den geistreichen Kommentar ab: „Das ist das Pilzmycel, das hat dich verfehlt.“ Wir tippten auf einen zermatschten Kürbis. Bei 6°C, kurz nach 02:00 Uhr, kratzten wir dann die Kurve.

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Magdeburg, 29.09.2013

Share by: