26./27.12.2014 - Und es floss der Kaffee in rauhen Mengen

Etwa eine gute Woche lang hatten wir in der nördlichen Hälfte der Republik nonstop starken Wind, oft garniert mit stürmischen Regeneinlagen und - natürlich - einheitlichem Dauergrau. Am zweiten Weihnachtsfeiertag beruhigte sich die turbulente Atmosphäre; der nervige Windstrom kam zum Erliegen und die Sonne zeigte sich an einem schönen, winterlich blauen Himmel. Der scheue Blick in die Wettervorhersage unseres Vertrauens ergab außerdem, dass die Chancen auf eine Beobachtungsnacht hoch waren. Gefechtsalarm wurde ausgerufen. - Logo, sonst würde ich diese Zeilen hier ja jetzt nicht schreiben müssen... Mein gutes linkes Astroauge hatte zwar aktuell mit einer Conjunctivitis simplex acuta zu kämpfen, aber zur menschlichen Standardausrüstung gehört ja auch ein rechtes Auge, welches im Notfall zu Ruhm und Ehre kommen darf. Nicht zur Ausrüstung allerdings gehörte mal wieder diverses Gerödel, wie Leiter und Atlas, da ich das Zeug intelligenterweise in Bernburg zurückgelassen hatte.


Halb 7 fiel der Startschuss gen Fläming und die blinkende „-1°C“ im Armaturenbrett mahnte zum vorsichtigen Fahren. Am Acker angekommen, wurden wir von einer dichten Wolkendecke und knirschendem, glitzernden Gras begrüßt. Und vom Mond, der im Westen durch ein paar Lücken blinzelte. Es war angenehm ruhig, wenn man von den Füchsen absieht, deren fernes Bellen noch weithin durch die Landschaft hallte. Ich liebe diese Atmosphäre. Beim Auskramen fiel mir auf („Ach, Sch...!“), dass ich meine vorbereitete Objektliste ebenfalls nicht dabeihatte; also mussten das Gedächtnis und die Spontaneität des Atlanten bemüht werden. Mein neustes Heiligtum sollte heute Premiere erfahren: Ein freundlicher, großer, guter Weihnachtself hat mich mit einer 3-fach-Barlow beschert, die früher zum Einsatz kommen würde, als ich gedacht hätte. Normalerweise rechnet man ja mit mindestens zwei Wochen, ehe man ein neues Teil ausprobieren darf, aber das zeitnah gute Wetter war wohl inklusive... Danke, lieber Elf! Martin stieß alsbald zu uns und begann, trotz der noch geschlossenen Wolkendecke, mit dem Aufbau seiner Anlage. Vorher musste er zwei riesige, vereiste Staubpilze vom Boden entfernen und schmiss sie auf den Acker. Ich ergriff panisch die Flucht.


Der Mond und die noch anhaltende Wetterlage bewirkten, dass ich mich mit einer Decke in den Kofferraum setzte, dort geduldig der Dinge harrte und eine Tasse Kaffee trank. Normalerweise ist Uwe unser Kaffee-Wart, doch diesmal hatte ein jeder eine eigene Kanne mit - mir deuchte nämlich im Vorfeld schon, dass das 'ne harte Geschichte werden könnte. Ich hatte eine SMS-Life-Schalte nach Berlin, die mich die ganze Nacht über immer wieder mal ablenken und auf Trab halten sollte, und so prognostizierte Norman ein Aufklaren in 45 Minuten. Nebenan wurden weise Worte gewechselt: „Wo isn Polaris?“ – „Im Norden.“ Ab 20:30 Uhr begannen die Wolken, tendenziell auseinanderzubröseln; das Mondlicht erhellte alles in einem fahlen Lichte. Eine halbe Stunde später wurde die ganze Pracht des Winterhimmels offenbar und meine Thermoskanne bereits geleert. Motivation tanken. Im Atlas war vorsorglich eine Eridanus-Karte aufgeschlagen, doch mein erstes Ziel sollte ein anderes sein...


Es ging in die Plejaden hinein, um der neuen Barlow eine Aufgabe zu verpassen. Erklärtes Ziel war die Sichtung vom Merope-Anhängsel IC 349. Das 9mm-Oku war nun 600fach wert und trotz der hohen Vergrößerung gestaltete es sich als überraschend einfach, den Dobson zu händeln. Der Nebel hingegen war weniger einfach. Meropes Einfluss war natürlich stark, und da der Spiegel noch nicht ganz abgekühlt war, waberte deren Licht unangenehm und matschig. Ich beschloss, nochmal ein paar Minuten zu warten und der eigenen Abkühlung vorzubeugen - die Bundeswehrhose meines Bruders hatte ich schon lange nicht mehr gebraucht, diesmal jedoch schon. Außerdem gab ich Uwe eine Aufsuchkarte von dem neuen Nebelchen bei Aldebaran, welchem er sich auch gleich zuwidmete und schon bald Erfolg vermelden konnte. Die Viertelstunde Abkühlung des Spiegels bei offenem Deckel bewirkte Wunder, denn das Bild im Okular war nun um Einiges ruhiger. Ich schob Merope immer wieder aus dem Gesichtsfeld und probierte mehrere Richtungen aus, weil ich nicht wusste, wo genau das Nebelchen stand. Letztendlich schälte sich südsüdöstlich ein schwacher Blob heraus, der halb mit den Spikes verwachsen war und sich nur schwer davon trennen mochte. Aber es klappte. Eine längliche Form war auszumachen. Mir schien sie sogar etwas dreieckig, doch das wird Wunschdenken gewesen sein, weil man das berühmte Hubble-Bild im Hinterkopf hat.

Es folgten ein paar weitere unmoralische Spielereien mit der Barlow und fehlgeschlagene Aufsuch-Aktionen. Was ich da finden wollte, hab ich mir nicht notiert; wahrscheinlich irgendeinen blöden PN. Ich war ein bisschen genervt. Aber da gabs ja noch die Eridanus-Karten, und nach Monduntergang war es auch endlich schön dunkel. Aus Normans jüngstem Bericht klaute ich mir die Galaxiengruppe NGC 1618, 1622 und 1625. Die Gegend war durch den hellen Aufsuchstern schnell eingestellt, doch die vermeintlich hellen Galaxien wollten nicht auftauchen. Verflixt nochmal. Im Kopf legte ich mir schon einen unflätigen Beschwerdebrief zurecht, doch ein zufälliger Blick auf den Fangspiegel löste das Rätsel: Schon völlig vereist. Da war der Fön gefragt. Nach fünf Minuten gings weiter und die Gruppe offenbarte sich nun problemlos im Okular. Ein schickes Ensemble aus drei Quasi-Edge-Ons; zwei in SW-NO-Ausrichtung und die dritte, östlichste genau lotrecht dazu. Bei eben dieser (NGC 1625) war sowohl der Vordergrundstern an der Westspitze interessant, als auch ein kleiner Nebelsprenkel am anderen Ende der Galaxie. Ich wollte ebenfalls auf die Hickson-Gruppe (Numero 30) weiter nördlich achten, ließ mich aber von der nicht eingezeichneten PGC 15643 narren. Sie war als schwacher, runder Nebel zu erkennen, die visuell wohl mit den beiden Feldsternen verschmolz, die auf der POSS-Aufnahme zu sehen sind. Hätte ja eigentlich stutzig werden müssen, dass die vermeintliche Hickson nicht an der eingetragenen Stelle stand, aber… Ach, was weiß ich. „PGC“ klingt ja auch ganz gut.

Martin sprach über seine Aufnahme von NGC 1637, die nur einen kleinen Schwenk weiter östlich stand. Ein prima Tipp! Ein heller, ovalgestalteter Nebel mit diffusen, weich auslaufenden Grenzen, steht südlich eines hübschen Sterngrüppchens. Zur Mitte hin nahm die Helligkeit fließend zu und gipfelte in einem äußerst schwachen, stellaren Kern. Bei höherer Vergrößerung zeigte sich eine interessant gegliederte Struktur und die asymmetrische Natur. Der flächige Kernbereich war nach Süden verschoben und grenzte sich gut vom Rest ab. Forciert wird dieser Eindruck durch eine schwache, längliche Dunkelstruktur nördlich des Kerns, hinter der die Galaxie nach Norden hin wieder etwas heller wurde und weich auslief. Tolles Ding!!


Es war nun Dreiviertel 11. Ich hatte zum Warmwerden schon den ein oder anderen Sprint hingelegt, was meine Finger davor bewahrte, abzufallen. Die unbelebte Welt war dagegen dem Frost hilflos ausgeliefert; die Autoscheiben waren innen wie außen dick belegt, und wenn ich am Kofferraum stand und ins Fahrzeuginnere blickte, kam ich mir vor wie in einem Eispalast. Auch der Dobson hatte sich in sein kratziges Winterkleidchen gehüllt; das Okular schien sich regelrecht am Auge brennend festzufrieren. Das Seeing war unglaublich gut! Sirius flackerte nur wenig trotz seiner geringen Höhe überm Horizont. Sirius, Sirius, ... da war doch was...


Ich schwenkte den Dobson hinunter auf die bunte, grelle Discokugel und vergrößerte zunächst auf moderate 450x. Vom kleinen Begleiter, Sirius B, keine Spur. Das kalte Okular war zu schnell beschlagen und ich wechselte aufs (angewärmte) 9er, das mit der Barlow verbandelt war. Ahhh, schon viel besser. Behutsam und gefühlvoll rangierte ich den Dobson in eine Position, in der Sirius einmal quer durchs Gesichtsfeld wandern sollte. War das erstmal vollbracht, war die Sichtung des Weißen Zwergs tatsächlich wie Kinderfasching. Ich traute meinen Augen kaum. Der helle Leuchtturm schritt majestätisch vorweg, und der kleine, dicht östlich daneben stehende Lichtpunkt flitzte hinterher. So einfach, so leicht. So schön kann Seeing sein.


Ich löste mich vom Okular und glotzte blöde grinsend nach oben. Meine Freude musste mitgeteilt werden, was Martin und Uwe dazu veranlasste, auf meinen Erfolg zu trinken. Kaffee und Marzipan wurden vertilgt. Auf Martins Nachfrage blätterte ich durch den Karkoschka auf der Suche nach einer Darstellung, die den Orbit von Sirius B zeigte, doch ich fand sie nicht. Mensch, ich war mir doch absolut sicher, dass die da drin war - wo hab ich das denn sonst gesehen?! Nachträglich ermittelt sind beide 8-9" voneinander entfernt; Tendenz in den kommenden Jahren weiter steigend.

Kalt war mir nicht und ich fühlte mich pudelwohl. Wenn man schonmal da unten rumspringt, konnte ich ein Objekt angehen, das schon länger auf der Wunschliste stand: Auner 1. Die Durchsicht in den tiefen Lagen sollte passen. Ein recht spät entdeckter und sehr schwacher Sternhaufen, der auf den Fotoplatten durch ein Geisterbild des nahestehenden Sirius überdeckt wurde. Es brauchte Geduld, um den Cluster aus dem Hintergrund hervorzulocken. Ein markanter Feldstern war eine gute Orientierung, denn südlich von ihm war ein flächiger, schwacher, formloser Nebel. Auner 1 war nicht in Einzelmitglieder aufzulösen, sondern blieb dergestalt. Bei der Nachbereitung dachte ich zunächst, einer Fehlsichtung erlegen zu haben, denn das POSS-Bild zeigt einen vergleichsweise großen, auffälligen Haufen, den es im Teleskop jedoch nicht gibt. Ich war erleichtert, als mir ein Licht aufging und die Muster der Vordergrundsterne mit der Zeichnung übereinstimmten.

Sch... ist das eisig. Die Kälte kam immer in Wellen, denn nach 'ner Weile stillen Rumsitzens geht alle Wärme flöten. Ich rannte wie der Teufel. Und erschrak dabei beinah zu Tode, als, hunderte Meter von der rettenden Meute entfernt und inmitten der stillen, einsamen Pampa, plötzlich mein Handy wieder bimmelte. Es war glasklar bis tief zum Horizont runter. Meine Jacke knirschte leise unter der dünnen Eisschicht. Uwe sah aus wie mit Mehl bepudert. Als Verpflegung hatte ich die IKEA-Fressalien eingesteckt, die man mir zu Weihnachten geschenkt hatte, und labte mich an Buchstaben-Keksen, schlicht genannt „Kex“.


Derart gestärkt widmete ich mich einer Geschichte, die ich schon länger vorhatte. Eine meiner Lieblings-Kombis ist M 46 mit dem optisch integrierten PN NGC 2438. Ein Traum. Ich gönnte mir dafür ein ganzes A-4-Blatt, machte es mir auf der vereisten Trittleiter bequem... joah, und dann gings halt los.

Nach etwa 1 1/2 Stunden, z.T. unterbrochen durch kurze, dringend nötige Aufwärm-Aktionen, war ich soweit fertig und zufrieden (und bedient), dass ich das Papier beiseitelegte. Ich schwor mir: Sowas mach ich nie wieder. Derart reiche Haufen mit überwiegend schwachen Mitgliedern ähnlicher Helligkeiten bringen die Orientierung durcheinander. Die Bedingungen waren weiterhin gut, doch am Ost- bis Südhorizont war eine leichte Dunstschicht aufgetaucht. Martin rannte immer und immer wieder den Feldweg auf und ab.



Im Kleinen Hund erspähte ich eine Kombination aus zwei Asterismen und PN. Pothier 17 ist ein vergleichsweise großer, loser Haufen, dessen Sterndichte sich nur geringfügig vom restlichen Hintergrund unterschied. Ein stumpfwinkliges, gleichschenkliges, O-W-liegendes Dreieck mit 18 Sternen, dessen hellstes Mitglied an der Westspitze stand. Ich machte eine Skizze davon, doch Pothier 17 ist derart unspektakulär, dass sich das Aufbereiten und Einscannen wirklich nicht lohnt. Ein Stück nordöstlich davon befindet sich mit Abell 20 ein schwacher PN, der sich erst mit O[III] von einem nahestehenden kleinen Sterngrüppchen unterschied. Eine sehr fade, kreisrunde Scheibe ohne weitere Details; schwierig zu fassen. Der zweite Asterismus im Bunde, Saurer 1, war nicht eindeutig zu sehen. Ich vermutete einen schwachen und winzigen, nicht auflösbaren Sternklumpen, aber viel zu unsicher, um als „erwischt“ zu gelten.

Gegen 01:00 Uhr verteilte ich Kex an Uwe und Martin, die sich gerade wieder Kaffee gönnten. Dann rannte ich durch die frostige, stille Welt. Ach, ist das schön. Kaum zu glauben, wie gering die Szintillation war; Sirius' Flackern war nur geringfügig stärker als das beständige Licht von Jupiter. Ein sehr schwacher Wind aus Südosten kam auf, der jedoch schon ausreichte, die Tränen in die Augen zu treiben. Es folgte ein Such-Versuch nach Abell 30 im Krebs, der aber nach Auswertung als Fehlsichtung verbucht werden muss.


Keine Fehlsichtung hingegen war Jupiter. Dieses Seeing... göttlich... nicht von dieser Welt! Die Bänder und Wolkenwirbel, allesamt farblich zart abgestuft, standen bei 600x wie gemeißelt auf der Planetenkugel. Ein westlich nahestehender Mond (Io) fiel in der Übersicht sofort auf, aber bei höherer Vergrößerung erschien vor dem westlichen Rand des Planeten ein sehr heller, weißlicher Punkt. Da wandert ein Mond (Europa) vorm Jupi - klasse! Die schnelle Bewegung war binnen weniger Minuten zu sehen, und bald schon trat er vor der Kugel hervor. Ganz ehrlich zugegeben - ich war total begeistert. Auch davon, dass sich alle Galileischen Monde easy als Scheibchen präsentierten, was ich bislang auch noch nie gesehen hatte. JAAAA, auch dann, wenn das selbst im 12-Zöller 'ne leichte Übung sein soll! Mir doch egal!



Weils so schön war, klebte ich eine ganze lange Weile an Jupiter fest, ergötzte mich an den Strukturen und guckte Europa beim Wandern zu. Das Dreamteam 9-mm-Oku + Barlow machte sich allerspätestens jetzt absolut bewährt - 600x ist 'ne tolle Vergrößerung für alles Mögliche! Später noch ein Schwenk auf M 42, um auf die Farben zu achten und das ominöse Rotbraun zu sehen, doch es blieb wieder beim handelsüblichen Graugrün. Das letzte Objekt der Nacht war gleichzeitig das erste: IC 349 in den Plejaden. Ich wollte nur wissen, obs noch da war. Ja. War noch da.


Um Zweie verkündete ich mein Abbauen. Ich war müde und fertig mit der Welt; außerdem wirkte der Himmel eingetrübt, insbesondere in Südrichtung. Die überragendste Transparenz war es heute leider nicht, aber das spielte bei der ruhigen Luft nun wirklich die letzte Geige. Der Dobson war dick vereist; das Berühren eines beliebigen Teils ohne Handschuhe tat brennend weh. Wir packten zusammen. Uwe hatte Mühe, sein Stativ aus dem gefrorenen Boden zu bekommen, und schleppte einen großen Erdklumpen mit ins Auto. Ich startete den Motor, um das Warmluftgebläse zu aktivieren - die dichten Scheiben mussten befreit werden, denn im Blindflug zu fahren macht sich nicht gut. Nach und nach transformierte sich der Berlingo vom Eispanzer wieder in jenen normalen PKW, mit dem wir anfangs hergekommen waren. Insgesamt dauerte die gesamte Abbau-Zusammenpack-Abschieds-Kratz-Prozedur eine geschlagene Dreiviertelstunde. Martin wollte noch ein wenig länger bleiben. Hoffentlich hatte er Erfolg - ich hingegen war unendlich froh, als ich gegen Dreiviertel 4 in die warme Koje fallen durfte.

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Schönebeck, 27.12.2014

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