Statt irgendwo im Dunklen stand ich abends im Garten unter einem superklaren Himmel. Organisatorisch ging es mal wieder nicht anders, zumal wir eine Erkältung mit uns rumschleppten und mit diversen Begleiterscheinungen zu kämpfen hatten. Meine Tochter unterstützte mich fachgerecht beim Aufbau des Teleskops und wurde offiziell zur Bodendreieck- und Sucherbeauftragte ernannt… Die Ehre kommt nicht jedem zuteil. Finde ich jedenfalls nicht schlecht, wenn man seinen persönlichen Assistenten hat, der mit einer unermesslichen Begeisterung das Zubehör reicht, die Justage kontrolliert und mich auf grobe Fehler hinweist. Während es dunkler wurde und die Dämmerung fortschritt, folgte in der Gartenhütte das Einschlafritual, und gegen 22 Uhr schritt ich nach draußen ans Werk.
Es war natürlich blöd, dass ich im Dorf versackte und nicht auf irgendeinem Berg stand, denn die Transparenz war gnadenlos gut. Die Milchstraße blieb bis tief herunter sichtbar, bis der benachbarte Schuppen die Sicht auf den Schützen versperrte. Es war noch sehr warm, kühlte aber schnell ab, windstill. Seeing mau. Die Objektplanung hatte ich an die Gegebenheiten angepasst und mich hauptsächlich auf bunte Doppelsterne und rote Kandidaten fokussiert - das schwache Zeug wird halt vertagt. Rennt ja alles nicht weg, ich mach mir da keinen Stress mehr. Keinen Bock auf Stress.
Den Anfang machte das Mehrfachsystem
ο¹ Cygni, das leicht schon mit bloßem Auge gesehen werden kann. Ein helles, schönes Trio. A wirkte orange, B weißblau und C etwas mehr blau. Klare Helligkeitsabstufungen untereinander. Die drei Komponenten waren locker und weit getrennt, schon bei niedriger Vergrößerung. Netter Einstieg!
Dann folgte
61 Cygni, Bessels Stern mit der hohen Eigenbewegung, der der Erde sehr nahesteht. War mir natürlich schon lange ein Begriff, aber dass der so ein schicker Doppelstern ist, wusste ich gar nicht. Zwei helle und zunächst eng beieinanderstehende Sterne in leuchtend warm-orangener Farbe, annähernd gleiche Helligkeiten. Sehr cool.
Dann
NGC 7063: Ein Sternhaufen, der in der Übersicht gleich gut erkennbar ist, sich aber etwas in der wimmelnden Umgebung verliert. Bei 138x stachen die vielen sehr markanten, eckigen Sternketten heraus, die das Gesamtbild dominierten. Zig rechte Winkel, die viel Spielraum für Mustererkennung boten - ich sah sehr deutlich ein schwedisches Dala-Pferd; zählt man die östlich stehenden helleren Sterne hinzu, ginge auch ein Rentier mit Geweih her.
Gleich daneben stand Patchick 65, der sich überraschend groß zeigte. Viele schwache Sterne verteilen sich lose auf der Fläche, standen aber nicht sehr konzentriert beisammen. Der Haufen war zwar aufgelöst, wegen der vielen schwachen Mitglieder war das aber auch nicht so easy-going. Der hellste Stern stand am Nordrand. Je länger man hinsah, desto mehr schwache Lichtpünktchen stießen hinzu.
UV Aquilae kam mir vom Namen her sehr vertraut vor, aber ich konnte mich an keine konkrete Beobachtung erinnern. Der Kohlenstoffstern fiel sofort auf, da er sehr intensiv orange aus dem Okular herausleuchtete. Besonders in der sternarmen Umgebung war die Wirkung groß. Okularwechsel... Zitat aus dem Buch: "Woah! jetzt knallt die Farbe! tief orange, Wahnsinn!" Bei moderater Vergrößerung intensivierte sich die Farbe nochmal mehr und UV Aql bot einen extrem beeindruckenden Anblick.
Nächster Doppelstern: STF 2404. In der Übersicht nicht getrennt und bei 138x auch nur leidlich. Enge Kiste. Ein starker Helligkeitsunterschied zwischen A und B. Orange war die dominierende Farbe; bei dem schwächeren B war ich mir nicht ganz sicher... Schien mir etwas bläulich zu sein.
23:00 Uhr. Sehr transparent und irre gut. Die Milchstraße für Dorfverhältnisse zum Niederknien. Ein bisschen stach mir das wehmütige Herz, dass ich nicht rausfahren konnte, aber der Anbruch der nächsten Taschentuchpackung und das starke Husten aus der Holzhütte nordeten meine Ambitionen wieder ein. Außerdem bereitete mir das bunte Programm auch so richtig viel Spaß. Wer hätte gedacht, dass ich mich mal ernsthaft für Doppelsterne erwärmen konnte? Aber Farbe im Deep-Sky-Bereich ist sowieso ein großes Thema für mich, und wenn man sich ein paar kunterbunte Punkte in allen Spektralklassen angucken kann, dann bin ich doch dabei. Nervig war, dass ich eine einzige Zeile aus der "Vogelhochzeit" im Kopf hatte, die seit Beginn immer wieder von Neuem aufspielte: "Der Auerhahn, der Auerhahn, der ist der würd'ge Herr Kaplan..."
Zu Beginn der Session hatte ich meinem kurz gastierenden Besucher den
Saturn
gezeigt, der mit einem netten Mondspiel aufwarten konnte, das ich gerne noch skizzieren wollte. In dieser niedrigen Höhe ist das Seeing ziemlich mau und da der Spiegel auch noch seine Mühen hatte, sich der kühlen Luft anzupassen, war das Bild recht verschmiert. Die Cassini-Teilung war kaum auszumachen. Trotzdem gab es die erwünschte Skizze der Mondstellung mit Rhea, Tethys, Dione und Titan, und ein paar Feldsternchen als optischer Bonus.
Als letzter Doppelstern auf meiner vorbereiteten Liste stand STF 2562. Urteil: "Farbeindruck nicht so intensiv, A orange, B blassbläulich, locker getrennt". Und dann, hoppla, war ich mit der Planung schon durch - das ging unerwartet schnell.
Aber es gab noch andere Objekte, die im Hinterkopf gespeichert waren, und eins davon war
WZ Cas. Diesen Doppelstern habe ich schon vor zehn Jahren groß angepriesen, aber eine eigene Beobachtung stand noch aus. Im Okular war dieser komplementäre Farbkracher nicht zu übersehen... Unglaublich. Rotorange und tiefblau, direkt nebeneinander. In dem reichen Umfeld voller weißer Sterne wirkte das Paar umso eindrucksvoller. Was für ein Hingucker. Ich konnte mich nicht entscheiden, welche Farbe ich schöner fand; unter diesem Blauton habe ich mir jedenfalls immer Neptun im Teleskop vorgestellt, aber gegen WZ Cas ist der ja ein Witz.
Der Schwenk ging danach zu Rho Cas. Der Stern selber sieht langweilig aus, aber der Hintergrund zu diesem riesigen Hyperriesen ist natürlich umso spannender - bisschen creepy, wenn man überlegt, dass es Rho Cas wahrscheinlich gar nicht mehr gibt, was man aufgrund der Lichtlaufzeit aber noch nicht sieht. Kurz ging mein Kopfkino an: In dem Moment, wo man sich ihn anguckt, fliegt das Ding als Supernova auseinander und ein mordsheller Lichtstrahl flammt aus dem Okular heraus. Aber... Nichts geschah und ich zog enttäuscht weiter.
Gleich in der Nähe steht
NGC 7789, der natürlich ein absolutes Prachtexemplar von Sternhaufen ist. Das Ding überfordert mich immer. Immens reich, überall Sterne, so viele Sterne. Ketten und Verdichtungen, Grüppchen und dunkle Bereiche, wohin man auch blickt. Mit etwas Fantasie kann man wirklich eine Rosenblüte erkennen. Dann ging es zu
Sigma Cas. Beide Komponenten stehen sehr eng beieinander und waren bei 200x gerade so getrennt - die tanzenden Schlieren, die der warme Spiegel und das Seeing verursachen, berühren einander und kabbeln sich. A leuchtet weißlich-gelb und bei B tippte ich auf ein dezentes Blau.
Y Cas: Schwach, keine Farbe, evtl. eine Nuance graubraun. Nicht lange daran aufhalten. Weiter zu
STF 3057. Es zeigte sich ein enormer Helligkeitskontrast bei 200x. Die helle Komponente A schob das sehr schwache Begleiterlein vor sich her. Der nahegelegene Doppelstern
STF 3062 war hingegen gar nicht zu trennen. Dann folgte die Beobachtung von der Galaxie
NGC 7081 und
R Cas mit dem kurzen, knappen und knallharten Urteil: "beide nix Besonderes".
Netter fand ich da
STF 197. Bei 138x zeigte sich ein bequem distanzierter Doppelstern mit einem etwas helleren bläulichen Stern und dem Begleiter, der kein Farbwerfer war, aber ein zartes, dezentes Rosa zeigte.
R Tri war nix, aber ein Stück nördlich davon überraschte 15 Tri: Ein helles Duo in Blau und Orange. STF 239 folgte danach: Nettes Pärchen in annähernd gleicher Helligkeit. Locker getrennt, beide gelblich.
Zwischen den Bäumen am Osthorizont hatte sich eine rot verfärbte Mondsichel emporgehoben und mahnte zum baldigen Beobachtungsende. Auch wenn sich der Himmel noch nicht verändert hatte und man sich die bunten Sterne auch locker bei Mondlicht angucken kann, wollte ich das Ganze nicht bis ins Unendliche ausdehnen. Müdigkeit und Kränkelei wirkten zu fortgeschrittener Stunde wie ein gnadenloser Hemmschuh. Der Auerhahn war zudem noch immer im Ohr, was zu viele geistige Kapazitäten beanspruchte, die ich eigentlich eher für die Beobachtung hätte gebrauchen können.
Letztes Objekt war
6 Tri. Nett! Bei 200x getrennt, aber eng. Die orangegefärbte A-Komponente zog einen blassblauen B hinter sich her.
00:35 Uhr fiel die Entscheidung zum Abbau. Es war kühl geworden und die Nase lief unaufhörlich. Ich kniete gerade auf dem Boden, um meine Notizen zu schreiben und hob den Kopf, als ich eine helle, orangene Feuerkugel sah, die parallel zum Nordosthorizont von rechts nach links flog und irgendwann verglühte. Meine erste Notiz lautete "sehr schnell", aber verglichen mit handelsüblichen Meteoren war das Tempo eher chillig.
Mit diesem letzten Eindruck verkrümelte ich mich in das Bettenlager in der Gartenhütte, um ordentlich Schlaf zu tanken.