Seitdem wir im Mai den neuen Platz beim Dörfchen Hobeck entdeckt hatten, ergab sich leider noch keine Gelegenheit zu prüfen, wie dunkel es dort wirklich werden kann. Der Mai war herbstlich vernebelt, der Juni wegen Hochwassers sowieso völlig chaotisch, und in den klaren Juli-Nächten herrschte nonstop Dämmerung. Jetzt haben wir Anfang August, wo die dunkle Phase auch nicht sehr lange anhält, aber die Zeit der weißen Nächte ist endlich vorbei und zufälligerweise waren die Wetterprognosen für diesen Freitag sehr vielversprechend.
Nach dem äußerst heißen langen Tag (36°C) sehnte man sich förmlich nach den kühlen Stunden nach Sonnenuntergang. Punkt 22:32 Uhr, bei 28°C, erreichten wir den Platz, wo Martin bereits mit dem Aufbau seiner Fotoausrüstung beschäftigt war und über die Mückenbrut klagte. „Bloß immer in Bewegung bleiben!“ Nach der obligatorischen Tränkung mit Autan-Weihwasser kümmerte ich mich um meine eigene Gerätschaft. Es sollte die Einweihung des neuen Beobachtungsbuches geben, Numero 4, weil das Vorige nach einem Zwischenfall mit einem Lunchpaket unbrauchbar wurde. Welch Trauerspiel! Mein geliebtes Buch, wo viel Herzblut, Erinnerungen und unzählige Stunden Beobachtungen drinsteckten…
Zu Beginn der Nacht herrschte noch viel Unruhe. An einem Feldrand in östlicher Richtung war ein Mähdrescher zugange, der mit seinen Scheinwerfern leuchtete und einigen Lärm erzeugte. Wir überlegten, was er wohl treiben mochte, denn das Weizenfeld war eigentlich schon abgeerntet. Außerdem fuhren mehrere PKW über die Feldwege. Wo kamen all die Leute her? Die Bedingungen waren sehr gut und schienen eine traumhafte Nacht zu versprechen. Schon jetzt, noch in der auslaufenden Dämmerung, besser als im Juli, denn während der Nordhorizont noch leicht aufgehellt war, setzte sich das Band der Milchstraße kontrastreich und strukturiert ab. Ich hatte schon fast vergessen, wie sie eigentlich aussah. Tief im Süden, über den fernen Bäumen, ließ sich der Schütze erkennen, obwohl die Lichtglocke von Zerbst nicht zu übersehen war. Windstille. Und ein paar Vorboten des großen Perseiden-Stroms zogen blitzschnell über den Himmel. Eine typische warme Sommernacht, fast wie aus dem Bilderbuch. Naja, nur die Mücken hätten nicht sein müssen, aber den Kampf „von Mann zu Mann“ hatte ich mittlerweile aufgegeben. Ein paar Mal wedelte ich ambitionslos mit den Armen durch die Luft, aber das beeindruckte niemanden mehr.
Anfangs war ich noch irgendwie orientierungslos, was ich als erstes in Angriff nehmen sollte. Nach einem Blick in meine neuen super-duper-Haufen-Kartenbände entschied ich mich für Patchick 53, der an der Grenze zwischen Ophiuchus und Aquila stand. Schon beim ersten Blick durchs Okular war ich überrascht, wie viele Sterne überhaupt zu sehen waren – die Grenzgröße während der weißen Nächte war wesentlich niedriger; der Unterschied war frappierend. Patchick 53 zeigte sich bei 129x als eine winzige, längliche Wolke, die in ihrem Umfeld auffiel und gerade so in 6 bis 7 Sterne aufzulösen war. Auch bei höherer Vergrößerung blieb ein nebliger Schein, denn die Mitglieder standen sehr eng beieinander und wiesen kaum Helligkeitsunterschiede auf.
Während der Beobachtung fuhr plötzlich ein Auto auf uns zu, selbstverständlich mit hellem Scheinwerfer, hielt an und fragte nach unserem Tun. Ich bekam es nur aus der Ferne mit, weil ich mich hinter dem Dobson verschanzte, um dem Licht zu entgehen. Der Mensch machte eine Wende und verschwand wieder dorthin, wo er herkam. Laut Uwe war es ein bloß ein junger, friedlicher Jäger, der unsere Lämpchen von Weitem gesehen haben musste.
Dat nächste Ziel war ma wat „janz Anners“ und stellte eine Prämiere für mich dar: Der erste Haufen aus dem gefürchteten Palomar-Katalog. Pal 7 im Sternbild Schlange, der problemlos und leicht sichtbar war. Eine überraschend große, runde Wolke, die sich unmittelbar südlich eines markanten Feldsterns befand. Bei 129x erschien vor allem das Zentralgebiet auffällig, während der Rest des Kugelsternhaufens sehr schwach war und diffus im Hintergrund verschwand. Es blitzten Sterne heraus, die sich bei 200-facher Vergrößerung in 3 oder 4 Einzelobjekte auflösten, die das Zentralgebiet in O-W-Richtung durchsetzten. Das hellste Individuum stand dabei am Westrand.
Nach diesem kurzen Abstecher ging der Schwenk in den Delphin, der mit einem DSH-Haufen aufwarten konnte: French 1. In der Übersicht zeigte sich ein auffälliges, großes Muster aus mehreren hellen, lose verstreuten Sternen. Soweit so gut, aber als ich den Anblick mit dem DSS-Bild abglich, schien irgendwas nicht zu passen. Dort war ein Stern abgebildet, den ich im Okular nicht sehen konnte. Ein Veränderlicher, oder was? – Nee, leider nicht. Bei höherer Vergrößerung stellte sich das „Ding“ als die 12,8-mag-Galaxie NGC 7025 heraus, die am östlichen Rand des Haufens rumhing. Hätte ich auch gleich drauf kommen können, aber der Ausdruck der Karten war derart schlecht, dass ich das verzeichnete Objekt darauf nicht erkennen konnte. French 1 besaß viele helle Mitglieder, die – gemäß seines Spitznamens – einen Fliegenpilz formten, der mit ein bisschen Phantasie gut nachzuvollziehen war. Bei 200x sprengte der Haufen zwar das Gesichtsfeld, doch die Galaxie verlor ihren stellaren Charakter und zeigte sich als hochgradig langweiliges, kompaktes, rundes Bällchen mit hellem Kern.
Aus unerklärlichen Gründen hatte ich mir desweiteren den PN NGC 6891 im Delphin markiert. Was ich mir davon versprochen hatte, weiß ich selbst nicht, doch auch er vermochte es nicht, mir diese Objektklasse schmackhafter zu machen, was allerdings meine eigene Schuld ist. Stichwort „hohe Vergrößerungen“. Und so blieb es bei einer kleinen, sehr hellen und blau-türkis leuchtenden Scheibe; leicht längliche Gestalt und scharf abgegrenzt.
Es war 00:45 Uhr. In der Umgebung war etwas Ruhe eingekehrt, während in meinem Kopf jedoch mit Kylie Minogues „Your Disco Needs You“ ein nervtötender Ohrwurm rumgeisterte. Weil die letzte Nacht kaum Schlaf hergab, war ich dementsprechend müde, doch Uwe goss uns allen Kaffee ein und rettete damit die allgemeine Stimmung. Wir standen zusammen, plauderten und freuten uns über die tollen Bedingungen. Kein Vergleich zu den Juli-Nächten, wo sich die Milchstraße mehr schlecht als recht aus dem hellen Himmel vorgequält hatte. Das SQM-L gab einen gemittelten Wert von 21,22 mag/arcsec² aus. Überrascht war ich auch, als ich tief im Osten, neben den großen Bäumen, schon die Plejaden sah. Der Winter kommt… Man unterhielt sich außerdem über die aktuellen Kometen; Martin sprach von einer „Lusche“ mit „osteuropäischer Bezeichnung“, der sich als Borisov enttarnte. Außerdem schienen wohl zwei Schweifsterne mit der Bezeichnung "Jäger" unterwegs gewesen zu sein, woraufhin wir uns über den Klassiker amüsierten. Treffen sich zwei Jäger...
Ich begab mich nun in ein Sternbild, das ich eigentlich sehr mag: Vul, Vulpecula, das Füchschen. Heimat meines Lieblingsobjekts NGC 6940, aber auch Heimat einiger DSH-Häuflein. Leider vertrödelte ich wertvolle Zeit, weil ich die Sterne auf der Übersichtskarte nicht zuordnen konnte. Selbst mithilfe des Karkoschkas stellte sich dies als Herausforderung dar. Problem war wieder die enorm schlechte Druckqualität des Kartenmaterials; die Schrift war einfach nur Matsch und nicht lesbar. Außerdem waren die phantasievollen spanischen Sternbildlinien sehr, ähhhm … gewöhnungsbedürftig und überhaupt keine Hilfe. Es dauerte lang, bis ich herausfand, wo ich hinmusste. Den Anfang machte Patchick 62. Tja. Das Ding war zwar zu sehen, „aber echt unauffällig!“ Eine eher kleine, aber lose Gruppe aus einigen schwachen Sternen, die nur wenig aus ihrer Umgebung herausstach. Bei 200x löste sich diese rundliche Wolke in etwa 12 schwache Mitglieder auf. Ich befand: „Blödes Ding“.
Alessi 28 war schnell gefunden, denn er hing – Achtung, Kalauer! – am Kleiderbügel. Ein kleines Stück nördlich von Collinder 399 befand sich diese leicht zu identifizierende Gruppe aus wenigen hellen Sternen, die in ihrem Feld aber gänzlich unterging, denn viele Umgebungssterne waren ebenso hell. Ein Haufencharakter war jedenfalls nicht zu erkennen und Alessi 28 wirkte eher wie eine zufällige Anordnung. Aufgelöst in etwa 10 Mitglieder, wobei die hellsten ein spitzes Trapez formten.
Von der anderen Seite des Citroens ertönten immer wieder Flüche über die fliegenden Plagegeister, was mich wunderte. Okay, ein paar Einzelne schwirrten noch umher, aber es hielt sich eigentlich in Grenzen, wie ich fand. Doch Martin und Uwe hörten nicht auf zu klagen. Hmm, die Mücken wollten wohl auf der Foto-Seite bleiben? Naja, ich werde mich nicht beschweren. Um 01:30 Uhr goss ich mir den zweiten Kaffee ein und wir hielten ein kurzes Kränzchen. Es ging ein bisschen Wind her, der das Buschwerk im Westen leise rauschen ließ. Der Anblick des aufsteigenden Pegasus und des scheidenden Sommerdreiecks hoch im Westen, durchzogen von dem hellen flockigen Band, erinnerte mich stark an die Alpennächte. Leider fehlten die Berge im Vordergrund. Ach, wie ich sie vermisse. Vor allem die großflächigen Asterismen „Liegestuhl“ und „Autobahn“ weckten Erinnerungen.
Die nächsten beiden Ziele standen nebeneinander und stellten eine kleine Herausforderung dar. Kronberger 30 und 31, die schon auf dem DSS-Bild nicht viel hermachten. Numero 30 war in der Übersicht unsichtbar, und auch bei 129x erkannte ich lediglich eine grenzwertige Wolke, die bei indirektem Sehen fade auftauchte, aber nicht durchgängig zu halten war. In der Haufenmitte blitzten 1 oder 2 Einzelsternchen hervor, die von einem undefinierbaren Nebelhauch umgeben waren.
Und auch Kronberger 31 riss es nicht unbedingt heraus, zumal ich vermutete, dass ich die Position in der Karte falsch eingetragen habe. Dort, wo der Kreis den Haufen markierte, war im Okular rein gar nichts. Das Bild vom DSS war wegen der miserablen Druckqualität auch keine Hilfe. Aber ein kleines Stückchen nördlich davon, westlich des hellen Feldsterns, war eindeutig eine fade, verdächtige Wolke zu sehen, die sich in mehrere schwache Mitglieder auflöste. Doch sie standen sehr eng beieinander, was die Beobachtung nicht leicht machte.
Der begehrte Preis „Rohrkrepierer der Nacht“ ging allerdings an Teutsch 19. Trotz bombensicher festgenagelter Position war dieser angebliche Haufen praktisch unsichtbar. Mit Ach und Krach erhaschte ich sein hellstes Mitglied, was sich mit dem DSS-Ausdruck gut abgleichen ließ. Klarer Fall fürs Ötztal...
Es folgte Teutsch 1948+21. Ein gut findbares Objekt, das jedoch in der reichen Umgebung unterging. Wo sind die Grenzen? Wer gehört dazu, wer nicht? Ein Haufencharakter war nicht festzustellen. Drei helle Mitglieder dominierten diese lose Gruppe. Auch bei 129x blieb die Enttäuschung. Es handelte sich nur um ca. 10 Sterne unterschiedlicher Helligkeiten in loser, unspektakulärer Anordnung.
Während von Martin bereits die Frage aufkam, ob es im Osten schon langsam hell wurde, fiel mir plötzlich siedend heiß ein, dass ich die Supernova in M 74 noch nicht gesehen hatte! Verdammt, wo ist denn nun schon wieder M 74? Ja, Fische, schon klar. Hm. Mal Onkel Karkoschka fragen. Da ich durch die selbsterstellten, sternreichen, großen, luxuriösen Aufsuchkarten mittlerweile derart verwöhnt war, fiel es mir schwer, die winzigen Bildchen in dem Buch zu benutzen. Armutszeugnis: Keine Ahnung haben, wo M 74 steht, und dann noch nicht mal mit dem Karkoschka zurechtkommen. Aber ein 16-Zöller stellt halt eben andere Ansprüche als der 4,5-Zöller, mit dem ich damals unter Stadthimmel die Karkoschka-Objekte aufgesucht hatte. Naja, egal, die Galaxie fand ich trotzdem. Es waren mehrere stellare Objekte in und um den Nebel zu sehen, doch was davon die Supernova war, wusste ich auch nicht.
„Hey, der Mond geht auf!“, tönte es 02:40 Uhr von Martin. Ganz unten am Osthorizont tauchte ein gelbliches spitzes Hörnchen auf, das sich Stück für Stück hinaufschob und zur Sichel mutierte. Ein fantastischer Anblick und ein Indikator dafür, wie klar der Himmel war. Kein Dunst, keine Wolkenbank, nirgendwo. Da im Vordergrund ein paar Baumspitzen standen, war die Geschwindigkeit und Bewegung, mit der sich der Mond heraushob, gut zu erkennen. Hab ich so noch nie verfolgen können.
Die Morgendämmerung setzte ebenfalls sachte ein; Zeit, zusammenzukramen. Links vom Mond gab sich mittlerweile auch Jupiter die Ehre, sodass sich, gemeinsam mit dem baumischen Vordergrund, ein schöner Anblick bot. „Brain Damage“ lief, und genauso fühlte ich mich auch. Müde und nicht mehr gescheit denkfähig. Laut Auto hat es sich auf 19°C abgekühlt; eine Wohltat nach der Sommerhitze. Martin hatte sich ebenfalls mit M 74 befasst. Auf seinem Laptop-Display sahen wir die Vorab-Ergebnisse und vermuteten, welches der Sternchen die Supernova war. Ich erkannte zumindest die Sternkette wieder, die entlang des südwestlichen Randes der Galaxie verlief. Nun gut, die Auswertung wird es zeigen. Etwa halb 4 verließen wir den Tatort und freuen uns bereits aufs nächste Mal.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Moachteborch, 03.08.2013