28./29.04.2014 - Irrungen und Wirrungen

Die vierte Nacht in Folge stand an und nach einem Abendessen auf der Sonnenterrasse begannen wieder die Vorbereitungen auf die anstehende Beobachtung. Alltägliche Preisfrage: Was macht das Wetter? Was für 'ne blöde Frage. Es hielten sich einige kleinstrukturierte Wolkenfetzen in Nordrichtung über dem Meer, die sich im Laufe der Zeit immer weiter auf uns zu bewegten, während die Sonne unaufhörlich hinabsank. Norman hatte bereits Kamera und Stativ beim Wickel und ließ seine Orange auf dem Tisch zurück, um den besten Blickwinkel für sein Filmchen zu erwischen. Wir trugen das Teleskop auf die Wiese oberhalb der Terrasse, damit es, zusammen mit den wogenden Grashalmen, dekorativ vor der Linse hängt. Ich holte die nötigen Unterlagen und Utensilien aus der Finca und zog die ersten warmen Sachen an, denn sobald die wärmenden Strahlen erstmal passé sind, wird es rasch kühler. Anschließend gesellte ich mich wieder hinzu, saß auf der kleinen Plattform am Kamin und beobachtete das Schauspiel. „Jeden Abend diese kitschigen Sonnenuntergänge...“ Es war nicht zu fassen, dieses Wetterglück. Sie blendete noch bis zum Schluss; bis sie komplett im Wolkenmeer versunken war. Nur sehr geringfügig wurde ihr Licht gedämpft und schien in einem leichten Orangeton. Noch etliche Zeit danach war zu sehen, wie die oberste Wolkenkante in intensivem Gold glühte, weil sie an dieser Stelle beschienen wurde; die höheren Fetzen nahmen bald ein quietschiges Pink an, was mal wieder hervorragend mit der Colmenero-Hauswand harmonierte.

Ich verkrümelte mich zurück auf den Terrassentisch, um mal grob auszuloten, wo die Reise in der ersten Nachthälfte hingehen könnte. Wir hatten überlegt, zum Einstieg diesmal ein wenig im Großen Hund zu spazieren, doch ich hatte keine guten Nachrichten für Norman: Dort waren überwiegend Offene Sternhaufen zu finden. Er hatte sich ebenfalls auf die Bank gesetzt, um seine Orange zu vernichten, und sorgte sich ein wenig um die über uns hinwegziehenden Wölkchen. Nach und nach kamen sie alle wieder zum Vorschein: Jupiter zuallererst, Mars, Sirius, Castor, Pollux & Co... Wie in den Tagen zuvor frischte zu Beginn der Dämmerung ein Wind auf; er fühlte sich etwas kühler an als sonst. „Kühl“ ist in dem Fall jedoch relativ, wenn ich das mit den heimischen Bedingungen vergleiche... Schade, dass wir kein Thermometer zur Hand hatten! Das hätte mich mal interessiert.

Norman trug den Dobson wieder ein paar Meter höher, wo er normalerweise stand, und peilte zum Einstieg den Jupiter an und hoffte auf ein zufälliges Mondereignis. „'N bisschen Action im Sonnensystem...“ - „Action im Sonnensystem haben wir hier schon genug, da brauchen wir uns nicht Jupiter anzugucken.“ Es zeigten sich lediglich drei der hellen Monde; Ganymed war hinter dem Planetenscheibchen. Um sich noch was überzuziehen, steuerte Norman die Finca an, und ich nutzte die Gelegenheit, um auf Mars zu schwenken. Leider ein sinnloses Unterfangen, da der Wind und das miese Seeing die Wahrnehmung von Details komplett vereitelten.

aIch hörte, wie Norman wieder ins Freie trat und richtete die Kamera auf dem Schornstein Richtung Dämmerungsfarben aus. Gute Kulisse für ein „Gruppenfoto“. „Bleib mal da stehen!“, rief ich und löste aus, vergaß jedoch, den Selbstauslöser einzuschalten und fluchte. Er schlug vor, dass wir seine Kamera nutzen könnten. Es begann eine lustige Experimentiererei, um ein technisch möglichst gutes Bild zu erhalten. Ich drapierte die Rotlichtlampe auf dem niedrigen Mauersims hin und her, damit wir und der Dobson ein wenig angeleuchtet werden, doch auf den ersten Fotos waren wir völlig überstrahlt und das Teleskop kohlrabenschwarz. „Lichttechniker sollte ich nicht werden“, konstatierte ich. Das Zodiakallicht kam direkt hinter uns aus dem Meer emporgeschossen. Selbstportrait vor dieser Mordpyramide, daneben die Plejaden, wir im goldenen Tor der Ekliptik. „Da platzt die Rosamunde-Bombe“, sagte Norman, und wir lachten uns kaputt. „Fehlt nur noch so ein heller Bolide...“ Es folgten mehrere Versuche der optimalen Ausleuchtung. „Wir haben noch drei Stunden Zeit, bis das Zodiakallicht weg ist, schaffen wir das?“ Einmal war das Licht durch ein vorhängendes Kabel verdeckt, was einen schwarzen Schattenbalken quer über Normans Augen warf – ich heulte vor Lachen. „Zensiert! Wie die Fahndungsfotos von der Polizei!“ Irgendwann war tatsächlich eine zufriedenstellende Aufnahme auf der Speicherkarte und die ernsthafte Arbeit konnte beginnen.

Als Einstieg für die Reise durch Canis Maior bot sich M 41 an, der schnell eingestellt war. „Da, schau her, ich hab schon das erste Objekt!“, rief ich Norman zu, der noch mit einem Zodiakallicht-Panorama zugange war. Der Sternhaufen, einer der gigantischen Klassiker am Winterhimmel, der in der Heimat unter seinem tiefen Stand leidet, zeigte sich als eine reiche und vollständig aufgelöste Ansammlung an Sternen, die durch viele Ketten und Muster miteinander vernetzt waren. Zwei Mitglieder dominierten ob ihrer Helligkeit und orangenen Farbe.


Rücksichtsvoll, wie ich nunmal bin, ignorierte ich die vielen anderen schönen Haufen und peilte eine kleine Galaxie an, NGC 2283. Sie präsentierte sich als ein runder und diffus auslaufender Nebel mit einem Vordergrundstern am Rand und einem nahe des Kerngebietes. Eine homogene Fläche mit nur mäßig hellerem Zentrum. Die vorgelagerten Sternchen störten die Beobachtung.


Wir fanden auf der Karte den Haufen NGC 2360, der den Eigennamen „Opened Box Cluster“ trägt. Auffällig, groß und reich. Die Mitglieder waren recht gleichmäßig verteilt und auch annähernd gleicher Helligkeiten. Das markanteste von ihnen befand sich am Südost-Ende der Gruppe. Die Gesamtform war ein abgerundetes Dreieck ohne augenscheinliche Muster; auffallend war lediglich, dass die Sterne in der breiten Nordhälfte gesamtheitlich heller waren, als jene in der sich verjüngenden Südspitze.


Norman schwärmte pausenlos von der Balance seines Teleskops, bedingt durch das hinten angehängte Gegengewicht. Jedes Mal dachte ich, er verliert positive Worte über das Objekt, wurde jedoch stets enttäuscht. Er pilgerte in die Finca, um nach einer weichen Unterlage für die Knie zu suchen, und kam zurück mit einer Decke in 'ner Tüte verpackt, damit der raue Wollstoff keine Kletten anzieht. Auch nicht die beste Idee, da man auf dem Plastik umherrutscht. Kurz darauf hatte er stattdessen zwei Stühle aus der Küche herbeigeschafft, die sowohl als Sitzgelegenheit, als auch als Ablage dienten. Wieso sind wir nicht schon früher auf diese glorreiche Idee gekommen? „Was für ein Luxus!“, schwärmte Norman, der diesen Komfort beim nächsten Objekt genüsslich auskostete. Ebenso angenehm war der neu gefundene Tritt für mich, um bei zenitnahen Beobachtungen an den Okularauszug zu kommen. Es handelte sich dabei um einen ebenen, stabilen Zementklotz.


Nächster Halt sollte NGC 2359 sein, besser bekannt unter dem Namen „Thor's Helmet“, worauf wir beide gleichermaßen gespannt waren. Eine tolle Überraschung! Der Helm war schnell gefunden und zeigte sich im Übersichtsokular als ein etwa 90°-gekrümmter, heller Nebelbogen mit mehreren eingebetteten Sternen. Im 12er Nagler noch besser, denn nun teilte sich der Flatschen auf in ein größeres und ein kleineres „C“, die genau an ihren Außenbögen aneinanderstoßen und somit die Öffnungen voneinander wegzeigen. Es schien, als würden die Sternketten in der näheren Umgebung genau diese Formen nachbilden.


Bei der Objektsuche hatten wir uns auch die Reflexionsnebelkette im Einhorn, rings um NGC 2182 & Co, vorgemerkt, doch die Region war schon zu tief, als dass sich die Beobachtung gelohnt hätte. Ich versuchte, die nahe Sternkette für den Starhop zu finden, scheiterte aber aus unerfindlichen Gründen kläglich. Ein Blick hinauf: Glasklarer Himmel! Eine wahre Augenweide. Das SQM-L gab viele gute Werte aus, die gemittelte 21,65 mag/arcsec² ergaben und die hervorragenden Bedingungen bestätigten. Was auffiel, war, dass sich über dem Meer weniger Dunst gebildet hatte, als in den Nächten zuvor. Außerdem war das Seeing etwas besser, aber noch weit davon entfernt, als „gut“ zu gelten. Nach dem anfänglichen „Kälteschock“ zu Beginn der Dämmerung hatte ich mich an die frische Brise gewöhnt, die konstant leicht vom Osthang hinabwehte.

Es war sinnlos, weiter im Großen Wauwau zu kramen; also schlug Norman vor, noch einmal die Antennen-Galaxien anzupeilen, die er schnell und ohne Karte eingestellt hatte. Wir blieben eine ganze Weile an denen kleben, um die Details nachzuvollziehen, die er in der ersten Nacht ausgemacht hatte, und um eventuell etwas von den Spiralarmen zu erhaschen. Ich war selbst erstaunt, was aus dem Pärchen herauszuholen war – besser als je mit dem 16-Zöller! Im 8er Ethos war der Anblick am schönsten. Die größere Galaxie zeigte sich als tropfenförmiges Lasso, was durch die vielen Sternentstehungsgebiete hervorgerufen wird, die ähnlich wirken wir Spiralarme. Das Innere des Lassos war dunkel. Drei Lichtknoten blitzten heraus – anfangs unsicher, zum Schluss eindeutig haltbar. Die kleinere, schmalere Galaxie wies ebenfalls eine Aufhellung auf und lief in den Außenbereichen diffus aus. Die berühmten Antennen – Fehlanzeige. Allerdings schien mir, dass bei einem östlich nebenstehenden, recht schwachen Nachbarsternchen ein diffuser Nebelfetzen auftauchte. Eine Halluzination schließe ich aus, da Norman diesen Hauch bestätigen konnte.


Die Reise sollte nun in den Virgo-Haufen und Markarian's Chain insbesondere gehen, und Norman überlegte, wie man das Aufsuchen am günstigsten gestalten könnte – vom berühmten „T“ ausgehend. „Der hat einen im Tee“, lachte ich plötzlich, während Norman durch den Rigel peilte: „Ich halt' da jetzt mal so ganz dumm rein.“


Um es vorweg zu nehmen: Markarian's Chain haben wir in dieser Nacht nicht gesehen, weil wir immer wieder über irgendwelche anderen Galaxien stolperten, die es zu analysieren und identifizieren galt. Eins der Highlights kam uns gleich am Anfang vor die Flinte, ein wunderschönes Edge-On-Trio, dem wir erst hinterher einen Namen geben konnten, weil wir schlicht nicht wussten, wo wir eigentlich hinpeilten. NGC 4216 („Silver Streak Galaxy“), 4206 und 4222. Die mittlere Galaxie, 4216, dominierte den Anblick klar und zeigte sich als riesige Lichtnadel mit aufgewölbtem Zentrum, feinem Staubband und einem Vordergrundstern oberhalb des Kernbereichs. Der südliche Nebel, 4206, lag mit 12,8 mag auf Rang 2, präsentierte sich ebenfalls als langgezogen und schien auch ähnlich ausgerichtet (N-S). Die dritte im Bunde, NGC 4222, bildete den nördlichen Abschluss des Kantenlagen-Trios und war erst auf den zweiten Blick wirklich klar erkennbar. 13,9 mag erfordern schon mehr Aufmerksamkeit. Sie war etwas anders gekippt (NO-SW) und wies einen nur blassen Kernbereich auf. Wir rätselten eine Weile über dem Atlas, welches Trio wir wohl erwischt haben mochten, konnten es aber nicht entdecken. Norman holte sogar seine antike Faltkarte hervor („Premiere!“), die uns jedoch der Lösung nicht näherbrachte.


Wir tourten, Sprung für Sprung, durch den westlichen Teil des Virgo-Haufens, weitab von Markarian's Chain, und ich notierte mir zu den einzelnen Stationen ein paar Worte. Wundervoll war M 99, ein runder Nebel mit deutlichem Spiralarm im Westen. Ebenso nett das Duo NGC 4298 und 4302, die durch ihre unterschiedlichen Morphologien (rund und Kante) einen prima Kontrast ergaben. Überraschend fand ich den Anblick von M 98, die ich nicht als so lang und spitz erwartet hatte. Sie zeigte auf die südlich liegende, etwas rundliche NGC 4186. Eindeutig sichtbar, doch mit 14,6 mag kein ausgesprochener Brüller. Knapp 25' weiter südöstlich lag die ebenso schwache und kompakte, nahezu stellare IC 3065, und nach weiteren 20' in diese Richtung stießen wir auf IC 3080 – mit 15,1 mag das Schlusslicht dieser kleinen Galaxienkette. Es hatte Spaß gemacht, die einzelnen Mitglieder aus dem Hintergrund herauszuarbeiten.


Es war generell eine sehr angenehme „Kooperation“; das Teamwork klappte ausgezeichnet. So macht die gemeinsame visuelle Beobachtung Spaß, weil es möglich ist, sich über das Gesehene (und Nichtgesehene) auszutauschen, auf Details und Strukturen hinzuweisen, Verwirrungen auszuräumen und die nächtlichen Bedingungen und Stimmungen zu erfassen. Ich hatte mehr Unruhe erwartet, wenn zwei Leute ein Teleskop benutzen, doch das gegenseitige Ergänzen war viel wert.

Das nächste Objekt ließ sich leider nicht identifizieren, obwohl es sich um eine recht kräftige, oval-längliche Galaxie innerhalb einer auffälligen Sternkette handelte. Etwa 1,5° östlich stand ein dominant heller Feldstern, doch der Abgleich mit der Karte brachte kein eindeutiges Ergebnis. Zitat Norman: „Irgendwie blick' ich nicht mehr ganz durch. “Wir verließen die Kernregion des Virgo-Haufens und hatten NGC 4517 und 4517 A im Okular. Die Hauptgalaxie zeigte sich als eine helle Edge-On mit auffälligem Vordergrundsternchen an der mittleren Nordflanke. Nördlich von ihr befand sich 4517 A; rundlicher, schwächer und diffus.


Mir stand der Sinn nach einer Pause und schlug eine kurze Einkehr vor. „Ich habe keine Lust mehr auf diese Teile.“ Norman sah das ganz ähnlich und visierte, als „Rausschmeißer“, den guten alten Omega Centauri an, der über den Baumwipfeln des südlichen Berghangs schwebte. „Ach joaaaah... Ganz nett...“ Die oval-platte Form und das Loch im Haufen waren frappierend, und im 8er Ethos zog es mir fast die Schuhe aus. Kurz darauf schoss ein hübscher Bolide über den Himmel. Schnell und sehr hell, inklusive Rauchspur, doch „mittendrin“ ging der Feuerkugel jäh und unvermittelt das Licht aus.


Es war 01:05 Uhr und wir pilgerten in die Küche, wo sich Norman den Rest seines Abendbrotes (Nudeln) warmmachte und ich mir eine Tasse Kaffee kochte – standesgemäß in der kleinen schwarzen Bratpfanne. Die Suche nach den anonymen Galaxien via Laptop brachte zunächst keine erhellenden Erkenntnisse, aber wir nutzten die Gelegenheit, um einen groben Fahrplan für den Rest der Nacht auszuarbeiten. Eine knappe Dreiviertelstunde später standen wir wieder auf der Beobachterwiese und mit jeder Minute der Dunkeladaption tauchten mehr und mehr Sterne auf. Es herrschte eine eigenartige Stimmung, die ich gar nicht genau erfassen konnte. In Richtung Ozean war es derart stockfinster, dass es schon bedrohlich und unheimlich anmutete. Im Vordergrund zappelte das vertrocknete Gestrüpp im leichten Wind; dahinter ragten das schwarze Buschwerk und die Kiefern in die Höhe und bewegte sich nicht merklich. Ich starrte in die Richtung und wäre nicht überrascht gewesen, wenn plötzlich ein Alien, Geist oder der böse Kettensägenmörder aus der Botanik rausgepurzelt wäre. Es hätte perfekt gepasst. Das plötzlich aufwallende Geheule der Hunde in Llano Negro unten durchbrach die sonstige Stille und unterstrich die Szenerie noch einmal. Wir standen neben dem Teleskop und blickten zum absteigenden Großen Wagen, als ein heller Meteor zum Horizont sauste. „Oh!“, riefen wir. Keine zwei Sekunden später leuchtete direkt daneben ein zweiter Meteor auf, ähnlich hell und mit gleicher Flugrichtung. Und nochmal: „Oh!“ Wir mussten lachen. Norman fröstelte es an den Füßen, weswegen er noch einmal in die Finca hineinging, um die Schuhe zu wechseln.

Ich nutzte die Gelegenheit, um das Objekt einzustellen, das wir für den Einklang in die zweite Runde auserkoren hatten: Die „Mini-Sombrero“ NGC 5746 bei 109 Vir. Eine auffällige Lichtnadel, N-S-stehend, zusammen mit der schwächeren, ovalen NGC 5740 im Gesichtsfeld des Aufsuchokulares. Ich hörte den schweren Tritt von Normans Wanderschuhen über die Terrasse schreiten. NGC 5746 zeigte einen Vordergrundstern am Südende und ein zartes Staubband entlang der östlichen Kante. Das wulstige Zentralgebiet war nicht sehr viel heller als der Rest der Galaxie.


Wir blieben in der Nähe und machten einen kleinen Satz in östliche Richtung, wo wir die Gruppe um NGC 5850 erspäht hatten. Auf der Karte machte sie einen ganz interessanten Eindruck, doch „live“ riss sie uns beide nicht vom Hocker und ich machte mir lediglich die Notiz: „Wohin man auch schwenkt, sind Nebelchen.“ Nicht sehr gehaltvoll, schon klar, aber die Gruppe war wirklich nicht so der Bringer.


Die monströse Milchstraße erhob sich langsam wieder über den lokalen Horizont und ich hielt das SQM-L in mehrere dunkle Richtungen. Die Ergebnisse waren recht eindeutig: 21,72 bis 21,75. Wahn-sinn. DAS ist ein Himmel, mein lieber Schwan! Der schönste und interessanteste Teil der Session stand jetzt erst bevor.


Weil ich mich an Palomar 5 versuchen wollte (ich nehme es gleich mal vorweg: nicht gesehen), stellte ich, als Ausgangspunkt für den Starhop, M 5 ein. Och, der Kleeeeine! Ich blickte nur kurz ins Okular, um die Position zu verifizieren, doch Norman blieb lange kleben und schwärmte von der Schönheit und ungewöhnlichen Form. „Wie eine Zecke, die sich festgebissen hat.“ Es machte mich neugierig – zum Glück, denn sonst hätte ich echt was verpasst. Man sollte sich halt hin und wieder doch mal die Messiers anschauen. M 5 zeigte sich mit einem verschobenen Kernbereich und einer gekrümmten Gesamtgestalt, die durch abspreizende Ketten gebildet wird. Es erinnerte mich an eine Blüte von der Seite, aber auch der Vergleich mit der Zecke oder Krabbe lag nahe.


Nach der vergeblichen Pal-5-Suche spielten wir Stühlerücken und stellten den Dobson ein paar Meter weiter hinab, um bessere Sicht auf die Zentaurus-Region zu erhalten. Ich konnte mich nicht daran erinnern, die „Golden-Dollar-Galaxy“ NGC 4945 gesehen zu haben, was nachgeholt werden sollte, doch Norman warnte mich vor, dass die nicht sonderlich spektakulär war. Recht hatte er. Trotz der Nähe zu den beiden hellen Sternen, die das Aufsuchen zu einer Kindergartenübung machten, war sie echt nicht so der Oberhit. Ein großer Lichtstreif, NO-SW-orientiert, 1:4, homogene Fläche ohne Strukturen. Enttäuschend. Sie ging bereits stramm auf den Horizont zu, wie so vieles im Zentaurus. Dazu zählte auch das Pärchen NGC 5286 (KS) und 5307 (PN). Erstgenannter ließ sich noch aufspüren und stand gerade noch oberhalb der Baumkronen, doch der PN wurde schon vom Wald verschluckt. Es war trotzdem erstaunlich, wie klar, brillant und ungetrübt der Blick in diese tiefen Regionen noch war. Norman hatte es treffend formuliert, indem er einen anderen Sternfreund zitierte: „Extinktion ist eine europäische Erfindung.“


Es war gegen 03:15 Uhr, als wir unser „Lager“ wieder ein paar Meter höher versetzten, weil wir auf einem ziemlich blöden, kleinen Gefälle standen, wodurch sogar einer der Stühle umkippte und die Sitzfläche herausgeschleudert wurde. Die Stimmung war unbeschreiblich; fast schon ehrerbietend und furchteinflößend, wie der prachtvolle Skorpion immer mehr Sterne zeigte und sich diese schöne, faszinierende Konstellation der Vollendung näherte. Besonders schön fand ich den Doppelstern My Sco, der schon mit bloßem Auge als solcher erkennbar ist. Das schönste Sternbild, was ich kenne... Schade, dass es in der Heimat nicht in Gänze sichtbar ist, doch es ist eins der eindrücklichsten Dinge, die ich mit aus dem Urlaub nach Hause nehmen werde.


Es ging weiter im Programm mit einer Zentaurus-Galaxie (neeein, nicht „A“), die sich bei einem hellen Feldsternchen befand, der die Suche erleichterte, die Wahrnehmung allerdings irritierte. NGC 5408 war zwar einfach, aber überraschend lichtschwach in Anbetracht der Tatsache, dass sie im Atlas als so kräftiges Objekt verzeichnet war. Länglich, 1:2,5, O-W-orientiert. Der mittlere Bereich war nur geringfügig heller als der Rest der Galaxie. Norman zeigte nur wenig Begeisterung für dieses Teil, ich hingegen fand es, aufgrund der Konstellation mit dem Nachbarstern, ganz nett.

Er hatte auf der Karte einen Nebel erspäht, den er probieren wollte. „Hmm, meinste? Schon das Symbol sieht jetzt nicht so besonders spannend aus“, bemerkte ich. Doch tatsächlich vermeldete Norman Erfolg und hatte NGC 5367 eingestellt. „Hmm. Naja.“ Ich erkannte einen feinen, diffusen, rund-ovalen Schleier rings um einen Stern, der nach Norden hin eeeetwas schärfer begrenzt erschien. Unser Urteil: Enttäuschung.


Ich bat darum, einen Haufen einstellen zu dürfen, der mir im Atlas aufgefallen war, und Norman war so nett, die Arbeit des Aufsuchens zu übernehmen. NGC 6281 befindet sich etwa 2,3° östlich des schönen Doppelsterns My Sco und präsentierte sich als schöner, großer, reicher und aufgelöster Haufen mit vielen hellen Mitgliedern. Grob übern Daumen gepeilt insg. etwas mehr als 40. In der Gesamtform erinnerte er mich an ein Glöckchen, da der „Hauptkörper“ des Haufens ein klar begrenztes, gefülltes Trapez bildete und eine kurze Sternkette südlich davon einen Stiel darstellte. NGC 6281 war eher gering konzentriert; stattdessen verteilten sich die Mitglieder ungewöhnlich gleichmäßig über die Fläche.


Von dort aus ging es nun etwa 2,5° in den Südosten. Einen weiteren netten Haufen sollte es geben: NGC 6318. Im 26er Nagler sofort als ovale Wolke aus lauter schwachen Sternchen erkennbar, die sich klar vom Umfeld abgrenzte. Bei höherer Vergrößerung zeigte sich innerhalb des Eis ein markanter Bogen aus leicht helleren Mitgliedern, der gen Osten gekrümmt war. Die restlichen, nahezu gleich hellen Haufensterne standen sehr eng und dicht gedrängt, sodass eine komplette Auflösung nicht möglich war.


Der Skorpion, Schütze und das wulstige, mörderisch helle Milchstraßenzentrum standen nun hoch über der Finca und ich hatte beinah Angst, dass es mich gleich auffrisst. 04:30 Uhr laut Chronometer, und wir legten eine kurze Zäsur ein, um noch ein „Gruppenfoto“ auf der betonierten Ablage zu machen, die sich direkt vor dem zerfaserten Bulge befand und uns wunderbar in Szene setzte. Die Rumbastelei mit der besten Ausleuchtung hatte erneut ein Weilchen in Anspruch genommen, doch eine Viertelstunde später war die Aufnahme im Kasten. An den Bedingungen hatte sich nichts geändert; sie waren konstant hervorragend und die gewaltigen, flockigen Milchstraßenwolken zeigten sich ungetrübt und unwirklich kräftig leuchtend.


Die unbekannten, neuen, hübschen Haufen des fremden Südhimmels waren reizvoll und interessant, sodass ich versuchte, alles anzusteuern, was ich im Atlas entdecken konnte. Ein weiterer Cluster im Skorpion war NGC 6322, dessen Anblick mich an das „Stargate“ Canali 1 erinnerte. Eine große Gruppe mit drei dominanten Außensternen, die Etliches an Interieur umfassten. Beim Umherschwenken fiel ein nahes, großes Dunkelgebiet auf. Norman hatte es sich auf der Betonablage gemütlich gemacht, ich saß während der Zeichnung hochkomfortabel auf dem Holzstuhl und musste schlichtweg feststellen: „Ich bin grad selig.“

Sich davon abzuwenden fiel schwer, doch der Name Lynga 14 erweckte meine Aufmerksamkeit. Der berühmte Lynga-Katalog! Zitat aus dem Beobachtungsbuch: „Naja...“ Das auffällige Häuflein präsentiere sich als eher klein und unspektakulär. Die wenigen, aber engen, etwa zehn Mitglieder formten einen N-S-ausgerichteten Pfeil, der nicht ganz aufzulösen war und neblig wirkte.


Das nächste Ziel war ein Wunschobjekt meinerseits, dessen Namen ich, schon vor einigen Monaten, in einem Buch entdeckt und notiert hatte, ohne zu wissen, „ob das was ist“ oder eher nicht. Nun, jetzt weiß ich es: Eher nicht. Von Archinal 1 hatte ich etwas Anderes erwartet. Es zeigte sich ein kleines Viereck, das lediglich durch seine Enge vom Himmelshintergrund zu unterscheiden war. Erinnerte mich an meinen „Liebling“ Riddle 2. Norman, scheinbar angelockt von meinem entsetzten Gefluche, wollte durchs Okular schauen, doch ich warnte ihn vor: „Den willst du nicht sehen. Der ist der Oberkracher.“ Er allerdings fand das Viereck „cool“.


Ich überlegte, zeichnen oder nicht? Entschied mich allerdings dagegen, da der Himmel, kurz nach halb 6, noch sooo schön DeepSky-tauglich war, dass man ihn lieber für andere Dinge nutzen sollte. Bei uns daheim ist es schon hell, oh je... Ein Versprecher meinerseits – „Südrich“ statt „südlich“ – verursachte noch einmal einen Lachanfall und Norman suchte todesmutig, lange und vergeblich nach NGC 6712, dem Kugelsternhaufen bei M 11, der auch den Eigennamen „Weird Globular“ trägt. „Vielleicht ist dieser Globular so weird, dass du ihn nicht findest“, vermutete ich. „Ja, kann sein.“

Er überließ mir das Feld und von M 11 ausgehend war dieser Verrückte schnell gefunden. „Was daran jetzt weird sein soll, versteh' ich nicht ganz, aber okay“, urteilte ich erst, doch Norman beschrieb am Okular die seltsame Gestalt. Die Form war pyradmidenartig und symmetrisch noch einmal unterteilt in ein helles und ein schwächeres, je gleich großes Dreieck. Außerdem schien an der obersten Spitze mindestens ein dunklerer Balken in den Haufen hineinzuragen. Tolles Objekt! Der PN IC 1295 östlich davon war ebenfalls leichte Beute und zeigte sich als große, runde Scheibe inmitten des Sternfeldes.


Während Norman sich als „Rausschmeißer“ noch Saturn ansah, schlenderte ich am Haus vorbei und setzte meine Brille wieder auf. Mich traf der Schlag. „Boaaaah! Meine Güte, die Milchstraße! Was ist das denn! Jetzt seh' ich erstmal, was hier überhaupt los ist!“ Die Sterne waren wie feine scharfe Nadelpunkte am finsteren Himmel, so zahlreich und hell, dass ich sinnloserweise in leichte Überforderung geriet. Eine absolute Offenbarung! Es war zwar bereits 06:00 Uhr, doch der Himmel noch dunkel und gläsern; man hätte noch gut und gerne eine halbe Stunde lang durch die Sommersternbilder grasen können, in denen es ja nie langweilig wird. Allerdings – mir reichte es! Die vierte milde und klare Nacht ging zuende, als Norman den Rigel ausschaltete und ich den Atlas zuklappte. Nettes Ritual, same procedure as every morning...

 



Ein Beobachtungsbericht von AKE

02.05.2014, Llano Negro

Share by: