Worauf freue ich mich am meisten, wenn es zum ersten Mal nach einem Jahr wieder auf den Gletscher geht? Es ist die Aussicht von der Mautstraße. Das Auto schraubt sich die Serpentinen hinauf, man spürt die zunehmende Höhe durch den Druck auf den Ohren, mit jedem Meter näher am Himmel - und nach jeder Kehre eröffnet sich ein ganz neuer Blick auf die Berghänge, die schon im Dunklen liegen. Diese wilden, steinernen Abgründe mit einzelnen, kargen Bäumen. Mehrere kleine Rauschebäche fließen von oben hinab, wo der kalte Gletscher dräut. Ehemalige Lawinen und Steinabgänge sind durch die fächerförmigen Rutschen zu erkennen, umgarnt von Moosgewächsen in sämtlichen Grüntönen. Hier und dort ein Schneefeld. Und vor uns liegt das Tal. Noch! Denn nachdem man die ersten Kühe umkurvt und die Weideroste hinter sich gelassen hat, ackert sich der Wagen unter großen Protesten die Straße hinauf. An jeder Kurve ein Schild, welches die aktuelle Höhe verkündet. Hin und her. Für kurze Zeit sind die beeindruckenden Berghänge auf der linken Fensterseite, bald darauf schon auf der rechten. Man fährt auf den Rettenbachferner zu und versucht schon auszuloten, wie wohl das Wetter sein mag. Meistens hängen noch ein paar weiße Wolken über dem ewigen Eis, und dahinter das Azurblau der beginnenden Abenddämmerung.
Bei der Abzweigung biegt man vorsichtig links ab - da geht es sehr (!) steil herunter und der Weg ist zunächst nicht einsehbar -, vorbei am Restaurant und in den Tunnel. Der Tunnel, der gruselige Tunnel! Anfangs in orangener Beleuchtung; mittlerweile jedoch ist es dort finster. Warum auch immer. Dieser Abschnitt dauert länger als es anfangs den Anschein hat, doch das wird Licht immer größer und irgendwann ist man aus dem Rohr draußen. Der erste Blick auf den Tiefenbach, der vertraute alte Platz! Der erste sehnsüchtige Blick auf das Wettergeschehen. Passt doch! Die Gipfel des Ramolkamms in südlicher Richtung werden gerade noch von der letzten Sonne beschienen, ehe sich später dahinter der dunkle Erdschatten erheben und die Nacht ankündigen wird. Wir fahren auf den Schotterweg, mit kräftigem Anlauf (manch Auto soll die steile Auffahrt nicht geschafft haben) und suchen uns einen Stellplatz aus. Der Motor wird abgedreht, der Gurt gelöst, die Tür geöffnet und ausgestiegen. Es ist merklich kühler geworden; die frische Luft tut gut. Der Blick schweift über das Astrorevier; alles ist noch da: Der Wetterberg, die Wegweiser, das "Hunde-an-die-Leine!"-Schild, das kleine Bächlein, und mit etwas Mühe erkennt man noch die Stativ-Einstichlöcher aus dem letzten Jahr. Alles ist so wie immer...
... Oder doch nicht?!
Als wir am 21.07.2009 um 20:15 Uhr diese Prozedur hinter uns gebracht hatten, schauten wir ein bisschen dumm aus der Wäsche. Was ist denn hier los? Wie schaut es denn hier aus? Sprengarbeiten??! Was auch immer die Ösis planten (zu dem Zeitpunkt wussten wir von nichts), wir ließen uns nicht beirren und nutzten die Gelegenheit für viele Fotos und sprachen über geografische Begebenheiten. Gipfelanalyse, jeder sprach, aber keiner wusste wirklich Bescheid. Gegen 21:00 Uhr formte sich das dunkle Band des Erdschattens und die ersten Geräte wurden aufgebaut.
Ich hatte viel zu lachen, weil meine Mitbeobachter wieder zur Höchstform aufliefen. So wurde das "Murmeltierfell" an Roberts Kapuze kritisiert, ich gab meine besten Gollum-Imitationen und Herr-der-Ringe-Zitate zum Besten; Schneebälle flogen durch die Gegend und in dem fernen, beleuchteten Baucontainer wurde ein Kettensägenmörder vermutet, der uns liebend gern überfallen möchte. Ein Erkundungstrupp wurde abkommandiert, kehrte jedoch ergebnislos wieder.
Der Himmel war, abgesehen von wenigen Alibi-Wolken im Zenit und harmlosen Gewitterzellchen im Süden, klar und die gute Durchsicht ließ uns frohlocken. Lediglich das üble Seeing trübte den positiven Eindruck. Meine Aufzeichnungen begannen ab 23:55 Uhr. Was ich in all der Zeit davor gemacht hatte, kann ich jetzt nicht mehr sagen. Rumtrödeln, erzählen, lachen? Keine Ahnung! Ich erinnere mich nur noch an Bananen.
Die Ehre des ersten Objektes wurde dem Jupiter zuteil. Aber bei 139x bot er keinen guten Anblick und waberte mit seinen faden Wolkenbändern und drei sichtbaren Monden vor sich hin.
Schwenk in die Andromeda, zum Offenen Haufen NGC 7686, der in einer sternreichen Gegend lag und daher leicht zu übersehen war. Ein heller 6,2-mag-Stern dominiert den Anblick. Der Haufen war bei 63x aufgelöst, länglich geformt und beinhaltete überwiegend schwache Mitglieder. Ich zählte ca. 15 Stück und notierte, dass er von einer ohrenförmigen Sternkette umrahmt wurde.
Anschließend kam mir der Planetarische Nebel NGC 7008 vor die Flinte. Im 25er und unter OIII-Einsatz zunächst unauffällig, aber dann zeichnete sich eine deutliche Scheibe ab. Eine oval-halbkreisförmige Struktur mit dunklem Innenleben. Ein Vordergrundstern befand sich am Südende und auf der gegenüberliegenden Seite war ein zarter Lichtknoten erkennbar. Dies ist der hellste Abschnitt des Objektes. Durch die markante dunkle Einbuchtung wirkte der PN wie ein C oder Komma. Bei 83x stellte sich der Vordergrundstern als Pärchen heraus und ich bemerkte weitere "Highlights" entlang des helleren Randes, wo er generell einen unruhigen Eindruck machte. Ich war absolut angetan von dem Ding!
Ab und an rief mich Andreas zu sich, um mir etwas in seinem Doppelrefraktor zu zeigen. Das dunkle E im Adler war unheimlich schön und zum Greifen nah; und einfach so in der Milchstraße umherzuschweifen machte auch Spaß. Es wurde merklich kühler, sodass mir fast meine linke Hand abfiel. Kaffee lehnte ich ab (warum eigentlich?) und träumte stattdessen von einer warmen Tasse Tee. Die Gewitterwolken waren zwischenzeitlich abgezogen, doch in südöstlicher Richtung war es stets suppig.
Weiter ging es mit NGC 7296, seines Zeichens ein Offener Haufen in der Eidechse. Dieses Sternbild erinnert mich immer an eine Mini-Ausgabe der Cassiopeia und war ebenfalls recht sternreich. Das Objekt war selbst beim Aufsuchen schon aufgelöst und bestand aus überwiegend gleichhellen Mitgliedern. Knapp 20 Stück, wie ich schätzte. Eine grobe Trapezform, durch welche eine markante Y-förmige Kette hindurchlief.
Als Dreiergespann im Kepheus kamen NGC 7510, King 19 und Mrk 50 daher und waren bei 39x zugleich im Gesichtsfeld zu sehen. Sehr schön! Ersterer machte natürlich am meisten her. Sehr auffällig, länglich und halbkreisförmig bzw. dreieckig. Entlang des Südrandes reihten sich die hellsten Mitglieder auf und bei indirektem Sehen erschienen viele weitere schwache Sternchen. Ein toller Anblick. Ich nenne ihn "Segel-Haufen".
King 19 war ebenfalls "noch recht auffällig", aber wesentlich schwächer und arm. Bei 83x zählte ich gut 10 Sterne. Mrk 50, ein Winzling. Problemlos. 3 bis 5 markante Sterne in gekrümmter, bogenförmiger Anordnung.
Da war ja noch was... Komet C/2006 W3 (Christensen) war gerade im Schwan unterwegs und ich hatte mir eine Aufsuchkarte ausgedruckt. Im 32er ein problemloses rundes Wölkchen mit ansatzweise erahnbarem Schweif und stellarem, nichtmittigem Kern. Die Helligkeit des Halos nahm gleichmäßig nach außen hin ab und verblasste allmählich im Himmelshintergrund. Bei 83x schien der sehr kurze dreieckige "Schweif" vom Kern abzustehen und die runde Gesamtform ging verloren.
Nach einem Kurzbesuch in tiefsüdlichen Gefilden bei M 8 und M 20, bevor sie hinter der Bergkante verschwanden, hielt ich inne. Es ging auf 01:30 Uhr zu und mich fröstelte. Also entfernte ich mich vom Teleskop und machte eine kleine Wanderung den Weg hinauf, der uns ab 2011 zum neuen Plateau führen sollte. Aber damals ahnte ich noch nichts davon und versuchte nur, ein wenig Leben in meine Eispfoten zu bekommen. Die Plejaden schwebten bereits über dem Osthorizont. Ich wurde mir plötzlich der Abgeschiedenheit gewahr, in der ich mich befand, obschon keine 100 Meter entfernt. Es war, abgesehen vom Knirschen meiner Schuhe, schlagartig ruhig und von Weitem sah ich nur die roten Lampen und Lämpchen der Beobachter umherirren wie Leuchtkäfer. Ich genoss die Szene der Bergwelt, während ich auf einem Fruchtriegel herumkaute. Die Rückkehr ins zivilisierte "Lager" brachte ein vertrautes, heimeliges Gefühl mit sich.
Uwe fragte, ob ich den Kometen im Schwan schon gesehen hätte. Ich bejahte, überließ ihm meinen zerknitterten Ausdruck und während er das Papier studierte, stellte ich Christensen noch einmal im Dobson ein. Thomas und Uwe schauten durch und freuten sich über die gute Sichtbarkeit, aber daraufhin wurde mir angelastet, dass ich nicht schon früher Bescheid sagte.
NGC 7160, Offener Haufen im Kepheus, stellte sich als auffälliges längliches Gebilde heraus, das 4 oder 5 dominierende helle Mitglieder beinhaltete. Ca. 15 - 20 Stück. Zusammen mit einer gebogenen, markanten Sternkette nördlich sah er aus wie "Augen mit Nase"; "wie ein lächelndes Gesicht". (Ich gleiche gerade Fotos mit meiner damaligen Beschreibung ab und staune ehrlich über diese Fantasie...)
Bei NGC 7129 hatte ich anscheinend Identifikationsprobleme. Eigentlich ein Reflexionsnebel im Kepheus, aber ich sah lediglich die eingeschlossenen Sterne. Ein länglicher, stuhlförmiger, sternarmer Haufen aus knapp 10 Mitgliedern.
Das letzte Objekt der Nacht hieß NGC 7142, ein weiteres Häufchen in der Gegend, direkt neben dem Nebel. Auffällig, aber eher fade. Zwei gebogene Sternketten, die sich mittig treffen. Bei 83x aufgelöst in über 30 Mitglieder, die allesamt eher geringer Helligkeit waren.
Das Ende der Session nahte, denn es gab gesundheitliche Probleme bei zwei Mitreisenden, die uns zum Aufbruch mahnten. Es war fast 03:00 Uhr, als wir die Abreise ins Tal begannen.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Magdeburg, 17.01.2013