25./26.08.2016 – Don’t Panic!

Die besten Werte für diese Schönwetterphase erwartete ich in der Nacht auf Freitag. Nach der vorigen Session, bei der ich diesen tollen Platz kennengelernt habe, war ich gierig nach mehr. Mehr Objekte, mehr Zeit, mehr Transparenz… Einfach mehr, mehr von allem! Etwas später als geplant (Geldbörse zuhause vergessen, was suboptimal ist, wenn man unterwegs nochmal tanken möchte) verließ ich Bernburg auf bekannten Pfaden. Eine leere, goldüberzogene B6n lag vor meinen Reifen, die geradewegs zu den hohen Bergen führte. Wieder eine vergnügliche Fahrt mit „A Momentary Lapse of Reason“, der perfekten Floyd’schen Begleitung, während man zusieht, wie der Brocken immer größer und klarer wird und linksseitig vorbeiwandert. Tempomat rein und mühelos dahingeglitten. Langsam wurde die Strecke zur routinierten Vertrautheit.

Die Dämmerung war schon gut fortgeschritten, als ich, gegen 21:00 Uhr, den menschenleeren Parkplatz erreichte. Mangels Kreativität und Neugierde hatte ich beschlossen, mich einfach wieder dort hinzustellen, anstatt vielleicht mal den großen Platz westlich von Torfhaus zu besuchen. Wer weiß, was da nachts los ist. Ich fragte mich, welches Klientel wohl tagsüber hier zugange ist. Und überhaupt, was für Langweiler wohnen eigentlich in dem Hotel? Gehen die nach dem Abendessen gleich ins Bett? Irgendwie dubios, dass da nicht eine Lampe brennt in der Hütte. Aber mir soll es recht sein. Auf nächtliches Publikum verzichte ich dankend. Was passiert, wenn jemand aus dem Fenster schaut, das Rotlicht sieht und daraus falsche Schlüsse zieht, möchte ich nicht in Erfahrung bringen. Ich machte mir auch Gedanken über Möglichkeiten, mich im Falle des Falles zur Wehr zu setzen. Ein improvisierter Schlagring aus Schraubenziehern kam mir da in den Sinn, als ich mein Werkzeugköfferchen vorkramte, um Schrauben vom Teleskopgestänge nachzuziehen. Und das Stativ könnte man als Prügel verwenden. ‘Nen Regenschirm hab ich ja auch noch dabei! Ha, ich bin bis unter die Zähne equipped. Pfefferspray liegt auch griffbereit im Armaturenbrett.

Okay, ähm, ja, das Teleskop stand dann irgendwann auch mal fertig aufgebaut auf dem Boden und ich wagte mich mal mutig in die Verbindungsloipe hinein, aus der am Vortag diese ominösen Geräusche drangen. Eigentlich ein ganz hübscher Weg. Er hatte mein Vertrauen gewonnen. Es ging ein etwas stärkerer Wind, der die Bäume rascheln, und trockene Blätter und Plastikmüll über den Parkplatz tanzen ließ, aber bei mir selber kam davon sehr wenig an. Ich vertrieb mir die quälend lange Dämmerungszeit wieder mit der Kamera.

Als es richtig dunkel war, bog ein Auto langsam in die Einfahrt des Parkplatzes ein, schlich zögerlich in Richtung meines Wagens, kroch in Schrittgeschwindigkeit vorbei und orientierte sich dann in Richtung der Ausfahrt am westlichen Ende. Fantastisch, das hatte mir noch gefehlt. Klientel. Keine Ahnung, was das für Gestalten waren. Jetzt, am hellen, nüchternen Tageslicht und umgeben von den sicheren Wänden meines Schlafzimmers, sagt mir der Verstand, dass es entweder ein Pärchen auf der Suche nach einem stillen Örtchen war, oder verwirrte Leute, die die Orientierung verloren hatten und deswegen mal fix auf den Parkplatz auswichen. Doch nachts, in der Dunkelheit und des Primärsinns beraubt, spielten sich in meinem Kopfkino ganz andere Szenen ab. Das Auto hält bestimmt hinter dem Hotelgebäude, die Typen steigen aus, schleichen leise über den Parkplatz auf mich zu und überfallen mich. Irgendwie sowas haben die bestimmt geplant. Ich war also schon zum Anfang der Nacht alles andere als entspannt und aufgekratzt; schaute immer und immer wieder lange in Richtung des Hotels, stets in der Erwartung, dort bedrohliche schwarze Schatten auf mich zumarschieren zu sehen. Dass das die Konzentration lähmte und dem Wohlbefinden nicht sonderlich dienlich war, muss ich kaum erwähnen. Rational wusste ich, dass der verfluchte Wagen schon längst über alle Berge war, aber die Angst ließ sich einfach nicht abstellen. Ich zog das Stativ aus und legte es griffbereit auf den Rücksitz.


Das Ganze war natürlich ziemlich lächerlich.


Nichtsdestotrotz wollte ich mich davon nicht außer Gefecht setzen lassen und widmete mich tapfer meinem Schlachtplan. Ein paar schöne Ziele warteten darauf, von mir beehrt zu werden. Den Anfang machte ich mit MCG -1-53-2, einer kleinen Galaxie im Wassermann, die erst ab 200x so richtig als Fläche sichtbar wurde. Eine winzige, strukturlose Kuller. Durch die dicht angelagerten Vordergrundsternchen wirkte sie richtig eingekesselt und cluster-like. Eigentlich oval geformt, doch sie verschmolz mit den Sternen zu einem runden gesprenkelten Wattebausch. Toller Einstieg!

Ganz genießen konnte ich das alles zwar nicht, weil ich mich ständig umdrehen musste und bei jedem raschelnden Geräusch in Alarmbereitschaft ging, aber ich versuchte dennoch, eisern am Programm zu bleiben. Was war denn die Alternative – wieder heimfahren? Nee, vergiss es. UGC 11658 war wichtiger, wenn auch nicht mal ansatzweise so nervenaufreibend. Zwei sehr schwache Knäuel lösten sich aus dem Hintergrund heraus. Das südliche Knäuel etwas heller, das nördliche fast grenzwertig. Sonst nichts.


Um 22:50 Uhr zog ein heller, gelblich gefärbter Punkt gemächlich über den Himmel. Wahrscheinlich die ISS, auch wenn ich da jetzt keine Bahnparameter zur Hand habe und auch zu faul bin, sie zu recherchieren. Ich blieb im Aquarius und stolperte über den Asterismus O’Neil 1, der auf dem Weg zum nächsten Ziel lag und eine tolle Aufsuchhilfe bot. Außerdem machte der auch optisch richtig was her. Ein großes, gebogen-krummes Dreieck aus hellen Sternen; sehr auffällig schon im Sucher und im 32er Okular richtig brillant wirkend. Den müsste man glatt zeichnen, so schick ist der, aber ich präferierte erstmal die Nebelobjekte.


NGC 7077 und 7081 waren das Ziel, ein Duo aus zwei helleren Galaxien, die durch ein markantes, stumpfwinkliges Dreieck voneinander getrennt waren. 7077 machte eine schmächtigere Figur; blieb in allen Vergrößerungen rund und eher fade; zur Mitte hin kaum heller werdend. 7081 war da anderer Natur. Auffällig waren allein schon die Vordergrundsterne, die den Blick auf die Galaxie zogen. Dadurch wirkte sie bei indirektem Sehen in die Länge gezogen, doch zumindest das Zentralgebiet war eindeutig rund. Eine weitere schwächere Galaxie stand südöstlich von 7081, die sich im Nachgang als UGC 11760 herausstellt und im Okular ein strukturloser, diffuser Wisch blieb.

Poah, war das wieder dunkel. Eine mörderisch gute Milchstraße, die wirklich Eindruck schindete. Seeing war passabel; nicht so richtig gut, aber auch keine Mega-Katastrophe. Der Wind frischte auf und fing an, rumzuspinnen. Er brachte extrem warme Luft mit sich, so, als hätte jemand einen riesigen Fön angeschaltet. Unterbrochen war dieser warme Strom von plötzlichen, kurzzeitigen, kühlen Luftelementen, die unter diesen Umständen umso frischer wirkten. Ich fand es kurios. Es war außerdem knochentrocken. Eigentlich bin ich bei sowas überhaupt nicht empfindlich, aber diesmal merkte auch ich die niedrige Luftfeuchte sofort an meinen rauer werdenden Händen, und außerdem leuchteten die Klebepfeile beim Ablösen von den Atlasseiten. Die Torfhaus-Station sagt rückblickend was von 60%. Das ist quasi nix!


Ein helleres, prominenteres Objekt, das ich gerne zeichnen wollte, war der „kleine Ringnebel“ NGC 6894 im Schwan. Endlich mal was fürs Auge. Der PN zeigte sich schon im 32er als rundes Scheibchen inmitten des reichen, weiten Sternenmeeres und bei höherer Vergrößerung offenbarte sich der wunderbare Ringcharakter. Eine kreisrunde Fläche ohne Zentralstern. Der Ring war überall gleich breit und gut und scharf abgegrenzt vom Hintergrund. Und der war so hell, im Vergleich zu dem ganzen anderen Gekräuch die letzte Zeit… Sensationell!

Anschließend stand eine Galaxie an, die ebenfalls im Schwan liegt – NGC 7116. Auf dem DSS zeigt sie einen schwachen kleinen Klumpen in ihrer Osthälfte, der sich mir jedoch im Teleskop nicht erschloss. Sie blieb einfach nur oval mit einem leicht helleren Zentralgebiet.


Der Verkehr hatte sich, zu meinem Unwohlsein, fast vollständig gelegt. Eigentlich war ich ganz froh über jedes Auto, das mit Fernlicht vorbeifuhr und einmal den Parkplatz Richtung Hotel ausleuchtete, damit ich sehen konnte, was da los ist. Naja. Es war 23:46 Uhr. Das wusste ich deswegen so genau, weil ich nach einer schönen Bolidensichtung auf die Uhr blickte. Im Westen, knapp oberhalb des Hoteldaches, kam ein fettes Ding runter. Orange leuchtend und mit einer kurzen, aber hellen Nachleuchtspur.


Once more with feeling: Ich steuerte nochmal NGC 7292 an, die sich kürzlich am Sudelfeld als irgendwie-detailliert zeigte, zu der ich allerdings keine Skizze gemacht hatte. Das wollte ich nun nachholen, um meine Ahnung zu bestätigen. Bei dieser Kondensierung, die ich beschrieb, handelte es sich tatsächlich um einen kleinen Knoten innerhalb des Balkens, in Richtung des Feldsterns nordwestlich. Kern und nebenstehendes Knötchen waren zu einem Blob verbandelt, der sich nicht trennen ließ. Der Balken selber war von einem ovalen, schwachen Glimmen umgeben.

Um Mitternacht ereigneten sich mehrere Dinge. Zunächst mal gingen die beiden Laternen an der großen Kreuzung aus, sodass der Parkplatz in völlige Dunkelheit getaucht wurde. Eine wichtige und nützliche Info, wenn man die Location auch in Zukunft öfter mal ansteuern will, auch wenn ich in diesem Moment eigentlich weniger darüber erfreut war. Desweiteren trat der worst case ein, vor dem mir die ganze Zeit graute: Auf der Leiter stehend wendete ich mich vom Okular ab und wollte grad hinuntersteigen, als ich etwas Schwarzes neben meinem Auto sah, was da definitiv nicht hingehörte. Entfernung zu mir – vielleicht 4 m? Alarm. Zum Glück war ich noch denkfähig genug, um zu erkennen, dass das nur irgendein armes kleines Tier war (Katze? Waschbär?), das wahrscheinlich selber nie geahnt hatte, an wen es da bei seinem nächtlichen Spaziergang geraten würde. Die Urinstinkte übernahmen die Kontrolle und ich trampelte mit größtmöglicher Kraft auf der blechernen Leiter herum wie eine wildgewordene Irre. Der schwarze Schatten nahm sofort Reißaus und flüchtete irgendwo nach links. Ha! Wer hat hier das Sagen, he? Wer ist hier der Boss?


Durch den Schreck hörte ich wieder meinen eigenen Pulsschlag in den Ohren und mir schlotterten regelrecht die Knie. Weichei. Musste an die Passage aus PinkFloyds „Sorrow“ denken: „His blood has frozen, and curdled with fright – His knees have trembled and given way in the night“ – Meine Herren. Auch mein krakeliges Schriftbild im Notizblock (krakeliger als sonst) war Zeugnis der Zitterpartie, die mich da ereilt hatte. Aber ich kam einigermaßen schnell wieder zur Ruhe und konnte in mein Programm zurückfinden. Was einen nicht umbringt, macht einen nur härter.


NGC 7303 war nicht auf meinem schlauen Zettel vermerkt, aber im Atlas mit einem Pfeil versehen. Und weil ich eh noch in der Gegend war, kann ich die ja auch gleich mit erschlagen, aber ich hielt mich nicht sehr lange dort auf. Zitat aus den Notizen: „nix, rundlich-diffus, mäßig helles Zentrum, keine Details, kein Kern.“ Weiße Bescheid.


Meine latente, allgegenwärtige Nervosität und der drohende Mondaufgang ließen mich beschließen, noch ein letztes Objekt anzusteuern. Der weiße Mond sollte zwar erst gegen halb 1 seinen Arsch über den Horizont schieben, aber ich wollte ja noch rechtzeitig in Torfhaus sein, um ein paar Fotos davon zu machen. Mit der Info „Trio“ versehen lachte mich NGC 7805/6 auf der Karte an. Trios sind immer gut! Es war aber leider nur ein Duo, das im Okular sichtbar war, man glaubt es kaum. Die östlichste Galaxie, MCG +5-1-26, war nicht auszumachen. Schod.

Okay, Freunde, das wars für mich hier, auch wenn der Himmel immer noch prächtig war und die Milchstraße von oben auf mich herabbrüllte. Der Osthorizont schien bereits leicht aufgehellt, insofern war es eh Zeit, aufzubrechen, wenn ich noch was vom Mond haben möchte. Ich kramte alles zusammen und verstaute es im Wageninneren. Nebenbei überführte ich das Stativ wieder in seine ursprünglich angedachte Nutzung und ließ die Kamera noch ein bisschen klicken. Das Wissen, dass ich gleich hier verschwinden würde, ließ mich ruhiger werden, und so allmählich fing ich sogar an, mich richtig wohlzufühlen. Ein Jammer, dass die Session schon gelaufen ist! Hach. Sobald ich im Auto saß und die Fahrertür zuschlug, musste ich selber über meine schrullige Hasenfüßigkeit lachen. Ja, kaum ist man in Sicherheit, lassen sich wunderbar große Töne spucken. Na was solls, Motor an und schnell weg von hier. Es war halb 1.

Ich fuhr die paar Minuten bis Torfhaus, das sich schon weithin durch seine extrem hellen Laternen ankündigte. Meine Güte. Und hier sollen schon Leute beobachtet haben? Auf dem großen Parkplatz? Schwer vorstellbar. Eigentlich wollte ich am Vortag schon hier anhalten, bin aber einfach weitergefahren, und auch diesmal war ich kurz davor, das Örtchen liegen zu lassen. Aber ich sah was Gelbliches durch die Bäume blitzen und wusste, ich würde es bereuen, die Gelegenheit verpasst zu haben. Ich wendete also und bog auf den großen Wanderparkplatz ein, der in den Nachtstunden kostenfrei benutzbar ist. Hui, hier ging ein ordentlicher Wind. Mit Kamera zog ich los, stapfte Richtung Bayernhütte, auf der Suche nach einem guten Aussichtspunkt, ohne genau zu wissen, wo einer wäre. Meine Erinnerungen an die letzte Wanderung hier waren nicht mehr ganz taufrisch. Zögerlich betrat ich den Holzsteg, der den Anfang des Wanderweges zum Brocken markierte, und fand hinter der Touristeninfo eine tolle Fläche mit bestem Blick zum Brockenmassiv. Und zum gelben Mond, der links danebenstand. Wow! Na, wenn das nichts ist.

Die Kamera piepste und klickte, während ich auf dem flachen Stein daneben saß und die Szenerie genoss. Es ist beinahe ein Wunder, dass sonst niemand dort war, der sich den Mondaufgang ebenfalls ansah. Was hier tagsüber für Massen rumstehen müssen! Zig Leute, die Selfies mit ihren smarten Fönen machen. Nee, ich war allein und freute mich über den exklusiven Anblick, der sich mir da grad bot. Ein sehr schöner, magischer, fast schon berührender Moment, und der beste Abschluss einer Beobachtungsnacht, den ich mir vorstellen konnte. Mond im Stier, zusammen mit Hyaden und Plejaden; ein vollständig aufgegangener Fuhrmann, blinkende Lichtlein am weit, weit entfernten Horizont darunter; und rechts davon der Brockengipfel, den ich überraschend unilluminiert fand. Dachte, die Antenne leuchtet rot? So ähnlich wie der große Mast hier in Torfhaus, den ich ja irgendwie total mag. Ich wäre gern noch für ein besseres Foto den Wanderweg ein Stückchen hinabgestiegen, um der blöden Touristeninfo zu entkommen, aber ohne Licht war das, naja, nicht die beste Idee.

Nach einer himmlischen Viertelstunde Aufenthalt schritt ich zurück zum menschenleeren Parkplatz und brach wieder auf. Peinlich genau hielt ich mich bei der Rückfahrt an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Vor allem beim Bergabrollen war es ratsam, einmal öfter auf die Bremse zu latschen, da man ansonsten schnell über die magischen 60 km/h gerät. Bangen Blickes passierte ich den verhängnisvollen lustigen Kasten am Straßenrand, und wieder schauten wir einander herausfordernd an… Aber bei Tacho 50 löste er nicht aus. Ha. Hatte ich bei der Hinfahrt die Sonne auf der Straße zu liegen, war es beim Rückweg nun der Halbmond, auf den ich genau zufuhr. Schöne Nachtszenen, wohin man auch blickte. Interessant auch die Temperatur: Am Beobachtungsplatz noch 21°C, in Bad Harzburg 26°C, im weiteren Hügelland wieder 19 und in einer längeren flachen Passage 25°C. Gegen 02:00 Uhr war ich wieder in Bernburg (20°C) angekommen und freute mich auf die sicheren Wände meiner Wohnung, und an das Kissen, das abzuhören ich gedachte.

 



El Berichte de AKE

Bernburg, 26.08.2016

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