Zu diesem Ausflug wollte ich eigentlich gar nichts schreiben, weil gar nichts passiert ist. Naja, fast nichts. Ein paar bunte Bilder sind entstanden und eine eilige, halbherzige Zeichnung. Und um glaubhaft darzustellen, dass wir immerhin guten Willen gezeigt haben, folgt nun die Dokumentation einer absoluten Ausnahmenacht: Bis auf eine Ausnahme habe ich nämlich absolut nichts machen können.
Laut Wettervorhersage sollte es bis etwa 23 Uhr klaren Himmel geben, bis dann die Wolken aus Norden reinschwappen und vom ohnehin bald aufgehenden Mond angeleuchtet werden. Passt doch - Gefechtsalarm!! So waren wir pünktlich um 18:00 Uhr am Beobachtungsplatz, um die schöne, farbenfrohe Dämmerung zu genießen, im hellen Licht aufzubauen und dem Hundekonzert in Hobeck zu lauschen. Unschöne Überraschung: Die Fahrspuren des Feldweges waren völlig vereist und schweineglatt. Vorm geistigen Auge sah ich schon jemanden mit Knochenbruch auf dem Boden liegen, weil er im Dunklen über die Eisbahn rutschte. Vorsichtshalber prüfte ich den Verbandskasten und legte eine Decke vor den Berlingo-Kofferraum, wo man ja öfter mal zugange ist. Es war kalt, -2°C, der Schnee knirschte und knarzte unter den Sohlen; einzelne Krümel fanden ihren Weg durch die großen Löcher meiner Laufschuhe. Unangenehm. Das Aufbauen mit den dicken, klobigen Handschuhen war verdammt nervig, weil sich die kleinen, klapprigen Schnellspanner nicht bedienen lassen wollten, ein Eigenleben entwickelten und sich an den Hauptspiegel-Justierschrauben festkrallten - ich fluchte.
Irgendwann war der Aufbau-Spuk dann glücklicherweise doch vorbei und ich nutzte M 42, um den Sucher auszurichten. Kontrollblick durchs Okular: Eine kräftig minzgrüne Nebellandschaft, schön und detailreich wie eh und je. Eindrücklich waren diesmal aber auch die matschbraunen Farbnuancen, die ich tatsächlich noch niemals sehen konnte. Braun! Im Orion-Nebel! Die schwächeren Ausläufer der Huygens-Region, die Ansätze der beiden weitläufigen Schwingen und - am auffälligsten - M 43 zeigten sich in einem schlammartigen Farbton, irgendwie braungrau mit Rotanteilen.
Martin und Thomas kamen zwischenzeitlich auch eingeflogen. Es wurde immer dunkler und dunkler und die Wintermilchstraße hob sich, noch in der Restdämmerung, bereits kräftig leuchtend heraus. Ham-mer!!! DAS würde eine dieser denkwürdigen Nächte, von denen man noch seinen Urenkeln erzählen wird, wenn man alt und klapprig in seinem Schaukelstuhl vorm Kamin sitzt und über alte Zeiten sinniert. Alpenähnliche Knallertransparenz im Flachland, Grenzgröße locker 7mag, Zodiakalband und Gegenschein brüllend und schattenwerfend, Luftfeuchte knapp 1%, das Airglow tanzt in quietschgrünen Striemen am ganzen Firmament, Rosettennebel und Abell 21 mit bloßem Auge... Ich wusste es. Ich konnte es fühlen. Hatte es im Gespür. Ganz genau. Ich freute mich wie ein Schnitzel. Ich schaute nach Süden und bestaunte diesen strahlenden Orion, den prachtvollen Sirius, die flockigen Milchstraßenwolken, eingerahmt vom fetten Jupiter im Osten und der noch fetteren Venus im Westen. Ich drehte mich nach Norden um. Meine Gesichtszüge entgleisten. Wolken. Eine ganze Wand. Eine verdammt schnell aufziehende Wand! Ich fluchte. Also, wenn das jetzt komplett zusuppt, ist Polen aber offen, du, das sag ich dir.
In noch nie dagewesener Schnelligkeit, die Usain Bolt vor Neid erblassen lassen würde, hatte ich den Atlas aufgeschlagen und suchte panisch nach einem Objekt, was dort als "To-do" markiert war. Irgendeins!! Irgendeines muss binnen weniger Minuten doch noch festgehalten werden! Die Entscheidung fiel auf NGC 2169, dem "37"-Sternhaufen im Orion. Ich fluchte, weil sich der Zeichenblock nur schwer mit den Handschuhen aufblättern ließ. Machs gut, liebe Feinmotorik, war schön, dich gekannt zu haben. Ab ans Okular. Vergrößerung von 200x war bei dem katastrophalen Seeing bereits zu viel, aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Mach hinne hier!
Gehetzt wie ein Kaninchen bei der Jagd verteilte ich lustig Bleistiftpunkte auf dem Papier, und immer ging wieder der Blick nach oben zu den Wolken, die bereits die nördlichen Regionen des Orions okkupierten. Ich hatte noch nicht mal Zeit, um zu realisieren, was hier überhaupt los war. Zack, binnen weniger Minuten war alles dicht. Warum kommt der Mist schon jetzt rein? Es war doch noch nicht mal halb 8! Verdammte SCH&&"§/"($/!&%§!!!!!!
Ich fluchte. Adé, gute Kinderstube, war schön mit dir.
Meine lieben Fotografen haben in der Zeit, in der der Vorhang fiel, kein Sterbenswörtchen von sich gegeben. Ich latschte hinüber, um zu gucken, ob nicht jemand ohnmächtig auf dem Boden lag. Nein, sie waren alle noch da. Allerdings wollte Thomas in Anbetracht der Wetterlage bereits wieder losdüsen, obwohl er noch keinen einzigen fototechnischen Gegenstand ausgepackt hatte. Die drei Herren tranken einen Kaffee und wir scharten uns hinter meine windschützende Fahrertür, weil Martin uns auf seinem Smartphone die Lage bei sat24 zeigte. Eine gigantische, undurchdringliche Wolkendecke überschwemmte Nordostdeutschland, was ja prinzipiell abzusehen war, doch leider nur früher als erwartet.
Na prima. Super. Die hämisch lachende Venus war noch nicht mal untergegangen, der Spiegel noch nicht mal ausgekühlt, die Okulare noch gar nicht alle ausgepackt - und da baute ich schon wieder ab. Uwe setzte alle Hoffnungen auf einen schmalen, tendenziell klaren Streifen überm Nordhorizont, doch Martin und mich überzeugte das nicht mehr. Kurz nach 20:00 Uhr schlitterten unsere Autos wieder den Eiskanal hinauf, zurück gen Heimat, zurück in die Zivilisation. Verdammte Axt. Wenn sowas nochmal passiert, brennt aber der Konsum.
Dieses Hobby macht einen feddich. Ich ärgere mich jetzt seit genau 10 Jahren mit diesem Mist rum, seit Mitte Februar 2005, und wenn das mit dem verfluchten Wetterlotto so weitergeht, werde ich die nächsten 10 Jahre nicht mehr überleben. Also keine Urenkel, die sich die öden Geschichten und Abenteuer der ollen, grauen Omma da im Schaukelstuhl vorm Kamin anhören müssen, die sämtliche astronomischen Kamellen der letzten 80 Jahre runterleiert und beim Erzählen selber schon einschläft. Ha, das wird ein Spaß!
Ein Klagebericht von AKE
Bernburg, 09.02.2015