Nachdem die obere Hälfte der Republik beim letzten Neumond schon den absoluten Zonk gezogen hatte, fürchtete ich, dass es sich im Dezember wiederholen würde. Mir kam zu Ohren, dass in den Voralpen abermals bestes Beobachtungswetter ausgebrochen war, während ich unter den Wolken festsaß. Aber ein Tag, ein einziger Tag, hellte meine knarzige Stimmung wieder auf: Der Mittwoch.
Der Mittwoch! Gepriesen sei er. Die space-agents zeigten weder tiefe Bewölkung, noch Zirren an. Da ich eh bei meinen Eltern rumhing, wo auch mein Dobson vor sich hingammelte, ließ ich mir das nicht zweimal sagen und schmiedete eifrig Objektpläne. Außerdem die berühmte Frage: Wo will ich hin? Fläming war mir zu weit, v.a. in Anbetracht der Tatsache, dass ich am nächsten Tag früh raus musste. Und wenn man mal unter ‘nem Bombenhimmel steht, wird man doch ewig nicht fertig. Nein, ich ließ Vernunft walten und entschied mich für ein kleines Abenteuer; ein Feldweg südlich vom Nachbardorf Welsleben.
Ich kramte mein Astrozeug unter der Treppe hervor, lud es ins Auto und machte mich gegen 19:45 Uhr auf die Socken. Mit dabei war auch die Canon EOS 500D meines Bruders, weil ja leider kein Übersichts-Astrofotograf dabei war, sodass ich diese Aufgabe irgendwie allein bewältigen musste. Na, was die können, kann ich doch schon lange. Und so rauschte ich durch die Nacht mit meinem Hightech-Gerödel, equipped bis unter die Zähne… Meine größte Sorge war es, wie immer, beim Befahren landwirtschaftlicher Wege Gesetze zu brechen, weil ich als Normalo da gar nicht lang darf. Insofern fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich sah, dass am Abzweig von der Landstraße nach Biere KEIN Verbotsschild stand. Dieser löchrige Holterdiepolter-Pfad, der seine besten Zeiten längst hinter sich hat, weckte Erinnerungen an etliche unbequeme Ausflüge mitm Radl. Wahrscheinlich kam mir die Fahrt nur deswegen so lang vor. Dann gings an einer Kreuzung einmal links rum, und schon kamen die Pappeln in Sichtweite. An der ersten hielt ich an, wo sich eine kleine Haltebucht befand.
Klar, der blöde Baum schränkte die Sicht massiv ein, aber hier hatte ich wenigstens Platz. Es ging ein schwacher, aber konstanter Wind, was die 2°C nicht soo angenehm machte, und das Beobachten später auch nicht. Dennoch – das erste, was mir auffiel, war der unfassbar frische Duft nach guter, gesunder Ackererde (ein Hoch auf die Börde!) und die komplette Abgeschiedenheit. Im Westen hatte ich zwar Blick auf eine ordentlich frequentierte Landstraße, deren Autogeräusche mich stets begleiteten, aber die war doch recht weit weg und störte lichttechnisch überhaupt nicht. Außerdem fand ich dieses Rauschen irgendwie beruhigend. Nach Norden durfte man aber nicht schauen – da lag Magdeburg in all seiner schrecklichen, blanken, freigelegten Schönheit. Zigtausende Lichter funkelten vor sich hin; Ampeln, Autos, Flutscheinwerfer, und was weiß ich noch. Nach oben wölbte sich die ungesunde Lichtglocke. In anderen Himmelsrichtungen allerdings – da war es ganz gut. Vielleicht aber wirkten die Streulichter nur, im Vergleich zu Monster-Magdeburg, verschwindend nichtig. Der gesamte Südhorizont war flächendeckend mit den roten Blinklichtern der Windkraftanlagen zugepflastert. Und an der großen Pappel war so ein leiterartiger Hochstand, „Betreten verboten“. Hatte ich auch nicht vor. Fragte mich nur, was der hier in dieser Einöde schießen will, Feldmäuse vielleicht?
Noch bevor ich an den Dobson dachte, holte ich die Canon aus der Tasche und machte die ersten Bilder. Die Handhabung musste ich erstmal erlernen, ging aber schnell. Blöd nur, dass das Stativ so klein war und ich mich, beim Blick durch den Sucher, fast flach auf den Boden legen musste. Sah bestimmt lustig aus. Das Shooting lief dann parallel zum Teleskopaufbau. Erstaunlich, dass die Justage noch exakt passte. Als wären wir nie getrennt gewesen!
Ich fühlte mich hier sofort wohl, der Platz war mir sympathisch. Diese freie Horizontsicht nach allen Seiten (Pappel mal ausgenommen) war großartig, was auch ein enormes Plus für das Sicherheitsgefühl bedeutete. Denn mal ehrlich – meist sch… ich mir immer ein, wenn ich allein im Dunklen an irgendwelchen Gebüschen vorbeilaufe. Da drin könnte sonstwas lauern. Mein Favorit ist ja immer der Axtmörder. Dass hier, in dieser Ackerwüste, nichts weiter stand als diese komischen Pappeln, war ein glücklicher Segen für mich.
Beruhigt und sicher konnte ich also loslegen mit der Beobachtung. Pflichtprogramm war eine Zeichnung von NGC 891, die ich mit ihrem schönen Staubband endlich mal festhalten wollte. Klar, die braucht eigentlich bessere Bedingungen, aber die kam trotzdem recht gut raus. Die Zeichnung musste ich zwischendurch mal unterbrechen, weil der verstärkte Wind den Dobson zittern ließ; ein ruhiges Bild war nicht möglich und die dust lane verwischte.
Ich joggte ein wenig umher, machte Fotos, und hoffte, dass es wieder abflauen würde. Jedenfalls realisierte ich zeitnah, dass ich heute wirklich nicht die Heldin raushängen lassen musste, und zog mir dann die warme Daunenjacke an. Bei dem Wind fröstelte es mich. Die trockenen Blätter an den Pappeln raschelten leise und beständig; das ein oder andere stattete mir einen Besuch ab und scharrte über den Boden vorbei Richtung Acker.
Im südlichen Teil der Eidechse befindet sich mit NGC 7264 eine weitere dust lane. Nein, ich machte mir keine Hoffnung, das Band zu sehen, denn weder war es sonderlich markant, noch war die Galaxie gleißend hell. Der langgestreckte, krachend schwache Lichtdolch nahe eines helleren Feldsterns war aber trotzdem ganz nett, wie er sich da so aus dem dunklen Hintergrund quälte.
Es gab noch etliche dust lanes am Herbsthimmel, aber viele davon befanden sich in jenem Bereich, der vom Baum verdeckt wurde. Also wählte ich etwas aus, das ich vorher eigentlich nur als „Notnagel“ festgelegt hatte: M 76. Hoooch oben im Zenit, da zog der Kollege gerade seine Kreise – besseres Seeing werde ich hier nirgends finden. Der helle PN sprang sofort ins Auge, und – wow! – zeigte eine erstaunlich vielfältige Strukturierung. So hab ich den echt noch nie gesehen, aber ich fand, der sieht weniger M 27 ähnlich, sondern vielmehr einem hochskalierten Frosty Leo. Die beiden äußeren, hellen, kurzen Bögen, die z.T. seitlich ausschweiften, umrahmten ein rechteckiges Innenleben. Am westlichen Rand fiel mir irgendwas Kondensiertes auf – ein Vordergrundstern? Nee, wohl bloß ein hellerer Knoten. Begeisterung machte sich breit. Habe ich jemals über M 76 gelästert? Oh nein. Wenn das jemand behauptet – ich streite alles ab.
Eine ganze Weile war ich nun also mit dem PN zugange. Der Verkehr auf der Landstraße im Westen hatte nicht merklich abgenommen und ich konnte beobachten, wie die Lichter der kleinen Scheinwerfer vorbeizogen. Manche fuhren deutlich zu schnell, manche waren kaputt, manche wurden zwischendurch langsamer und gaben wieder Gas. Am nettesten fand ich den Lastwagenverkehr mit ihren vielen bunten Seitenleuchten. Ich mag Laster.
Ein Blick in meine Objektliste zeigte, dass sich unweit von M 31 ein nächstes Ziel befand. Nachdem ich erleichtert feststellte, dass der Andromedanebel noch da war, ging es einige Grad nordwärts zu NGC 278. Eine fast kreisrunde, sehr flächenhelle Galaxie mit etwa 2‘ Durchmesser. Bei höherer Vergrößerung zunächst nur undefinierbar gemottelt; nach und nach schälten sich dann die engen Spiralarme klarer heraus. Vor allem der südliche Bogen fiel auf, während der nördliche etwas weniger markant war. Im Zentrum blinkte der Kern zeitweise heraus, blieb aber, im Vergleich zu dem sehr hellen Rest der Galaxie, eher blass.
Der Wind hatte sich glücklicherweise größtenteils gelegt und es wurde merklich „wärmer“. Der Perseus-Galaxienhaufen lachte mich im Atlas schon ein paar Mal an, als ich da durchblätterte. Und fast hätte ich den auch angesteuert, wenn ich nicht vorher auf meine Objektliste geschaut und das Wort „Komet“ gelesen hätte. Ah ja, da flog ja grad einer rum, schön hoch in der Andromeda. C/2013 X1 PANSTARRS, mit irgendwas um die 10mag. Die Zielregion, südlich von Mirach, hatte ich mir im Atlas stumpf mit Bleistift eingekringelt. Das war mal wieder hochpräzise Kartenarbeit. Egal, der Pannenstars war dennoch sehr schnell gefunden, weil er sich als helle, kompakte Wolke zeigte. Er stand hübsch arrangiert in einem größeren Sterndreieck und lief gerade an einem schwachen Sternchen vorbei. Der Kopf zeigte etwa nach Norden, und südöstlich fächerte sich die recht breite Koma auf.
Neben der obligatorischen Galaxienparade hatte ich auch einige Reflexionsnebel auf dem Zettel. Reflexionsnebel sind fies, aber geil. Mir machen die richtig Spaß; der DSM-Vortrag 2017 steht schon fest. So steuerte ich auf vdB 31 in Auriga. „Fies“ deswegen, weil man recht wenig davon sieht, obwohl die Dinger aufm DSS so knallig daherkommen und blöderweise leider meist gnadenlos überstrahlt werden. Der betreffende Stern hatte einen starken Hof, aber das konnte natürlich auch optisch bedingt sein. Hm. Ich schwenkte auf den etwa gleichhellen Nachbarstern im Süden – der hatte definitiv KEINEN Hof. Insofern war dies der Nachweis, dass es sich um vdB 31 handeln musste. Ich hielt Ausschau nach der „Nase“, die nach Norden abstehen sollte, konnte sie aber nicht sehen. Naja. Aber ein Hof ist besser als gar kein Hof. Die unmittelbare Umgebung des schwachen vdBs war außerdem auffallend sternarm; ein Blick auf die Karte zeigte etliche angrenzende Barnard-Dunkelnebel.
vdB 37 liegt genau mittig auf der Verbindungslinie Beteigeuze – Aldebaran. Die Zielregion stand auch schon ausreichend hoch. Leider aber war von dem Nebel nullo zu sehen, da war der Himmel einfach zu schlecht. Lediglich die markante rote Farbe des Sternes fiel auf.
Ich hatte komplett das Zeitgefühl verloren. Es hätte erst halb 10 sein können, oder schon Mitternacht durch – wäre mir alles plausibel vorgekommen. Außerdem bekam ich Hunger, hatte aber nichts Beißbares dabei, außer Pfefferminzkaugummi und eine halbe Packung „Buko India“. Und als ich dann nach dem Kaugummi fahndete, stellte ich fest, dass nicht mal der auffindbar war. Im Westen, wo die Sommermilchstraße in die dunkle, mit winzigen Lichtern besprenkelte Silhouette der fernen Landschaft eintauchte, stiegen ein paar dünne Wolken auf, die gemächlich nach oben zogen. Die machten allerdings keinen Ärger. Ansonsten hatten sich die Bedingungen merklich gebessert; die Wintermilchstraße kam immer klarer heraus und die Grenzgröße schätzte ich auf etwa 6,0 oder 6,1 mag. Kein Überflieger, aber mir reichte es.
Nur zu gern hätte ich nun eine dust lane im Widder probiert, aber die stand noch knapp hinter den obersten Ästen der dämlichen Pappel. Das konnte nicht mehr lang dauern, aber in den Baum reinzubeobachten macht fürwahr keinen Sinn. Ich schwenkte stattdessen auf NGC 973 in Triangulum, die nicht im Atlas verzeichnet ist. Ein überraschend schwaches Objekt, deren Nachbarin IC 1815 zwar kompakt und langweilig blieb, dafür aber heller. Die längliche Galaxie besaß keinerlei „Highlights“ und nahm auch im Zentralbereich kaum an Helligkeit zu. Auf zu kleine AP reagierte sie ganz zickig und verschwand bei 200x beinah im Hintergrund. Ob es Einbildung bzw. Wunschdenken war oder eine reale Beobachtung – bei indirektem Sehen schien es mir nach einer Weile, dass ich an zwei verschiedenen Stellen Nebel sah. Extrem unklar und kein direktes Staubband, das NGC 973 mittig teilt, aber eben irgendwie so, als würden zwei sehr schwache Galaxien direkt nebeneinander parallel liegen. Na klasse… Da hab ich mir ja ein dolles Projekt ausgedacht. Nachfolgend bloß 'ne grobe Skizze:
Nun riskierte ich mal einen Blick auf die Uhr – ah, schon um 12. Und nun stand auch die Zielregion um NGC 678 ausreichend hoch über den Ästen. Auch hier: Kein Band. Das hatte ich auch nicht erwartet. Von der spannenden Morphologie, die diese Galaxie aufm DSS zeigte, gabs nix zu sehen, außer dem elliptischen Korpus und einem stellaren Kern im Zentrum. Allerdings schien mir der Südteil, ca. das untere Drittel, merklich dunkler als der Rest, so als wäre das Oval abgeschnitten. Verglichen mit dem DSS würde dies durchaus plausibel erscheinen – unterhalb des Staubbandes kommt nämlich nicht mehr viel Materie. Insofern sage ich einfach mal, ja, die dust lane ist machbar auf „indirektem“ Wege. Achso, direkt nebenan befand sich NGC 680, die ich allerdings nur mäßig spannend fand. Auch hier bloß 'ne Skizze:
Irgendwie witzig, wie die Leute da auf der Landstraße fahren, während ich grinsend mitten aufm Acker stehe und mir die Nase schnaube. Ein fern herüberschallendes Gehupe ließ mich herumwirbeln und ich konnte ein wildes Überholmanöver beobachten. Ein Laster, der eine orangene Rundumleuchte auf dem Dach hatte, fuhr hinter einem PKW, der ihn eben unter erwähntem Gehupe überholt hatte, und blendete sein Fernlicht ab. Nochmal Hupen des PKWs. Nochmal Fernlicht vom LKW. Nochmal Hupen. Der LKW schaltete die Leuchte aus. Dann war Ruhe im Karton. Ich verteilte meine Sympathien sehr eindeutig zugunsten des Lasters. Laster! Schönes Wort.
NGC 684 in Triangulum arbeitete ich nur der Vollständigkeit halber ab, denn das Staubband in dieser Galaxie ist jenseits meiner Möglichkeiten. Länglich – linsenförmig, wie ein kleines UFO, mit leicht hellerem Zentralgebiet. Sonst nix.
Ähnliches galt auch für die Widder-Galaxie NGC 1056. Ein recht helles Zentrum, eingebettet in die länglichen schwachen Ausläufer nach Norden und Süden, aber vom Staubband war, weder direkt noch indirekt, keine Spur zu finden. Naja, das ist doch mal ein Wort.
Allmählich wurde ich müde. Der Akku der Canon hatte schon seit geraumer Zeit den Geist aufgegeben (hab ich’s wieder geschafft!) und auf der Landstraße wurde es auch ruhiger. Erstaunt stellte ich fest, dass, wenn kein Auto dort langfuhr, man das tiefe Wusch-Wusch-Wusch der Rotorblätter des nächstgelegenen Windrads hören konnte. Ich war erst völlig irritiert, denn sonst wurde es kontinuierlich von den Fahrzeugen übertönt. Ich gönnte mir noch den ein oder anderen Standard-Rausschmeißer, machte also quasi ein „Ausspechteln“, und bereitete mich mental auf den Abschied vor.
Gegen Viertel 2 wanderte dann mein Kram wieder ins Auto und die Ordnung kehrte zurück. Durch die Windstille waren die Scheiben wieder beschlagen; außerdem hatten wir offiziell die 0°C-Grenze erreicht. Ich hätte gern noch länger gemacht, aber die Vernunft obsiegte. Nichtsdestotrotz hat die Nacht an diesem suboptimalen, aber supersympathischen Platz Spaß gemacht und extrem gutgetan; bei Gelegenheit komme ich gern wieder.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Bernburg, 11.12.2015