Der Heising'sche 14-Zöller hatte bisher noch keine Gelegenheit gehabt, sich unter dem Schönebecker Stadthimmel zu beweisen. Es wurde also mal höchste Eisenbahn! Aus irgendeinem Grund hatte der Wettergott ausgerechnet an einem Wochenende ein Einsehen und kündigte klaren Himmel in der Nacht zum Sonntag an.
Kurz vor 23 Uhr verließ ich das Haus. Ein ganz besonderer Moment: Wenn man für die nächsten Stunden nicht mehr reingeht; man zieht die Tür hinter sich zu und tritt in die Dunkelheit. Es war recht wolkig und zudem noch nicht ganz dunkel; machte aber nichts, denn das Gerät musste ja erstmal aufgebaut werden. Ich hatte Angst. Aufbauen macht keinen Spaß und ich wusste, es gibt nur ein Entweder-Oder. Entweder ich kriege es tatsächlich alleine hin und stehe als große Heldin da, oder ich schmeiße alles heulend in die Ecke.
Wie lange hat der Prozess gedauert? Keine Ahnung. Ich hatte nicht auf die Uhr gesehen. Es war jedoch ziemlich deprimierend. Die grifflosen Schrauben der Höhenräder klemmten und saßen nicht richtig - eine Viertelstunde etwa war ich daran zugange. Die Stangen wollten auch erst nicht so recht in ihre Halterung; sie klemmten und hakten. Alles klemmte und hakte. Es tauchte immer wieder ein neues Problem auf, das unlösbar schien. Ich wollte schon das Handtuch werfen und wieder reingehen, aber irgendwann stand das Teil dann doch und ich freute mich wie ein Schneekönig! Die Krönung war jedoch der Sucher, dessen Wackelkontakt ja nichts Neues war. Schalter ein-aus-ein-aus. Hello, is there anybody in there? Es hatte ganze 20 Minuten gedauert, ehe das erlösende rote Lichtlein erschien. Ich stand schon in der Küche, um eine neue Batterie zu suchen... So, das war schonmal geschafft. Fehlte nur noch die Justage - eine Sache von einer Minute.
Und dann, kurz vor Mitternacht, konnte es also auch schon losgehen! Klasse! Und die Wolken lösten sich nach und nach auf und zogen durch, sodass ich gleich starten konnte. Von weither aus der Stadt ertönten Geräusche einer Mordssause; Böller, Feuerwerk, betrunkene Leute, Techno-Musik und Rufe. Außerdem ein kreisender Skybeamer hoch im Südosten. Wie mich das alles nervt.
Als ich vor ein paar Tagen meinen neu ausgedruckten Sternatlas eingerichtet hatte, sah ich im Schwan den Offenen Haufen Roslund 4 und war allein von diesem exotischen Namen ganz angetan. Er war schnell gefunden, zeigte sich aber nur als schwache, unauffällige und unaufgelöste Sternwolke, die beinah wie zufällig wirkte und im reichen Feld der Milchstraße unterging. Der Eindruck bestätigte sich im 26er. Sichtbar war lediglich ein zarter, leicht griesliger Nebelschleier, in dem hellere Einzelsterne trapezförmig angeordnet waren. Bei indirektem Sehen wirkte der Schleier sehr ausgedeht. Es zogen Wolken durchs Zielgebiet, sodass sich der Einsatz des 20ers etwas rauszögerte. Der Nebelhauch verschwand im Hintergrund und übrig blieben 4-6 hellere Einzelsterne. Im Westteil des Haufens war zudem eine kleine, kompakte Sternansammlung erkennbar.
Es war bereits nach Mitternacht und ich blätterte zurück. Ein Kohlenstoffstern war ein Stück nördlich von Roslund 4 und ich beschloss, umzuschwenken. RX Cygni war leicht aufzufinden und fiel im 32er sogleich auf. Allerdings enttäuschte die Farbe; kein typisches Rot, sondern nur Orange. Er stand in einem reichen, farblosen Sternfeld, das er durch sein Erscheinen dominierte; der hellste war er jedoch nicht. Im 20er fiel mir für RX Cygni der Name "Mini-Beteigeuze" ein, was den Farbeindruck gut wiedergibt. Ich bemühte mich um eine kleine Zeichnung.
Blätter, blätter, blätter... Im Kepheus war noch was übrig. Während von Westen eine neue Wolkengruppe heranmarschierte, ging der Schwenk hoch auf das Dreieck Epsilon-Delta-Zeta Cephei, wo sich der Haufen NGC 7261 befand. Sogleich fiel eine kleine Sternenkonzentration auf, die scheinbar perfekt in einem hellen Dreieck lag. Etwa trapezförmig; in einige Einzelsterne aufgelöst. Das hellste Mitglied stand in der Süd-Ost-Ecke des Kastens. Ich blickte hinauf: Die dicke Wolkenfront zog herüber und hinterließ dahinter einen blankgeputzten Himmel. Toll! Doch nun durchlief sie gerade den Kepheus und ich musste warten. Und warten. Und warten. Im 26er zeigte sich ein hübscher kleiner Kasten, der in ca. 15 Mitglieder aufgelöst war. Durch die große Helligkeitsbreite wirkte der Haufen ästhetisch.
Beim Wechsel aufs 20er fiel mir auf, dass ich mich bei der Identifikation des Objektes verfranst hatte. Das Dreieck Delta-Epsilon-Zeta war in Wahrheit viiiiel größer, und ich sah im Okular die Konstellation Epsilon-Zeta, und der Haufen dort war NGC 7235. Hmpf. Gut zu wissen. Ich beschrieb ihn dennoch zu Ende. Wie ein schiefer Flugdrachen geformt, dessen Ecken durch die inneren Sternketten verbunden waren, und in 18-20 Mitglieder aufgelöst.
Nun ging es zum echten NGC 7261, ein Stückerl weiter nordöstlich und bei Weitem nicht so auffällig. Der Haufen präsentierte sich weitläufiger und sternreicher; einige Mitglieder waren in einem breiteren Areal versprenkelt, das im Hintergrund noch neblig wirkte. Längliche Form, etwa wie ein Fisch. Ich fragte mich, ob das etwas entferntere, dichte Sternfeld dazugehört. Im 20er war der Haufen geformt wie ein Vorfahrtsschild, das aus 20 Mitgliedern bestand; darunter viele schwächere. Der hellste prangte in der westlichsten Ecke.
Ebenfalls „da inner Ecke“ war der Offene Haufen Berkeley 94 zu finden. Das Aufsuchen war problemlos, da er direkt bei einem auffälligen orangeroten Stern stand, aber er machte einen eher mickrigen Eindruck und war kaum als OS zu erkennen. Er war nicht besonders reich. Bei höheren Vergrößerungen war ich allerdings ganz entzückt und notierte: „Der ist ja süß!“ Es zeigte sich eine markant geknickte Kette, die aus 8 Mitgliedern bestand und wie ein griechisches Lambda geformt war. Erinnerte mich an eine Mini-Version von meinem schönen NGC 2301.
Die Beobachtung von Berk 94 war geprägt von seltsamen Geräuschen, die aus der Stadt drangen. Irgendwo stieg die Riesen-Sause. Techno-Musik und Rumgegröhle. Die Rottweiler hinter mir protestierten. Die Wolkenfront war mittlerweile abgezogen. Klarer Himmel! Ein leichter Wind wehte und ich wurde langsam müde. Die Konzentration ging flöten. In Anbetracht der Tatsache, dass am Sonntag eine lange Brockenwanderung auf den Plan stand und ich ungern müde Auto fahre, entschloss ich mich etwa 01:45 Uhr zum Abbau. Noch ein kleiner Kampf mit dem Teleskop, den ich aber gewann. Als große Heldin zog ich von dannen.
Die Erkenntnis der Nacht: Eine größere Öffnung kann tatsächlich die schlechten Bedingungen gut kompensieren. Mit 10 Zoll hätten die Objekte mehr Probleme gemacht. Eine schöne, wenn auch kurze Beobachtung unter dem heimischen Misthimmel.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Schönebeck, 23.07.2012