Was für ein Wochenende - wettertechnisch mal ein absoluter Glücksgriff. Ein schöner sonniger, warmer Sonntag in Sachsen-Anhalt und dies trug sich in die Abendstunden hinein. Zumindest während der ersten Nachthälfte sollten Wolken überhaupt kein Thema sein; erst später könnte was aus Norden reinziehen.
Und dann begab es sich, dass die drei gleichen Gestalten in den gleichen Autos gegen 20:20 Uhr den gleichen Platz wie am Vortag aufsuchten. Schon als wir daran vorbeifuhren, drang der Gestank des verkohlten Misthaufens wieder in unsere Nasen. Widerlich. Laut Thermometer 3°C - Plus!!! Der rot eingefärbte Westhorizont offenbarte noch ein paar sich auflösende Wolken. Ich fand einen hübschen ebenen Platz auf dem Ackerrand, wie geschaffen für meinen astronomischen Aktionsradius (im Naturschutz nennt man das "home range"), und baute in aller Seelenruhe auf. Nebenbei lief "The Division Bell" aus. Doch die Dämmerung ist eine lang(weilig)e Zeit, sodass ich mit der Kamera umherlief und die Szenerie festhielt, solange die Nikon im Dunklen noch den Fokus findet.
Schweinitz sollte "Hundnitz" heißen, denn die Dorftölen veranstalteten ein kollektives abendliches Gekläffe und Geheule. Ich schlug vor, man könnte ein Spiel draus machen und die Rassen erraten, aber niemand wollte mitmachen. Schade. Also zog ich mich ins Auto zurück, kleidete mich den Umständen entsprechend (21:00 Uhr: -1°C) und bereitete meinen Schlachtplan für die Nacht vor. Als die Hunde irgendwann eingesperrt wurden, hörte man von irgendwoher die Schafe blöken. Was für eine Fauna. Außerdem demonstrierte Uwe die Lautstärke der GoTo-Funktion seiner neuen Supermontierung bei höchster Geschwindigkeit. Es klang wie ein überdrehter Akkuschrauber.
Naja, so richtig dunkel war es noch nicht, aber einer der DSH-Haufen sollte schon hergehen. Ich entschied mich für Karhula 1 im Perseus und tauchte in den tiefen Nordosten ab, als Uwe verkündete, er könne PANSTARRS mit bloßem Auge sehen. Hm. Ein Blick kann ja nicht schaden; muss ja niemand wissen. Heimlich schwenkte ich Richtung M 31, als er plötzlich hinter mir stand und fragte, ob ich nicht mal den Kometen einstellen könnte. Mist, erwischt! Aber man versprach mir, es niemandem zu verraten. C/2011 L4 PANSTARRS war bereits im Sucher ein unübersehbares Objekt. Und im Okular erst. Wow! Zugegeben, der machte schon was her. Ein heller und kompakter Kopf, von dem ein schier unendlich langer, breiter, asymmetrischer Schweif abstand. Beeindruckend! Vor allem die Westkante war scharf geschnitten und gut ausgebildet; der Ostrand hingegen gebogen und ging stufenlos in den Hintergrund über. Mehrere Vordergrundsterne befanden sich im Kometen. Er war noch problemlos im Gesichtsfeld des 32mm-Okulars unterzubringen.
Nach diesem Abstecher ins Sonnensystem widmete ich mich nun wieder den interstellaren Objekten und stellte Karhula 1 ein, der sich neben M 76 in einem recht reichen Feld befindet. Er war trotzdem durchaus als Haufen zu deuten, obschon groß und eher lose. Eine lange, S-förmige Sterngruppe, die mit einer ähnlich geformten Nachbarkette und einem dazwischen stehenden hellen Stern an eine Königskrone erinnerte. Die meisten Mitglieder waren in den „Kurven“ des S versammelt, insgesamt waren es 30 Stück und die Helligkeitsvielfalt war hoch. Allerdings fiel es schwer, zu entscheiden, wo man die Grenzen setzt.
Anmerkung zum Bild: Die erwähnte Nachbarkette würde sich in der rechten Kreishälfte befinden und die Form annähernd spiegeln. Siehe dazu ein Vergleichsbild vom DSS. Karhula 1 ist die längliche Gruppe rechts.
Während der Zeichnung, um 22:30 Uhr, erschien ein helles Licht auf dem benachbarten Feldweg, das sich auf uns zubewegte. Ein Auto mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern bog in unsere Richtung und fuhr an uns vorbei. Wir fluchten und erkannten den Pick-Up wieder: Es war der „Wolfsmensch“, der uns Anfang des Monats schon begegnet war. Er steuerte seinen Wagen in Richtung des Waldes, bog ab und fuhr im Viereck wieder dorthin, wo er herkam. Ärgerlicher Zwischenfall. Zeit, kurz innezuhalten und das SQM-L zu bemühen: Im Mittel 21,72 mag/arcsec². Die Bedingungen reichten subjektiv nicht an die vorige Nacht heran. Es war absolut windstill, aber dann und wann zog der beißende Gestank des stinkenden Haufens zu uns hoch. Uwe und Martin standen dabei genau in Zugrichtung; ich blieb mehr oder weniger davon verschont.
In der nachfolgenden halben Stunde wuchs meine Frustration, weil ich an der zu optimistischen Objektwahl zugrunde ging und die Ziele nicht fand. Ich hasse es, wenn ich an Fehlsichtungen scheitere, da vergeht mir schnell mal der Spaß. Man verschwendet Zeit mit Nichtbeobachten, statt sich anderen Objekten zu widmen, und es kam mir vor, als hätte ich an diesem Abend noch gar nichts geschafft. Aber ich konnte mich trotzdem aufraffen, als ich die nächste Aufsuchkarte in der Hand hatte, die mich zu Hickson 53 führen sollte, einem Vierergrüppchen im nordöstlichen Löwen. NGC 3697 A war als schwacher, aber deutlicher Nebel zu erkennen. Längliche Gestalt, O-W-liegend, mit faden Grenzen und ohne Details. Die Komponenten B und C präsentierten sich als ein ganzer Klumpen, ebenfalls schwach, aber kleiner und kompakter. Bei 200x löste sich das Pärchen dann auf und B/C zeigten sich als Einzelobjekte. Die südliche Flocke, NGC 3697 C, wirkte auffälliger und ein wenig kräftiger. Das vierte Gruppenmitglied, PGC 35381, war nicht sicher auszumachen. An der entsprechenden Position blinkte für Sekundenbruchteile etwas auf, aber ich verbuche dies unter „Einbildung“.
Es war 23:55 Uhr. Einen Kaffeebecher und ein kurzes Läufchen später gab das SQM-L einen Wert von 21,63 aus. Meine Motivation war wieder zurückgekehrt und ich fühlte mich wohl. An den Händen hingen zwar 10 Eiszapfen, wie immer, aber die Füße steckten noch in den saubequemen Laufschuhen und kalt war mir nicht. Was für eine angenehme Nacht. Es herrschte eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre; nur selten sprach jemand.
Im Großen Wagen war noch etwas aus H400 offen. NGC 4102, eine Galaxie, die fast genau senkrecht über mir stand. Oh, Gott, wie ich das verabscheue. Die sonst so schöne Handhabung des Teleskopes verwandelte sich in einen brutalen Kampf. Aber dann erschien dieser auffällige Nebel im Okular. Oval gestaltet, 1:2, und ein Vordergrundstern thronte am westlichen Randgebiet. Das Zentrum war flächig, spindelförmig und hell, kernlos und umgeben von einem undefinierbar unruhig wirkenden Halo.
Desweiteren hatte ich mir NGC 4194 rausgepickt, gut 2° nordöstlich von der Vorgängerin, aber bei der Beobachtung war mir schleierhaft, was meine Beweggründe dafür waren. Es zeigte sich ein sehr helles Zentralgebiet, das von einem kompakten und eher schwachen Halo umhüllt war. Sie war kaum als Nebel zu erkennen. Bei 200x war zumindest die längliche Form und N-S-Ausrichtung erkennbar. Keine Details.
Ein besonders nachtaktives Schaf schmetterte seine Mäh-Laute durch die nächtliche Stille, die an der fernen Waldkante ein Echo auslösten. Ich wechselte wieder die Zielregion und ging nun in das Gebiet nördlich des Coma-Sternhaufens, wo Hickson 61 aufzufinden war. Die berühmte Box! So viele Bilder gesehen, Beschreibungen gelesen… Aber noch nie selbst beobachtet. Ich freute mich darauf. Bei 129x tauchten vier getrennte, unterschiedlich helle Nebel auf, die in einem Viereck angeordnet waren. Na, wie so eine klassische Box halt eben aussieht. Drei besaßen etwa die gleiche Lage, nur das vierte Mitglied ragte als Querschläger senkrecht hinein. Im 9er wurde es dann interessanter. NGC 4169 war das Mitglied in der südwestlichen Ecke und dominierte das Quartett. Ein etwa 1:3-elongierter Nebel ohne Kern, aber mit hellem Zentralbereich. NGC 4173 stand nördlich drüber und stellte die schwächste Galaxie dar. Diffus und ohne merkliche mittige Helligkeitszunahme oder –nuancen, doch die weite, langgestreckte Form war beeindruckend. Von ihrer Ausdehnung her das größte Mitglied von HCG 61. NGC 4175, in der östlichen Ecke, war ebenfalls länglich und von zartbesaiteter Natur, doch da der Zentralbereich kräftiger ausgeprägt war, fiel sie, nach 4169, am ehesten auf. NGC 4174, der lotrechte „Querschläger“ im Südosten, war klein und kompakt, mit einer hellen Mittelregion, wirkte aber nach längerem Sehen bauschiger.
Nördlich von dieser schönen Gruppe stand mit NGC 4150 noch ein H400-Überbleibsel aus – der letzte Eintrag in Coma Berenices. Bei 129x zeigte sich ein runder Nebel mit auffallendem stellarem Kern, aber lichtschwachen Halo. Nach längerer Betrachtung machte die Gestalt einen eher gestreckten, ovalen Eindruck; es ließ sich dabei eine Kippung in NW-SO-Richtung bestimmen. „Schön strukturlos“, notierte ich mir.
Während dieser Galaxie spürte ich aufkommende Müdigkeit und das konzentrierte Beobachten fiel durch verkrampfendes Augenoffenhalten schwerer. Zeit für eine kurze Pause um 01:00 Uhr. Ich startete den nächsten Lauf zur Schranke am Wald. Auf die Maßnahmen, um wieder munter zu werden, möchte ich nicht näher eingehen – wenn man beim Rennen mit den Armen rudert, sieht das halt einfach lächerlich aus. Aber es half und die frische Fläming-Luft belebt; fröhlich und durchgewärmt kehrte ich im Basislager ein. Martin hatte inzwischen auch seinen Dobson aufgebaut und widmete sich einer Saturnbeobachtung. Die Schafe blökten noch immer.
Ein sehr brauchbares Seeing heute, doch der Himmel war nicht so brillant wie in der Vornacht; die Milchstraße, die noch quer über dem Wald lag, setzte sich weniger deutlich ab. Während dieser Position wird mir immer erst wirklich bewusst, wie ihre Bewegung am Himmel ablief. Wie das helle Band wandert. Erst die Lage parallel zum Horizont, dann immer steiler aufrichtend, bis es senkrecht von „oben nach unten“ in die tiefen Gefilde der Schützenregion versank. Die Glanzmomente der Sommernächte. Irgendwann taucht es in den Westen ein und hinterlässt den leeren, farblosen Herbsthimmel… Aber soweit wollen wir noch nicht denken, es ist schließlich gerade einmal Frühling!
Dreieinhalb Grad östlich von dem zuvor beschriebenen Objekt hatte ich mir NGC 4414 markiert. Im 14er groß, hell und 1:2-elongiert. Die Galaxie war N-S-ausgerichtet und beinhaltete sowohl einen stellaren Kern, als auch ein markantes Zentrum, von dem aus der Halo gleichmäßig auslief. Mit einer Ausnahme: Die Westkante schien ganz geringfügig schärfer, doch dies ließ sich nicht näher definieren und war wohl eher Einbildung. Nach längerer, indirekter Betrachtung dehnte sich der Halo enorm aus.
Mein nächstes Ziel trug die NGC-Nummer 4656/7, aber damit konnte ich nichts anfangen und ich verband kein Bild mit dieser Bezeichnung. Wie peinlich. Ich hatte sie herausgesucht, weil sie auf der Karte eine interessante Formation bildeten. Beim Aufsuchen fiel mir im Gesichtsfeld zunächst mal eine monströse, langgestreckte Galaxie mit breitem Zentralgebiet auf: NGC 4631 (die leider außerhalb meines Kartenausschnitts lag, sonst wäre mir eher ein Licht aufgegangen). Aber die interessierte mich nicht. 4656/7 zeigte sich anfangs als langgestreckter Nebel in N-S-Richtung. Bei 129x präsentierten sich beide Galaxien als je eine Aufhellung innerhalb dieses Barrens, die zwar ineinander übergingen, doch durch eine dunklere Zone im Norddrittel voneinander getrennt waren. Der Anblick im 9er: Sehr cool! Die obere Galaxie, NGC 4657, war kleiner, schwächer und ohne helles Zentralgebiet. Sie war sogar leicht verkippt im Bezug zur Hauptachse des Barrens, der hauptsächlich von NGC 4656 gebildet wurde. Er war sehr ausgedehnt und am südlichen Ende der zweiten Aufhellung zeigte sich eine Ausstülpung, ein leichter Knick nach Westen. Bei der Beobachtung kam mir schon der berühmte „Hockeyschläger“ in den Sinn, was sich im Nachhinein auch bestätigte.
Es war 01:55 Uhr und aus dem Norden zogen dunkle, schmierige Wolken auf. Oh, oh. Aber das war ja abzusehen. Ich wärmte mich noch eine Runde auf, hielt das SQM-L in den Zenit (Mittelwert: 21,74) und wappnete mich für das letzte Pflichtobjekt, das sich nicht weit vom Hockeyschläger entfernt befand. Aber bitte, Beeilung, sonst ist der Himmel dicht!
NGC 4676 A und B, besser bekannt als „die Mäuse“ oder Arp 242. Oh, da war ich ja auch sehr gespannt drauf. Sie waren jedoch lichtschwächer, als ich ob ihrer Prominenz erwartet hatte. Dennoch als zwei eng beisammen stehende Einzelobjekte erkennbar. Bei 200x präsentierten sie sich als zwei identische, kleine, runde Bällchen ohne Details. Trotzdem ganz nett.
Ab 02:15 Uhr waren die Wolken überall, genau nach Plan. Das letzte offene Fenster im Osten zeigte eine schön strukturierte Milchstraße. „Das wars wohl.“ Sehr schade! Ich machte mich daran, die Ausrüstung abzubrechen. Die obligatorische Eisschicht hatte sich überall niedergelegt, doch mit -5°C war es ganz angenehm. Mein Zeug lag im Auto und ich rannte ein letztes Mal zur Schranke, wo ich das Werbeschild von „Kampfmittelbergung Schollenberger“ erblickte. Ich musste darüber lachen. Ich liebe diese Gegend.
Gegen 03:00 Uhr verschwanden wir wieder Richtung Börde.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Magdeburg, 08.04.2013