11./12.10.2012 - Die King-Passion

Am Abend zuvor hatte ich schlechte Laune, weil ich wegen guter Wetterprognosen, die jedoch nicht eintraten, sämtliches Astrozeug aufgebaut hatte, aber unverrichteter Dinge wieder abziehen musste.

Diesmal hatte ich viel mehr Glück, denn der Nachmittag und frühe Abend zeigten sich wolkenlos und in der späten Dämmerung war auch alles paletti. Alles Notwendige landete im Auto und ich fuhr mal wieder auf den hinteren Teil unseres Grundstücks, der von allen störenden Lichtquellen abgeschirmt war. Der Stadthimmel ist des 16-Zöllers nicht würdig und er wäre auf irgendeinem Acker besser aufgehoben, aber ich hatte keine Lust, allein da in der Pampa rumzustehen.

20:34 Uhr startete ich den Aufbau und beendete ihn etwa 10 Minuten später. Das geht doch schon recht schnell! 11°C, die sich bei beginnender Feuchte jedoch kühler anfühlten. Der Himmel ohne Wolken war typischerweise brutal hell, aber besser als noch am 09.10. Die gespaltene Milchstraße war bis in den unteren Teil von Aquila zu sehen. Immerhin. Die Beleuchtung vom E-Center war noch an, sollte sich aber nach 21:00 Uhr ausschalten. Bis dahin machte ich Bilder von meinem Arbeitsplatz.

Ringsum war es ziemlich laut und es ertönten alle möglichen Stadtgeräusche. Bei Edeka polterten irgendwelche LKW, immer wieder ein Hupen, in den Containern raschelten Mäuse, die Blätter der Pappeln rauschten von fern, hier und da krachte und knackte irgendwas… Ich wollte mich von all dem nicht beeindrucken lassen, obschon ich ein ganz schöner Angsthase sein kann, wenn es um fremde Töne geht.


Das erste Objekt sollte der Komet C/2012 J1 Catalina sein, der über dem Pegasus seine Bahnen zog, doch die Suche war erfolglos. Möglicherweise lag es an der veralteten Aufsuchmarkierung im Atlas? Es war noch die vom Vor-Vorabend. Durchs Rumrühren allein fand ich ihn nicht.

Eine weitere Enttäuschung war NGC 7479. Im 32er nur ganz flau. Ein längliches Zentrum, dessen Peripherie (die Spiralarme) völlig unterging. Es war im 14er zwar besser, doch es blieb bei einem langen Nebel mit aufgeblähtem Zentralbereich ohne Kern. Ein Vordergrundstern tauchte an der Nordspitze auf; ein weiterer westlich der Mitte. Keine Details.


Nun folgte die unweigerliche Premiere: Zenitbeobachtung mit dem 16-Zöller. Wehe mir! Die drei ausgewählten Haufen standen hoooooch oben im Cepheus, und so konnte ich die Dehnungsübungen vom Nachmittag nachholen. An den OAZ kam ich leider nicht heran, weshalb irgendein improvisierter Tritt herbeigeschafft werden musste. Ich fand einen kompetenten Eimer für diese Aufgabe, der wegen seines breiten Henkels jedoch wackelte und kippelte. Oh, oh! Balanceübungen; Schulung des Gleichgewichts. Während der Suche ertönte von rechts, ganz in meiner Nähe, ein kurzer lauter Schrei irgendeines Tieres. Vor lauter Schreck trat ich den Eimer beiseite und leuchtete mit heller Lampe in Richtung der Lärmquelle. Auf der Mauer, ca. 50 Meter entfernt, sah ich zwei reflektierende Augen verschwinden. Das Adrenalin floss, aber eine Panikattacke konnte noch verhindert werden.


NGC 7380 war das erste Ziel und sollte Ausgangspunkt für zwei weitere Kings sein. Es handelte sich um einen großen, lockeren Haufen in einem sternreichen Umfeld, war aber problemlos als OS identifizierbar. Dadurch konnte ich die Grenzen nicht ganz genau erkennen – im Atlas war er viel größer markiert, ich hingegen betrachtete nur das offensichtliche „Zentrum“. Schon in der Übersicht aufgelöst und in Dreiecksform; das Gros der helleren Sterne bildete dabei die Kanten, während sich im Innenteil die Schwächeren verteilten. Etwa 25-30 Mitglieder unterschiedlicher Helligkeiten. Es waren drei markante Nachbarsterne im Feld, die den Anblick dominierten.


Als ich den Blick nach oben richtete, durchschnitt ein heller und lang andauernder Bolide den Himmel. Er glühte mehrfach auf und sauste durch den Perseus nach unten. King 18 befindet sich etwa 40 Bogenminuten östlich von NGC 7380. Im 32er problemlos sichtbar und bereits in einige verschleierte Körner aufgelöst. Er war länglich gekrümmt, ähnlich wie eine breite Banane, und entlang der Mittelachse waren die hellsten Mitglieder angeordnet. Das 14er zeigte King 18 als einen sehr hübschen Haufen! Zwei senkrecht aufeinander stehende Ketten, T-förmig, oder eher wie ein kleiner Pilz. Der krumme Hut (N-S-stehend) war dabei der markantere Teil und der Stiel zeigte in den Westen. Insgesamt knapp 20 Mitglieder und mäßige Helligkeitsunterschiede. Eine echte Überraschung!


Unweit davon, ein Stück nordöstlich, liegt King 10. Ich ließ mich beim Einstellen nicht von den ominösen „Puuut-Puuut“-Geräuschen beirren, die aus Richtung der Pappeln herüberwehten. In der Übersicht ein netter und reizvoller Anblick. Der Haufen liegt am Fuße einer markanten Sternformation, die ich spontan als „kleinen Kleinen Orion“ bezeichnete. Er war schwächer und kleiner als King 18, aber auch problemlos. Es zeigte sich ein länglich-ovaler und kompakter Nebel, aus dem ein paar Einzelsterne herausfunkelten. Als ich für den Okularwechsel das teure 14er in der Hand hielt, raschelte es wieder von links. Panisch trat ich den Stein, den ich vorher als Tritt benutzt hatte, beiseite, um Lärm zu machen, und musste lachen. King 10 in der Sternformation war ein hübscher Anblick. Er war geformt wie das halbierte Schaubild eines Pfeils („Dreieck mit Stiel“). Ich konnte 15 Einzelsterne herauslösen, von denen aber keiner sehr hell war. Der Rest war ein schwacher, nebulöser, unauflösbarer Matsch.


Als dann mein Handy klingelte, bekam ich fast den nächsten Herzinfarkt. Ich beschloss, es nochmal mit King 7 aufzunehmen, der sich mir zwei Tage zuvor verweigert hatte. Erst nach laaangem Hinsehen deutete sich rund um den östlichen der beiden Nachbarsterne ein langer, gekrümmter Nebel an, in dem einzelne Sternchen auftauchten. Nur bei indirektem Sehen und nicht dauerhaft haltbar, daher fraglich, aber die spätere Recherche bestätigt diese Sichtung.


Nahe der Grenze Cep-Cas befinden sich NGC 7762 und King 11. Ersteren wollte ich als Aufsuchhilfe missbrauchen und war der Annahme, es handelte sich um einen der großen, prächtigen Sternhaufen dieser Region. Daher war ich verwirrt, dass ich ihn zunächst nicht sah, und rührte lange Zeit herum. NGC 7762 ist ein eher kleines und kompaktes Häuflein.

King 11 riss diese Enttäuschung auch nicht heraus; im Gegenteil. Im 32er: „Da ist nix!“ Bei 128-fach erkannte ich mit Phantasie ein grenzwertiges Wölkchen, das aber nicht dauerhaft zu halten war. Ähnlich arg wie King 7. Ein paar feine Einzelsternchen schimmerten hindurch.


Die Sichtung von King 19 aus dem Jahr 2009 hatte ich mit einem Fragezeichen versehen, aber diesmal war es eindeutig. In der Nähe von dem schönen, segelförmigen NGC 7510 gelegen; größer und loser als sein Nachbar, aber trotzdem als deutlicher, angelöster Haufen erscheinend. Er war eckig geformt und bestand aus grob 10-12 Mitgliedern. Das hellste prangte nah am östlichen Haufenrand und dominierte den Anblick. Das 14er zeigte King 19 als eher arm und aufgelöst in 15/16 Sterne. Zwei parallel gekrümmte kleine Bögen, zwischen denen die schwächeren Mitglieder unregelmäßig verteilt waren.


Ich wusste gar nicht, wie spät es eigentlich war. Mittlerweile war es ruhig geworden in Schönebeck; die Tiere schliefen oder waren bereits erfroren. Mit 5°C stand das große Frieren zwar noch nicht auf dem Plan, aber nach dem Sommer kam es einem trotzdem ungewohnt kühl vor. Das Papier war klamm und angefeuchtet und der Sucher beschlug. Jupiter stand über den Pappeln, die von dem Flutscheinwerfer des Nachbargrundstücks angeleuchtet wurden.


Die Reise sollte zu King 20 gehen, aber auf der Karte fiel mir irgendein Objekt auf, das in der Nähe stand. Ich konnte es nicht lesen, weil der Ausdruck zu schlecht war, aber ich vermutete einen Kugelsternhaufen dahinter und starhoppte mich zum Zielort. Man sah zwei markante, eng beieinander stehende Vordergrundsterne, zwischen denen die Lücke ganz leicht gefleckt erschien. Bei 200-fach hatte ich einen ähnlichen Eindruck; irgendwie war es grobkörnig, näher zum westlichen Stern hin. Bei späterer Recherche sah ich, dass es PK 111-2.1 war, auch bekannt als „Hubble 12“, ein kleiner Planetarischer Nebel. Aber die Sichtung kann ich nicht sicher bestätigen. (Mittlerweile weiß ich, dass es sich bei den "Flecken" nur um schwache Feldsternchen handelte.)


Nun war wirklich King 20 an der Reihe. Im 14er auf den ersten Blick ziemlich unscheinbar, da recht schwach, aber nahezu flächig. Viele schwache Sternchen ohne „Ausreißer“. Der Haufen lag eingebettet in einen kleinen Kasten und erschien leicht rund geformt. Nicht aufzulösen, da er aus unzähligen schwachen Sternchen bestand, die zu einem Schleier verschmolzen. Einzelne blinkten heraus.


Ich schwenkte auf Jupiter, weil ich mir unbedingt die Dunkeladaption versaubeuteln wollte. Bei 200-fach fast unerträglich hell; aber hatte sich das Auge einmal daran gewöhnt, zeigte sich eine schön strukturierte Planetenkugel. Ich staunte über die Details in den Wolkenbändern. Der GRF präsentierte sich als farblose Einbuchtung bzw. Unterbrechung in dem dunklen, markanten Streifen. Alle vier galileischen Monde waren sichtbar.

Der Blick auf die Uhr ließ mich erschrecken, denn es war kurz vor Mitternacht. Das Bett rief bereits. Ich hockte neben dem Teleskop und legte eine kurze Zäsur ein, um nachzudenken. Schon abbauen, oder vielleicht doch noch einen King nachschieben, wo das Wetter doch so gut ist? Ich sah nach vorn, wo die zwielichtigen Container standen. Links war der Dobson, in dessen Spiegel gerade das aufgeblähte Licht vom Jupiter fiel. Rechts parkte das Auto mit seinem gierigen, aufgerissenen Schlund. Dahinter, am Horizont, war der Kopf des Orions schon im Aufgang begriffen. Es war alles ruhig.


Na gut, einen noch. King 17 im Fuhrmann sollte es sein. In der Übersicht unscheinbar. Rings um einen Feldstern gruppierten sich 4-5 Sterne, in denen kein Haufencharakter erkennbar war. Soll das King 17 sein?? Im 14er – aha! - kam dann Klarheit. Nördlich dieses Sterns zeichnete sich eine deutliche, dreieckige Wolke ab, die mit Einzelsternen gemottelt, aber nicht aufgelöst war. Die Mitglieder waren einheitlicher Helligkeit. Östlich des Haufens befand sich ein auffälliger, dunkelroter Carbonstern.


Es war jammerschade, als ich gegen 00:30 Uhr mit dem Abbauen begann, denn so schön klar war es lange nicht mehr. Aber der Wecker ist gnadenlos und scheucht mich trotzdem halb 6 wieder aus dem Bett, weil ein ordentlicher Student doch seine Veranstaltungen wahrnimmt! Pink Floyd motivierten mich noch einmal für die letzten Kraftanstrengungen. Die Autoscheiben waren beschlagen, die Welt lag im Tiefschlaf und ich kehrte zurück zum lieben Heim.

Später am Morgen war es noch immer wolkenlos und das Dreamteam Mond-Venus zierte die Dämmerung.



Ein Beobachtungsbericht von AKE

Schönebeck, 12.10.2012

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