Dass die Bedingungen schwierig werden würden, war in Anbetracht der gewittrigen Lage und des häufigen Starkregens der vergangenen Tage klar. Der Boden und die Luft waren voll mit Feuchtigkeit und die Sonne schaffte es noch nicht, das alles verdunsten zu lassen. Eine klare Nacht kündigte sich an, die ich trotzdem nutzen wollte. Aus organisatorischen Gründen hätte ich das eigentlich gar nicht gekonnt, aber nach einer Verhandlungsrunde und Beteuerungen meinerseits, dass ich im Falle eines „Notrufs“ realistischerweise binnen 10 Minuten zuhause sein könnte, ging das klar.
Wecker stand auf 22:15 Uhr. Ich überhörte ihn großzügig und schreckte erst 23:28 Uhr hoch. Zwar war die Verlockung groß, sich wieder umzudrehen, aber nach satten 3h Schlaf fühlte ich mich recht munter und entschwand in die Nacht. Gegen 23:45 Uhr war ich beobachtungsbereit. Der Himmel war klar und auf den ersten Blick dunkel, aber die Milchstraße war sehr blass und der Dunst lag überall in der Luft. Hohe Lichtglocken ragten empor; horizontnahe Sterne waren gar nicht zu sehen und unter einer Höhe von 20° fraß die gnadenlose Feuchtigkeit alles auf, was nicht hell genug war. Wetterstation Halle-Trotha sagt: Luftfeuchte 100%. Temperatur noch 21°C. Ich fühlte mich wie im Waschhaus. Sehr unangenehm, sehr drückend. Es ging keinerlei Wind, was es nicht besser machte.
Die Vorbereitung zielte auf einige offene Sternhaufen im Schwan ab, die sich fast alle auf der Detailkarte D1 im isDA befinden. Nebel und Galaxien waren unter diesen Bedingungen ganz schlecht, insofern passte mir das gut in die Pläne. Nach einem kleinen Becher Kaffee, um die letzten müden Synapsen zu aktivieren, ging es zu den ersten Objekten: Bica 1 und 2. Die standen schon ewig auf der Liste und ein Bild hatte ich dementsprechend nicht mehr im Hinterkopf. Enttäuschung im Okular: Inmitten des reichen Sternfelds war nur schwer etwas Clusterartiges auszumachen. Zwei unscheinbare Sternansammlungen, die sich schon bei moderater Vergrößerung im Umfeld verlieren. Bica 2, der einen 9,1mag hellen Stern im Zentrum trägt, wirkte noch am besten. Mehrere lange, geschwungene Ketten prägten das Bild, aber ich erkannte nicht, ob diese Teil der Haufen waren. Bica 1 schien sich noch mehr zu verbergen; nach längerer Betrachtung wirkte die Ansammlung etwas reicher und dichter, aber nichts, was ich irgendwie bemerkenswert fand. Die genaue Abtrennung der Cluster war kaum möglich; durch die vielen Sterne gingen sie quasi ineinander über. Fazit: Das Duo war nicht so der Hit.
Nach dieser Enttäuschung ging es in die Nähe von Sadr; der Haufen Collinder 419 wartete auf einen Besuch. Beim Aufsuchen dominierte zunächst der 5,8mag helle Stern HD-sonstwas und die nur schwache, andeutungsweise Sternsammlung ringsum, die stark überblendet wurde, ließ eine weitere Enttäuschung befürchten. Aber bei 138x änderte sich das Bild rapide: Der Haufen löste sich auf, gruppierte sich isoliert rund um den hellen Stern und war unerwartet sternreich; ca. 20 Mitglieder. Der Haufeneindruck verlor sich bei moderater Vergrößerung allerdings schnell. Zitat aus dem Notizbuch: „nett, aber kein Brüller“.
Nächstes Objekt war IC 4996 ein Stück weiter südlich. In der Übersicht fiel der nette helle Doppelstern, der Teil des Haufens ist, sofort auf, doch clusterlike sah das noch nicht aus. Bei 138x dann eine tolle Überraschung: Rings um den Doppelstern tauchten unzählige weitere Mitglieder auf. Sehr reich, sehr dicht. Insgesamt war der Haufen länglich geformt. Tolles Ding!
Die hohe Luftfeuchtigkeit zeigte bereits ihre Wirkung: Die Autoscheiben fingen an zu beschlagen. Na super. Es waren viele Flugzeuge unterwegs und manche, die recht tief flogen, schoben vor ihren Scheinwerfern einen deutlichen, großen Lichthof vor sich her. Hab ich so auch noch nicht gesehen.
Die Kronberger-Sternhaufen mag ich ja sehr; die sind immer für eine Überraschung gut. Ich gab mir alle Mühe beim möglichst exakten Aufsuchen, nur um dann festzustellen, dass Kronberger 72 schon in der Übersicht reichlich auffällig war und sich als kompaktes Wölkchen zeigte. Es handelte sich dabei um eine kurze, dreiteilige Sternkette, in deren Süden sich der Rest des kleinen Häufchens befindet. Insgesamt eine markante Dreiecksform. Leider eher sternarm; ich zählte keine zehn Mitglieder. Bei 200x gut aufgelöst, aber alles recht schwachbrüstig; der Charakter des kleinen Clusters ging dabei auch zunehmend verloren.
Gleich nördlich von Kronberger 72 befindet sich der Crescent, über den ich kurz drüberhuschte, aber ohne Filter war davon bei diesem Wischiwaschi-Himmel kaum etwas zu sehen. Egal. Kronberger 73 war das nächste Ziel. Dank der sehr auffälligen, bogenförmigen Sternkette, in der er liegt, war der Haufen gut zu lokalisieren, aber mit der Sichtung musste man sich etwas mehr Mühe geben. Es setzt sich eine zarte, schwache Wolke nur dezent vom Hintergrund ab – war das der gesuchte Cluster? Ich war mir nicht ganz sicher. Bei 200x zeigte sich dieses längliche, linsenförmige Wölkchen noch schwächer, aber es bröselten ein paar schwache Einzelsterne heraus. Auszulösen war das Gebilde nicht und war zu keiner Zeit wirklich eine leichte Beobachtung, aber trotzdem ein cooles Objekt!
In der Nachbetrachtung muss ich allerdings feststellen, dass ich nicht Kronberger 73 erwischt habe, sondern eine ebenfalls sehr dichte Sternkette, die eine Handvoll Bogenminuten nördlich von dem eigentlichen Cluster liegt. Für den lausigen Landhimmel war er doch zu schwach.
Bestandsaufnahme um 00:50 Uhr: Alles klamm. Atlas, Papier, Notizbuch. Die Transparenz weiterhin sehr mau. Seeing war auch nicht der Hit. Autoscheiben komplett beschlagen; auch der/die Sucher machten allmählich zu. Hoffentlich hielt der Fangspiegel noch ein Weilchen durch. Das Maisfeld triefte und schmatzte vor Nässe. Irgendwie war die regungslose Luft über mir wie gedeckelt und abgeriegelt; ich fühlte mich wie unter einer Käseglocke. Eigenartige Stimmung.
Die Route ging weiter zum kleinen Haufen Ruprecht 172, der eigenständiger Teil vom riesigen NGC 6883 ist und an dessen Randbereich liegt. Dieser erschloss sich mir auch bei geringstmöglicher Vergrößerung nicht unbedingt – einfach eine immens große Ansammlung lose verteilter Sterne. Sicherlich besser im Fernglas oder Widefield-Geräten. Ru 172 wollte sich zunächst gar nicht zeigen. Bei 138x setzte sich aber allmählich eine länglich-ovale Wolke im Südteil des großen 6883 ab, aus der ein paar Einzelsterne herauswinkten. Genauere Betrachtung offenbarte ein unerwartet dichtes Gewimmel, das nicht richtig aufzulösen war.
Der Blick in den Atlas zeigte, dass in dem unspektakulären NGC 6883 ein Veränderlicher zu finden war, der mich noch interessierte. RY Cygni zeigte sich intensiv orangerot gefärbt und machte den Anblick des gigantischen Haufens doch noch ganz ansehnlich. Etwas weiter südlich gab es noch einen weiteren Stern in gelb-orangenem Farbton zu bewundern. Nette Kombi.
Berkeley 51 muss in einer besseren Nacht nochmal angesteuert werden. Ich sah einen runden, schwachen Schimmer, aber da das mit sehr viel Unsicherheit behaftet war, verbuchte ich es als Wunschdenken. Mit Blick auf den Fangspiegel war dann auch klar, warum: Es war soweit, er war zugetaut. 01:15 Uhr, nach nicht mal anderthalb Stunden. Auch meine Armbanduhr war beschlagen. Der Versuch, Kronberger 57 zu finden, schlug fehl.
Teutsch 30 war noch hell genug, um gesehen zu werden, auch wenn der Haufen eher unspektakulär daherkam. Die Betrachtung durch die beschlagene Optik wertete ihn natürlich auch nicht unbedingt auf. Ein kleines, kompaktes Trapez, gut aufgelöst; auffällig, aber sternarm. Eigentlich wäre ich weitergezogen, aber das enge Sternknäuel im Zentrum fand ich so schick, dass ich dann doch noch eine letzte Skizze machte.
Unter den Umständen kam mir das alles reichlich sinnlos vor. Zum Aufhören war es mir dann aber doch noch zu schade. Erst am Vormittag hatte ich mir die Koordinaten beider äußersten Planeten unseres Sonnensystems herausgesucht, die aktuell im Stier bzw. in den Fischen sichtbar werden. Während Uranus noch tief am Osthimmel stand, tiefer als die Plejaden, hatte Neptun bereits eine brauchbarere Höhe erreicht. Genauso, wie ich nach über 18 Jahren Astronomie noch nicht mal alle 110 Messier-Objekte beobachtet habe, habe ich noch nicht alle unsere acht Planeten gesehen… Der Neptun fehlte noch in der Sammlung. Und Uranus war auch erst einmal dran. Man hat sie einfach nie so richtig auf dem Schirm und man konzentriert sich meist eh auf andere Sachen. Also ging es auf die Suche nach dem 7,7mag hellen Lichtpunkt; die Konturen der Fische waren mit bloßem Auge allerdings kaum zu erkennen, da sie voll in der beleuchteten Dunstglocke von Halle standen. Das Areal war trotzdem fix eingestellt, und beim Blick ins Okular war ich ungewohnt nervös und aufgeregt… Dann war da tatsächlich ein Stern, der da lt. Atlas eigentlich nicht hingehörte. Neptun! Sonderlich emotional bin ich am Teleskop eigentlich nicht, aber unseren fernsten planetaren Außenposten endlich mal mit eigenen Augen zu sehen, fasste mich unerwartet stark an. Als Scheibchen war er nicht zu erkennen, oder besser gesagt, bei diesem Seeing war in der Höhe alles zum Scheibchen aufgebläht. Auch die Farbe hatte ich mir intensiver vorgestellt. Mit etwas Fantasie war Neptun lediglich blassblau. Aber egal, vielleicht ändert sich die Sättigung, wenn die Bedingungen besser sind und sich der arme Planet nicht so durch unsere satt gedünsteten Luftschichten quälen muss.
Den Abschluss der triefend nassen Nacht bildete Saturn, der wieder ein schönes Zusammenspiel mit seinen Monden zeigte. Kurz vor 2 Uhr war es dann an der Zeit, alles wieder einzupacken. Nicht nur, weil alle optischen Flächen beschlagen waren, sondern auch, weil in Nordrichtung vermehrt Dunst aufstieg. Das gesammelte Tauwasser auf der offenen Heckklappe des Autos tropfte herunter, als ich sie schloss – aber nicht ganz so schlimm wie bei der einen Nacht im Allgäu 2014, als ein ganzer Schwall herunterplatschte. Später am frühen Morgen, als es hell wurde, war die ganze Landschaft unter einer dichten Nebelhülle versteckt, die sich vormittags bei dem starken Sonnenschein alsbald lichtete.
Fazit der kurzen Nacht: Ich hätte eigentlich auch liegen bleiben können!