26./27.01.2017 – Die Rossfeld-Piraten

Es war mein erstes freies Wochenende seit drei Monaten, günstigerweise direkt an Neumond. Schon länger tobte sich das stabile Schönwetter über dem Alpenraum aus, und es zeichnete sich ab, dass es an eben jenem Wochenende auch so bleiben sollte. Da fiel uns die Entscheidung nicht schwer – ab aufs Rossfeld! Wir hatten riesiges Glück, eine Unterkunft zu finden, die a) ein Zimmerbezug bereits ab 09:00 Uhr ermöglicht, b) von einem supernetten, interessierten, engagierten Wirt geführt wird und c) ein Räumchen frei hatte, das d) zudem recht günstig war. Inmitten der Tourieregion Berchtesgaden, bei der man unterkunftstechnisch durchaus mal tief in die Scheiße fassen kann (schon passiert), war dieser Fund wie ein 6er im Lotto. Um ein bisschen Werbung zu machen: Gasthof Schönfeldspitze in Stangaß. Da wollten wir dann also nächtigen.


Oder besser gesagt „tagen“, denn nachts gabs ja Spannenderes zu tun. Wir düsten am Donnerstagabend, als Norman von der Arbeit zurückkehrte und mit Stullenschmieren fertig war, ins äußerste südöstliche Eck des Landes. Pünktlich zum 500-jährigen Jubiläum des Salzabbaus in Bad Reichenhall hat man mit dem Streuen nicht gegeizt – die Straßenverhältnisse waren, trotz des tiefen Winters und -12°C, einwandfrei. Man sitzt da ja an (bzw. auf) der Quelle. Die Rossfeldstraße schraubte sich in salzverkrusteten Serpentinen hinauf. Es kam uns alles sehr vertraut vor, obwohl der letzte Besuch knapp zwei Jahre zurücklag. Kurz vor 22:00 Uhr erreichten wir den berühmten Pflasterplatz, wo im Scheinwerferlicht zwei Autos und zwei Teleskope reflektierten. Frank und Uwe waren bereits zuwerke. Das 27“-Monster stand natürlich wie ein Leuchtturm mitten im Salon, während Franks 14“-Traveldob sich dahinter ein wenig versteckte.

Begrüßungsplaudereien wurden abgehalten; parallel dazu Klamotten angezogen und Gerätschaft aufgebaut. Wie auch in der Arbeitswelt: Wenn die Spätschicht eintrifft, hat die Frühschicht Feierabend. Frank, seit 18:00 Uhr vor Ort, war schon wieder am Einpacken, weil er am nächsten Tag arbeiten musste. Leider, denn so beschränkte sich der Austausch auf nur wenige Minuten. Uwe sollte die Zwischenschicht übernehmen, und wir machen dann am Morgen die Tür zu und Licht aus. Bis dahin waren aber noch etliche Stunden zu überbrücken. Während der Fahrt hatten wir auf die Temperatur gewettet. Norman setzte auf 0°C, ich auf -2 – die goldene Mitte war dann Realität. Es war windstill und ruhig, außerdem transparent und klar. Frank und Uwe berichteten jedoch von üblen Zirren noch vor kurzer Zeit, die den halben Himmel eingenommen hatten. Nun waren sie abgezogen, hinterließen aber ein ganz hässliches Seeing. Südströmung oder sowas.


Mein Einstiegsobjekt war eigentlich gar keins – bzw. ich habs kurzerhand zu einem gemacht. Beim nachmittäglichen Surfen durch Aladin stieß ich auf eine lustige, auffällige, kurze, gerade Sternkette in der Nähe von NGC 2342 im Einhorn. Die fetzt, die muss ich mir anschauen. Die Zielregion war rasch gefunden und bei hoher Vergrößerung tauchte auch die Kette als nebliger Strich auf, aus der in der östlichen Hälfte ein paar Einzelsterne herausblinkten. So schön aufgelöst wie aufm DSS war die Geschichte freilich nicht – aber trotzdem witzig. Und da der Mensch dazu neigt, den Dingen einen Namen zu geben und die Schnur noch anonym im Weltall umherflog, nannte ich sie Krause 1. „Lustige, auffällige, kurze, gerade Sternkette“ ist mir ein wenig zu sperrig.

Stellvertretend für alle Autos, die uns desnachts passieren sollten, nenne ich nur dieses eine, das zu so früher Stunde vorbeifuhr: Ein PKW fuhr also vorbei und ich versteckte mich hinter meinem eigenen. Der Messmich maß eine Luftfeuchte von 23% – ja, kann man nehmen. Uwes Nachführung summte leise vor sich hin und ich suchte einen weiteren Aladin-Fund, aber ohne Erfolg. RAFGL 5216, eine dreiteilige Nebelregion nördlich von NGC 2311, blieb unsichtbar. Nebenan verkündete Norman: „Ob ihrs glaubt oder nicht – ich hab‘ innerhalb von zwei Minuten justiert.“ Uwe: „Mmh. Den Refraktor, oder?“ Nee, den hatte er umsonst mitgenommen – der zugehörige notwendige Zenitspiegel lag wohlbehalten in München.


Das Grüppchen um UGC 4349 war leider auch ‘ne Fehlsichtung; ich notierte mir lediglich etwas von schwachen, nicht haltbaren Nebelflecken, was ich als negativ verbuchen muss. Dankbarer hingegen: NGC 2555. Eine rundliche, helle Galaxie; zwar eher öde, aber mit netten Vorder-/ Feldsternchen nahedran.

NGC 2642 folgte danach und zeigte sich als ovale (1:2) Fläche, grob O-W-liegend, mit hellem stellaren Kern, der sich bei höherer Vergrößerung flächig auflöste. Weitere Aufhellungen im Halo blinkten heraus – Vordergrundsterne. Die Galaxie stand nördlich von einem auffälligen Dreieck.

Im Stier ging es nun zu einem Haufenduo, das auf dem Papier unscheinbar daherkam, sich aber als reizvolle und kontrastreiche Überraschung herausstellte. NGC 1807 und 1817. Letztgenannter Cluster war sehr groß und sternreich; die drei hellsten Mitglieder bildeten ein Dreieck am Westrand, während dahinter eine unzählbare Fülle von schwachen Sternchen folgte. 1807 hingegen war kleiner und loser, aber mit umso markanteren Mitgliedern, die ein Kreuz formten, bzw. mich an ein Samuraischwert erinnerten. Hey, das fetzt! In dem Kreuz steht auch noch ‘ne kompakte PGC, die mir aber nicht als flächiges Objekt auffiel. Nördlich von dem Duo, im gleichen Gesichtsfeld, befand sich außerdem O’Neal 8, der aber unspektakulär und unauffällig blieb.


Ich gönnte am Kofferraum mir ein rasch abkühlendes Becherchen Kaffee, während ich in den Atlas schaute, und Uwe kam kurz vorbei und prüfte die Lage. Ich war auf der Reise nach Haro 3-75, zu dem es nicht viel mehr zu sagen gibt als: „hell, rund, klein, einfach, homogen“.

Nächster Halt war UGC 3691, eine Galaxie in den Zwillingen. Ziemlich unauffällig und diffus; eine ovale Fläche, die in mehreren Vordergrundsternchen eingebettet lag. Von den diversen Kondensierungen und Knötchen war nix zu sehen.

Einen superschönen Anblick bot NGC 2402: Dieses enge, kompakte Galaxiendoppel lag mitten in einem langgezogenen Sternmuster mit hellen Mitgliedern. Details gabs da nicht zu sehen, aber die Kombi mit dem Umfeld machte echt was her.

Es war Mitternacht auf dem Rossfeld. Norman machte den „Piraten“ und hielt seinen nigelnagelneuen Apo stumpf ans Auge, ohne aber in den Fokus zu kommen. Eigentlich hatte er sich eine Zeichnung von M 1 auf die Fahnen geschrieben, wurde von dessen Anblick aber demotiviert und widmete sich anderen Sachen. Ich joggte auf der Straße lang, um der reinkriechenden Kälte Herr zu werden. Bei freierem Blick war die monströse Lichtglocke Salzburgs besonders eindrucksvoll zu sehen; versaute den Nordhorizont hoffnungslos und wuchs auch nahezu in den Zenit hinein.

Zurück am Platze setzte ich mein Programm mit NGC 2648 fort, die zusammen mit dem Begleiterchen PGC 24469 die Kombi Arp 89 bildet. Die große Galaxie stand in NW-SO-Kippung, zeigte außer ihrem langgestreckten Äußeren aber keine weiteren Einzelheiten. Östlich davon löste sich die kleine PGC als schwacher, jedoch unerwartet breiter und O-W-ausgerichteter Streif heraus.

Norman bat zu sich ans Teleskop, um den Rosettennebel vorzuzeigen, der mit [OIII]-Einsatz hell und strukturiert das Gesichtsfeld ausfüllte. „Joah, naja… Najaaaa… Hmmm… neee.“ – „Hmm nee.“ – Da waren wir uns einig.


NGC 2595, eine Galaxie im Krebs, steht nordöstlich von einem hellen Stern und überraschte mich ein wenig mit ihrer Größe. Ein helles Zentralgebiet, das außen diffus auslief und insgesamt unruhig wirkte. Der Halo erschien mir nordwestlich und südöstlich des Kerns dezent aufgehellt.

Bei der Suche nach NGC 2744 brach ich mir einen ab, ehe das Teil endlich im Okular auftauchte. Ein typischer Fall von „zu sehr übernommen“, weil das DSS-Bild einfach so verlockend war. Da war südlich der Hauptgalaxie noch ein schwacher Begleiter zu sehen, der mir jedoch verborgen blieb. Stattdessen sah ich auf eine ovale, strukturlose und schnarchlangweilige Fläche, die auch nach Ausprobieren diverser Vergrößerungen nichts Interessantes preisgab.


MCG +4-17-1 ist etwas für den Ästheten, auch wenn die unhandliche Nummer erstmal nicht danach klingt. Diese kompakte E0-Galaxie steht nämlich akkurat positioniert in einem Sternring. Also nicht mittig drin, sondern als ein Glied des Ringes. Schickes Ensemble!

Es war gegen 01:00 Uhr und Uwe verkündete seinen Abbau. Meine Lampe war ebenfalls am Abbauen, schon seit geraumer Zeit – dimmte irgendwann einfach aus und ließ mich im Stich. Verdammt. Irgendwo in den Tiefen des Autos hatte ich noch eine Ersatzbatterie, aber wo genau, das war die große Preisfrage. Erstmal bat ich Norman um Hilfe, das war das Einfachste. „Hast du zufällich noch ‘ne Handlampe für mich? Meine gibt den Geist auf…“ Er überlegte kurz und wollte mir seine Klemmlampe anbieten, die ich aber für meine Zwecke absolut untauglich hielt. „Nee, die is nix, die kann ich nich in den Mund nehmen beim Zeichnen.“ – „Die kannste aber an deinen Block klemmen, das ist doch viel besser!“ – „Nee, das is doof.“ – „Du sabberst lieber deine Lampe voll.“ – „Ja. Und ich steh dazu. … Klemmlampe! Hau mir ab mit diesem modernen Zeuch.“ Ich versuchte, noch mit dem verbliebenen sterbenden Licht zu arbeiten, musste aber gleich wieder aufgeben und kehrte fröhlich zu Norman zurück: „Kann ich deine Klemmlampe habeeen?“ – „Ach, JETZT auf einmal!“ – „Ja. Wie gehtn die an? Wo muss ichn da drücken? Die geht gar nich an!“ – „Na da oben, da ist der Schalter, den musste schieben!“ – „Da geht nix zu schieben! Das is doch voll der Mist, das Ding!“ – „Na doch, da… Die ist ja ganz schön verdreht. Wieso hastn du die so verdreht?“ – „Ich hab die nich verdreht, die war schon so! So ein modernes Mistzeuch.“


Ich nutzte die Lampe nur, um sofort in meinem Picknickkorb nach der Ersatzbatterie zu suchen. Dieses Klemmding war ja nicht auszuhalten. Geht gar nicht. Zum Glück fand ich die rettende Zelle sofort und kehrte zu Norman zurück. „Hier, kannst du mir helfen beim Wechseln?“ Er meckerte über Astro-Handlampen im Allgemeinen und es entstand eine Diskussion über die Vor- und Nachteile der diversen Astroleuchten, die es so zu kaufen gibt. „Ich find die voll super, was hast du denn? Die hat man immer dabei, ist leicht zu bedienen, kann man in den Mund nehmen und vollsabbern…“ – „Ich hab‘ die gehasst. Genau deswegen: Da weiß man gar nicht, wie man die Platine rauskriegen soll. Uwe? Hast du mal ‘ne Zange?“ – „Nee, hab‘ ich nicht bei.“ – „Ich hab eine! In meinem Werkzeugköfferchen.“ – „Sowas hast du?“ – „Klar. Bordwerkzeug.“ Mit der Zange konnte Norman die Batterie erfolgreich wechseln, während ich danebenstand und mich kaputtlachte. „Dieser Billigmist aus China. Kostet 60€ und ist der totale Schrott.“ – „Für DIE hab‘ ich gar nix gezahlt… Die hab‘ ich geklaut.“ Man war entsetzt. Aber das wichtigste: Die Lampe leuchtete wieder hell, wie die Sonne am ersten Frühlingstag!


Zur Feier des Tages gönnte ich mir noch einen Becher Kaffee und widmete mich dann NGC 3344. Auf dem DSS eine riesige runde Spiralgalaxie, von der mir aber nur die riesige Fläche zugänglich war. Und selbst die war nicht so riesig wie erwartet. Trotzdem, ein paar helle Feldsterne machten die Face-On doch noch zu einem netten Anblick.

Um 01:45 Uhr machte Uwe die Biege; ab nun war die Spätschicht-Belegung allein am Platz und es war auffallend ruhiger geworden. Mich zog es zu NGC 3414, die im 16er ganz anders daherkam als der DSS hoffen ließ. Von den Ausläufern, die nach Norden und Süden abgingen, sah ich nix; stattdessen nur den hellen runden Zentralteil und die PGC 93597 nördlich davon. Noch weiter im Norden tauchte auch NGC 3418 auf, die eine ovale, O-W-ausgerichtete Fläche blieb.

Erst folgte ein Brötchen. Dann rannte ich mal wieder durch die Gegend und wärmte mich auf. Lauftraining auf 1.500m Höhe hat man schließlich auch nicht oft. Tagsüber muss das eine tolle Strecke sein, und vor allem ohne die klobigen Polarschuhe an den Füßen. „Gibt’s auch ‘nen Rossfeld-Lauf? Ich würd‘ den mitmachen. Und sie alle versägen.“ Kaum war ich zurück, ging auch Norman auf Wanderschaft.


Bei Arp 55 hielt ich mich nicht sonderlich lang auf, denn außer einem blassen, ovalen Tupfer (UGC 4881) konnte ich nichts Sehenswertes erkennen. Eine andere Arp, die 283, machte da schon deutlich mehr Spaß. Das Duo besteht aus NGC 2798 und 2799. -98 viel heller, rund mit länglichen Ausläufern nach Nord und Süd. Die Nachbarin, lang und dünn, lag SO-NW gekippt, zeigte auf das Zentrum von -98, reichte aber nicht bis ran. Sie wirkte ein wenig nach Norden gebogen.

NGC 3009 und die nebenstehenden Nachbarn rissen mich nicht vom Hocker – „reichlich unspektakulär“. Die NGC war der größte Nebel, rund geformt, homogen, ziemlich diffus. Nordöstlich von ihr reihten sich drei kompakte, mehr oder weniger ovale Büschel auf, die sich nicht viel schwächer zeigten als 3009. Naja, eigentlich ‘ne nette Gruppe, aber nichts so richtig fürs Auge.


Ganz im Gegensatz zu NGC 3104. Diese irreguläre Galaxie überrascht: In der Gesamtform oval, zeigte sie an ihrer Südost-Flanke Unregelmäßigkeiten, deren Nordende kräftiger ausgebildet war. An der Südspitze stand ein schwacher Vordergrundstern, und wiederum südlich tauchte eine beinah stellare Aufhellung auf – Fotos nach zu urteilen anscheinend ein Knoten.

Mit halbgefrorenem Eiswasser gab’s ‘ne Runde Zähneputzen und Norman tauchte plötzlich mit einer piratigen Augenklappe im Gesicht vor mir auf. Keine Ahnung, wo er das Ding hervorgezaubert hat, aber ich fands dezent gruselig und fuhr lieber schnell mit meinem Programm fort. MCG +7-25-61 bekam im Atlas die Notiz „3 Kügelchen“. Das ist deshalb so wahnsinnig komisch, weil ich auf das Triplett durch die Alternativbezeichnung KUG 1218+401B aufmerksam geworden war – und von KUG ist es bis zur KUGEL nicht weit. Ein absoluter Brüller, nicht wahr? Na jedenfalls gabs da eine hellere (MCG +7-25-60) und zwei schwächere (-59 und eben die -61) kompakte Galaxienkullern zu bestaunen, die in einem formschönen spitzen Dreieck angeordnet waren.

Nach zweimal Sprinten bis zum alternativen Parkplatz weiter vorne ging es mit NGC 4102 weiter, die Norman vor zwei Jahren an genau diesem Platz auch schon gezeichnet hatte und von der Polarringstruktur überrascht wurde. Insofern wusste ich schon grob, was mich da erwarten würde. Zwischen zwei Feldsternen lag dieses breite, linsenförmige Ding, mit einem hellen Zentrum und umgebenden Halo, die beide von einer schwachen Dunkelzone getrennt waren. Nach Norden und Süden war dieser Halo stärker ausgeprägt, sodass sich eine Art Ringstruktur herausbildete.

Ich hatte komplett mein Zeitgefühl verloren; die Nacht vergeht und der Himmel kreist so selbstverständlich über einen hinweg, während man selber in sein Tun vertieft und versunken ist. Jupiter strahlte am Südhorizont wie ein Leuchtturm alles nieder. Ich entschloss mich, nach dem ganzen unhandlichen Zeug mal wieder irgendwas Prominenteres zu machen und schwenkte aufs Draco-Triplett. Dummerweise stand ich nun so blöd, dass Normans Klemmlampe mir direkt ins Bild strahlte und das Gesichtsfeld in ein ungesundes rotes Leuchten tauchte. Ich wusste es doch, ich hab‘s doch gleich gesagt – diese scheiß Lampe geht einfach gar nicht! So beschränkte ich mich aufs Skizzieren des Sternfeldes und wollte es mir für die nächste Nacht aufheben. Allerdings, das nehme ich einfach mal vorweg, habe ich damit nicht mehr weitergemacht.


Es folgte eine Glanzvorstellung des Stückes „OdM für Spechtler“, in dem ich den leidenschaftlichen Monolog des 3,0-mag-stadtgeplagten Spechtlers rezitierte, der sich bei Objektvorschlägen unterrepräsentiert fühlt und lieber mal solche Kaliber wie Alkor & Mizar lesen würde. Ich glaube, das Publikum (Norman, dem Blödsinn hilflos ausgesetzt) war begeistert. Grund – ich nutzte den Doppelstern als Ausgangspunkt für meine Reise nach NGC 5278 bzw. Arp 239 und hatte den Drang, diesen Umstand gebührend zu kommentieren. Bei 200x gabs eine ovale Fläche zu bewundern, die in zwei Klumpen zerfiel, die aber miteinander verschmolzen blieben. Der westliche Klumpen war dabei heller und größer. UGC 8671 ging auch her, blieb allerdings stellar; ich hielt das Ding für einen lumpigen Feldstern.

Ein Ärgernis später: „Weißt du, was ich immer total geil find?“ – „Hm?“ – „Wenn nach dem Okularwechsel das Objekt weg ist und man es nicht mehr wiederfindet.“ Ein weiteres Ärgernis später: „Oder, wenn nach dem Objektwechsel das Okular weg ist. Auch gut.“ Ich war im Begriff, zur Virgo zu schwenken, während Norman durch die Gegend marschierte. Ziel war was aus dem Messierkatalog – Numero 100, eine formidable Spiralgalaxie, mit der ich ein Weilchen zu tun hatte. Die Arme setzten sich erst nach und nach dezent vom hellen Halo ab, waren dann aber eindeutig und sicher. War nicht ganz einfach, das darzustellen; die Gesamtform der Galaxie war eigentlich noch etwas gestreckter.

Nach Stunden in der Kälte wurde es langsam wirklich empfindlich eisig an den Füßen. Bald müsste die Nacht vorbei sein, aber ein bisschen geht da noch, auch wenn ich nicht wusste, was man noch ansteuern könnte. Norman erinnerte mich an sein Wunschobjekt: Das Leo-Triplett. Na okay, ‘ne bessere Idee hab ich ja auch nicht und irgendwann muss man damit anfangen. Ganz fertig geworden bin ich damit nicht – bei der 3628 ist die letzte Messe noch nicht gesungen – lasse das aber mal so stehen. Mir langts. Schnauze voll von dem Mist.

Während der Zeichnung bewegten sich, von oben nach unten, zwei längliche Schatten über das Papier. Die sahen aus wie zwei Kordeln, die nebeneinander heruntergelassen wurden. Erst dachte ich, Norman steht hinter mir und macht Faxen, doch der war weit weg. Ich drehte mich kurz um, und dann waren die Schatten wieder weg. Hä? Bin ich jetzt völlig bescheuert? Hat sich da irgendwas von meiner Mütze abgeseilt, das dann vor der Leuchte im Mund Schatten warf? Das hätt ich doch aber gemerkt? Dieses mysteriöse Rätsel blieb ungelöst, machte mich aber völlig verrückt. Seh‘ ich jetzt schon gruselige wandernde Schatten aufm Papier. Wird echt Zeit fürs Bett. Nicht zuletzt auch, weil ich irgendwann damit anfing, aus „Romeo und Julia“ zu zitieren – Akt 3, Szene 5. Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang…


Tja, weit gefehlt: Gegen 06:00 Uhr machte sich (endlich) die Dämmerung bemerkbar; sie färbte einen Streifen am Südosthorizont dunkelblau und wurde allmählich immer heller. Die Sterne dimmten aus – oder mit Shakespeares Worten: „Sieh den neidschen Streif, der dort im Ost der Frühe Wolken säumt. Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt. Der muntre Tag erklimmt die dunstgen Höhen…“ Jupi hielt sich natürlich noch am längsten, aber der war ja auch kein Stern, hähä. Außerdem kam das Streufahrzeug vorbeigefahren; Normans alter Kumpel mit seiner feschen orangenen Rundumleuchte. 

Wir ließen uns Zeit mit dem Zusammenbau, gingen etwas umher, plauderten und sinnierten über die zurückliegenden Stunden. Es eilte ja nicht – in die Pension konnten wir eh erst um 9. Bald bildete sich der Erdschatten im Nordwesten aus, was zusammen mit den weißen Bergen im Vordergrund und dem pinken Streifen darüber wieder reizend aussah. Einige Vögelchen erwachten und zwitscherten fröhlich in den Fichten ihre Liedchen. Die Wartezeit zog sich ganz schön hin. Selbst ein langer Sprint brachte das Leben in meine Schuhe nicht mehr zurück.

Immerhin leuchtete uns bald eine Sonne an, die so hell und gleißend strahlte wie meine Handlampe mit einer frischen, neu gewechselten Batterie. Guten Morgen! Weise Worte wurden gewechselt: „Weißt du, was echt megascheiße wäre?“ – „Hm?“ – „Wenn du jetzt hier den steilen Hang runterfliegst.“ – „Stimmt, das wär‘ ma megascheiße.“ – „Dann haste echt die Brille off.“ – „Ich glaube, die haste dann eben nich mehr auf! Spätestens bei den Fichten ist sie nicht mehr auf der Nase.“ – „Da sind doch gar keine Fichten! Da ist bloß son… son Stump.“ – „Der Stump! Haha, der ist gut!“

Irgendwann stellte ich meine grob- und feinmotorischen Fähigkeiten nochmal vor eine Herausforderung, als es darum ging, die gewechselten Schuhe zu schnüren. Nixe einfach. Bisschen Auto putzen noch, weil überall das dreckige Salz dranklebte… „Die müssten noch mit ‘nem Pfefferstreuer hier langfahren, dann kannste ein gekochtes Ei einmal quer über die Straße kullern, top gewürzt.“

Gegen halb 9 rollten wir dann vom Rossfeld wieder hinunter. Temperatur in Berchtesgaden: -11°C. Diese Gradangabe sollte später noch zur morgendlichen Vertrautheit werden… Na herzlichen Dank.

 

 

Uno Berichto de AKE

München, 29.01.2017

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