Bei der astronomischen Beobachtung verwende ich stets die gleichen Wörter. Mein Deep-Sky-Vokabular fürs Teleskop sitzt und hat sich im Laufe der Zeit ganz schön ausgeweitet. Wie aber soll man ein Ereignis in Worte fassen, das
a) nichts mit Deep Sky zu tun hat,
b) nur mit einem kleinen Ferngläschen bestaunt wurde, und
c) dermaßen einmalig ist, dass ich es in den nächsten 105 Jahren meines Lebens nicht mehr zu Gesicht bekommen werde?
Beginnen wir mal ganz profan mit dem Wetter. Ja, das Wetter. Was für ein Krimi! Eine dicke Regen-Wolken-Front hatte den Westen der Republik bereits in der Nacht beim Wickel und zog allmählich gen Osten. Wir konnten also vorsichtig optimistisch sein, zumindest ein paar Minuten lang einen freien Horizont zu haben.
Als Frühaufsteher hätte das für mich das reinste Fest sein müssen - war es aber nicht. Seit Sonntagabend schleife ich ein Schlafdefizit hinter mir her, weshalb das Erwachen um halb 4 nicht allzu motivierend war. Aber was solls. Punkt 04:00 Uhr waren Uwe und ich auf dem Bierer Berg angekommen und trugen seine Fotoausrüstung zu unserem Standplatz, einem befestigten Weg neben dem Heimattiergarten mit Blick auf Salzelmen. Dunkle Schleierbewölkung hing am Osthorizont rum und eine dominante Lichtsäule prangte im Nordosten. Ansonsten waren keine ranziehenden tiefen Wolken in Sicht. Gut so! Es war jedoch mit 10°C recht kühl.
Während Uwe aufbaute, ging ich weg, vorbei am Restaurant "Bismarckhöhe", und warf einen Blick zur Landstraße. Meine beiden Kommilitonen Micha und Oliver wollten mit dem Rad aus Magdeburg anreisen, was ich einen Wahnsinn fand. Noch niemand in Sicht. Blick nach Süden - nanu, der helle Mond ist ja auch noch da! Ich kehrte um. Außerdem wollten sich Martin und Thomas uns ebenfalls anschließen, eventuell, aber sie hatten sich nicht eindeutig dazu geäußert und tatsächlich kamen sie nicht - schade!
Die beiden Neuzugänge aber hielten ihr Versprechen und erreichten gesund und munter (und mit „einem Eimer Kaffee“ intus) den Bierer Berg. Uwe wirbelte umher und sprang zwischen seinen drei Stativen und unzähligen Kameras herum. Stimmungsaufnahmen von der Dämmerung. Die Lichtsäule war nicht mehr durchgängig sichtbar und nun ein deutliches Stück näher an der Johanniskirche, die die Skyline von Schönebeck dominierte. Ein wunderschöner Anblick. Mit Uwes neuer, geliebter Ricoh hielt ich ihn fest. Zwischenzeitlich ein Anruf von Martin: Er und Thomas waren südlich von Berlin, wo die Sonne bereits aufgegangen war und der Himmel mit Wolken geizte. Man bestellte Grüße und wünschte Glück.
Kurz vor 05:00 Uhr wurde es dann ernst: Der Horizont direkt neben der Kirche färbte sich in ein intensives, verdächtiges Rot, und plötzlich erschien ein heller, bereits gleißender Streifen. Die beste Sicht. "Sie kommt!", rief ich aufgeregt und warf einen Blick durchs Fernglas. Eindeutig die Sonne. Ich fotografierte. "Sie kommt", bestätigte Uwe. Der Anblick zog mir fast meine 150-€-Laufschuhe aus. Die Sonnenscheibe wuchs und bewegte sich gleichzeitig hinter die Kirche, bis sie von dieser komplett verdeckt war und die Umgebung in ein intensives, dunkles Rot tauchte. Was haben wir nur für ein Glück!
Kurz darauf kämpfte sich unser Heimatgestirn wieder frei, mit der Venus voran. Der Filter am Fernglas war völlig unbrauchbar, da die Sonne so tief am Horizont noch zu schwach war, als dass ihr Licht durch die Folie dringt. Komplett schwarzes Bild. Und so genoss ich den Anblick mit dem bloßen Auge. Frische, kühle Luft zog auf den Bierer Berg und es wurde gefühlt kälter. Sobald die Sonne hoch genug stand, konnte man im Fernglas eine tolle Venus-Flecken-Konstellation bewundern. Das Planetenscheibchen stand am Nordrand und wanderte unmerkbar langsam gen Westen. Es war kugelrund und bedeutend größer als die Flecken. Ein toller Anblick durch Uwes Refraktor! Allerdings durch das miese Seeing flimmerig und verzerrt. Uwe selbst hatte nach den hektischen Sonnenaufgangsbildern, währendderer er kaum ansprechbar war, die Ruhe wiedergefunden und begann, mit seiner kleinen Ricoh Intervallaufnahmen zu machen.
Viel lässt sich über die Beobachtung nicht sagen, wie ich bereits am Anfang dieses Textes befürchtet hatte. Das Fernglas wanderte hin und her, mal ein Blick durch das Teleskop und/oder die Kamera und ansonsten die tolle Sicht mit dem bloßen Auge. Oft war die Sonne geziert von dünnen, zarten Wolkenschleiern, die den Eindruck erweckten, vor uns stünde ein gigantischer Jupiter mit Wolkenbändern und einem Mondschatten. Es war überwiegend "klar", aber es schien langsam zuzusuppen. Erste Vorboten der dicken Regenfront, die aus dem Westen heranmarschierte?
Micha und Oliver (der Probleme hatte, die Sonne mit dem Fernglas zu finden) schwangen sich gegen 06:00 Uhr wieder aufs Rad und fuhren zurück nach Magdeburg. Uwe blickte skeptisch in den sich zuziehenden Himmel und nahm das weit entfernte Schloss Leitzkau auf.
Ich war müde, fror und hatte Hunger, war aber dennoch sehr zufrieden und glücklich mit dem Verlauf dieses Morgens, der Überraschungen bot und mich beinah aus den Kompressionssocken haute. Leider waren "Mutter und Kind" mit dem Filter nicht mehr zu sehen, da die hohe Bewölkung nun dicht am Himmel hing. Ich baute ab (Entfernen des Filters vom Fernglas). Was Uwe nicht mehr brauchte, trug ich bereits ins Auto. Ein langsamer Jogger kam den Weg runter - Manche sind echt nicht ausgelastet! Blick auf die Temperaturanzeige: Tatsächlich war es ein wenig kühler geworden, 9°C.
Gegen 06:30 Uhr verließen wir den Bierer Berg wieder. Schade zwar, dass wir den Austritt nicht mehr mitnehmen konnten, aber wir haben dennoch viele schöne Bilder, Eindrücke und neue Erfahrungen im Gepäck. Danke, danke, danke, lieber Wettergott! Bis 2117 hätte ich es nämlich nicht mehr geschafft. Na, obwohl, Laufen soll ja junghalten...
Beobachtungsbericht von AKE
Schönebeck, 06.06.2012