Na bitte, geht doch. So langsam füllt sich das Beobachtungs-Konto für das Jahr 2013. Bevor die Vorlesungen wieder losgehen und ich die artige Musterstudentin spielen muss, zeigte sich das Wetter noch einmal von seiner guten Seite und Sonnenschein begleitete uns durch den Tag. Daran sollte sich auch bis zum Abend nichts ändern, sodass eine neue Beobachtungsnacht geplant werden konnte. Meine Motivation dafür hätte nicht größer sein können - hatte sich doch einiges an Objekten und Projekten angestaut, was endlich bearbeitet werden wollte.
Wir entschieden uns nicht für den Jägerplatz, sondern postierten uns stattdessen bei „Schweinitz II“. So viel schlechter ist es dort auch nicht, aber die Südsicht ist nicht so ideal wegen Bäumen und Büschen und das Dörfchen war ziemlich nah. Ausschlaggebend war diesmal allerdings der bessere Nordhorizont, weil dieser komische Komet noch immer irgendwo dort seine Bahnen zog. Hab ich mir sagen lassen.
Gegen 20:30 Uhr erreichten wir - das übliche Dreiergespann - den Feldweg und machten uns sogleich an den Aufbau, solange die Dämmerung noch helfendes Licht spendete. Mit -3°C war es angenehm lauschig. Die hellen Sterne der Wintersternbilder, die schon im Südwesten standen, flimmerten im Würgegriff des miesen Seeings. Einzig Jupiter war ruhig und stand still wie ein Fels in der Brandung. Es war klar; lediglich etwas hohe Bewölkung war unterwegs, zog jedoch kontinuierlich ab und stellte keine Gefahr dar.
Weil mir die Warterei auf die Dunkelheit lästig ist, verbrachte ich die Zeit mit ein paar Bildern. Alles für die Dokumentation.
Fürs Einstellen des Suchers missbrauchte ich Jupiter, der sich mit drei Begleitern zeigte. Es folgte eine ausführliche planetare Detailstudie. Von links nach rechts: Ganymed - Kallisto - Io/Europa.
Es war noch immer nicht ganz finster, aber das erste Deep-Sky-Objekt ging auch in der Restdämmerung her. Ferrero 6g. Ein Offener Sternhaufen in UMa, der von der DeepSkyHunter-Gruppe entdeckt wurde. Nichts wie hin! Bei 56x auffällig und fast gesichtsfeldfüllend. Eine große und lose Ansammlung von etwa 20 Sternen, die unregelmäßig verteilt waren. Ein „waschechter“ Haufencharakter war trotz der niedrigen Vergrößerung nicht zu erkennen.
Der zweite DSH-Haufen war da ähnlich. Picot 1 stand unmittelbar südlich von Arktur und erschien als ein lustiges, fast schon skurriles Objekt: Eine einzige große Kette aus etwa zehn Mitgliedern, die in der Mitte einen dominanten Bogen bildeten. Interessante Gestalt. Ich fands super.
Nun war es an der Zeit, mein SQM-L einzuweihen und eine angeblich objektive Einschätzung unserer Beobachtungsplätze zu erhalten. Die ersten Werte ließen mich stutzen. 21,52 und 21,56. Kann das sein? Das sind ja fantastische Zahlen! Aber als ich so darüber nachdachte - von den Werten der Top-Standorte, die man so liest, ist das nicht allzu weit entfernt, aber so dunkel ist der Fläming bestimmt nicht. Natürlich war mir klar, dass man den Ergebnissen des SQM nicht blind Glauben schenken sollte. Vielleicht war es ja kaputt und/oder ein sehr optimistisches Gerät? Wenn ja, wär es mir natürlich charakterlich sehr sympathisch. Ähhhm… Während ich noch darüber nachsinnte, erschien am Eingang des Feldweges ein helles Scheinwerferpaar, das das Kommen eines PKW implizierte. Ein Pick-Up fuhr auf uns zu, hielt an und fragte, was wir da täten. Mein Gott, hat man denn nie seine Ruhe?! „Wir machen Aufnahmen von den Sternen“, sagte Uwe. „Ach, so. Ich dachte, Sie würden die Wölfe filmen.“ Sprachs, und der Mann wendete wieder. Danke fürs Blenden. Tze, Wölfe filmen mit einem Dobson? Der hat ja mal gar keine Ahnung.
Die nächste Aufsuchkarte schickte mich mitten in das Gewimmel des Virgohaufens. NGC 4535, die etwa 1° östlich von M 49 stand, präsentierte sich als relativ große, aber auch diffuse Wolke mit weichen, sanft auslaufenden Konturen. Eine in N-S-Richtung grob ovale Form, 1:1,5. Es zeigte sich kein helles Zentrum oder ein Kern, allerdings zeigte sich nördlich und südlich der Mitte je ein Vordergrundstern.
Es war ein reiches Galaxienfeld, doch ich konzentrierte mich auf die Objekte, die ich mir explizit angemarkert hatte, da sie zu H 400 gehörten. NGC 4570, ein knappes Grad südöstlich von der Vorgängerin, kam als hell und länglich daher. Ausrichtung SO-NW und mit einem Achsenverhältnis von 1:4. Die Kernzone war sehr hell und eingebettet in ein längliches Zentrum. Direkt danach verlor die Galaxie entlang der Achsen jedoch schnell an Helligkeit, sodass die Enden der Spitzen recht diffus wirkten.
Von M 49 ausgehend wanderte ich nun nach Norden zu NGC 4442. Wow, was für ein Galaxiengewimmel! Das macht richtig Spaß, dort mit dem 16-Zöller umherzustreunen. Viele große und kleine diffuse Nebel, eng beieinander oder weit auseinander. Ich war fasziniert, musste mich aber zusammenreißen, mein Programm nicht aus den Augen zu verlieren – im wahrsten Sinne des Wortes, haha. Also, NGC 4442 ist eine längliche (1:4), linsenförmige, O-W-ausgerichtete Galaxie mit einem breiten Zentrum und stellarem Kern. Südlich von diesem, und auch am Ostende des Objekts, befand sich je ein Vordergrundstern. Naja, ziemlich langweiliges Ding. Beim flüchtigen Abgleich mit der Karte identifizierte ich außerdem NGC 4417, 4424 und 4445 im gleichen Feld, beschrieb sie aber nicht näher. Sie sahen jedenfalls alle irgendwie gleich aus.
Uwe fragte uns, ob jemand Kaffee wollte und Martin kam angelaufen. Ich wollte zuerst noch die Beobachtung beenden, ehe ich mir die wärmende Belohnung gönnte. 22:35 Uhr. Zu dritt standen wir neben dem Berlingo und hielten ein Kränzchen ab. Obwohl der Frühlingshimmel ohne Milchstraße schon irgendwie leer und glanzlos wirkte, waren die Bedingungen gut, was auch die nächsten SQM-Werte bestätigten. Mit Kaffeebecher in der Hand maß ich 21,56, 21,57 und 21,55. Der seltsame Mensch, der uns vorhin besuchte, kurvte noch immer über die Feldwege neben der Landstraße und blendete mit seinen Lichtern. Ich verlor beinahe die Contenance.
Der Sprung ging nun zu Markarian’s Chain, deren Anblick mich völlig umwarf. Unbeschreiblich, was sich da für eine Nebelparade versammelte! Schon tausendmal auf Bildern gesehen und deswegen irgendwie vertraut, aber „live“ ein absoluter Kracher. Waah, nein, nicht ablenken lassen, immer an den Plan denken… NGC 4435 und 4438 sind die unmittelbaren östlichen Nachbarn von M 86. 4435 erschien etwas kompakter und kräftiger und mit hellerem Zentrum. Oval, 1:2, N-S-gekippt. Sie zeigte keine Details. NGC 4438 stellte sich, nach längerer Betrachtung, als länglicher heraus, als zum Anfang. Sie war größer, aber auch mit diffuseren Rändern und einem schwächeren Kern. Die Zentralregion grenzte sich gut vom Rest ab, doch vor allem die Spitzen liefen sehr fade in den Hintergrund aus. Das AV schätzte ich auf 1:3, doch es konnte durchaus auch mehr gewesen sein.
Ich pilgerte kurz zum Auto, um mir etwas von den Osternaschereien der Oma zu holen. Vereiste Schokolade. Mir fiel auf, dass viele Flugzeuge unterwegs waren und die Hunde in Schweinitz bellten immer wieder. Außerdem blökte ein armes Schaf. Der Wolfsmensch könnte doch die Schafe filmen, anstatt planlos über die Ackerwege zu kurven. Die Hände waren kalt, aber sonst alles okay. Nächste SQM-L-Messung: 21,64. Ich notierte es kommentarlos. Mir fiel auf, wie schön eigentlich der Coma-Sternhaufen mit dem freien Auge wirkte.
Gleich westlich von M 87 befanden sich NGC 4478 und 4476, die neben der Riesin natürlich völlig verblassen. Mein Fokus lag auf 4478, die als kompakter, runder Nebel daherkam; ein kräftiges Zentralgebiet und ganz ohne Details. Sie war heller als ihre westliche Nachbarin.
Ich blieb in der Region. Südlich von M 89 stand ein weiteres enges Pärchen. NGC 4550 erschien als eine 1:3,5-linsenförmige, N-S-stehende Galaxie mit markantem, kräftigen Zentrum, aber ohne Details. NGC 4551 war knapp 2 Bogenminuten nordöstlich von ihr entfernt und wesentlich schwächer. Rund, kompakt; ein stellarer Kern umgeben von einem engen Galaxienhalo. Vernichtendes Urteil: „Unspektakulär.“
Aus irgendeinem Grund schimpfte und fluchte Martin wie ein Rohrspatz. Es ging ein leichter Nordwind her, der in unregelmäßigen Böen auffrischte. 23:25 Uhr, und das SQM-L gab einen Wert von 21,68 aus.
Ich schwenkte wieder in den Westen, vorbei an M 87, und hatte dann NGC 4371 im Okular. Sie präsentierte sich als überraschend große Galaxie, bot aber einen diffusen Eindruck. Rundlich-oval, 1:1,5, in O-W-Richtung gestreckt. Der Halo wirkte undefinierbar unruhig, doch ich verbuchte es unter „Einbildung“.
Nach einem kurzen Aufwärm-Lauf und einer schnellen Tasse Kaffee zerrte ich die nächste Aufsuchkarte hervor, die mich in den Bärenhüter absandte. Gute 3° südwestlich von Gamma Bootis war dort die Galaxie NGC 5545 markiert. Im selben Gesichtsfeld war NGC 5557 ein dominanter Blickfang, aber mein eigentliches Ziel war ebenfalls problemlos sichtbar. Bei 129x erschien sie länglich und gekrümmt. Das Teil lag in O-W-Richtung und wies einen „Helligkeits-Peak“ am Westende auf. Bei 200-facher Vergrößerung bestätigte sich dies. Eine längliche Galaxie, die im Westen in einen runden Nebel mit stellarem Kern reinragte. Die Objekte hingen zusammen und waren nicht zu trennen. Der „Ball“ hieß NGC 5544. Tolle Konstellation!
Nur ein paar Bogenminuten südwestlich von diesem Pärchen befand sich mit NGC 5529 eine großartige Edge-On-Galaxie in grober O-W-Lage. Diese beeindruckend dünne und lange Lichtnadel war umgeben von mehreren hellen Feldsternen und wies scharfe Konturen auf. Die Helligkeit nahm zur Mitte hin gleichmäßig, aber nur eher geringfügig zu. NGC 5527 tauchte im Feld als grenzwertiger Ballen südlich des Dolches auf.
Auf das nächste Ziel freute ich mich besonders. Nicht allzuweit von den vorigen Objekten entfernt, im Sternbild Jagdhunde, befand sich mit Hickson 68 eine großartige Galaxiengruppe, die sich als Highlight der Nacht herausstellte. Sie formierte sich rings um eine auffällige 3er-Sternkette, dessen mittleres Mitglied in auffälligem Gelborange leuchtete. Nordöstlich von ihm befand sich die ovale NGC 5350. Sie war die größte Galaxie, aber diffus und mit nahezu einheitlicher Helligkeit und angedeutetem stellarem Kern. „Darunter“ stand NGC 5354, die mit ihrer südlichen Nachbarin NGC 5353 verschmolz. Die Halos berührten sich. 5354 erschien kleiner, kompakter und rund und mit kräftigem Kerngebiet. 5353 kam etwas größer daher, oval 1:2, NW-SO-gekippt, längliches Zentrum. 2,5‘ nordöstlich dieses engen Pärchens war NGC 5355 als sicherer, aber wesentlich faderer und kleiner Nebel erkennbar. Das östlichste und gleichzeitig auch lichtschwächste Mitglied von Hickson 68 war NGC 5358. Ziemlich mickrig; ein nahezu stellarer Nebelklumpen. – Mensch, was für eine tolle und lohnenswerte Fünfergruppe! Ich war begeistert.
Die lange Kritzelei ins Buch kühlte meine armen Hände aus und ich rannte den Feldweg in den Norden, bis ich vor der Schranke zum Truppenübungsplatz stand. Quer über den Acker lief irgendein kleines Tier umher und raschelte durch den Schnee. Es war 00:30 Uhr. Wieder zurück am Teleskop hielt ich noch einmal das SQM-L in den Zenit: 21,72. Ich fiel fast vom Glauben ab. Zumindest schien es den visuellen Eindruck zu bestätigen: Es wurde subjektiv immer dunkler, je länger die Nacht dauerte.
Ich blätterte durch die Aufsuchkarten und entdeckte NGC 4527, die in der Nähe vom Vorzeige-Quasar 3C273 lebte. Also zurück in die Regionen von Virgo. In der Übersichtsvergrößerung sah ich eine ausgedehnte Galaxie in O-W-Lage; gestreckt (1:4) und mit aufgewölbtem Zentrum. Bei 129x zeigte sich dann ein stellarer Kern. Die Gestalt schien mir beinahe kastenförmig, wobei die Konturen gleichmäßig in den Hintergrund überliefen.
Südlich davon war NGC 4536 zu finden. Sie machte mit einem AV von 1:3 einen breiteren Eindruck. „Sehr oval“, schrieb ich; mir fielen die abgerundeten Enden auf. In der Mitte thronte ein stellarer Nucleus, doch es zeigten sich keine Details und die Grenzen kamen diffus daher.
Zwischen diesen beiden Galaxien tauchte nach längerem indirekten Sehen NGC 4533 auf, die sich als ein N-S-stehendes längliches Nebelchen herausstellte.
Es war totenstill im Fläming. Ich hatte mein vorbereitetes Virgo-Programm abgeschlossen und machte mich nun an die Resteverwertung. Bald müsste auch der Mond aufgehen. Martin verteilte Osterschokolade. Am Nordosthorizont zog eine dunkle, flache Wolkenbank auf, die sich aber im Laufe der weiteren Zeit wieder auflöste. Darüber deutete sich das zarte Band der Milchstraße an. Vega und Deneb schwebten schon lange über der Waldkante und der nördliche Kohlensack setzte sich mit steigender Höhe kontrastreicher von der Umgebung ab. Man machte mich auf eine ausgedehnte, schwache Sternansammlung im südlichen Cepheus-„Haus“ aufmerksam. Die nachträgliche Recherche am Computer zeigt an dieser Stelle die Cepheus-OB2-Assoziation… Was auch immer.
Ja, Resteverwertung. Da waren noch Objekte im Großen Wagen übrig, die ich in den letzten Nächten liegenließ. NGC 4026 war eins davon, knapp 3° südlich von Gamma UMa. Das Aufsuchen in der Zenitgegend im Zusammenwirken mit der Trittleiter machte mich verrückt, aber die Galaxie konnte sich nicht vor mir verstecken. Langgestreckt, 1:4, N-S-ausgerichtet. Das markante, kräftige Zentralgebiet stand auffallend zwischen den beiden spitzen Enden. Sonst keine weiteren Details. Abschließendes Urteil: „Schöne Galaxie!“ – Warum auch immer.
Noch einmal 1° in südöstliche Richtung geschwenkt, dort tauchte NGC 4088 auf. „Komisches Teil“, notierte ich. Bei 129x eine linsenförmige, große Galaxie mit einheitlicher Helligkeit. Das Zentrum erschien kaum heller als der Rest; höchstens unruhig wirkend. Die Grenzen waren sehr scharf, wodurch die gekrümmten Spitzen hervorstachen. Das Westende knickte in Südrichtung ab; die Ostspitze hingegen in den Norden. Vor allem bei indirektem Sehen war diese Form sehr markant und wie gemeißelt. Was für eine super Überraschung! Dieses Objekt wandert auf meine heimliche Favoriten-Liste.
Im selben Gesichtsfeld, südlich von 4088, befand sich mit NGC 4085 noch eine weitere H-400-Galaxie in Ursa Major. Sie war wesentlich kleiner und schwächer, besaß aber wegen ihrer langgestreckten Form (1:4) in O-W-Lage ihren ganz eigenen Charme.
So. Eigentlich hatte ich noch etwas im Herkules auf der Rechnung, musste aber feststellen, dass ich die Karte nicht dabeihatte. So ein Mist… Naja, nächstes Mal. Der Frühsommer kommt ja erst noch in Fahrt. Zumindest in Bezug auf den Sternhimmel; über das Wetter müssten wir erst nochmal reden. Es war 02:00 Uhr. Was jetzt? Ich nahm M 57 und M 13 aufs Korn. Beide bei 400x formatfüllend – ganz großes Kino. Ich schaute eine Weile zu, wie die beiden durchs Gesichtsfeld flitzten.
Okay, ich habe fertig für heute. Der Osthimmel schimmerte heller als der Rest des Firmaments. Die letzten Messung bestätigte die Abnahme der Dunkelheit: 21,55. Ich rätselte noch über den Wahrheitsgehalt dieser Werte; scheinen sie mir doch recht utopisch. Vor allem, weil wir doch auf dem suboptimalen, dorfnahen Standort beobachteten, und nicht z.B. auf dem Jägerplatz. Aber okay. Ich stellte den Pink-Floyd-Abbau-Song an, während wir zusammenpackten. -7°C, sagte das Thermometer. Dass mir das als ziemlich mild vorkam, spricht dafür, dass uns der Winter mittlerweile perfekt abgehärtet hat. Außerdem war die Eisschicht auf der Frontscheibe auch nicht besonders dick. Jaaa, es wird Sommer!!
Ein Beobachtungsbericht von AKE
Magdeburg, 02.04.2013