Ja, cool! Für die Nacht Do/Fr gaben die Wetterdienste wieder grünes Licht, und zwar gänzlich ohne Wolken in der allermeisten Zeit. Norman musste arbeiten bis zum Abend, sodass wir erst etwas später von München losfahren konnten. Es ging auf den Straßen etwas flotter voran als noch am Tag zuvor (der Feierabendverkehr war schon durch), doch ärgerte ich mich während der Reise trotzdem über massenweise Vollidioten, die die Fahrbahnen bevölkerten. Manchmal bin ich kurz davor, den Glauben an die Menschheit zu verlieren...
Um 21:15 Uhr kamen wir am Sudelfeld-Platz an, wo Uwe bereits auf der Leiter stand und irgendetwas beobachtete. Das Blenden tat mir leid, aber ab jetzt war wieder Rotlicht angesagt. Die Luft kam mir kälter vor als in der Nacht zuvor und ich zog sofort alle möglichen Klamottenlagen und die Polarschuhe an, noch bevor ich ans Teleskopaufbauen dachte. Es war schön klar, bis hinunter zum Horizont, windstill und auch die Pistenraupen im Skigebiet hatten bereits Feierabend. Ein Fuchs bellte wie verrückt. Uwe informierte uns über das gute Seeing und sein bisheriges Treiben: „Ihr seid zu spät, ich hab vorhin schon den Cirrusnebel gemacht, bevor ihr kamt.“
Während Norman noch auf dem Boden saß und drollig aussah inmitten all seiner zighundert Einzelteile, die sich zuvor im Rucksack befunden hatten („Als wär' 'ne Bombe explodiert!“), hatte ich bereits das erste Ziel im Atlas ausgesucht und steuerte geradewegs draufzu.
NGC 2608 und
NGC 2619, die ein halbes Grad voneinander entfernt im Sternbild Krebs rumhingen. Für erstgenannte war mein Interesse besonders hoch, denn in dem ovalem Nebel waren östlich und westlich des Kerns zwei Arme zu sehen. Direkt nördlich des Zentrums, innerhalb der Galaxie, befand sich ein Vordergrundstern. Der Nachbarin 2619 habe ich keine sonderliche Aufmerksamkeit gewidmet.
In der Wasserschlange hatte ich ja noch eine Rechnung offen mit Arp 221, die sich in der Vornacht hinter Wolken verschanzt hatte. Die Galaxie lag bei einem spitzen Sterndreieck und zeigte sich zunächst als rundes Bällchen. Bei höherer Vergrößerung war eine unregelmäßige Helligkeitsverteilung zu erkennen: Die hellste Region war nicht im Zentrum, sondern nach Westen verschoben. „Knoten?“, notierte ich.
Nebenan fragte Norman mehrfach, ob sich das Licht seines Justierlämpchens irgendwie bemerkbar würde. „Stört euch das wirklich nicht? Ich weiß nämlich nicht, wo das überall hinleuchtet.“ Er justierte sich mal wieder zu Tode und klagte: „Menno, hier wird schon gezeichnet und ich bin noch nicht mal fertig mit der Justage!“ Uwe witzelte: „Norman, eh du fertig bist, ist die Nacht schon vorbei.“
Die nächste
Arp, nämlich Numero
245, fand ihren Weg in meinen Spiegel, und es brauchte nur einen kurzen Schwenk in Südrichtung, um sie einzustellen. Dieses interacting pair bestand aus
NGC 2992 und
2993. Helligkeitstechnisch nahmen sie sich beide nicht viel, doch erstgenannte war deutlich länglicher, während die Nachbarin eine runde Kugel mit stellarem Kern darstellte. Interessant: Nördlich von 2992 tauchte noch ein schwacher, rundlicher Wisch auf, den ich für eine winzige Sterngruppe oder kleine Galaxie hielt, sich im Nachhinein aber als eine Art Gezeitenschweif herausstellt. Cool!
Norman verkündete erleichtert: „Das Elend hat gleich ein Ende. Wie spät ist es, um 2?“ Ich blickte auf die Uhr und antwortete: „Nein, halb 2. 'Ne halbe Stunde haste noch, dann müssen wir wieder los.“ Hey- hier gehört ein Ironie-Smiley hin! Sonst denken noch alle, ich wäre total bescheuert! ;-)
Zur Abwechslung stand mir mal der Sinn nach etwas Anderem als bloß Galaxienzeug. Einen PN. Gut, der Frühlingshimmel ist nicht gerade bekannt für seinen PN-Reichtum, doch einen gab es in der Wasserschlange, und der war richtig richtig schön: Jupiters Geist, NGC 3242. Ich hatte kein Bild im Hinterkopf, wusste nichts von dessen Detailreichtum, und war daher geplättet, was sich da in dieser hellen, leicht ovalen Scheibe verbarg. Bei 600x stand das Bild komplett ruhig – ein Genuss!!
Auffällig war ein innenliegender, markanter, linsen- oder augenförmiger Ring, der nach SW und NO spitz auslief, dort merklich heller war als im Süden; und der nordöstliche Rand schien fast komplett zu verschwimmen. Ein schwach sichtbarer Zentralstern tauchte auf. Der äußere Rand der PN-Scheibe schien undefinierbar „gelappt“ – ein besseres Wort fällt mir dazu nicht ein. Die Nord- und Südhälfte des Ovals war leicht heller als der Rest. – Ja, cool! Toller PN! Bei der ganzen Strukturfülle hätte ich beinah vergessen, auf die Farbe zu achten: Ein sehr blaulastiges Türkis, aber eher dezent.
In unmittelbarer Nähe, 40' östlich von NGC 3242, war noch ein Asterismus verzeichnet, den ich „im Vorbeigehen“ mal mitnahm: Elosser 4. Witzig. Ziemlich ausgedehnt (12'x12') und in gut ein Dutzend Sterne aufgelöst, die allesamt fast die gleiche Helligkeit aufwiesen. Die Anordnung erinnerte mich an ein Fernrohr, das auf einem niedrigem Stativ stand. Der DSS-Ausschnitt zeigt das Grüppchen und die Formation sehr schön.
Mir war unerwartet kalt, insbesondere den Füßen, obwohl die Temperatur ähnlich war wie in der Nacht zuvor. Irgendwann um Viertel 12 musste ich deshalb mal ein wenig durch die Botanik fetzten. Macht besonders viel Freude, sich mit den fetten schweren Polarschuhen den steilen Anstieg vor dem Beobachtungsplatz hinaufzuhieven. Half aber. Kreislauf reaktiviert, das Gehirn wieder resettet, Blutzufuhr in den ausgekühlten Extremitäten angekurbelt – weiter geht’s! Beim Rückweg sah ich, wie der Orion direkt vor meiner Nase unterging. Himmelnocheins, es ist schon wieder Frühling!!
NGC 3495, am Wansten des stattlichen Leus zugegen, war nicht so der Hit. Eine langgestreckte (1:4), homogene Fläche, N-S-stehend, ohne irgendwelche Helligkeitspeaks oder sonstige Details. Während die langen Kanten einigermaßen klar abgegrenzt waren, fransten die Enden diffus aus. Ich hielt mich dort nicht länger auf als nötig und schwenkte weiter...
Bei
NGC 3664 alias
Arp 5 muss ich nochmal ran, denn im Nachgang stellt sich das Ding als verdammt interessantes Objekt raus! Am Teleskop... Naja... Meine Beobachtungen kann ich nicht mit dem in Einklang bringen, was auf Fotos oder Zeichnungen zu sehen ist. Ich sah irgendwas großes, diffuses Rundes, aber nix, was Ähnlichkeit mit der schicken D-artigen Galaxie hätte. Da sieht man mal wieder: Nicht einfach nur stumpf irgendwelche Nummern notieren oder Pfeile in den Atlas bappen, sondern auch den ein oder anderen Stichpunkt, worauf man bei Objekt XY zu achten hat... Ich muss noch viel lernen.
Uwe war still und ruhig; Norman lachte und schmunzelte über seine enorme Produktivität: „Es ist halb 12 und ich hab erst ein Objekt!“ Dieses erste Objekt war irgendeine schwache Superthin, wie er verlauten ließ. „Dagegen war der Tail von den Mäusen ein Laserschwert.“ Mir war irgendwie wahnsinnig kalt. Ein Vorbote einer kurzen Schwächephase, die mich den nächsten Tag fast komplett lahmlegen sollte, doch dies ahnte ich in dem Moment natürlich noch nicht. Neeeein. In dem Moment hatte ich einfach nur zwei Eisklumpen in den Stiefeln. Um Norman von seinen beklagten grenzwertigen Superthins abzulenken, rief ihn Uwe herbei: „So, Norman, komm, wir machen jetzt noch was Helles. Die IC 2233.“ - „Ah, cool. Ja, die ist toll.“
In der Jungfrau war noch ein Objekt angemarkert, das ich am Rossfeld im wahrsten Sinne des Wortes verpennt hatte, nun aber eben am Sudelfeld nachholen konnte:
Wild's Triplet. Norman hat davon ja eine schöne Zeichnung mit nach Hause gebracht, und eben dies hatte ich auch vor, aber so richtig spannend fand ich das Trio letztendlich dann doch nicht. Drei Galaxien nebeneinander in O-W-Richtung aufgereiht. Diejenige in der Mitte war leicht und auf Anhieb als runde Kuller zu erkennen. Der Nebel westlich von ihr war schwächer, und die östliche Galaxie am schwierigsten und sehr flau.
Ich rief Norman herbei: „Hier. Ich hab da was, was du kennst. Kannst mal schauen.“ Er kam und schaute, erkannte das Triplet aber nicht wieder. „Und wo da jetzt? Ich seh einen hellen Stern, und... Kannst mal gucken, ob das noch in der Mitte steht?“ - „Ja, Moment... So.“ - „Irgendwas Längliches, oder?“ - „Mmmhh... Nö.“ - „Eh... Und DITTE soll ich kennen? Nee. Was isn des?“ - „Na, Wild's Triplet. Haste doch gezeichnet am Rossfeld.“ - „Eh! Achso! Ja, hm. Ich erkenn' da bloß zwei Nebel. Und du siehst alle drei?“ - „Joah, schon.“ - „Ah, ja, jetzt... Aber sehr schwach. Da kann man ma sehen, wieviel die Transparenz bei so schwachen Dingern ausmacht, dass ich das vorher auch mit 12“ gesehen habe.“ Nun stieß auch Uwe zu uns. „Was hastn drin?“ - „Dieses Wild's Triplet.“ - „Hm. Da weiß ich jetzt gar nicht, ob ich das schon mal hatte... Ists noch eingestellt?“ - „Ja, müsste.“ - „Ah... Ja. Hast 'nen DSS dabei, Anne?“ - „Nööö.“ - „Und, Uwe, was siehste?“ - „Ja, drei seh' ich. Ja. Schöne Gruppe!“ - „Hmm, najaaa...“
Was ich in der Vornacht verschoben hatte, wollte ich nun nachholen. Transparenzmäßig war es zwar auch nicht optimal, aber noch länger zu warten, darauf hatte ich keinen Bock.
M 61 war an der Reihe. Gestärkt mit ein paar von Normans sogenannten Gummiviechern (Katjes Jogurt-Gums, die er in den höchsten Tönen lobt: „Die sind voll super! Selbst bei Minusgraden bleiben die schön weich!“) machte ich mich ans Werk. 'Ne gute Stunde hats gedauert; einmal unterbrochen von einem kurzen Ausflug an Uwes 27er, wo gerade die klumpigen
Antennen-Galaxien eingestellt waren, die ich mir nicht entgehen lassen wollte.
Gegen Dreiviertel 1 begann Uwe, seine Gerätschaft abzubauen, und ich staunte mal wieder, wie schnell so eine Riesenkiste im Auto verschwunden war. Eine Viertelstunde später war er selber auch verschwunden (natürlich um für die SoFi fit und ausgeschlafen zu sein, wie er verkündete) und ich beendete meine Emm-Ein‘sechzisch. Die Durchsicht hatte ein wenig nachgelassen und auch das Seeing war etwas schlechter als noch zu Beginn der Nacht.
Nach einem nicht weiter erwähnenswerten Ausflug in den Löwen, der bereits weit im Westen stand, begann ich, sinnloserweise am Südhorizont umherzustochern, weil dort die interessante Bezeichnung eines schwachen Asterismus' eingetragen war. Tja. 'N Haufen Zeit investiert, aber nix gesehen. Norman vermeldete hingegen Erfolg, als er, auf meinen Tipp hin, die schicke Spirale
NGC 5248 einstellte und sich an den Armen erfreute: „Da werd‘ ich im Atlas gleich mal ‘n Ausrufezeichen hinter machen.“ Ebenso seine erste bewusste Sichtung des „Propellers“ in M 13, und sein Schwenk auf
M 53 weckte meine Neugier. Ich schaute durch den 12er, sah aber kein „weird green“ in dem Kugelsternhaufen.
Oberhalb der Berghänge im Norden waren zirrige Wolken aufgetaucht, die sich schneller und schneller am Himmel verteilten. Ja, Mist. Das war schon zu erahnen, aber erst zur Morgendämmerung hin, wie wir dachten. Ich probierte es noch einmal mit Vyssotski 1-2 im Herkules, von dem ich gestern keine Zeichnung gemacht hatte, es aber gern nachgeholt hätte. Leider kein Vyssotski mehr für mich, denn die Zirren wanderten bereits in der Zielregion umher. Menno! Der Vorhang fiel, die Show ist vorbei, hier gibt es nichts mehr zu sehen, gehen Sie nach Hause, verehrtes Publikum! „Das wars wohl, oder?“, meinte Norman, und ich stimmte ihm zu. Lange hätten wir eh nicht mehr bleiben können, weil er wieder um 09:00 Uhr auf der Arbeit sein musste.
Und so bauten wir ab, um währenddessen festzustellen, dass sich die Wolken wieder auftaten und die Frühlingssterne uns frech zublinzelten. Wunderbar. Na, egal. Es war bereits nach um 2, und das Bett rief. Ich war el caputto. Aber sowas von. Halb 3 starteten wir den Rückweg, und es zeigte sich hierbei, dass ich noch später nicht mehr hätte fahren können. Glücklicherweise war die morgendliche Stadt schön leer und wir haben einen guten Parkplatz gefunden. Ein Wunder. Zurück in die Wohnung, ins Bett gekippt und eingeschlafen.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass ich die SoFi am nächsten Tag ein bisschen mitverfolgt habe. Und da ich ganz doll stolz auf meine Fotos bin, klatsch ich die hier einfach mal unten dran.
Ein Beobachtungsbericht von AKE
ICE 1504, irgendwo auf der Strecke zwischen Bamberg und Jena, 21.03.2015