06./07.07.2013 - Eine Dämmerung, die nicht enden will



Das Summen der Mücken verfolgte mich den ganzen Tag über, auch wenn keine da waren. Ich wurde beinahe paranoid. Die letzte Nacht war der absolute Overkill, und für Samstag/Sonntag war wieder ein klarer Himmel angekündigt. Oh nein, bitte nicht. Ssssss… Ahh, nein!!


Aber mal ganz ehrlich: Ich freute mich drauf. Die Beobachtung der Offenen Haufen hatte mir viel Spaß bereitet, und ich konnte es kaum erwarten, dort weiterzumachen. Sie boten für die weißen Nächte ein lohnenswertes Alternativprogramm, und da sonst eh nichts drängte, konnte ich mich auch in aller Seelenruhe mal den Zeichnungen widmen. Sehr entspannte Planung also.

Der Tag war wunderschön warm und sonnig, obwohl ich den Großteil davon a) verschlief, und b) am Rechner verbrachte, um den dämlichen Beobachtungsbericht zu schreiben. Egal. Gegen 22:15 Uhr starteten wir in Schönebeck, nicht lange nachdem die Sonne untergegangen war. Eine traumhafte klare Dämmerung, und je mehr wir uns dem Fläming näherten, desto dunkler wurde es. Durch den neuen Platz konnten wir die Reisezeit auf eine lächerliche halbe Stunde reduzieren. Natürlich waren wir nicht allein und wurden von etwa 3,8 Trillionen hungrigen und penetrant summenden Mücken begrüßt. Ich zitiere Sam aus „Herr der Ringe“: „Wovon leben die, wenn die keine Hobbits kriegen?“


Bei tropischen 16°C, absoluter Windstille und blitzblankem Himmel starteten wir den Aufbau. Lediglich entlang der Horizonte schien es diesig zu sein. Mich umgab eine leuchtende Aura aus Autan-Odeur, als ich wieder die Schutzkluft überwarf. In Hobeck kläfften die Hunde. Nachdem die obligatorischen Stimmungsaufnahmen im Kasten waren, kam endlich auch der Dobson zu seinem Recht und ragte schon bald in den Himmel. Schade, dass die Dämmerung noch so lang anhielt und sich hinzog wie zäher, alter Blasenkaugummi. Am Nordhorizont zeigten sich verdächtige Aufgehellungen, und wir überlegten, ob dort schwache nachtleuchtende Wolken unterwegs waren. Gegen 23:00 Uhr stieß dann auch Thomas zu uns, der sich zuallererst gegen die Flugsaurier eincremte.

Eine besondere Stimmung herrschte, als die glimmenden Leuchtkäfer wieder mit ihrem unheimlichen grünen Licht über dem Weizenfeld schwirrten. Drollige Tierchen; die sind harmlos und machen keinen Krach. Ich langweilte mich. Lag auf meiner Picknickdecke und übte mich in Meditation, um das Summen zu vergessen. Vergiss es. Keine Chance. Sie sind überall. Es war Mitternacht, als Martin zu uns stieß und die übliche Viererrunde komplettierte. Die Milchstraße war nun gut zu sehen, wenn auch kraftlos und matt. Im Norden wurde es kaum dunkler.

Den Objektreigen startete ich mit Steine 12. In der Übersichtsvergrößerung zeigte sich eine große, auffällige und markante Gruppe aus etwa 20 Mitgliedern unterschiedlicher Helligkeiten, die sich zur Mitte hin nur leicht konzentrierten. Eine interessante Form; mir kam das Wort „versprengt“ oder „explodiert“ in den Sinn. Eine höhere Vergrößerung machte keinen Sinn.

Der nächste Kandidat hieß Ferrero 1g und wirkte beim Aufsuchen zunächst hochgradig unscheinbar. Nur ein kleines Dreieck, umgeben von einem sehr faden Schleier. Bei höherer Vergrößerung löste sich dieser in einige schwache Sterne auf, sodass der Haufen etwa 15 Mitglieder zeigte. Sie waren allesamt nicht besonders hell. Die Gesamtform von Ferrero 1g war rundlich.

Patchick 11 ließ sich leicht auffinden und stellte sich als großer, loser Haufen heraus, der beim Aufsuchen aber dennoch problemlos ins Auge fiel. Geschätzt 15 Sterne in kastenförmiger Anordnung, wobei die Grenzen des Objektes schwierig zu definieren waren. Keine Konzentration zur Mitte. Es wirkte lediglich wie eine zufällige Zusammenkunft einiger hellerer Sterne.

Ich legte eine Zäsur ein und schaute mich um. 01:15 Uhr. Während der konzentrierten Zeichen-Arbeit flogen die lästigen Mücken auf meine Nase – es war also mal wieder an der Zeit, die Autan-Immunisierung aufzufrischen. Grundgütiger, das Zeug stinkt. Kleiner Besuch bei den Fotografen, die auf der anderen Seite des Berlingos standen. Die Milchstraße war gut bis in den tiefen Schützen zu verfolgen, aber dennoch sehr mau. Der Zenit sah ganz okay aus. Im Süden zeigten sich Aufhellungen, die aus den Städten hinter dem Hobecker Waldgebiet lagen. Ganz sicher Zerbst, wahrscheinlich auch Lindau. Uwe hatte gebeten, den Kometen einzustellen, der gerade in der Cassiopeia rumflog. Naja, wenn ich sowieso schon dort unterwegs war…


LEMMON (C/2012 F6) befand sich ein Stück nördlich von dem reichen Sternhaufen NGC 7789 und war problemlos als runder, heller Nebelball in einem reichen Umfeld zu erkennen. Ach, tat das gut; eine willkommene Abwechslung zu der vorangegangenen Haufenparade. Den Schweif, der sich auf den Fotos zeigte, konnte ich jedoch nicht nachvollziehen. Der Kernbereich war nur mäßig hell. Aktuell zeigten sich östlich und südlich davon zwei Vordergrundsterne, die sich innerhalb der rund-ovalen, nach Südwesten auslaufenden Koma befanden. Der Komet besaß diffuse Grenzen und ging sanft in den Hintergrund über.

01:40 Uhr. Ich aktivierte mal das SQM. Die weißen Nächte schlugen sich in den Messwerten nieder: 20,9 mag/arcsec². Tief im Süden waren die Sterne des Teepotts schon wieder am Verblassen – sehnsüchtige Gedanken an den Alpenhimmel taten sich auf. Ich hatte den Eindruck, dass das Summen ein wenig nachgelassen hatte, was aber nicht hieß, dass die Elite der Blutsauger nach wie vor meine Finger belagerte. Die Biester setzten sich mit Vorliebe auf den Skizzenblock. Thomas kam kurz vorbei, um sich den Fön zu leihen. Ein bisschen feucht war es, die Autoscheiben waren beschlagen, aber mein Teleskop blieb trocken.


Nicht weit von NGC 281 entfernt finden wir Alessi-Teutsch 1. Auch er ist ein Vertreter der großen und auffälligen, aber recht verstreut-losen Haufen ohne merkliche zentrale Konzentration. Dennoch war er unerwartet sternreich, ich schätzte ca. 30 Stück. Die hellsten Mitglieder formten ein grobes Fünfeck, in welchem sich einige Schwächere tummelten. Wo genau der Haufen aufhört war aber mal wieder nicht eindeutig festzumachen.

Nun war es 02:10 Uhr und im Nordosten wurde es schon wieder hell. Ich suchte den letzten Sternhaufen der Session auf: Teutsch 0114+60. Es zeigte sich eine markante Gruppe, die sich aus 10-12 unterschiedlich hellen und verstreuten Mitgliedern zusammensetzte. Der hellste befand sich in der Mitte. Die Form war länglich-kastenförmig. Nettes Objekt.

Nach Fertigstellung der Zeichnung blieb ich noch 30 Sekunden still stehen, da Uwe ein Foto machen wollte. So langsam machte sich Aufbruchsstimmung breit und das Equipment wurde abgebaut. Der Osthimmel war in ein tiefes, frisches Dunkelblau getaucht, das nach unten hin stetig heller wurde. Es war 02:30 Uhr. Eigentlich hätte es jetzt sehr angenehm sein können, da sich die Mückenbrut endlich schlafengelegt hatte und eine wundervolle Ruhe herrschte. Ich konnte sogar bedenkenlos die Kapuze wieder absetzen. Während des Abbaus drang das stimmungsvolle „Shine On You Crazy Diamond“ (in der großartigen Live-Version von Roger Waters) aus dem Autoradio. Hat perfekt zu der Szenerie gepasst; mit dem Streulichtschutz in den Händen und auf dem Weg zum Kofferraum bekam ich eine Gänsehaut, und gebannt von dieser magischen Atmosphäre starrte ich in den blauen Zenit. Unglaublich, was für eine geniale Nacht!! Und was für ein geniales Hobby. In diesem Moment war ich einfach nur seelig. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, überkommt mich immer noch ein Schauer.

Letzte Vorbereitungen für den Abflug: Autoscheiben abwischen, Boden ableuchten, Abschied von den Mitbeobachtern. Pünktlich um 03:00 Uhr starteten wir die Heimreise ins schöne Schönebeck, während die Umgebung immer heller wurde und mit jeder Minute mehr Details preisgab. Der Weg führte uns durch einige Dörfchen, in denen sich nichts regte. Die Leute schliefen. Etwa halb 4 waren wir wieder zurück.

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Magdeburg, 07.07.2013

Share by: