19./20.07.2014 - Panik vor dem Mondaufgang

Auf diese Beobachtungsnacht hatte ich mich schon die ganze Woche gefreut, seitdem sich abzeichnete, dass es am Samstag gutes Wetter geben sollte. Viele schöne Dinge standen auf dem Plan und ich war motiviert für neue Abenteuer, zumal es das Datum hergibt, dass der Himmel wieder richtig dunkel wird. Zumindest kurzzeitig, denn der Mond will sich ja auch noch die Ehre geben, dieser olle Spielverderber...


Gegen 22:30 Uhr flogen Uwe und ich in Hobeck ein. Der wärmste Tag des Jahres lag hinter uns; die sonnenlosen 26°C bei der Ankunft empfanden wir regelrecht als kühl und die Freude über einen leichten, frischen Südostwind hätte größer nicht sein können. Was für eine tolle, knochentrockene Luft. Leider erwachte die vermaledeite Mückenbrut ebenfalls zum Leben, je weiter der Abend fortschritt, und wir hüllten uns alsbald in lange Kleidung, um uns die Bestien vom Leib zu halten. Gleiches galt für die etwaigen Zecken, die sich im hoch wuchernden Gras aufhalten könnten. Ich habe keine Lust, mit irgendwelchen Viren wieder nach Hause zu fahren... Erneut war ich gezwungen, auf dem Fahrweg aufzubauen. Die Bauern könnten langsam mal wieder die Felder trimmen; oder müssen wir beim nächsten Mal einen Rasenmäher einstecken?! Im Norden turnten ein paar dünne Zirren herum, aber nichts Weltbewegendes. Die Felder und Sträucher raschelten im Wind. Ich holte tief Luft und freute mich.

Kurz vor 23:00 Uhr stieß auch Thomas hinzu, der heute nur mit der Kamera allein arbeiten wollte. Fotografische Angelegenheiten wurden durchgesprochen. Ich lag bequem auf der komfortablen Picknickdecke, ließ mich berieseln, wartete auf die Dunkelheit und schaute zum Sommerdreieck hinauf, wo sich minütlich mehr und mehr Details der Milchstraße herausquälten. Jaah. Hier lässt es sich aushalten. „Soll ich dir 'n Drink bringen?“, fragte Uwe von oben herab, kurz bevor direkt neben mir ein seltsames Geräusch ertönte. Entsetzt starrte ich nach rechts. Da war der Autoreifen. Es erinnerte mich an ein kurzes Geister-Heulen. Es war allerdings tatsächlich nur mein Wagen, welcher sich, warum auch immer, im Verlauf der Nacht regelmäßig mit diesen akustischen Applikationen bemerkbar machen sollte. Ich rappelte mich von der Decke hoch, als es mir dunkel genug deuchte, und schritt voller Vorfreude zur Tat. Vor dem Objektreigen hatte der liebe Gott noch die Justage gesetzt.


Uwe fluchte nebenan („Gehts noch?! Bleib stehn!“) und ich wählte zum Einstieg einen Offenen Haufen im Schwan aus, direkt nördlich an M 39 andockend: Platais 1. Der klang besser, als er letztendlich aussah. Eine unscheinbare Gruppe in linsenförmiger Gestalt angeordnet, nirgendwo wirklich zusammenklumpend. Die Mitglieder (22-23) waren recht regelmäßig verteilt und eher schwacher Helligkeit. Bei 129x verlor sich der Haufen im Gesichtsfeld und wirkte noch unspektakulärer, doch das hellste Mitglied, nahe der Mitte, präsentierte sich nun in einem Orangeton. Die Form von Platais 1 war wie eine flache, sternleere Schale.


Wegen der Mücken hatte ich eine dünne Jacke angezogen, doch es war einfach zu warm dafür. Zum Glück ließen die Blutsaugerattacken nach und ich konnte problemlos im T-Shirt bleiben. Tropische Nächte! Der Wind, der über die Lande strich und etwas nächtliche Kühle herantrug, war unendlich angenehm. Am Südhorizont war kurzes Feuerwerk zu sehen.


Ein kleines Stück nordöstlich befand sich der Haufen Bar 2. „Bar“ steht für „Barkhatova“, obschon es mich erst an die Namensabkürzung für „Barrichello“ in der Formel 1 erinnerte. – Toller Name, toller Haufen! Schon in der Übersicht als eine auffällige, dreieckige Verdichtung sichtbar. Ich geriet ins Schwärmen, was Uwe neugierig machte: „Jetzt muss ich gucken, was du schon wieder so toll findest.“ Bei 129x war die dreieckige, krumme Fläche aufgelöst in etwa 20 Mitglieder; das hellste von ihnen stand an der Südecke. Ich war mal wieder hellauf begeistert, doch Thomas und Uwe lästerten.

Umso mehr waren sie von der Himmelsqualität beeindruckt. Man frohlockte feierlich: „Die Milchstraße, sie ist wieder da!“, oder, noch besser: „Wir haben eine Milchstraße!“ In der Tat, die war schön zu sehen. Schildwolke, Great Rift, Kohlensack im Schwan - alles noch da! Endlich die ersehnte Dunkelheit. Das SQM-L gab wieder vernünftige, ordentliche, brauchbare Werte aus: 21,4 mag/arcsec².


Auf dem Weg zu meinem nächsten eigentlichen Ziel stolperte ich über den Sternhaufen Dolidze 45. Ich war hin- und hergerissen. Auf die Dinger hatte ich gerade eigentlich keinen Bock mehr, aber der war wirklich nett. Recht groß und ausgedehnt. Auffällig war die Gestalt als sternleeres Rechteck bzw. Trapez. Das hellste Mitglied an der einen kurzen Seite dominierte den Anblick. Das Gesamtmuster erinnerte mich an ein angebissenes Stieleis. – Stieleis... Oh ja. Das wär jetzt der Hit.

Öhh... Wo wollte ich eigentlich hin? Zum berühmten Egg-Nebula, CRL 2688. Ich mag keine Eier, aber das Teil vermochte es, mich zu begeistern. Der war ja richtig easy! Die zweigeteilte Struktur zeigte sich bei 450x deutlich. Der nördliche Part wesentlich größer und zur Mitte hin gleichmäßig heller werdend; nach Süden hin eine gerade Kante und ansonsten abgerundet. Der andere Teil wirkte eher dreieckig und mit ebenso hellem Zentralgebiet. Die jeweiligen Enden liefen diffus aus.

Uwe löste in mir Panik aus, als er verkündete, dass der Mond in ein paar Minuten aufgehen würde. „Mach mir keine Angst! Ich will das nicht hören!“ Es war gegen Viertel 1. Die beiden Herren tranken allein Kaffee („Ich kann jetzt nicht, ich hab' zu tun!“), unterhielten sich über irgendwelche Verschrottungs-Anekdoten und bestaunten weiterhin die schöne Milchstraße. Dafür hatte ich gerade keinen Blick übrig, weil ich mich auf die Objekte konzentrieren wollte, solange der Mond noch nicht da war, und bemerkte auch nicht, dass im Westen kleine Wolkenfetzen unterwegs waren.


Vom Eiernebel schwenkte ich in nordöstliche Richtung, wo der Atlas den PN Humason 1-2 auswies. Dass er eine dicke Schrift hatte, machte mir Mut. Auch hier war das Objekt überraschend schnell identifiziert, obwohl wieder die hohe Vergrößerung nötig war, um das winzige Scheibchen aufzulösen und von den Feldsternen zu separieren. Zum Glück gab es das Seeing her. Ja, wie gesagt, eine sehr kleine Scheibe, irgendwie länglich und in der Mitte eingeschnürt wirkend. Ein sehr schwacher Feldstern blitzte am Nordrand des Nebels auf. Im Nachhinein muss ich wieder mal eingestehen, dass bei stärkerer Vergrößerung noch mehr zu holen gewesen wäre, aber dafür fehlt mir die Hardware. Noch.

Ich blickte auf und sah, in einer tiefen Lücke zwischen Auto und dem fernen großen Baum, die dicke, matschbraune Mondsichel überm Horizont. Flüche erklangen. Sie legte rasch an Helligkeit zu und tönte den gesamten Osthorizont in ein gräuliches Licht. Die Milchstraße blich wieder aus – war'n kurzes Vergnügen! Thomas nahm dies zum Anlass, sich zu verabschieden und sich auf dem Heimweg zu machen, während ich im Atlas blätterte und nach irgendwelchen sinnvollen Objekten suchte.


Ich kann nicht behaupten, dass ich fündig wurde. Statt ein paar große, hübsche Sternhaufen anzufahren, die im Mondlicht noch eine gute Figur abgeben, steuerte ich irgendwas Schwaches an, was mich auf ganzer Linie enttäuschte. Steine 32 im südlichen Pfeil. Erst bei 200x erkannte ich, was da der Haufen sein sollte: Eine winzige, neblige Wolke mit etlichen Feldsternen ringsum, die von dem eigentlichen Objekt stark ablenkten. Es blieb ein nebliger Eindruck, doch ein enges Viereck löste sich klar heraus.


Ich versuchte mich an zwei nebligen Angelegenheiten, die schon bei der Beobachtung eher an Ratespielchen erinnerten und sich in der Nachbereitung als komplette Fehlsichtung herausstellten. Oder Wunschdenken. Im einen Fall hatte ich eine Nebelhülle richtig einskizziert, lese nun aber, dass selbst Leute mit größeren Spiegeln Probleme hatten, das Zeug zu sichten. Es war 01:10 Uhr, und weit, weit, weeeit im Süden ertönte ein tiefer, bassträchtiger Knall, und wir wunderten uns. Erinnerte an einen Panzerschuss. Nun legte auch ich eine Kaffeepause ein und saß im Kofferraum. Uwe sprach besorgt über komplizierte, weltpolitische Dinge. Die herangerückten, grau angeleuchteten Zirren verteilten sich dünn übers Firmament, störten jedoch nicht sonderlich. Ja, was mach ich'n nu?


Ich versuchte es bei einem weiteren winzigen PN, kann aber keine eindeutige Erfolgsmeldung verkünden. Stattdessen ging die Reise hoch in die Zenitregion, zu NGC 7245 und dem direkt angrenzenden King 9. Ich wusste nicht genau, was da was ist, und beschränkte mich lediglich darauf, abzumalen, was ich sah.

Daran anschließend nutzte ich die Zeit, das Sternfeld für ein größeres „projektartiges Projekt“ vorzubereiten, was ich dann ein anderes Mal zuende bringen werde. Aber nicht einmal das Sternfeld konnte ich abschließen, da plötzlich die Wolken im Cepheus einmarschierten. Verdammt. Uwe hatte Barkhatova 2 fotografiert und hielt ständig Ausschau nach Beta Tauri, wo sich der nächste Komet aufhalten sollte. Er brachte seine Aufsuchkarte vorbei, da nun die Zeit gekommen war.


Und sie ging wieder los, die Litanei. Warum ich bei Kometen eine so niedrige Nervschwelle habe, weiß ich nicht. Immer war irgendwas, und immer steigerte sich mein Hass auf Uwes Aufsuchkarten ins Unermessliche, obwohl sie diesmal nicht gespiegelt war. Ein rötlicher Stern, den ich für Beta Tauri hielt, tauchte im Sucher und Okular auf, und ich verglich die Handvoll Feldsterne, die sich aus dem hoffnungslos aufgehellten Hintergrund herausquälten, mit dem Ausdruck. Nada. Keine Übereinstimmung. Vom Kometen erst recht keine Spur. Wo war ich? Wo waren die Sterne? Ich suchte genervt und verglich vergeblich Karte und Okular. Uwe stand nebenbei und gab Kommentare ab, die mich nur noch mehr aufregten. „Da ist ein heller Stern daneben, den müsstest du ganz leicht sehen! Der ist auf allen meinen Bildern auch drauf.“ Der Dobson peilte nahezu waagerecht und ich kauerte unbequem auf der Trittleiter unten, während mir die Mücken wieder vermehrt auf der Nase herumtanzten. Ich schlug mit den Armen um mich und fluchte hemmungslos. Am liebsten hätte ich schon wieder alles auseinandergerissen und das Papier durch die Gegend gepfeffert, aber ich wollte - musste! -, schon aus Prinzip, diesen besch... Kometen finden.

Nochmal ein Blick durch den Sucher und, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften, Uwes Anmerkungen ignoriert („Du bist da schon richtig. Du musst doch den Nachbarstern sehen, der ist auf den Bildern so auffällig!“). Die Morgendämmerung machte sich nun stark bemerkbar. Ich schwenkte nochmal ein weiteres Stück zum Horizont runter, und da tauchte der nächste helle Stern auf. Ja, nanu??? Beta Tauri, bist du es? Banger Blick durchs Okular, Atem anhalten. Dingdingding, Volltreffer. Ich war die ganze vorige Zeit beim falschen Stern gewesen - typisch. Zwischen Alnath und seinem Nachbarn setzte sich eine fade, aber eindeutige Wolke ab, und ich lachte wie eine Irre und fuchtelte mir die Mücken aus dem Gesicht. C/2014 E2 Jacques zeigte sich als runder, zum Zentrum hell anlaufender Ball, der sich in Richtung Beta Tauri ein wenig aufzufächern schien. „Und? Der ist doch gut, oder?“, fragte Uwe. Ich biss mir auf die Zunge. Reiß dich zusammen, Anne.

Hm, naja... Immerhin mein 26. beobachteter Komet.

03:15 Uhr. Die Milchstraße war nun gänzlich weg und der Mond war umgeben von einer dünnen Wolkenschicht. Irgendwo bellte ein Fuchs. Uwe beendete seine Aufnahmeserie, während der Osthimmel die typische Blaufärbung der frühen Morgendämmerung annahm und die tiefrote Venus überm Horizont erschien. Zeit zum Abbau, wie immer musikalisch untermalt von Pink Floyd. Mit 18°C war es extrem mild, aber verglichen mit der Tageshitze angenehm frisch und kühl. Leider hatte der willkommene Wind im Laufe der Nacht völlig nachgelassen, was vielleicht auch eine Ursache für die wieder verstärkte Mückenaktivität war. Sie fanden alle den Weg ins Auto und reisten mit uns nach Schönebeck, wo wir gegen 04:00 Uhr wieder eintrafen. Ende im Gelände... Ich war zufrieden.

Ein Beobachtungsbericht von AKE

Schönebeck, 20.07.2014

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