24.08.2016 – Der Berg ruft!

Fahrten in den Harz sind für mich immer was ganz Besonderes – schon seitdem ich ein kleines Mädchen war. Das Gefühl von damals – die Freude und Begeisterung, als ich zum ersten Mal (ein Schulausflug nach Thale wars…) richtige Berge gesehen habe, ist mir noch gut in Erinnerung, weil es sich nämlich auch heute noch immer wieder einstellt. Tja, und da wohne ich nun seit knapp zwei Jahren in Bernburg, direkt an der B6n, der sog. „Harzautobahn“ (heute A36), und habe diesen strategischen Vorteil bislang noch nicht einmal genutzt. Und nun… Nun ist die Schönwetterkatastrophe ausgebrochen.

Ich hatte viel Zeit damit verbracht, Plätze im Oberharz zu recherchieren, und wollte meine Zelte in der Nähe von St. Andreasberg aufschlagen. Eine Fahrt von 1h15 – geht ja noch. Am Mittwochabend, bei anstrengenden 30°C, fuhr ich aus Bernburg los und sauste die menschenleere B6n entlang. Immer straight in den Westen, eine schnurgerade Straße – und die gleißende, tiefe Abendsonne direkt vor mir auf dem golden leuchtenden Asphalt liegend. Am Horizont baute sich das bedrohliche Brockenmassiv immer höher und höher auf; einzelne Berge lösten sich aus dem Horizontdunst heraus und es bildete sich eine schöne strukturierte Hügellandschaft. Mein Lieblings-Floyd-Album dröhnte in unmoralischer Lautstärke durch den Wagen. Wie könnte man besser in eine Nacht starten? Leises Klappern vorn verriet mir, dass zahlreiche Insekten gegen die Windschutzscheibe prasselten, und lautes Klappern hinter mir verriet, dass ich die Trittleiter nicht gut genug verkeilt hatte. Ich passierte mehrere Orte mit geschichtsträchtiger Vergangenheit – Thale, Wernigerode, Ilsenburg, Bad Harzburg – und schwelgte in Erinnerungen. Heute kommt sicher eine weitere Erinnerung hinzu. Meine Vorfreude war riesig. Fahrten in den Harz sind doch immer was ganz Besonderes.

Die Straße schraubte sich höher und höher, fraß sich in die dichten Nadelwälder hinein und schlängelte sich an Flüsschen und Talsperren vorbei. Ich fuhr durch Torfhaus mit seinem markanten, hohen Mast. Letzte Wanderer verließen den Parkplatz. Die Sonne war untergegangen; das Ziel lag schon fast vor mir. An einer großen Kreuzung beim Hotel Sonneberg bog ich links ab und befand mich auf der Straße nach St. Andreasberg – gleich kommt auf der rechten Seite der fußballfeldgroße Parkplatz, den ich anzusteuern gedachte. Ahh, da ist die Einfahrt! Rechts blinken uuuund rum… – Äh?! Eine Kette und Einfahrtsverbotsschild versperrten die Zufahrt. Was ist hier los? Das konnte ja keiner ahnen. Ratlos fuhr ich einfach weiter, musste aber auch eingestehen, dass der Platz eh nicht so gut war, wie er auf dem Luftbild wirkte. War nämlich ziemlich zugewuchert und der Beton unschön aufgesprungen und aufgerissen.

Ich wendete und fuhr wieder zurück nach Norden. Der alternative Notplatz sollte bei Torfhaus liegen, aber der riesige Parkplatz beim Hotel Sonneberg, auf 780m Höhe, sah ja eigentlich auch gar nicht verkehrt aus... Dort bog ich ein. Es war menschenleer auf der weitläufigen Fläche. Wär ja schon mal ‘ne ganz gute Voraussetzung. Die Straße lief zwar direkt dran vorbei, aber mit viel Verkehr rechnete ich abends/nachts dort nicht. Freie und weite Sicht in den Süden und Westen; Osten etwas eingeschränkt wegen Bäumen. Hinter mir, im Norden, war ein düsterer Wald, wo anscheinend irgendein Wanderweg bzw. eine „Verbindungsloipe“ durchgeht. Rechts, am Ende der langen Parkfläche, befand sich das Hotel, wo sich nichts regte und auch keine Lampe anging – während der gesamten Nacht hindurch nicht. Lediglich an der Kreuzung standen zwei Laternen, die mich allerdings nicht sonderlich störten.

Es gefiel mir hier ganz gut und während es dämmerte, baute ich das Teleskop auf und lauschte den zirpenden Grillen und einem piependen Vogel. Zwischendurch hielt eine Gruppe Motorradfahrer in der Parkplatzeinfahrt an, die mich ein wenig nervös machten, doch sie trafen sich dort nur zur gegenseitigen Verabschiedung und waren bald wieder verschwunden. Die Dämmerung schien endlos zu dauern und ich vertrieb mir die Zeit damit, Fotos zu schießen. Also, so richtig mit Sternen drauf, und so. Ich hatte meine alte Spiegelreflex-Sony erst kürzlich zurückerhalten, nach einer Dauerleihgabe von vier Jahren, und musste mich erstmal wieder mit der Bedienung vertraut machen. War aber kein Problem. Dieses grässliche, instabile Stativ machte da schon mehr Ärger. Die Bilder hauen sicher niemanden vom Hocker (genauer gesagt, sie sind ziemlich scheiße), aber als Erinnerungsstücke reichen sie allemal.

Zwar war es noch nicht ganz dunkel, aber so schön, wie die Milchstraße bereits leuchtete, kann man sich ja mit Sternhaufen beschäftigen. Zuerst ging es zu M 71 und Harvard 21, ganz kommentarlos. Roslund 3 befindet sich in der Nähe und war eine schöne Überraschung: Ziemlich groß und markant länglich, wirkte durch die lange Hauptkette wie eine „2“. Schon in der Übersicht zeigte sich der Cluster zwar sternreich, aber aufgelöst; die meisten Mitglieder tummelten sich im Kopf der „2“. Roslund 3 erinnerte mich an Lorenzin 5, den „Essertoo String“ von La Palma.


Ich blieb gleich in der Ecke und ging zu Leiter 4, der sich erst ab 130x nennenswert aus dem Hintergrund hob. Von einem helleren Vordergrundstern spreizte sich eine geschwungene Kette nach Osten ab, die aus ca. 12 Mitgliedern bestand. Weitere schwächere Sterne umsprenkelten das Gebilde.


Auf der Straße war noch erstaunlich viel Verkehr, was mir gehörig auf den Wecker ging. Beim Blick nach oben jedoch klappte mir die Kinnlade runter. Die Milchstraße war der Oberhammer. The absolutely Godmother of Oberhammer. Den Vergleich mit dem Sudelfeld neulich brauchte sie nicht zu scheuen, denn sie war ähnlich hell, brillant und kontrastreich. Die Gegend um Deneb mit dem nördlichen Kohlensack war richtiggehend plastisch, wie zum Greifen nah. Doch nicht nur oben im Schwan wars gut – das silberne Band ging unheimlich tief hinunter und blieb selbst am bewaldeten Horizont noch hell und klar, ähnlich eindrücklich wie vor kurzem in Raisting. Die Schützensterne zeigten sich beinahe ungetrübt. Von St. Andreasberg war keine Lichtglocke zu sehen, was ich ja eigentlich befürchtet hatte. Schön, dass das genaue Gegenteil der Fall war. Ich fand das alles sensationell und schaute fassungslos nach oben, nicht zum letzten Mal in der Nacht. Grenzgröße müsste bei mindestens 6,7mag gelegen haben. Und, achso, das Seeing war auch ganz passabel.

Ja, dunkel genug war es also, um meinen ausgefeilten Schlachtplan anzugehen. Gespannt war ich auf den kometarischen Nebel Parsamian 21 im Adler, der unter dem Codewort „Parmesan“ lief. Ich sah etwas „deutlich Flächenhaftes und Längliches“, dessen genaue Form jedoch durch schwache Vordergrundsternchen erschwert wird und vage blieb. Der Abgleich der Skizze mit dem DSS bringt zutage, dass ich nur ein enges Sterngrüppchen gesehen habe, das sich ein winziges bisschen nordöstlich des Nebels befand. Da muss ich wohl nochmal ran.


Enttäuschend war auch die Suche nach UGC 11671, die ich schlichtweg nicht gesehen habe, bzw. nicht sicher genug, um das als positiv zu werten. Besser war da schon UGC 11698. Ein schwaches Objekt, aber eine klar länglich-ovale Form. Das Gimmick bei diesem Objekt, ein winzige Galaxie direkt am Westrand, war tatsächlich zu sehen – allerdings missinterpretierte ich es vor Ort als einen krachend schwachen Vordergrundstern, der noch außerhalb des Halos von 11698 lag. Mit im Feld war auch eine kompakte Nachbargalaxie, für die ich jetzt auf die Schnelle keine plausible Katalognummer aus dem Hut zaubern kann.

Dann ging die Reise zu M 15, weil dieser Kugelhaufen mal wieder ein nettes Objekt in seiner Nachbarschaft hatte: NGC 7068. Die Galaxie selber ist nicht übermäßig spektakulär – ein länglich-ovales Ding –, aber die Umgebung machte einen ganz netten Eindruck. Durch den hellen Stern nördlich, auf den 7068 zeigte, wirkte sie wie dessen schwacher Geist. Zwei weitere Vordergrundsterne standen ebenfalls in unmittelbarer Nähe. Schickes Ensemble.

22:50 Uhr, Blick nach oben und wieder die herunterfallende Kinnlade: Wow, das ist echt scheißdunkel! Ich wurde nicht fertig über diese brutale Milchstraße. Die frisst einen ja fast auf. Es war windstill, doch dann und wann säuselte eine leichte Brise über den Wald und den Parkplatz hinweg, was ich nur daran merkte, dass das leise Geräusch von fallenden, trockenen Blättern an mein Ohr drang.


Ein Stückerl südlich von Enif stöberte ich NGC 7102 auf. Dieses kleine Miststück. Überraschend schwacher, diffuser Nebel. Das Zentrum war kaum heller als der Rest und ein Kern o.ä. kam nicht zum Vorschein. Insgesamt leicht ovale Form. Das dünne Anhängsel, das am Südrand steht, war nicht zu sehen. Schade.


Es folgte ein Kartenwechsel und ich entschied mich für die östliche Adler-Region. Kurzes Durchscrollen der Klebepfeile – was nehm‘ ich denn da, was nehm‘ ich denn da? Abell 55 hätt ich gern! Die Zielregion war leicht zu finden; wer sich nur zierte, war der PN. Irgendwann blitzte bei längerem indirektem Sehen eine sehr sehr schwache, strukturlose Scheibe heraus, die ich nicht dauerhaft halten konnte. Ich meine, sie war rundlich, aber auch nur, weil ich sonst nichts Genaueres erkennen konnte. „Rundlich“ geht immer.

Das hätte eigentlich schon abschreckend genug sein können, aber auf der Karte war noch ein zweiter Abell angepfeilt, nämlich Numero 53. Auch der war schwer, aber mit etwas mehr Sicherheit behaftet. Vorteilhaft war, dass sich grade eine autolose Phase auf der Straße eingestellt hatte, was der Konzentration dienlich war. Abell 53 lag in einer vergleichsweise sternleeren Region (zumindest wirkte es mit Filter so) und ließ sich auch nicht dauerhaft halten. Die runde Form jedoch, die war eindeutig. Ringcharakter? Nada!

Eindeutig war auch, dass ich unbedingt eine neue Brille brauche. Mit der aktuellen mache ich mir nur selber das Leben schwer. Es folgt nun eine Anekdote, die sich in die beliebte Kategorie „Angsthasen in der Nacht“ einordnen lässt. Aus dem Wald tat es gegen halb 12 ein lautes, dumpfes Geräusch, was sich ganz entschieden von dem sonstigen lieblichen Blättergeprassel unterschied. Ich wusste: Tier. Ich wusste: Tiere lassen sich durch Lärm vertreiben. Ich wusste: Ich wollte das Vieh definitiv nicht in meiner Nähe haben, und sei es auch nur eine stinkende Katze. Ich lärmte rum, stampfte laut auf den Boden, machte Krach. Leuchtete mit der hellen Handy-Taschenlampe in den Wald, aber natürlich, ohne etwas zu sehen – das Vieh ist aus lauter Angst und Respekt vor mir geflüchtet, ganz klar. Trotzdem hämmerte mir das Herz heftig bis in die Kehle und ich zitterte wie Espenlaub. Auch wenn ich versuche, nüchtern und rational an sowas heranzugehen, kann ich solche Schreckmomente nicht unterbinden. Schon klar, es ist nur irgendein dämliches Vieh, das mir nichts tut, und kein verirrter Mensch oder Axtmörder. Die wären schlimmer. Das Vieh haut ab und alles ist in Butter. Trotzdem ging meine Konzentration flöten; ständig starrte ich in den Wald und schreckte bei jedem Blätterrieseln auf, in der Überzeugung, dass gleich ein triefendes, blutrünstiges Untier aus der Verbindungsloipe herauskommt.


Und dabei war ich gerade damit beschäftigt, das nette Duo NGC 6926/6929 zu beobachten und zu zeichnen. Die waren wirklich cool, die beiden. 6929 deutlich schwächer, kompakt und völlig strukturlos. Interessanter war die 6926. Eine ovale, NS-stehende Fläche, deutlich größer und ausgedehnter als die Nachbarin. Das Nordende zeigte sich spitzer und leicht heller als der Rest der Galaxie – ein Indiz für den coolen markanten Arm, der auf dem DSS zu sehen ist. Leider ließ sich der nicht als solcher so klar und isoliert herausseparieren, doch auch ohne gefiel mir die Objektkombination total.

Vielleicht wäre das ja sogar möglich, aber nicht mehr in dieser Nacht. Einerseits, weil der gelbe Halbmond bereits – für mich unsichtbar hinter mehreren Millionen Bäumen – aufgegangen war, und andererseits, weil ich mehr damit zugange war, den Wald argwöhnisch zu beäugen und meine Energie darin zu investieren, bei jeder Bewegung möglichst viel Krach zu machen. Bei einem lauten Schritt folgte als Reaktion ein Rascheln, und ich fühlte mich stark. Ha, funktioniert! Trotzdem war die Konzentration komplett dahin und die Nacht für mich gelaufen. Ich sah nur noch zu, die Zeichnung schnell abzufertigen. Der Osthorizont zeigte mittlerweile eine deutliche mondbedingte Aufhellung und der Schein der Taschenlampe war auf mehrere Meter gut zu verfolgen. Es lag also etwas Dunst in der Luft, das hätte ich nicht erwartet. Diverse Flächen (Scheiben, Hocker) waren leicht mit Tau belegt.


Lautstark baute ich ab. Klapperte betont mit den Schnellspannern, knallte mit Schwung die Trittleiter zusammen, rammelte „ausversehen“ gegen den blöden Hocker und freute mich tierisch, als mir ein Okular-Drehpack aus der Hand fiel und es auf dem Boden landete. Natürlich ohne Okular drin. Zwei kurze Schreckmomente folgten noch, als gegen Mitternacht mein Handy jäh das Erhalten einer SMS verkündete, und als das kurz zuvor aktivierte Navi einen Satelliten gefunden hatte und Alois in seinem charmanten österreichischen Dialekt brüllte: „Biegen Sie rechts ab.“ Hey, erschreck mich doch nicht so! Herrje.


Irgendwann war alles eingeräumt und ich sah zu, diesem Gruselwald zu entfliehen. Fazit der Nacht? Der Platz kann mit erschreckend guten Bedingungen aufwarten. Deutlich, deutlich, deutlich besser als alles, was ich bisher im Fläming gesehen hatte. Das war wie eine Offenbarung für mich. Die Höhe von knapp 800m ist da natürlich ein ganz entscheidender Faktor, und nicht zuletzt die Entfernung von den hellen Städten Magdeburg/Berlin. Bisher war ich mit Beobachtungsplätzen im Harz nie wirklich zurande gekommen und kannte eigentlich nur Locations im tieferen Ostharz, aber der niedersächsische Teil ist ‘ne ganz andere Hausnummer. Blöd ist nur die recht weite Anreise von knapp 120km. Aber sie lohnt sich in jedem Fall! Ich werde wiederkommen.


Fahrten in den Harz sind doch immer wieder was Besonderes, und immer nimmt man schöne Erinnerungen und Fotos mit nach Hause. Oder bekommt sie vielleicht sogar per Post zugeschickt. Ja, liebe Bußgeldstelle Bad Harzburg, beim nächsten Mal nehme ich eure 60er-Schilder dann auch ernst, versprochen.

 


El Berichte de AKE

Bernburg, 25.08.2014

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