Januar-Neumond 2024 - Die Pannenshow


Ein Winterfreund werde ich im Leben wohl nicht mehr.
Mo/Di am üblichen Platz am Dorfrand gewesen, der sich jedoch durch das viele angespülte Wasser und den strengen Frost in eine Eisbahn verwandelt hat. Ich gleite elegant mit >20kg Teleskopkiste im Arm über die spiegelglatte Fläche, wie durch ein Wunder einen Sturz noch verhindernd, baue auf und stelle schlussendlich fest, dass im OAZ etwas weggebrochen sein musste, sodass kein Fokussieren mehr möglich war. Bedingungen ohnehin mies und bei -10°C will ich nicht anfangen, ohne Handschuhe an der filigranen Mechanik mit Winzlings-Werkzeug rumzufummeln um auf Ursachenforschung zu gehen; also wieder eingepackt und den Beobachtungsspaß auf den nächsten Tag verlegt. Nicht so wild, denn das Hoch soll ja noch ein wenig halten, sagt Kachelmann.


Di/Mi einen Alternativplatz 100m entfernt aufgesucht; da Kinderbetreuung sichergestellt sein muss, geht das erst um 22:30 Uhr. Der eigentlich durchgeweichte Acker ist knüppelhart gefroren. Schon bei Ankunft -12°C und es sollte noch kälter werden. Bedingungen extrem mau. Hohe Luftfeuchte, hoch aufragende Lichtglocken, Seeing elend, die Durchsicht ist brutal schlecht. Zum Glück windstill. Im Schein der Kopflampe glitzert der stumpfe Schnee bei den Temperaturen wie eine Discokugel, was ausgesprochen schön aussieht; überall funkelt es aus den Augenwinkeln. Ich baue auf; Teleskop steht auf einer zuvor unbemerkten kleinen Eisfläche unterm Schnee und gleitet bei jeder Bewegung weg. Alles nochmal abgebaut und 2m weiter wieder hingestellt. Durch diesen unnötigen, zeitfressenden Ärger spule ich mich selber hoch und mir wird warm. Kaum liegt die Konzentration aufs Beobachten, kühle ich aus. Das kalte Metall brennt sich selbst durch die Handschuhe hindurch. Benutzte Taschentücher gefrieren zu einer kartonartigen Konsistenz; am kochend heißen Tee verbrühe ich mir die Zunge. Auf der Trittleiter rutsche ich häufig weg, weil der blöde Schnee unter den Schuhen wie Schmiermittel wirkt. Sucher gefriert, Okulare beschlagen, Tausende glitzernde Eisblumen erblühen auf sämtlichen Flächen. Selbst die Daunenjacke wird bald von einem floralen Muster verziert. Tinte im Kuli gefroren, ein Bleistift bricht ab. Hände sind nicht mehr zu spüren. Trotz ca. 2h auf dem Acker ist an mein übliches Wohlfühltempo nicht mal ansatzweise zu denken; ich schaffe es nur zu zwei Zeichnungen. Die meiste Zeit geht dafür drauf, den vielfältigen Widrigkeiten der Kälte zu begegnen. Die hässliche Fratze des Winters. Mal ganz davon ab, dass der Himmel stark aufgehellt ist (fst <6, eher 5,2 oder sowas); es finden sich einige Nicht-Sichtungen in den Notizen wieder.

- M 42: Naja. Immerhin gesehen und grob wiedererkannt.


- NGC 1788: Gut zu erkennender Reflektionsnebel. Helligkeitszunahme im Zentrum, stellar. In Richtung des benachbarten Sterns wird es auch nochmal heller. Form und Abgrenzungen sind schwierig zu bestimmen und ändern sich immer wieder; eine Krümmung ist insgesamt aber erkennbar. Objekt verbleibt in der Liste für Nachbeobachtung unter besseren Bedinungen, denn da geht sicherlich noch viel mehr.

- NGC 1678: Steht in der Mitte eines großen Sternmusters, das beinahe asterismenwürdig ist. Alle Mitglieder mit ähnlichen Helligkeiten, nett. Galaxie: Nur ein schwacher, ovaler Lichtfleck ohne Details. Die nördlich benachbarte PGC 16180 ist nicht zu sehen.


Mi/Do letzte Chance, bevor Wolken wieder reinziehen. Temperaturprognosen wenig verlockend, aber die Motivation ist noch da. Die Schmerzen in den Fingerkuppen, die die Eisluft mir beschert hatte, nahmen erst am Nachmittag ab. Bessere Präparation gegen die Kälte dank des oldschool-Gimmicks "Wärmflasche". Geile Idee, warum bin ich da früher nie drauf gekommen? Ankunft am Platz bei -10°C, fühlt sich vergleichsweise warm an. Aufbau. Unschöne Überraschung: Die Eiskristalle auf dem Hauptspiegel sind noch da, trotz Lagerung im Auto den ganzen Tag über. Ich hocke minutenlang neben der Kiste und halte in 1cm Abstand die Wärmflasche drüber, damit die wieder abtauen. Klappt. Normalerweise muss der Spiegel nachm Aufbau zunächst abkühlen, um auf Betriebstemperatur zu kommen; dass ich erstmal hochheizen muss, kommt auch nicht alle Tage vor. Die nahe Autobahn ist extrem laut. Bedingungen besser als am Vortag, weil die Luftfeuchte etwas niedriger ist, aber trotzdem ziemlich mager. Von der Winter-Milchstraße, die sonst selbst im aufgehellten Garten durchschimmert, ist nichts zu erahnen. Leichter Wind. Unangenehm, aber das Auto hält das meiste davon ab. Beobachtungen gehen leichter von der Hand als zuvor. Ich stopfe mir die Wärmflasche unter die Pullis, was den lustigen Effekt mit sich bringt, dass die Pfoten eiskalt sind, während der Bauch beinahe verbrennt. Richtig muckelig und angenehm, obwohl es ringsum immer kälter wird. So lässt es sich aushalten.

- Ferrero 5: Befindet sich am südlichen Rand von Simeis 147 und daher bestimmt auf vielen Fotos drauf, ohne dass jemand groß drauf achtet. In der Übersicht "gruppig" wirkend, steht in einem verwirrenden Umfeld. Bei 138x zeigt sich ein Haufen von einem Dreieck eingerahmt; es tummeln sich viele schwache, eng beieinander stehende Sterne. Nette kleine Überraschung.

- STF 785: Steht nicht weit weg. Ich nutze ihn als Zwischenstation. Wirkt erstmal blass und langweilig, aber ich vergrößere ihn trotzdem, weil ich etwas Farbe vermute und den Eindruck bestätigt wissen will. Zwei Sterne, ähnlich hell, in einem dezenten gelb und blauweiß. Dann die Überraschung: Es zeigen sich zwei weitere Komponenten, bedeutend schwächer; der Mehrfachstern formiert sich zu einem "Y" und wirkt wie ein kleiner, kompakter OS. Richtig cool, eine schöne kleine Wundertüte.

- NGC 1985: Kleiner Reflektionsnebel. Wirklich klein. Stand zwar als Notiz bereits daneben, aber ich war trotzdem überrascht, wie klein der ist. Schnell zu übersehen; die Bedingungen machen es nicht einfach. Rundlich-ovales Wölkchen mit einem schwachen Stern im Inneren, aber keine weiteren Details. Hatte auf einen Hinweis auf die dunkle Zone im Nordbereich spekuliert, aber da ging nix her.


- U Aur: Auf gut Glück angesteuert, keine Ahnung was das ist. Der kann wohl recht hell werden, zeigt sich aber eher schwächlich - und stark dunkelrot gefärbt! Holla. Das ist ja eine Überraschung.

- Basel 4: Steht in einem reichen Umfeld. Eine langgezogene Sternkonzentration, die wie eine silbrig schimmernde Banane wirkt. Die Mitglieder stehen eng an eng beieinander, schätzungsweise über 20 Stück. Schade - der OS könnte toll aussehen, aber in dem wuseligen Umfeld geht er ziemlich unter und "wirkt" einfach nicht so richtig.


- Czernik 23: Bei Übersichtsvergrößerung vielversprechend: Eine kleine, runde, homogene Wolke, die grieslig wirkt. Bei näherer Betrachtung hingegen enttäuschend: Die Wolke fällt in eine Handvoll schwacher Sterne auseinander, die im ebenfalls sternreichen Umfeld keinen Haufencharakter mehr bieten.

Bisschen bescheuert bin ich ja: Meine Objektvorbereitung für schwierige Ziele, die Alpenhimmel erfordern, lässt keine Wünsche offen; aber was Objekte unter Dorfbedingungen angeht - also der Normalfall - steh ich da wie ein Schneider und bin völlig planlos. Die Notizen im Atlas machen da auch nicht gerade Mut ("riesig und schwach", "nur bei bester Transparenz", "schwacher Auswurf nach N mgl?", ...) und so blättere ich rum und suche nach irgendwas Machbaren. IC 239 lockt mich aufgrund des Hinweises "Sternumfeld!". Wenn hauptsächlich das Sternumfeld reizvoll sein soll, kann das DSO nicht so anspruchsvoll sein. Eigentlich. Meistens irgendeine lumpige E0 mitten in einem hübschen Muster, so wie gestern. Aber diese Galaxie hier ist recht flächenschwach und im Okular ist davon nichts mehr zu sehen. Der aufgehellte Himmel hat sie einfach aufgefressen. Allmählich lässt auch die Wirkung der Wärmflasche nach und die nasse Kälte kriecht wieder überall rein. Letztes Objekt ist UY Per, ein Veränderlicher, der sich in einem rötlichen Gewand zeigt, aber nicht allzu spektakulär daherkommt. 


Ich werde urplötzlich unruhig, bin nicht mehr bei der Sache. Ein komisches Gefühl macht sich breit und ich möchte dringend nach Hause. Die Finger sind nicht mehr zu gebrauchen und der Transport der schweren Kiste hinein in den Kofferraum wird wieder zum Glücksspiel. -13°C, sagt das Autothermometer, als ich verschwinde. Bin gerade rechtzeitig zuhause angekommen, als ich im Nebenzimmer höre, wie just der neuste Kita-Keim in Erscheinung tritt. Aber das ist eigentlich nur der passende Abschluss des lang ersehnten, pannenreichen Januar-Beobachtungsfensters... Zum Würgen. Naja.

Share by: