18./19.08. 2012 - Der Schönwetterkatastrophe zweiter Akt



Schon der Nachmittag war an Klarheit nicht zu überbieten. Einen so tiefblauen Himmel sah ich in meinem Leben noch nicht! Wenn ein zartes, kleines Wölkchen sich dort oben verirrte, wurden die abgedroschenen Witze ausgegraben: „Das wird heute Nacht nichts. Kannste vergessen. Das zieht zu, keine Chance. Bald ist alles dicht. Wir brauchen erst gar nicht hochfahren.“

20:30 Uhr hatten wir den Tiefenbach erreicht und am Osthorizont stieg ein rasiermesserscharfer, dunkler Erdschatten empor. Darüber kräftige Dämmerungsfarben. Gigantisch! Unter dem Erdschatten folgte ein helleres Band. Welche Ursache hat es? Ich lief umher, machte Bilder, genoss. Es waren wieder viele Leute da. Aus dem süddeutschen Raum hatte sich auch der Friedel zu uns gesellt. Es wurde bis zur Dunkelheit gequatscht und Uwe G. beauftragte mich mit der Beobachtung von Hickson-Gruppen, da wir am Nachmittag darüber gesprochen hatten.

Bis ich allerdings endlich zu Potte kam, dauerte es ewig. Ich musste umherrennen, um meinen Kuli zu suchen, den ich irgendwo verloren hatte. Außerdem in die Kälteschuhe reinquälen. Fleecepulli überziehen. Okulare auspacken. Handschuhe holen. Wo sind die Sitzkissen für die Knie? Mein Beobachtungsbuch muss auch geschrieben werden! Als ich mich endlich häuslich eingerichtet hatte, war es bereits 22:30 Uhr und ich geriet halb in Panik, weil ich spürte, wie mir jetzt schon die Zeit davonlief. Dabei war es noch nicht einmal richtig dunkel… Abgesehen vom anfangs schlechten Seeing schienen die Bedingungen besser als davor.

Es ging wieder in tiefe Gegenden im Süden. In der Tülle des Teepotts befindet sich der Kugelsternhaufen NGC 6569. Easy und problemlos, aber im 14er nicht aufzulösen. Das Zentrum kam als runde Fläche ohne Highlights daher; Teile des Randes hingegen wirkten fransig. Schöner Blick im 9er. Körnig über die gesamte runde Fläche.


Vom tiefen Süden in den aufsteigenden Osten. Inspiriert von einer anderen Unterhaltung vom Nachmittag wollte ich den letzten Eintrag des King-Kataloges beobachten, der in meinem Atlas verzeichnet war (insg. nur 4 Stück). King 21 befand sich in der Cassiopeia in einem erwartungsgemäß sternreichen Feld. Ich sah eine auffällige, nach Westen gebogene Sternkette, an deren einem Ende einige schwache Sterne versammelt waren. Im 26er kam der Haufencharakter besser zur Geltung. Rechteckige Gesamtform. Das mit Abstand hellste Mitglied stand im ersten Norddrittel des Kastens. Die Nordhälfte war mit schwachen Mitgliedern gefüllt; das Gegenstück hingegen blieb leer und wurde nur aus dem „Rahmen“ gebildet. Aufgelöst. Bei 114-fach zählte ich 13 bis 15 Sterne. Aber war das wirklich King 21? Ich war unsicher, denn ein Stück südliches des Beschriebenen machte ich eine ganz zarte Nebelwolke aus, bei der es sich um einen unaufgelösten Haufen handeln könnte. Ich ging dem aber nicht weiter nach.

Lagebericht um 23:30 Uhr: Die Plejaden waren soeben am Horizont erschienen und ich spürte die Müdigkeit. Kein Wunder – mein Körper hatte lediglich 3 Stunden Schlaf intus. Aber bei den Bedingungen gibt’s keine Kompromisse! (Sonst gibts Moppe) Wie schon in der Nacht zuvor war es überwiegend windstill, aber es frischte immer mal wieder etwas stärker auf, um dann abzuflauen. Auf dem unteren Plateau waren alle konzentriert zugange und nur selten waren Stimmen zu hören. Im Großen Wagen, der wieder knapp auf der Bergkante entlangfuhr, war es stockfinster. Blick in den Atlas – Aha, da ist ja noch was! Kaffee Nummer 1, und ich wurde wieder munter.


NGC 3613 befand sich im westlichen Teil des Kastens und war mit der 3619 im Gesichtsfeld zu sehen, erschien dabei jedoch viel kräftiger. Mittig zwischen zwei gleichhellen Sternen befindlich, zeigte sich ein rundes Nebelchen mit stellarem Kern. Die Form bei 114-fach schien leicht länglich (1:1,5). Die Galaxie grenzte sich gut vom Hintergrund ab und besaß einen flächigen Zentralbereich. Im 9er wirkte sie sogar noch etwas länglicher (1:2) und wie von einem zarten Nebelschleier umhüllt, wobei das wohl eher Einbildung war.


Die angesprochene NGC 3619 war viel schwächer und flauer, aber dennoch unübersehbar. In der Mitte ein zarter, punktförmiger Kern, von dem aus die runde Galaxie sanft in den Hintergrund auslief und diffuse Grenzen aufwies. Das Zentrum erschien blickweise etwas länglicher.


00:10 Uhr. Eine gigantische Kulisse über der nächtlichen Bergwelt. Es war still. Man hörte nur den dumpf rauschenden Bach und die Geräusche, die die Beobachter manchmal machten. Man hörte Schritte, das Klimpern und Kratzen während eines Okularwechsels, quietschende Schrauben, sich eindrehende Filtergewinde, raschelndes Papier im Wind, knarzende Steine, leise Flüche, klickende Taschenlampen, knisterndes Papier beim Aufreißen oder Reingreifen irgendeiner Verpackung… Mir war recht warm, nicht zuletzt wegen des guten Abendessens (Pizza und Kaiserschmarrn!). Stockfinsteres Firmament und die leuchtende Milchstraße. Eine fast schon andächtige Atmosphäre. Stefan Kunz warnte vor, dass er gleich losfahren würde. Von rechts hörte ich die schöne Unterhaltung von Uwe G. und Friedel: „Und?“ – „Passt.“ – „Passt!“


NGC 3610 befand sich gleich neben den vorigen beiden und war unübersehbar. Ein ovaler Nebel, grob Nord-Süd-liegend und mit einem sehr starken Zentralbereich und flächigem Kern. Die Galaxie wies recht klare Konturen auf. Die Vergrößerung im 9er war am besten. Das Zentrum grenzte sich scharf vom kleinen Halo ab und der Nukleus war eindeutig nicht punktförmig.


Störende Lichter: Während der Beobachtung fuhr auch Uli hinunter und in Thomas‘ Auto, das genau mittig auf dem Plateau parkte, brannte Licht, das die Visuellen drumherum aufregte. Dies störte mich nicht beim Finden von NGC 3642, die eher zufällig daneben lag. Im 14er eine auffällige und überraschend große Wolke, die aber diffus daherkam. Zur Mitte hin nahm die Helligkeit sanft zu, aber nicht besonders markant. Die Galaxie war eher ein nettes Gimmick in dem Feld.


Etwas weiter östlich war NGC 3945 auch ein einfaches Ziel. Im 32er zeigte sich ein helles Zentrum in der runden Galaxie. Ein Vordergrundstern befand sich südöstlich des flächigen Kerns. Bei 114-fach tauchte ein weiterer Stern daneben auf. Der Nebel war fast ganz rund. Im 9er kam noch ein schwaches Sternchen im gleichen Abstand wie der andere hinzu, doch sie werden von dem recht kleinen Halo nicht erreicht.

Die Uhr zeigte 00:45 an. Ich war ja ganz clever und hatte das Armband um meine kleine Trittleiter befestigt, sodass die Anzeige direkt abzulesen war. Ohh, müde!!! Allerdings nicht kalt. Ich startete eine Kaffeeorgie, um mich wiederzubeleben. Matthias kam vorbei, um uns auf das zarte Zodiakalband hinzuweisen, das entlang der Ekliptik zu erkennen war. Erstaunlich. Der Gegenschein im Steinbock war fast schon auffällig, und davon abgehend verlief ein schmaler Schleier in den Osten, der mir unterhalb des Widders besonders „kräftig“ erschien. Ich fragte ihn, ob man von dieser Beobachtung auf die Grenzgröße schließen könnte. Sicher war er sich nicht, woraufhin wir zu Uwe und Friedel gingen („Fragen wir mal die Profis“), die gleich die Kekspackung ranholten. Wir starrten eine Viertelstunde lang zu Polaris und hielten nach den schwächsten Sternen Ausschau. Grob schätzte man etwas um die 7,5 – ich war baff.


Dann wurde auf meinen Wunsch hin M101 im 27-Zöller eingestellt, da mich der Anblick im kleinen Gerät vor ein paar Tagen schon umgehauen hatte und mich seither nicht mehr losließ. Den drei Herren fiel es allerdings zunächst alles andere als einfach, die Galaxie zu finden. „Die müsste doch im Sucher zu sehen sein!“ – „Aber im Großen Wagen ist es doch so dunkel!“ – „Schau mal, ist sie da?“ – „Die war doch neulich so hell…“ – „Ja, rühr mal ein bisschen da rum… Rühr da mal rum…“ Ich war ganz gerührt von diesem Einsatz. Kartenmaterial half dann weiter. Man holte sogar die Leiter und stellte sie mir vor die Füße, da ich den OAZ nicht erreichte. Ja, mei!


Uwe schwenkte daraufhin auf M81 und wies auf die Sichtbarkeit der äußeren Spiralarme hin. Tatsächlich war der „untere“ Bogen erstaunlich auffällig und an einer Stelle sogar recht gut begrenzt, während man sich beim „oberen“ Arm schon mehr strecken musste. Doch wenn man sie erstmal hatte, waren sie dauerhaft haltbar und verliehen der Galaxie ihre Ausdehnung, die man von den Fotografien her kennt. Plötzlich war sie riesig. Wenn man schon mal in der Gegend unterwegs ist, liegt es nahe, auch M82 anzusteuern, wo die klumpigen Supercluster im Zentralbereich sichtbar waren. Und ebenfalls erreichbar war der M81-Begleiter Holmberg IX.


Der Schwenk ging dann hinunter zum Saturnnebel NGC 7009. Brüllend farbig. Ich sah einen kräftigen Blauton mit einem eher geringen Grünanteil. Bei höherer Vergrößerung machte das Objekt seinem Eigennamen alle Ehre, denn die beiden Ansen standen scharf von der Kugel ab. Im Innenleben schöne Strukturen; dunkle Gebiete, die durch hellere Lichtschläuche gegliedert waren. M57 kam ebenfalls vor die Flinte, und der ominöse Zentralstern fiel ohne Probleme auf. Was die Leute nur alle so ein Gewese darum machen. Ist doch ganz einfach…?


Als dann von irgendwelchen unaussprechbaren Katalognamen die Rede war, war es für mich an der Zeit, die PN-Fraktion wieder zu verlassen. Es war bereits 02:00 Uhr, als ich zu meinem Krempel zurückkehrte und mich meiner ersten Hickson-Gruppe widmete. Die Nummer 16 im Walfisch, bestehend aus vier Mitgliedern. Die Suche war recht anspruchsvoll, aber eindeutig. Sie lagen in einem markanten, großen Sterndreieck. Sichtbar waren die vier nicht besonders hellen Galaxien, die sich in einer Kette formierten. Südöstlich davon war sogar ein fünfter Nebel erkennbar, NGC 848. Das östlichste Mitglied der Kette war NGC 839 und zugleich das schwächste der Gruppe; kernlos. Dann folgte die leicht ovale NGC 838 mit einem feinen stellaren Nukleus. Die hellste und länglichste Galaxie, NGC 835, ragte gewissermaßen als „Querschläger“ in diese Kette hinein und war in Kombination mit der engen NGC 833 am auffälligsten. Dieses Pärchen dominierte die Gruppe. – Summa summarum war meine erste Hickson-Nummer zwar anspruchsvoll, aber gut beobachtbar und in dieser Formation sehr nett. Es war sicher nicht die letzte.


Der Galaxienreigen ging weiter mit NGC 720, die auch im Walfisch rumhing. Einfach auffindbar und gut als runder Nebel mit hellem Zentrum zu erkennen. Im 14er zeigte sich kein Kern im markanten länglichen Zentrum. Die Helligkeit nahm fließend zur Mitte hin zu. Ovale Form, 1:2, O-W-liegend. Bei 178-fach sprang der Kern bei indirektem Sehen leicht heraus, hielt sich aber nicht durchgängig.


Auch NGC 908 stand auf dem Herschel-400-Masterplan und war von der 720 gut über einen schönen Starhop erreichbar. Ein einfaches Objekt, länglich und fast kastenförmig mit einem Achsenverhältnis von 1:3. Im 20er war keine markante Zentralregion zu sehen; die Helligkeit war überall homogen. Ein schwacher stellarer Kern war nach längerer Zeit sichtbar und die Enden schienen abgerundet. Bei 106-fach bildete ich mir undefinierbare, hauchdünne Helligkeitsnuancen am Rande ein. Unsicher.

Blick auf die Uhr: 03:35. Ich war wieder so richtig munter. Thomas war kurz zu Besuch an seinem Dobson und erkundigte sich, wie ich so klarkam. Der Winterhimmel war eine Wucht. Die Sterne so hell und strahlend, dazwischen ein regelrechtes Meer aus feinen Pünktchen, und dies garniert von den beiden blendenden Planeten und den knalligen Plejaden. Dahinter Dunkelheit. Der Anblick dieser brennenden Deutlichkeit tat schon fast in den Augen weh. Die nächtliche Stille dazu passte aber überhaupt nicht – die Sterne müssten eigentlich schreien.


Tief am Himmel stand NGC 613, der von Schönebeck aus hoffnungslos im Lichtkegel der Stadt versunken wäre. Nicht aber hier. Die Galaxie tauchte ohne Schwierigkeiten im Okular als langgestreckter, O-W-ausgerichteter Nebel auf. Im 14er ein Achsenverhältnis von 1:4, linsenförmig und mit einem länglichen, flächigen Zentralbereich. Nordwestlich der Mitte erschien ein Vordergrundstern. Der punktförmige Nukleus ging fast unter.


Lagebericht, 04:00 Uhr: Das Zodiakalband war derart deutlich und auffällig, dass es fast nicht zu glauben war. Thomas traf es auf den Punkt: „Sieht aus wie die Milchstraße.“ Tatsächlich glich es der Milchstraße, wie sie von Schönebeck aus zu sehen wäre, aber ungewöhnlich stark gekrümmt und ohne die üblichen Dunkelnebel. Dazu der Gegenschein. Meine Mitbeobachter diskutierten darüber und die Ursache der Aufhellung, die tief am Horizont sichtbar war. Lichtverschmutzung und rückstrahlender Schnee waren auszuschließen. Uwe W. meinte, er hätte es noch nie so kräftig grün erlebt. Airglow? Skyglow?


NGC 2022 war ein Planetarischer Nebel im Orion und mein letztes Objekt im 14-Zöller. Ging super. Sogleich war ein rundes, homogenes Scheibchen zu sehen, dessen Westrand diffuser wirkte. Bei 178-fach und unter Einsatz von OIII erschien er etwas eckig. Für mehr reichte die Konzentration nicht mehr.


Matthias kam vorbei und lud zur Beobachtung von NGC 1535 ein, der gerade im Riesendobson eingestellt war. Ein schöner Nebel, aber der Tenor war eindeutig: „Das ist noch nix. Das geht noch besser. Machen wir dann nochmal auf dem Glockner.“ Die gleiche Phrase, als auch M42 eingestellt wurde. Wenn das „noch nix“ war, was sollte es dann werden, wenn er höher stand? Die Strukturen im Nebelinneren waren derart deutlich und plastisch, dass es auch der Ausblick aus einem Raumschiff hätte sein können. "Das gehört verboten!" Ebenso der letzte Schwenk auf Jupiter. In Momenten guten Seeings stand die Planetenkugel wie gemauert. Der GRF kam gerade um die Ecke.

Gegen 05:00 Uhr (oder so) bauten wir ab. Merkur tauchte am Osthimmel wieder auf und die Dämmerungsfarben waren ebenso schön und kräftig wie noch am Abend. Eine perfekte Nacht ging zu Ende. Schade. Abschied von Friedel, der gleich wieder heimfahren wollte; der Rest sollte sich später beim Frühstück treffen. Ich lief umher, machte Bilder. Und im Auto kaschte mich die Müdigkeit.

 




Ein Beobachtungsbericht von AKE

Zwieselstein, 20.08.2012

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